Tel Aviv, offiziell Tel Aviv-Jaffa (hebräisch תֵּל־אָבִיב–יָפוֹ Tel Avīv-Jafō), ist das wirtschaftliche und gesellschaftliche Zentrum Israels und gilt je nach Beurteilung des völkerrechtlichen Status von Jerusalem als größte oder zweitgrößte Stadt des Landes. Die Metropolregion Gusch Dan mit dem Bezirk Tel Aviv und insgesamt etwa 254 Gemeinden zählt mehr als 3 Millionen Einwohner, was rund einem Drittel der israelischen Gesamtbevölkerung entspricht.
Tel Aviv-Jaffa | ||
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Basisdaten | ||
hebräisch: | תל אביב-יפו | |
Staat: | Israel | |
Bezirk: | Tel Aviv | |
Gegründet: | 1909 | |
Koordinaten: | 32° 5′ N, 34° 48′ O | |
Fläche: | 51,830 km² | |
Einwohner: | 451.523 (Stand: 2018) | |
Bevölkerungsdichte: | 8.712 Einwohner je km² | |
– Metropolregion: | 3.850.100 (2017) | |
Gemeindecode: | 5000 | |
Zeitzone: | UTC+2 | |
Telefonvorwahl: | (+972) 3 | |
Postleitzahl: | 61000-61999 | |
Gemeindeart: | Großstadt | |
Bürgermeister: | Ron Huldai | |
Website: | ||
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Das 1909 gegründete Tel Aviv war ursprünglich ein Vorort der seit der Antike bestehenden Hafenstadt Jaffa, mit der es 1950 vereinigt wurde. Sie ist Sitz der nationalen Börse Tel Aviv Stock Exchange und der Universität Tel Aviv. Tel Aviv-Jaffa gilt als eine der größten Wirtschaftsmetropolen im Nahen Osten. Die zu einem großen Teil im Bauhaus errichtete Weiße Stadt, das weltweit größte Zentrum von Gebäuden im Internationalen Stil, ist seit dem Jahr 2003 UNESCO-Weltkulturerbe.
Die Namen „Jaffa“ und „Tel Aviv“
Ein historischer Name von Jaffa ist Joppe, dieser ist abgeleitet von Iopeia.
Der Name „Tel Aviv“ ist einer poetischen Übersetzung des Titels des utopischen Romans Altneuland von Theodor Herzl entliehen. Darin steht „Tel“ (mehrschichtiger Hügel aus Siedlungsschutt) für „alt“ und „Aviv“ (Frühling) für „neu“. Tel Aviv wird deswegen manchmal wörtlich mit „Frühlingshügel“ übersetzt. Der Name kommt bereits beim biblischen Propheten Ezechiel vor, wo er einen anderen Ort bezeichnet.
Der Name „Tel Aviv“ findet in politikwissenschaftlicher Literatur und Berichten internationaler Organisationen häufig als Platzhalter für Jerusalem Verwendung. Damit soll der Ansicht Ausdruck gegeben werden, dass Jerusalem nicht die Hauptstadt Israels sei, oder es soll vermieden werden, dass die Kontroverse um die Hauptstadtfrage vom eigentlichen Anliegen einer Veröffentlichung ablenkt.
Der ehemals offizielle arabische Name von Tel Aviv-Jaffa ist arabisch تل أبيب يافا Tall Abīb Yāfā. Er findet amtlicherseits heute nur noch in wenigen Bereichen, etwa bei Verkehrsschildern, Verwendung. Die Rückstufung des Arabischen zu einer Minderheitensprache steht im Zusammenhang mit der Forderung einer demokratischen Mehrheit im Land, das jüdische Wesen Israels stärker im Staat zu verankern. Die amtliche Zweisprachigkeit galt lange als wichtiger Ausdruck des demokratisch und laizistisch verfassten Staatswesens, insbesondere nach außen, sie war aber auch eine innenpolitische Forderung, beispielsweise von Wladimir Zeev Jabotinsky, einem rechten Vordenker.
Nach der Eingemeindung Jaffas am 25. April 1950 nach Tel Aviv stand dessen Name zur Debatte. David Ben-Gurion favorisierte, die vereinigte Stadt Jaffa zu nennen, wegen ihrer langen Geschichte und historischen Bedeutung, der Stadtrat Tel Avivs wollte dessen Namen auch für die vergrößerte Stadt. Den Streit löste das israelische Kabinett, indem es am 28. Juni 1950 mit Mehrheit, gegen Ben-Gurions Votum, beschloss, der vereinten Stadt den Namen Tel Aviv-Jaffa (hebräisch Tel Aviv-Jafo) beizulegen. Am 19. August 1950 wurde dieser Name dann amtlich.
Bedeutung der Stadt
2018 hatte die Stadt 451.523 Einwohner und ist damit nach Jerusalem die zweitgrößte Stadt Israels. Der Großraum von Tel Aviv namens Gusch Dan umfasst ein dicht besiedeltes Gebiet mit den Nachbarstädten Ramat Gan, Giw’atajim, Cholon, Bat Jam und Bnei Brak, die bis zu 14 km von der Mittelmeerküste entfernt liegen, und ist mit etwa 3,8 Millionen Einwohnern der größte Ballungsraum des Landes. Nachdem ein Teil der Staatengemeinschaft Israel anerkannt hatte, richteten die meisten Länder ihre Botschaften in Tel Aviv ein, da der Status Jerusalems gemäß den Teilungsbeschlüssen der UN als unklar galt.
Ab der Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 war Tel Aviv Regierungssitz. Die Regierungsgebäude befanden sich im Stadtteil Sarona. Die Knesset tagte ab Dezember 1949 in Jerusalem. Auch das Regierungskabinett wurde am 16. Dezember 1949 in Jerusalem tätig. Ab Anfang Januar 1950 zogen die meisten Ministerien aus Tel Aviv und anderen Orten nach Jerusalem. Im Großraum Tel Aviv-Jaffa blieben das Verteidigungsministerium und die Nachrichtendienste Schin Bet und Mossad.
Nachdem Israel 1980 Ostjerusalem annektiert und Jerusalem im Jerusalemgesetz zur „ganzen und vereinigten Hauptstadt Israels“ erklärt wurde, forderte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in seiner Resolution 478 dreizehn Staaten, die ihre Botschaften in Jerusalem hatten, dazu auf, diese abzuziehen. Deshalb befinden sich heute fast alle diplomatischen Vertretungen in und um Tel Aviv-Jaffa.
Tel Aviv, so glauben viele, wurde auf Sand gebaut. Er war „weich, süß“, „ich küßte ihn mit großer Liebe sobald ich das Ufer erreichte“, lässt A. B. Jehoshua im Roman Herr Mani (1989) eine Frau sagen. Tel Aviv stand „mit dem Rücken zum Meer“, doch immer direkt am Wasser, teilweise nur wenig über dem Meeresspiegel. 2018 bezeichnete Nature Tel Avivs Weiße Stadt, zusammen beispielsweise mit Rhodos, Istanbul und Dubrovnik oder der libyschen Fundstätte Leptis Magna, als eine von 47 wegen der Klimaerwärmung von Überflutung oder Erosion bedrohte UNESCO-Welterbestätten am Mittelmeer. In der Negativrangliste der CO2-Emittenten lag Israel 2020 mit 7,5 T/Einwohner weltweit auf Platz 45, 2021 mit 6,5 T/Einwohner auf Platz 51.
Geschichte
Geschichte Jaffas
Vor- und Frühgeschichte
Archäologische Ausgrabungen zeigen, dass die Küstenebene im Mündungsgebiet des Yarkon schon um 9000 v. Chr. bzw. vor der Zeitrechnung (v. d. Z.) von Jägern und Sammlern der Kultur von Natufien durchstreift wurde. Sie wurden sesshaft und entwickelten Urformen der Landwirtschaft. Siedlungskontinuität besteht laut den Ausgrabungsbefunden seit der mittleren Bronzezeit. Um 3000 v. d. Z. wurde der aus dem Kaukasus stammende Olivenbaum in Palästina heimisch. Jaffa wird auf ägyptischen Inschriften um 2000 v. d. Z. unter dem Namen Ipu erwähnt und unter den Hyksos besiedelt. Es wurde von Truppen des Thutmosis III. bei der von Djehuti kommandierten Eroberung von Joppe mittels eines Trojanischen Pferdes eingenommen, bildete danach das Herrschaftsgebiet von Pu-Baʿlu und war ab ungefähr dem 12. Jahrhundert v. d. Z. von den sogenannten Seevölkern, zu denen auch die Philister zählten, und von Kanaanitern bewohnt, während die nicht seefahrenden Israeliten überwiegend im Landesinneren siedelten, wo sich Juda und das Nordreich Israel herausbildeten, dessen Stammesgebiet Dan (Buch Josua 19,46) es später zugeteilt war. Im Altertum befand sich Yapu/Tell Qasile meist in den Händen der Phönizier, deren Zedernholz zum Bau des ersten und zweiten Jerusalemer Tempels (Buch Esra 3,7) über Jaffa nach Jerusalem transportiert wurde (2. Buch der Chronik 2,15). Es wird vermutet, dass es ein Kultort für die Gottheit Derketo war. Von 587–539 v. d. Z. lag Jaffa im Machtbereich der Babylonier und 539–332 v. d. Z. in dem der Perser, deren phönizischer Vasall Eshmunazar II. die Überlassung Jaffa und Dor der Stadt Sidon unterstellte. Von 332–142 v. d. Z. folgte die Dominanz des Hellenismus.
Biblische und römische Zeit
In der Bibel wird Joppe als Hafen der Tarsis-Schiffe im Buch Jona genannt; ebenso in der Begegnung des Judenchristen und Apostel Petrus mit dem römischen Offizier Cornelius (Apostelgeschichte 10). In Joppe erweckte der Apostel Petrus die Tabita und wohnte einige Zeit im Haus von Simon dem Gerber (Apostelgeschichte 9, 36–43). Die griechische Mythologie verortet das Schicksal der Andromeda in Jaffa.
Die Makkabäer bzw. Hasmonäer eroberten den Ort während ihrer Revolte der Jahre 167–161 v. d. Z. und vertrieben die griechisch-ptolemäischen Bewohner (1. Buch der Makkabäer 13,11) als Rache für den Mord an 200 Israeliten. 63 v. d. Z. nahmen Pompeius' Männer Jaffa ein. Er baute mit Hilfe von Veteranen des Kriegs gegen die Seleukiden den Hafen Caesarea Maritima an der Via Maris aus, womit Jaffa an Bedeutung verlor. Unter Julius Caesar wurde der Ort 47 v. d. Z. unter jüdische Verwaltung gestellt. Bei der Niederschlagung des Zelotenaufstands der Jahre 66–70 wurde Jaffa unter Gaius Cestius Gallus und später Titus Flavius Vespasian zerstört. Der Ort Javne südlich von Jaffa wurde 74–135 mit dem dort begründeten Sanhedrin zur Keimzelle des Rabbinischen Judentums. Von 132–135 wurde das Gebiet vom jüdischen Bar-Kochba-Aufstand gegen die Römer erschüttert. Jaffa unterstand dem römischen Prokurator der Provinz Judäa. Unter Konstantin dem Großen wurde die Stadt Bischofssitz.
Frühes Mittelalter und die Ankunft des Islam
Palästina blieb bis 636 unter römischer, beziehungsweise rhomäischer Herrschaft. Konstantinopel deckte seinen Getreidebedarf im 5. bis 8. Jahrhundert überwiegend durch Einfuhren aus dem Nildelta und dem Unterlauf des Nil. Die Stadt am Bosporus benötigte und subventionierte das Brot, um Hungeraufstände zu vermeiden. Schiffe mit Lademengen von bis 340 Kubikmeter legten an und Jaffa behielt damit seine Bedeutung für die küstennahe Schifffahrt. Ein Kaufmann musste für ein Schiff der größten Kategorie 1000 Solidi hinlegen. Diese griechisch-römische Phase war insgesamt von kulturellem Synkretismus geprägt, der die Juden und die teils stark aramäisierten und polytheistischen Araber erfasste. Der Araber Kallinikos von Petra wurde gar Lehrer für Rhetorik in Athen. Menschen von der Antike bis zur Vormoderne verwendeten den Begriff Araber oft nur generisch für Nomaden. Sich bildende christliche Gemeinden gehörten meist monophysitischen und nestorianischen Richtungen an, der despotischen byzantinischen Staatskirche galten sie deshalb als Ketzer. Sie wurden stark besteuert, gedemütigt und verschleppt.
622 begann mit der Hidschra Mohammeds die islamische Zeitrechnung und mit der islamischen Expansion die Verbreitung des Islam auf der arabischen Halbinsel, ab 636 auch in der Levante. Beim ersten dokumentierten Angriff der Byzantiner auf „Araber des Mahomet“ starben am 4. Februar 634 bei Gaza 4000 christliche, jüdische und samaritanische Zivilisten. Doch schrieb der Patriarch der von Byzanz gegängelten Nachfolger des Jakob Baradai: „Wenn, was wahr ist, wir Leid erfahren haben... war es doch von nicht geringem Vorteil für uns, von der Grausamkeit der Römer [hier für Byzantiner] erlöst worden zu sein.“ Entsprechend bereitwillig akzeptierten syrische Christen die islamische Herrschaft. Spätere Generationen traten meist zum Islam über. 636, nach der Schlacht am Jarmuk, eroberten Krieger des Kalifen ʿUmar ibn al-Chattāb den Ort, in deren Gebiet Bilad al-Sham und dessen südlicher Gebietshälfte Dschund Filistin sich Jaffa befand. 660–750 war das Gebiet unter der Kontrolle der Umayyaden, welche, in Ramla etabliert, ab 744 von Aufständen bedrängt wurden. Ihnen folgten 750–969 die Abbasiden. Sie investierten in den Ausbau von Jaffas Hafen- und Wehranlagen, mussten jedoch von 969–1071 der Macht der tunesischen Fatimiden weichen. Die turksprachigen Seldschuken besiegten diese 1071 und machten sich Jaffa zu eigen. Abgesehen von nomineller Kontinuität, endete mit dem häufig gewaltsamen Tod eines Herrschers meist auch sein Staatswesen.
Hohes und spätes Mittelalter in der Levante
Am 24. Juli 1100 nahmen die Kreuzfahrer Jaffa nach dem Ersten Kreuzzug ein. Jerusalems nächster natürlicher Hafen war strategisch wichtig. Unweit lag im Norden die Festung Arsuf. Jaffa wurde 1100 mit Hilfe der Venezier für Bouillons bis nach Hebron zerstreute Truppen – 300 Ritter und 2000 Fußleute – befestigt und erhielt ein Hospitium. Die Serenissima erhielt für ihre Kriegsdienste einen Viertel/einen Drittel neu eroberter Städte. Auch Genua, Pisa und Bari verbanden eine militärische Außenpolitik mit Handelsinteressen in Outremer, denn Jaffa war ein Zielort des Karawanenhandels und so mit der „Seidenstraße“ verbunden. Pisa erhielt einen Stadtteil in Konzession, nachdem ihre 120 Schiffe zählende Flotte auf dem Weg die byzantinischen Ionischen Inseln verwüstet hatte. 1101 verschaffte sich Balduin II. die Herrschaft über Jaffa und setzte den Ritter Eudes Arpin de Bourges als Statthalter ein. 1102 zog ein ägyptisches Heer aus fast 20.000 Mann vor die Tore, musste jedoch wieder abziehen, ohne dass es zur Belagerung kam. Dagobert von Pisa, Plünderer der ionischen Siebeninseln, zum Lateinischen Patriarchen von Jerusalem erklärt, beanspruchte die Stadt. Als Hugo von Le Puiset 1132 gegen Fulko rebellierte, halfen ihm die Fatmiden.
Nach der Niederlage der Kreuzfahrer in der Schlacht bei Hattin am See Genezareth am 4. Juli 1187, eroberte der kurdischstämmige Ayyubiden-Sultan Saladin Jaffa. Guido von Lusignan hatte wider besseren Rat den Kampf gesucht. Etwa 30.000 überlebende Soldaten und Gefolge des Kreuzfahrerheers wurden zum Freikauf abgeführt oder ließen die Preise für Sklaven in Damaskus einbrechen. Am 10. September 1191 besetzte das Heer des Dritten Kreuzzugs unter Richard Löwenherz kampflos die Ruinen Jaffas, das auf Befehl Saladins vor der Schlacht bei Arsuf im Herbst 1190 geschleift worden war. Am 7. September 1191 siegten die Kreuzfahrer. Die Franken bemächtigten sich Jaffas, was ihnen den Zugang zu Aschkelon eröffnete. Ende Juli und im August 1192 nutzte Saladin die Abreise Richard Löwenherz' und eines Teils des Gefolges nach Akkon, um sich in der Belagerung und Schlacht von Jaffa der Stadt zu bemächtigen, wurde aber zurückgeschlagen. Am 2./3. September 1192 sicherte Saladin den auf den Küstenstreifen von Jaffa bis Tyrus zurückgedrängten Kreuzfahrern Jaffa im dreijährigen/fünfjährigen ersten Frieden von Jaffa zu. Saladin, der sich zahlreiche Großzügigkeiten und selbst von wohlwollenden zeitgenössischen Chronisten wie Ibn al-Athīr oder Imad ad-Din al-Isfahani kritisierte strategische Fehler leistete, hatte 1192 die Stadt Jaffa erobern lassen, dann aber auf die Erstürmung der Zitadelle verzichtet, was Löwenherz die Zeit gab, Jaffa erneut einzunehmen. Laut Ibn Schaddad garantierte Saladin Christen sichere Pilgerwege, Juda al-Charisi berichtet von jüdischen Rückkehrern unter den bis 1250 regierenden Ayyubiden. Im Kreuzzug Friedrichs II. wurde am 11./18. Februar 1229 der zweite Friede von Jaffa zwischen dem exkommunizierten und arabischsprachigen Kaiser und al-Kamil geschlossen, mit dem den Franken Jerusalem im Austausch für Damiette kampflos zufiel. Zuvor hatten Franken 1204 auch Konstantinopel gebrandschatzt.
Im Königreich Jerusalem führte meist der Thronerbe den Titel „Graf von Jaffa und Askalon“. Heinrich von Champagne hinterließ Jaffa seinen Töchtern. In Abweichung von der Lex Salica hatten Frauen in der Kreuzfahrergesellschaft oft leitende Stellungen und Besitz und nahmen an den Gewalttätigkeiten teil. Nach dem Tod von Alice von Champagne fiel Jaffa an ihre Tochter Maria von Champagne, die mit Walter IV. von Brienne verheiratet war. Nach dessen Tod 1246 fiel Jaffa an Marias Bruder, König Heinrich I. von Lusignan. 1246 bis 1247 belehnte Heinrich I. Johann von Ibelin mit Jaffa. 1268 eroberte die Bahri-Dynastie der ägyptischen Mamluken, die 1260 in der Schlacht bei ʿAin Dschālūt den mongolischen Vormarsch gestoppt hatten, unter Baibars I. Jaffa in einer halbtägigen Belagerung. Sie beendeten die Herrschaft der Kreuzfahrer und überwanden die von den Muslimen, den Juden und von vielen nach orthodoxem Ritus praktizierenden Christen – seit dem Schisma ab 1054 von Rom abgewandt – als wiederholt auch traumatisch erlebte Fremdherrschaft der Franken oder Lateiner. Ein Grund für den fast nur militärischen Charakter ihrer Präsenz lag in der sehr hohen Kindersterblichkeit und erfolglosen zivilen Ansiedlung. Die Kreuzfahrerstaaten erneuerten ihre Bevölkerung zu einem bedeutenden Teil durch immer neue und oft wesentlich gewaltbereitere und intolerantere Zuzügler aus Europa, die zuvor auf diplomatischem Wege Erreichtes zunichtemachten.
Der Titel eines Barons von Jaffa wurde nach ihrer Evakuierung von Adligen im Königreich Zypern geführt. Neben neuen Anbaufrüchten (Aprikose, Aubergine, Schalotte, Wassermelone etc.), brachten Kreuzfahrer auch die Brieftaubenzucht nach Europa. Ähnlich wie in al-Andaluz, waren auf Zeiten des Krieges Zeiten des Friedens gefolgt, was den Franken erlaubte, Kenntnisse in Arabisch und in arabischer Medizin zu erlangen. Hilfe in der Not versprachen sie sich auch von einem Bündnis mit der von den Franken gefürchteten aber von syrischen und armenischen Christen euphorisch begrüßten mongolischen Goldenen Horde, das Philippe de Toucy, in einem strategischen Richtungswechsel, gesucht hatte. Die Mamluken ließen die Häfen zugunsten der Verteidigungslinie im Hinterland weitgehend zerstören und entvölkern. Fortan dominierten Sunniten der hanafitischen Rechtsschule. Mit der wiedererlangten Hoheit des Islam lag Jaffa im Gebiet des Dār al-Islām. Wirkungsgeschichtlich begann eine Phase von Stabilität und zunehmender Stagnation, bis zum Schock der „Ägyptischen Expedition“ 1798.
Osmanische Zeit
1516 fiel Jaffa ans Osmanische Reich und erlangte die alte wirtschaftliche Bedeutung. Der Kriegseintritt Schwedens im Dreißigjährigen Krieg beendete Importe aus dem Baltikum. Die italienischen Staaten ließen Schiffe der englischen Levant Company, der Niederländer und der Hanse für ihren Getreidebedarf deshalb Jaffa anlaufen. Wichtigste Exportgüter waren Zucker und seit dem 10. Jahrhundert Baumwolle. Textilien und Olivenölseife – die Nabulsi-Seife – lieferte die Stadt Nablus im östlichen Hügelland. Durch die Kapitulationen des Osmanischen Reiches wurden 1535 französische, venezianische und genuesische Handelsniederlassungen von den Osmanen großzügig steuerlich privilegiert und erhielten Autonomie. Vom Status der Dhimmi ausgenomme Verwalter und Konsuln führten mit schutzbefohlenen lokalen Übersetzern (Dragoman) die Angelegenheiten der extraterritorialen ausländischen Kontore.
Zunehmend war Jaffa auch Pilgerhafen auf dem Weg nach Jerusalem und zu anderen Loca Sancta, welche Christen an das irdische Leben Jesu erinnern, und die seit dem 4. Jahrhundert für Wallfahrten zugänglich waren. Die kostspielige, aber sichere Seereise auf venezianischen Galeeren mit je knapp 100 Pilgern dauerte 30 bis 40 Tage und begann meist im Mai und Juni. Doch mussten sich weniger bemittelte Reisende oft mit Schiffen begnügen, die weder Sicherheit noch Hygiene boten, zudem lauerte Gefahr durch eigene „Sünde“ und das Verhalten von kriminellen Mitreisenden. Katholische Pilger unterstanden der Lex peregrinorum, die ihnen, neben anderen Schutzrechten, das damals nur wenigen zugängliche Recht einräumte, vor der Abreise ein Testament zu machen. Bestimmt wurde zudem der Tag, ab dem die zuhause verbleibende Ehegattin sich bei ausbleibender Rückkehr wieder verheiraten durfte. Behörden erklärten verschollene Pilger oftmals nach 366 Tagen für tot. Armenier fanden in Jaffas Hokedun (dt. Haus der Seele) Zuflucht. Erfolgreich pilgerte auch der Benediktinermönch Dom Loupvent (ca. 1490–1550) aus Lothringen 1531 nach Jerusalem: Für die Hin- (22. Juni–4. August) und die Rückreise (27. August–20. November) mit allen Aufenthalten, sowie den Weg von Jaffa nach Jerusalem und zurück (4.–27. August) benötigte er 245 Tage. Stationen seiner Reise waren Venedig, Rovinj (Rovigno), Otrante, Iraklio (Candie) auf der venezianischen Besitzung Kreta, Limassol auf dem ebenfalls venezianischen Zypern, Jaffa, Jerusalem, dann wiederum Jaffa, die Salinen von Larnaca an Zyperns Südküste, ein Zwischenhalt in einer Bucht an der Südküste des Peloponnes, die griechischen Inseln Zakynthos (Zante) und Korfu, Rovinj und schließlich wieder Venedig. Erstaunt berichtete er über die gemeinsamen Gebete von Christen und Muslimen am Grab des Lazarus.
Christen und Juden waren als Inhaber göttlicher Offenbarungsschriften und „Leute der Schrift“ (arabisch: ahl al-kitāb), denen freilich – etwa hinsichtlich ʿĪsā ibn Maryam – eine Verfälschung (Tahrīf) der Schriften vorgeworfen wurde, rechtlich untergeordnete ahl al-dhimma, wobei Hadith 29:47 gebot, mit ihnen „nur auf anständige Weise“ zu streiten. In der sozialen Wertschätzung den Fellahin ähnlich, bezahlten sie die Steuer Kharaj und bis 1855 die Dschizya. Rechtssicherheit, weitestgehende Berufsfreiheit und freie Religionsausübung war möglich. Der Pakt des Umar verbot etwa Kirchenglocken, die Taufe von Muslimen und das Studium des Koran. Es gab Baueinschränkungen, ein Pferdereitverbot und Kleiderregeln. Wurden Schutzbestimmungen oder die Urteile lokaler Qādī nicht ausreichend befolgt, konnten die Minderheiten an die Hohe Pforte gelangen, die wiederholt für sie intervenierte. Um 1665 versetzte das Auftauchen des angeblichen Messias Schabbtai Zvi und seines „Propheten“ Nathan von Gaza die jüdische Gemeinde in Aufregung. Der jüdische Hoffnungsträger aus Smyrna bewegte sich frei im östlichen Mittelmeerraum, denn die Osmanen boten ihren Untertanen Reisefreiheit.
Zweite mamelukische Zeit und osmanische Rückgliederung
Dhaher al-Omar aus Galiläa versuchte Istanbul 1774 Jaffa zu entreißen, doch die Nabulsi kamen ihm zuvor. Amad Beg Tuqan wurde Gouverneur. 1775 stürmten Mamluken unter Muhammad Bey Abu Dahab die von den Osmanen 1702–1703 gebaute Befestigung. An Jaffas Bevölkerung ließ er ein Massaker verrichten. Von Gaza kommend, das seine Truppen am 25. Februar 1799 kampflos eingenommen hatten, belagerte die Erste Republik Jaffa während der Ägyptischen Expedition vom 4. bis zum 7. März 1799. Dem französischen Offizier, der die Verhandlungen über eine Übergabe der Stadt führen sollte, wurde von osmanischen Kämpfern der Kopf abgeschnitten und von der Stadtmauer herab den Franzosen, auf einen Pfahl gespießt, gezeigt. Es folgte ein vierstündiger Artilleriebeschuss und, nach der Eroberung, 30-stündige Plünderungen und am 10. März die Erschießung oder Bajonettierung von 3000/4000 Männern, Frauen und Kindern. Gerechtfertigt wurde das Blutbad mit fehlendem Wasser und Lebensmitteln für die Kriegsgefangenen. Die Armée kehrte nach ihrem Scheitern in Akkon wieder ins südlichere Jaffa zurück, wo die Pest nun voll ausbrach. Es gab zahlreiche Fälle sexueller Gewalt gegen Frauen. Der am 24. Mai 1799 wieder in Jaffa eingetroffene Napoleon Bonaparte gab seinem Militärarzt René-Nicolas Dufriche Desgenettes vermutlich den Auftrag, einige Dutzend erkrankte Soldaten zu vergiften/zurückzulassen. Durch schlechte hygienische Bedingungen begünstigt, kehrten Pest und Cholera in den folgenden Jahrzehnten wiederholt zurück. 1806 beklagte der Reisende François-René de Chateaubriand in Itinéraire de Paris à Jérusalem den elenden Zustand des für 1800 auf 2750 Einwohner geschätzten Orts. Zucker und Baumwolle verschifften längst vor allem Häfen in der Neuen Welt.
Modern gerüstete „ägyptische“ Truppen Muhammad Ali Paschas rückten zur Eroberung Syriens und Südostanatoliens 1832 auch in Jaffa ein, das jedoch nach dem Bauernaufstand 1834 und der europäischen Intervention 1839 ab 1841 wieder von Osmanen regiert wurde, die einen Sabil, den Sabil Abu Nabbut, errichtet hatten. Muhammad Ali erhielt die osmanische Anerkennung seiner Dynastie über Ägypten und den Sudan. Das kleine Jaffa unterstand nun dem Sandschak von Jerusalem, an dessen nördlicher Grenze es lag. Dieser war noch Teil der Provinz Damaskus. Ab 1872 Istanbul direkt unterstellt, wurde er vom Vilâyet von Beirut unabhängig. Ab 1839 brachte die Tanzimat-ı Hayriye genannte „Heilsame Neuordnung“ der Wirtschafts- und Rechtsordnung einen Entwicklungsschub. 1842 wurde Papiergeld eingeführt, 1844 gab es eine Volkszählung. Ibrahim Pascha hatte Bauern vertreiben um mit Gefolge vom Nil die nahen Saknet-Dörfer zu bauen. Diese Fellachen blieben unter sich. Andernorts kamen Tscherkessen und Bosniaken. 1857 wurde der Sklavenhandel per Ferman verboten, de facto ging er vermutlich bis 1910 weiter. Der über Dschidda–Tabuk–Amman oder auf See via Kyrenaika verlaufende Sklavenhandel aber auch die Haddsch brachten Schwarze nach Jaffa. Ibrahim schaffte Pilgersteuern für Nichtmuslime ab und führte Kopfsteuern auch für Muslime ein. Die Bedel-i askeriye, eine Militärbefreiungssteuer für Christen und Juden, vor dem Pariser Frieden und mit Ende des Millet-Systems rechtlich gleichgestellt, ersetzte 1856 die Dschizya. Ab 1850 wurde geimpft. 1856 bis 1882 stieg Jaffas Umschlag von 44.845 t auf 305.853 t (336.000 £ um 1881).
1840 gab es 4750 Einwohner. Trotz rabbinischem Herem gegen die Wohnsitznahme in Jaffa, lebten etwa 200 meist maghrebinische Juden im Ort, ab 1841 mit Rabbi Jehudah Halevy. Seit den 1820er Jahren förderte Istanbul ihre Ansiedlung in Erwartung guter Steuererträge. Juden und Christen bezahlten oft erhebliche Steuern und Tributsummen für Schutzrechte, wozu für die Juden das Beten am Kotel oder der beschwerliche Bau der Jerusalemer Hurva-Synagoge gehörten. Da der Posten eines Steuerpächters (mültezim) der Hohen Pforte ersteigert wurde, versuchten Notabeln (a'yân) möglichst viel einzunehmen, um vom Ämterkauf zu profitieren. Nun drängten nach dem Krimkrieg christliche Untertanen des Russischen Kaiserreichs ins Land und versuchten, Frankreich, in Jaffa mit den Messageries Maritimes oder AFP präsent, den Rang als Schutzmacht der arabischen Christen abzulaufen. Die griechisch-orthodoxe Bevölkerung Jaffas wuchs auf 2900 um 1904. Russland erhob diese Ansprüche seit 1774. Auch bei Jaffa ließ sich die Kaiserlich Orthodoxe Palästina-Gesellschaft nieder und betreute bis 1914 um 11.000 Schüler an über 100 Schulen und jährlich 14.000 vom Zar subventionierte Pilger. Hinzu kamen privilegierte Ausländer und einheimische Christen unter dem konsularischen Schutz verschiedener Staaten. Laurence Oliphant schrieb über die unberücksichtigten Muslime: „Überall in der Türkei [sic] gehören die Muslime zu derjenigen Gruppe der Bevölkerung, die wirklich hart dran genommen wird.“ Jaffa, die „Mutter der Fremden“, wurde Anlaufpunkt westlicher Glückssucher mit kapitalistischen Interessen und es entstand eine Mittelschicht. Von 1860 bzw. 1873 bis 1881 versechsfachten sich Jaffas Orangen- und verdoppelten sich Jaffas Getreideexporte nach England. Indes wurde die elsässische Missionarsfamilie Baldensperger in Jaffa mit Honig reich. Édouard Portalis stieg mit Öl und Orangen zum schwerreichen Grundbesitzer auf. Ab Jaffa reisten Shadar, von der mittellosen Kehillah entsandte Schnorrer, in der Hoffnung auf dringend benötigte Finanzhilfe zu Juden in Europa und Afrika. Dies war die Halukka. 1855 und 1857 kam Moses Montefiore mit Hilfe. Islamische Wohltätigkeit regelten Waqf-Stiftungen und die Zakāt, die dritte der Fünf Säulen des Islam.
Dampfschiffe aus Marseille und Triest verkehrten ab den 1860er Jahren nach Fahrplan. Pilger, Touristen und ab 1865 der PEF erkundeten das Land. Ab 1867 garantierte das Gesetz das Grundeigentum von Ausländern. 1868–1869 bauten zwangsverpflichtete Bauern die Straße nach Jerusalem, die ab 1879 winterfest war. Der Stadtrat Majlis al-baladiyya erhielt 1872 Autonomie. Filialen der Ottomanischen Bank und 1875 der Istanbuler Bankiersfamilie Valero gingen auf. 1865 kam der Telegraf. Die K.‐u.-k.-Post und Tramlinien eröffneten. 1884 folgte Plato von Ustinows Hôtel du Parc. 1879–1888 wurde die Stadtmauer entfernt. Die Barkai-Freimaurerloge erfreute sich bei Juden und Arabern großer Beliebtheit. Während sich zuvor meist britische Erben in spe auf ihrer Grand Tour in Jaffa einstellten, folgten nun 4200 Kunden von Thomas Cook. Am 31. März 1890 begann eine französische Société mit dem Bau der Jaffa–Jerusalem-Bahn, sie ging am 26. September 1892 in Betrieb. Die Sœurs de Saint-Joseph, Sœurs du Rosaire und Miss Arnott's School kamen hinzu. Bis 1923 entstanden laut Samuel Tolkowsky auf dem Land von Schaich Ibrahim al-Ajami rund 950 Häuser. Palästina und Jaffa waren im Langen 19. Jahrhundert fest im Weltmarkt integriert.
Elite und Mittelschicht unterlagen der Verwestlichung, worauf italienische Architekten, französische, britische, skandinavische und US-amerikanische Kliniken, Missionsschulen und Universitäten Einfluss hatten. So betrieben die United Free Church of Scotland und die Church of Scotland in Ajami die Tabeetha School. Ihr Missionserfolg beschränkte sich auf Christen. Institutionen in den Metropolen Beirut, Damaskus und Kairo lockten die wohlhabendsten Jaffaer Familien häufig fast das ganze Jahr zu sich. Die mit 23 bis 28 Karakol (Polizeirevieren) gesicherte gesamtarabische Vergnügungsmetropole Beirut – wo 63 Tel Avivis studierten – hatte 1890 mit der USJ, der elitären AUB und für die Töchter der ASG, 50 Arztpraxen, 30 Apotheken und 6 Krankenhäusern, mit 55 Cafés, 45 Juwelieren, 30 Uhrmachern, 30 Basaren, 25 Hotels, 3 Casinos, 2 Zirkussen und um 1900 auch 40 Bordellen einiges mehr zu bieten als Jaffa mit Kamelausritten zu Eid al-Fitr und Nabi Reuven, Ausflügen auf ersten Automobilen und, immerhin, später dem Alhambra. Das Studium führte Söhne der Oberschicht nach Europa. Doch vermochte Jaffas Handelskommitee in der Bosnischen Annexionskrise Österreich-Ungarn die Stirn zu bieten, als es am 12. Oktober 1908 den Hafen für Frachter aus Triest blockierte, was 1908 ein Exportvolumen von 12,5 Millionen Francs tangierte. Als erstes musste dies eine Mannschaft des Österreichischen Lloyd am folgenden Tag erfahren, als die Ruderer der Frachtlöschung einfach an Land blieben.
Die Familie al-Taji al-Faruqi aus Jaffa verfügte Ende des 19. Jahrhunderts über Grundbesitz von 50.000 Dunam. Der Landbesitz reicher Familien war durch osmanische Gesetze ab 1858 arrondiert worden, da Bauern, um Steuern und dem Einzug der Kinder ins Militär zu entgehen, unwissentlich auf kollektive Landrechte verzichtet hatten. Manche der oft auch verschuldeten Efendi verkauften nun ohne zu zögern leicht erlangtes und bereits verpachtetes Land an KKL und JCA. Rund 20.000 landlose Familien waren bis 1931 zu Landflucht und Lohnarbeit in Städtnähe gezwungen, die ihnen von den zunehmend sozialistischen Zionisten der 2. Alija (1904–1914) vorenthalten wurde, die keine „Ausbeutung“ arabischer Lohnarbeiter betreiben, sondern eine rein jüdische Wirtschaft aufbauten wollten. Die sich selbst als Kolonisten bezeichnenden Pioniere folgten Gordons Lehre von der „hebräischen Arbeit“ (ʿavoda ʿivrit), die auch Eroberung der Arbeit (kibbusch haʿavoda) genannt wurde. Die Juden sollten eine normale gesellschaftliche Struktur aus „Bauern und Arbeitern“ erhalten und deren Masseneinwanderung vorbereiten. Der andere Teil derselben Gesellschaftsauffassung war die „jüdische Selbstverteidigung“. Aus beidem erwuchs der Vorwurf, der Zionismus sei ein imperialistischer Komplott und die Juden würden Segregation zu Lasten der arabischen Bevölkerung betreiben.
Hamula-Dorfgemeinschaften lösten sich auf und suchten Halt an islamischen Wertvorstellungen. Aus der unteren Mittelschicht war die „arabische Renaissance“, ein „islamisches Erwachen“, die Nahda, von Dschamal ad-Din al-Afghani oder des weltlicheren Rifāʿa at-Tahtāwī hervorgegangen, der begann, die Gesellschaft am französischen Vorbild zu modernisieren. Intellektuelle wie Khalil Beidas und Khalil Sakakini oder die ab 1911 in Jaffa gedruckte und mit Unterbrüchen bis 1967 bestehende Zeitung Filastin gaben Impulse für das wachsende arabische Nationalbewusstsein. Von den Journalisten Issa al-Issa und Yousef Hanna al-Issa geleitet, war sie panarabisch und griechisch-orthodox. Zum Vorlesen wurde sie gratis an Jaffas Distrikt-Mukhtar ab 100 Dorfbewohnern verteilt. 1915 gab es in Palästina mehr als 20 Zeitungen. Auch al-Akhbar, al-Asmai und ab 1907 Martino Alonzos at-Taraki erschienen in Jaffa. Aus Haifa kam ab 1909 wöchentlich al-Karmil von Najib Nassar, zuvor griechisch-orthodoxer Protestant und Angestellter der Landkaufgesellschaft JCA, der sich mit seiner Frau Sadij Nassar einem vehementen Antizionismus zugewandt hatte. Britisch-französische Kreuzzugsromantik aktivierte und bestätigte alte Traumata. Ein Artikel in Filastin trug 1913 ganz unverblümt den Titel Die zionistische Gefahr. Zeitungen unterstanden strenger Zensur, bis 1908 osmanisch, ab 1917 britisch. Viele Menschen waren nicht lesekundig und kannten Medien durch das Grammophon, etwa der Berliner Firma Odeon, die 1913 und 1914 in Kairo 458 arabische Aufnahmen herstellte.
Abdülhamid II. unterdrückte bis zur Jungtürkischen Revolution von 1908, an deren Spitze das bald der Kollusion mit dem Zionismus bezichtigte Komitee für Einheit und Fortschritt stand, die europäische Idee der vaterländischen Nation (arabisch: Watan). Die nationalistische und antizionistische Schrift Le Réveil de la nation arabe dans l’Asie turque [ou le péril juif universel] (dt. Erwachen der arabischen Nation in Türkisch-Asien [Oder die jüdische Weltbedrohung]) des maronitischen Christen Negib Azoury war 1905 in Paris erscheinen. Sie machte offene Anleihen am Antisemitismus Europas. Insgesamt erreichte der von arabischen Christen und französischen Geistlichen importierte und übersetzte „moderne“ Antisemitismus eines Édouard Drumont oder der arabisch vorliegenden „Protokolle“ (Kairo 1925) die Muslime noch kaum, für die die Juden ein Bestandteil ihres islamischen Weltbildes waren. Nach der Wiedereinsetzung der Verfassung per osmanischem Dekret, am 6. August 1908 von Jerusalems Ex-Gouverneur Ali Ekrem Bey auch in Jaffa vor tausenden begeisterten Menschen jeden Glaubens verlesen, wurde 1909 ein Jaffaer ins Osmanische Parlament gewählt. Mendel Kremer, ein osmanisierter Jude in Jaffa und Journalist für HaHashkafa schrieb: „Ohne Chaos oder Blutvergießen hat unser Volk das wertvollste mögliche Gut erlangt [eine repräsentative Regierung].“ In Paris entstand 1911 die geheime Liga der arabischen Jugend (al-Fatât) von Mohammed Izzat Darwaza, die auch in Nablus und Jaffa Zellen bildete. Der Krieg in Bulgarien ab 1911 zwang junge arabische Männer, die nicht als Kanonenfutter enden wollten, zu einem Leben als „turcos“ im fernen Lateinamerika. Indes forderten die etwa 200 fast zur Hälfte christlichen Delegierten einer sechstägigen syrisch-ägyptischen Konferenz, im Juni 1913 in der Pariser Société de Géographie versammelt, Dezentralisierung im Osmanischen Reich, Militär- (Dienst ohne Entsendung) und Verwaltungsreform und sprachliche Anerkennung. Hocharabisch löste Osmanisch als Bildungssprache ab, eine wachsende Buchproduktion aus Ägypten, wo die Presse relativ frei war, wurde rezipiert. Im 19. Jahrhundert erschienen über 10.000 Titel. In Palästina entstanden der den Naschaschibi verbundene al-Muntada al-Adabi („Der Literaturclub“) und Husseini-nahe al-Nadi al-Arabi („Der arabische Club“), die aus Studienabgängern und höheren Angehörigen der Sicherheitskräfte bestanden.
Erster Weltkrieg
Im Ersten Weltkrieg ließ die osmanische Militärbahn manchen Hain fällen. Zerstört war „die Umsäumung aus Palmen, Granatapfelbäumen, Orangen-, Aprikosen- und Mandelbäumen – eine Fülle an Blüten – welche die Luft mit Duft durchtränken“, die Laura Valentine 1893 beschrieb. Gewaltlos wies Hadi Bek fast alle Jaffaer – Juden und Araber (die Juden galten bei russländischer und rumänischer Herkunft oder probritischer Spionage 1917 als feindliche Staatsbürger) – nach Galiläa/Petach Tikwa aus, war doch am 27. August 1916 auch Rumänien in den Krieg eingetreten. Am 16. November 1917 fiel Jaffa den ANZAC unter Edmund Allenby zu. So endete die osmanische Zeit. Die Bevölkerung kehrte durch Vermittlung des mit den Türken verbündeten Deutschen Kaiserreichs auch aus Damaskus und Anatolien zurück. Nach dem jungtürkischen Völkermord an den Armeniern wuchs ab 1916 die armenisch-orthodoxe Gemeinde durch den Zustrom der Flüchtlinge.
1915 hatten die Briten mit Blick auf die Arabische Revolte arabischen Politikern ein Gebiet von Adana (heute Türkei) bis Akaba (heute Jordanien), einschließlich Jaffas, versprochen. Im Mai 1916 lag Jaffa im Gebiet, das der Triple Entente zufolge unter gemeinsamem britischem, französischem und russischem Protektorat hätte stehen sollen. Mark Sykes spielte mit dem vagen Plan, Haifa/Akkon als Stützpunkt einzufordern, aber Nord- und Mittelpalästina zu internationalisieren. Indes erfüllten sich auch arabische Versprechungen nicht. Die umfassende Desertion ihrer Soldaten aus osmanischen Verbänden blieb aus. Das Faisal-Weizmann-Abkommen blieb unverwirklicht, zu dem Faisal I. im März 1919 an Felix Frankfurter schrieb: „Wir Araber, insbesondere die gebildeten unter uns, schauen mit großer Sympathie auf die zionistische Bewegung.“ Im Ringen um die Pariser Friedenskonferenz kam am 10. Juni 1919 die King-Crane-Kommission in Jaffa an. Chaim Weizmann versprach, „Palästina so jüdisch zu machen wie England englisch ist.“
Mandatszeit
Nach dem „Großen Krieg“ an der Palästinafront formierten sich 1918 Islamisch-christliche Komitees, die vom 27. Januar bis 9. Februar 1919 beim panarabischen Allsyrischen Kongress in Jerusalem ein Programm gegen die Ansiedlung von Juden in „Südsyrien“ verfassten. Unter den Aktivisten, gegen den Zionismus vereint, entstand Uneinigkeit über mögliche Alternativen: Während Muslime an ein Palästina als „untrennbaren Teil Syriens“ glaubten, befürworteten griechisch-orthodoxe Jaffaer ein britisches Protektorat; katholische Araber traten für ein französisches Protektorat ein. Ab 1920 folgte die Zuwendung zum palästinensischen Staatsprojekt. Die Bevölkerung war in Anhänger der rivalisierenden Dynastien Husseini (Arabisch-palästinensische Partei ab 1934) und Naschaschibi gespalten (Nationale Verteidigungspartei von Raghib al-Naschaschibi ab 1934), was die Briten gezielt verstärkten und islamisierten. Mohammed Amin al-Husseini marginalisierte die Landnotabeln im Arabischen Exekutivkomitee, im Obersten Islamischen Rat und dominierte ab 1936 das Arabische Hohe Komitee, was zu Spaltungen der Nationalbewegung führte. Der Historiker Amnon Cohen bezeichnet den Machtkampf als Vendetta. Ab 1936 gab es sechs arabische Parteien. Militärische Strukturen, die eine Eigenstaatlichkeit hätten sichern können, waren kaum vorhanden, so hatte die Jaffaer Miliz al-Najjada nur lokale Bedeutung. Gesamtregional konkurrierte unter den Eliten (khâssa) Lokalpatriotismus mit Panarabismus, Libanonismus und Großsyrianismus. Efraim Karsh verbreitet, dass ein britischer Bericht Jaffas muslimischer Elite Ende August 1918 „fast so etwas wie Feindseligkeit gegenüber der arabischen Bewegung“ attestiert hat. Benny Morris sieht „einen fundamentalen Mangel an autonomen Institutionen, Normen und Traditionen“. Es fehlte der Arbeiter und Massen (ʿâmma) einbindende Arabismus, die einheitliche palästinensische Identität. Indes errichtete die Jewish Agency vorstaatliche Strukturen. Während im nahen Bayt Dajan (heute Beit Dagan) die feine Stickerei blühte, erreichten Werbung und Konsumgüter, beispielsweise von Nestlé, Bayer (Aspirin), Colgate/Palmolive, Amstel, HMV, Austin, oder DeSoto Jaffas Butrus-Street.
1920 wuchsen die Spannungen, als Henri Gourauds Armée du Levant am 25. Juli Damaskus einnahm und den Willen der Konferenz von Sanremo vollzog. Das geheime Sykes-Picot-Abkommen vom Mai 1916 – ein britisch-französischer Interessenausgleich –, Ende 1917 von den Bolschewiki publik gemacht, wurde entgegen allen Zusagen und ohne jede Mitsprache umgesetzt. Der Absichtserklärung zufolge, sollte das Völkerbundsmandat eine Vormundschaft über „unmündige Völker“ ausüben, „die noch nicht imstande sind, sich unter den besonders schwierigen Bedingungen der heutigen Welt selbst zu leiten“. Die Mandatsmächte verstanden ihre Geopolitik als „eine heilige Aufgabe der Zivilisation“. Im Juni 1923 forderte der 6. Nationalkongress der Araber in Palästina in Jaffa König Hussein ibn Ali zur Ablehnung des Mandats auf. Am 1. Mai 1921 waren aus Spannungen zwischen Juden arabisch-jüdische Unruhen in Jaffa entstanden, wo 26.000 Araber und 16.000 Juden lebten. 40 bis 47 Juden starben beim Überfall auf ein Hostel, Josef Chaim Brenner in Abu Kabir. Das Pogrome in Osteuropa meldende jiddische Forverts erkannte, trotz 48 arabischen Opfern, unvermeidlich einen Pogrom. Um die Lage zu entschärfen, verboten die Teile und herrsche praktizierenden Briten Juden die Landung in Palästina. In ihrer Rolle des „honest broker“ sahen sie Palästina und den von ihnen erstmals so bezeichneten Mittleren Osten als Brückenkopf via Suezkanal nach Indien und standen unter dem Einfluss millenaristischer Protestanten. Argwöhnisch beobachteten sie bald Kontakte von Wladimir Jabotinsky und anderen radikalen Zionisten mit der IRA, wähnten sie sich doch in einer Wiederholung des Irischen Unabhängigkeitskriegs, dem „Anfang vom Ende des Empire“. 1922 verlegten sie Royal Irish Constabulary und deren mörderische Auxiliaries von Irland nach Palästina.
Laut der Volkszählung von 1931 hatte der Bezirk Jaffa 30.877 sesshafte Landbewohner in 24 Dörfern, diese waren zu etwa 70 % Muslime. Die arabische Bevölkerung Jaffas war von 1922 bis 1931 um 63 % (von 27.429 auf 44.638) gestiegen. Eine Dürre im Frühjahr 1932 trieb die Bauern in die Stadt, das Einzugsgebiet reichte bis ins syrische Hauran. Proletarisiert und von Saisonarbeit abhängig, machten sie ihrer Frustration am 13. Oktober 1933 im Generalstreik Luft. Nach Feuereröffnung der Briten auf nicht abzugsbereite Streikende am 27. Oktober 1933, als ein Polizist und 26/29 Zivilisten, darunter ein sechsjähriger Junge, starben und Jaffas Ex-Gouverneur Musa Kazim al-Husaini schwere Schläge zugefügt wurden, denen er darauf erlag, radikalisierten sich manche Jaffaer. Unter bildungsaffinen Muslimen fand die „extrem rationalistische“ Salafiyya Zulauf. Lokaler Anführer war Yaʿqūb al-Ġuṣain der 1932 gegründeten Gesellschaft der Muslimischen Jugend. Izz ad-Din al-Qassam wurde ihr Sprecher in Palästina. Seine kurzlebige Organisation Schwarze Hand (arabisch: al-Kaff al-A(s)wad) zerbrach am harten Durchgreifen der Briten und an der geringen (200–800/bis 1000 Personen) und zuletzt minimalen Mobilisierungskraft des von ihm neu propagierten Dschihad, der, wie Nadine Picaudou schreibt, der Gesellschaft fremd war. Al-Qassam und die weiter großsyrische Istiqlal, der al-Husseini zu moderat war, begehrten gegen probritische Grundbesitzer auf.
Mit Methoden britischer Aufstandsbekämpfung in Irland wurden zu Beginn des Krieges „Großer arabischer Aufstand“ vom 18.–21. Juni/ab dem 16. Juli 1936 in der „Operation Anker“ weite Teile der Kasbah ohne richterliche Bewilligung gesprengt, um befahrbare Schneisen in die Rückzug bietende al-Qala'a zu schlagen. Der britischen Zerstörungswut, einer „Sanierung“, fielen 220 bis 250 mehrstöckige Bauten zum Opfer. Vom Minarett der Hassan-Bek-Moschee wurde auf Passanten geschossen. Etwa 7000 jüdische und 6000 arabische Jaffaer verloren die Wohnung. Abhilfe versprach der Peel-Teilungsplan, der Jaffa als Teil einer britischen Zone vorsah, während er Tel Aviv einer jüdischen Zone zuschlug. Gewalt und Gegengewalt begannen im Mai 1936 mit 41 Anschlägen auf Juden. Am 26. August 1938 starben 24 Besucher eines arabischen Marktes durch eine Bombe. Die Briten, der arabischen wie auch der jüdischen Forderungen überdrüssig, veröffentlichten 1939 das dritte Weißbuch und machten ihrer Politik einer freundlichen Duldung jüdischer Einwanderung ein Ende. Die Stellungnahme war für die Zionisten ein Affront, David Ben-Gurion, der für die Briten 5500 jüdische Freiwillige rekrutierte, ließ im Mai 1942 auf der Biltmore-Konferenz in New York verlauten: „Wir führen Krieg an Englands Seite, als gäbe es kein Weißbuch, und wir bekämpfen das Weißbuch, als gäbe es keinen Krieg.“
1936 ging der dreisprachige zensierte Palestine Broadcasting Service in Ramallah OnAir. Ab 1938 gab es dorthin eine Straße und den Tel Aviver Hafen, ein einfacher Holzkai. Ein jüdischer Waffenschmuggel im Oktober 1935 ließ die Fahrer und Docker des Istiqlal Jaffas Mole bestreiken. Der Boykott zwang Tel Aviv zur Eigenständigkeit. Anders als Beirut konnten ab Mitte des 19. Jahrhunderts Dampfschiffe bis 1000 t Jaffa wegen der Riffe nicht mehr anlaufen, weshalb Jaffa – ʿArus al-Bahr (dt. die Meeresbraut) oder nach jüdischer Lesart Sha'ar Zion (dt. Tor Zions) – Hafen ohne Hafen hieß. 1965 wurde auch Tel Avivs Hafen vom Tiefwasserhafen in Aschdod abgelöst. 1945 hatte Jaffa 101.580 Einwohner, von denen 53.930 muslimisch, 30.820 jüdisch und 16.800 christlich waren. Während Tel Aviv im UN-Teilungsplan 1947 dem jüdischen Staat (14.700 km², das ist 55 % der Fläche des Mandatsgebiets, mit rund 500.000 Juden und 400.000 Arabern) zugesprochen wurde, sollte Jaffa eine kleine Enklave des arabischen Staates werden. In den Monaten nach der UN-Resolution vom 29. November 1947, noch vor der Gewalt, gingen Teile der Elite – Beamte, Ärzte, Anwälte, Geschäftsleute und ihre Familien – in die Diaspora (schatat), zu Ferienhäusern im Libanon, nach Nazareth oder zu Verwandten im Ausland.
Es war einmal eine Stadt
Am 4. Januar 1948 sprengte die Irgun das Sarraya-Haus (al-Saray al-Kabir), Sitz von Rafiq al-Tamimis Nationalkomitee, 26 Menschen starben. Tel Avivs Stadträte protestierten bei Sitzungen am 7. und bei David Ben-Gurion am 25. Januar gegen den Irgun-Terror und die Provokationen der Hagana gegen Jaffa, da sie den am 9. Dezember 1947 mit Nimr Hawari vereinbarten Nichtagressionspakt mit Jaffa einhielten. Wenige Wochen später gab die Stadt Tel Aviv die Haltung auf. Am 14. Mai 1948 erklärte der Va'ad Le'umi die „zionistische Entität“ für unabhängig. „Wir fühlten uns hoffnungslos. Wir konnten nichts machen. Es war ein schlimmes Gefühl der Erniedrigung. Ich weinte“, erinnert sich der Zeitzeuge Mohammed Hasan Yosef, der es im Radio vernahm, es in der Zeitung las. Am 11./13./14. Mai 1948 wurde Jaffa im Palästinakrieg unter Beschuss, nach drei Wochen Einkreisung, von 5000 durch Häuser brechende Irgun und der im Umland mit der mit einigem Zynismus „Operation Chametz“ (von Bedikat Chametz) genannten Räumung beschäftigten Hagana erobert. Ahmed Abu-Laban unterschrieb die Kapitulation. Die an die UNO übergebenden Briten waren zur Intervention genötigt. Michael al-Issa und 50 Bosniaken hatten 430–540 alte Waffen an Jaffas 1500 Freiwillige (meist Muslimbrüder) verteilt. Der Plan Daleth kam zur Anwendung. Meldungen über ein Massaker im Dorf Deir Yasin bei Jerusalem am 9. April 1948 und gezielt verbreitete teils aber falsche Gerüchte über weitere Übergriffe auf Zivilisten und Drohungen per Lautsprecher lösten bis im Juni eine zweite, viel größere Fluchtwelle aus. Zerstört waren rund 400 arabische Dörfer und 100 Weiler, in der Küstenebene, vor Jerusalem, von der Grenze des Gazastreifens bis nach Be’er Scheva, und im Norden von Haifa und Safed bis zu den Golanhöhen. In Panik verließen sie Jaffa auf Booten und flohen nach Gaza ins Lager al-Shati oder nach al-Arisch. Einige Menschen ertranken im Meer.
„Wir marschierten in eine Geisterstadt ein“, erinnert sich Maxim Ghilan. Arabische Familien hatten auf baldige Rückkehr gehofft. Bei der Flucht mitgeführte Hausschlüssel wurden zum Symbol für materielle Enteignung und den Verlust der Heimat. Von der bis 1967 in 40.500 Fällen zugelassenen Familienzusammenführung abgesehen (auf über 700.000 Erstvertriebene aus ganz Israel), blieb eine Rückkehr – al-Awda – ausgeschlossen. Bei Ausgangssperren von 21:00–5:00 Uhr (später 22:00–4:00) und Durchsuchungen gab es willkürliche Erschießungen und sexuelle Gewalt. Weitere Plünderungen durch israelische Zivilisten und die Armee sollten unterbunden werden. Jaffas Ad-hoc-Militärgouverneur Yitzhak Chizik bedrängte Minister Bekhor Shitrit als sie eskalierten. „Verlassenes Eigentum“ wurde ab dem 25. Juni 1948 von der Treuhandstelle Militärs und Zivilisten angeboten, der Rest versteigert. 45.000 meist bulgarische Olim chadaschim wurden in Jaffa einquartiert. Durch die Gesetze Absentee Property Law (1950) und Land Acquisitions Law (1953) fielen fast 40 % und ab dem IBLL (1960) 93 % des Staatsgebiets unter die Sachwaltung des Jüdischen Nationalfonds, wovon abwesende, Internally displaced present-absentees (dt. anwesende Abwesende) und anwesende Eigentümer und Waqf betroffen waren. Die Weigerung der politischen Verantwortlichen, dem UN-Teilungsplan zuzustimmen und weitere sogenannte „verpasste Chancen“, führten zum Vorwurf, Araber und Palästinenser seien letztlich für ihre Verluste „selber schuld“. Nur Minister Aharon Zisling ließ den provisorischen Staatsrat bald nach der Nakba wissen: „Ich spürte, da passieren Dinge, die tun meiner Seele weh.“
Laut Albert Hourani bewirkte die Talentabwanderung der Mittelschicht und Vermögensabfluss in Gebiete außerhalb Palästinas das Wachstum von Amman, wohin im Mai 1948 auch Jaffas Bürgermeister floh. Vielen blieb die Integration trotz Einbürgerung erschwert. Die von den Palästinensern Nakba (dt. Katastrophe) genannte schamvolle Niederlage und Flucht bzw. Vertreibung großer Bevölkerungsteile (73 % von Jaffas Christen) reduzierte die arabische Bevölkerung um rund 50.000 auf 3647. Umgesiedelte und Jaffaer mussten nach Ajami. 2017 zählte sie rund 20.000. Der Begriff Nakba wird von der Mehrheit der Israelis strikt abgelehnt. Das Thema ist ein Tabu, auch wenn Aktivisten von Zochrot (dt. Sie erinnern sich) versuchen, für den Schmerz zu sensibilisieren, der in der Erinnerung liegt. Jedoch soll ein Nakba-Gesetz vom März 2011 das öffentliche Gedenken verhindern. Widerhall fand die Nakba 1949 in der Erzählung Chirbet Chiza von Yizhar Smilansky. Unter Palästinensern beschrieben sie Mahmud Darwisch oder Emile Habibi. In den 1980er Jahren gingen Israels Neue Historiker bzw. „erste[n] Historiker“ in neu zugängliche Archive und begannen ältere Forschung, wie Ben-Zion Dinurs Jerusalemer Schule, zu hinterfragen. „Dreckige Wäsche vor Nichtjuden zu waschen“, einst im Schtetl ein Tabu, wurde wichtig. Am 18. Mai 1949 waren Manschiyya und die Vororte umgemeindet, am 25. April 1950 von Ja’akov Schapira das übrige Jaffa nach eigenen Worten „ohne jedes Gesetz“ annektiert worden. Am 28. Juni 1950 beschloss das israelische Kabinett gegen David Ben-Gurion, der Jaffa oder zumindest Jaffa-Tel Aviv favorisierte, und des Stadtrates, der Tel Aviv vorzog, die vereinte Stadt Tel Aviv-Jaffa zu nennen. Am 18. Juni 1950 wurde sie offiziell Tel Aviv-Jafo.
Im Erinnerungsdiskurs vieler Palästinenser wurde Jaffa ein ferner und im Idealzustand nostalgisch konservierter Sehnsuchtsort. So schildert der israelische Schriftsteller David Grossman 1988 ein Gespräch mit einem Flüchtlingsjungen der dritten Generation im Lager Dheischeh südlich von Bethlehem: „Ich frage einen fünfjährigen Jungen, woher er kommt. Er antwortet sofort: »Jaffa.« […] – »Warst du schon einmal in Jaffa?« – »Nein, aber mein Großvater hat es gekannt.« […] – »Und ist Jaffa schön?« – »Ja. Dort gibt es Obstgärten und Weinberge und das Meer.«“ Die Vorstellungen bestehen fort, sie fanden sich im Buch Yafa, ʿitr madina (1980) wie im Film Tel Aviv on Fire von Sameh Zoabi (2018), in dem Jaffa als unerreichbare Silhouette am Horizont erscheint. Salim Tamari und André Mazzawi sprechen selbstkritisch vom Ignorieren der Erinnerung einfacher Palästinenser, Musa Budayri gar von „Jaffamanie“. In seltenen Fällen konnten Häuser zurückgekauft werden, Palästinenser mit Reisepässen kommen als Touristen. Im krassen Gegensatz führen auch die extremsten Anhänger des Religiösen Zionismus, deren großisraelische Ambitionen weit über das Gebiet innerhalb der Grünen Linie und des Westjordanlands – den sogenannten „Umstrittenen Gebieten“ – hinausgehen, den Namen Jaffa im Munde. So zitiert Grossman den Siedler-Rabbiner Mosche Levinger mit den Worten: „Vor fünfzig Jahren haben unsere Gegner mit uns über Jaffa gestritten; heute streiten sie mit uns über Alfei Menasche; in fünfzig Jahren werden sie mit uns über Amman [die Hauptstadt Jordaniens] streiten. So ist das eben.“
Dass die palästinensische Nationenbildung erst mit der Nakba einsetzte ist eine Auffassung, die, wie Elias Sanbar schreibt, „gewissen Israelis lieb“ ist, der betont, dass „einen Blick in den Spiegel zu wagen“ in Nichts die Anerkennung der leidvollen jüdischen Geschichte mindert. Ob die arabischen Israelis (die 48er-Araber) Palästinenser sind ist umstritten. In Jaffa befinden sie sich auf dem Rückzug, auch wenn sich Tel Avivs jüdische Bevölkerung, in ihrer Selbstwahrnehmung Bewohner einer „Villa im Dschungel“ oder laut dem Musikvideo der Gruppe Static & Ben El Tavori eines Bałagan, ein wenig Arabisch aneignet. Kampagnen rechtsgerichteter Organisationen wie Yad L'Achim und Lehava bekämpfen die seltenen Mischehen zwischen jüdischen und arabischen Israelis, sowie alle weiteren gemischtreligiösen Ehen, womit sie Jüdinnen, welche in Tel Aviv so frei sind, Männer sogar „anzubaggern“, davor „retten“ wollen, „widernatürliche“ Beziehungen einzugehen. Es gibt diese positiven Begegnungen: 1999 wurde mit Rana Raslan erstmals eine arabische Israelin zur Miss Israel gewählt und die Zahl arabischer Studierender steigt weiter. Doch wurden ihre Arbeitslosigkeit, die Kinderarmut und verbreiteter illegaler Waffenbesitz zulange ignoriert. Die organisierte Kriminalität ist nach Gruppen getrennt, während die „Russen“ das Sexgeschäft und jüdische Israelis Geldspiel und kostenpflichtige protekzia anbieten, sind Beduinen im Schmuggel und Araber in Drogen tätig. 2021 gab es einen Anstieg tödlicher innerarabischer Gewalt. Bandenabrechnungen erreichen inzwischen auch die arabische Gemeinschaft in Jaffa.
Old Jaffa wird heute touristisch genutzt und beherbergt Souvenirläden und private Galerien. Die konsumorientierten und, wie Raja Shehadeh schreibt, entseelt „niedlichen Rekonstruktionen“ Old Jaffas als Touristenattraktion entstanden meist in den 1990er Jahren, wobei ein Großteil der alten Bausubstanz beseitigt wurde. Begründet wurde dieses Vorgehen teilweise mit dabei durchgeführten archäologischen Ausgrabungen. Die staatslegitimierenden Zielen dienende Archäologie ist in Israel ebenso beliebt wie Gegenstand erbitterten Streits. 2002 standen nur zwei zionistische Bauten in Old Jaffa (das Bilu-Haus, erster Sitz der Bewegung ab 1882/der erste Standort des Hebräischen Gymnasiums) unter dem Schutz der Israel Antiquities Authority, jedoch keines der arabischen Gebäude. Das südlich an die der Altstadt anschließende al-ʿAjami galt als Problemviertel und Ort des Haschischhandels, was im Film Ajami (2009) von Scandar Copti behandelt wird. Eyal Sivan behandelt im Dokumentarfilm Jaffa, the Orange's Clockwork (2009) die Vereinnahmung der Jaffa-Orange für den Zionismus. Ein Teil Jaffas ist heute eine zusammenhängende Ausgehmeile für zahlungskräftige Besucher. In der „mixed town“ Jaffa befinden sich bis heute Einrichtungen arabischer Christen, zerfallende Häuser von Vertriebenen und Botschaften. Wie andere Stadtteile wird Jaffa gentrifiziert.
Geschichte Tel Avivs
Vor dem Ersten Weltkrieg
Die ersten jüdischen Orte entstanden als nördliche Ausläufer Jaffas im Süden des heutigen Tel Aviv: Ab 1881 bauten jemenitische Juden Kerem HaTemanim (dt. Weinberg der Jemeniten; auch: Machane Israel). 1900 bildeten Jemeniten rund 10 % der jüdischen Einwohner in Palästina. 75 oft arbeitslose jemenitische Handwerker- und arme Händlerfamilien gründeten 1903 in Jaffa die Organisation Peulat Sachir (dt. Lohnarbeiter-Tätigkeit) mit der Absicht, die Interessen dieser zum tieferen „arabischen Tarif“ bezahlten Juden gegenüber arabischen Arbeitskräften zu begünstigen. In ihrem Antrag an den Vorstand der jüdischen Zitrus-Pflanzer von Rechovot gaben sie als Wunsch an, „die Zahl der arabischen und muslimischen Arbeiter zu reduzieren, und uns – die wir doch die Kinder eines [einzigen] Vaters sind – das Land an ihrer Stelle kultivieren“ zu lassen. Bitter enttäuscht, ausgebeutet und als „Hunde! Gojim!“ oder „Shvartse“ bezeichnet, kehrten viele Juden in den Jemen zurück.
Um 1880 lebten 24.000/ 25.000/ 26.000 Juden in Palästina. Ukrainische Chowewe Zion und Biluim gesellten sich zum jahrhundertealten „Alten Jischuv“. Viele kamen für die letzten Lebensjahre. 1887 gründeten Aharon Chelouche, Chaim Amzalak und Joseph Beck-Moyal vor Jaffa jedoch den Ort mit dem ambitionierten Namen Newe Zedeq (dt. Oase der Gerechtigkeit im Buch Jeremia). Bürgermeister Solomon Abulafia vereinte ihn 1909 mit Tel Aviv. 1890 entstand Neve Shalom. Die Familie Chelouche kam 1840 aus Algerien und etablierte sich im Bauwesen. Sie unterhielt beste Beziehungen mit der arabischen Elite. Jaffas Jüdinnen und Juden, die Herren mit Fes, pflegten arabische Kleidersitten, aschkenasische Frauen und Mädchen waren ihnen zu freizügig. Arthur Ruppin, ab 1908 lokaler Büroleiter, später im Brit Schalom, beklagte 1913 am 11. Zionistenkongress in Wien mangelnde „nationale Solidarität“.
Ab 1900 überstieg die Zahl der Aschkenasim jene der Sephardim. 1904 wurde Abraham Isaak Kook aschkenasischer Oberrabbiner. Er und sein Sohn Zwi Jehuda Kook schufen die ideologische Basis für den späteren religiösen Zionismus von Gusch Emunim, damals noch die Sichtweise einer kleinen Minderheit, mit deren Auflösung manche rechneten. Ab 1871 bearbeiteten im Ort Sarona etwa 100 württembergische Pietistenfamilien, die Templer, das Land. In Jaffas Vorort Walhalla (1903) trieben sie ihr Projekt voran. Die American Colony der Church of the Messiah bauten 1866, von George Adams getäuscht, bald meist repatriierte ex-LDS aus Maine. Deutsche führten bis im Ersten Weltkrieg die Gießerei Palestinian Iron and Brass Foundry Company. In Jaffas Stadtteil Manschiyya entstanden 1887 die jüdischen Bauten Jefeh Nof (Bella Vista) mit Krankenhaus und 1904 die Privatsiedlung Feingold Häuser. Der Zuwachs wirtschaftlicher Möglichkeiten dank der noch wenig expansionistischen 1. Alija (1881–1903) wurde kritisch begrüßt. Raschīd Ridā und andere islamische Intellektuelle äußerten sich vereinzelt positiv. Ridā, Herausgeber der Zeitschrift al-Manār, betonte aber auch, dass das Land „allen Kindern Abrahams“ gehört. 1912 erschien in Jaffa ein Arabisch-Selbstlernbuch.
1902 wütete die Cholera, der Trumpeldor-Friedhof entstand. 1906 folgte die Terraingesellschaft Achusat Bajit (אחזת בית). Zu den Gründern zählte am 6. Juli 1906 die Familie Mosche Scharets. Am 11. April 1909 wurden die vom Bankier Jacobus Kann mit Geld des KKL gekauften etwa 130.000 m² Grund von Akiva Aryeh Weiss Parzelle für Parzelle unter den 60/66 Gründerfamilien per Los zugeteilt. Auf am Strand gesammelte Muscheln schrieb er die Namen der Gesellschafter und auf weitere Muscheln die Parzellennummern. Während der Auslosung zogen ein Junge und ein Mädchen je eine Muschel mit Nummer bzw. Namen, so entschied sich, wer welches Grundstück erhielt. Das damals kaum beachtete Ereignis markiert den Beginn von Tel Avivs vorkritischer Geschichtsschreibung. Achusat Bajit vereinigte sich später mit Nachalat Binjamin und Geʾulla. Nach dem Titel von Nachum Sokolows hebräischer Übersetzung des utopischen Romans Altneuland von Theodor Herzl wurde der Ort „Tel Aviv“ genannt, nachdem Achusat Bajit am 21. Mai 1910 einen neuen Namen ausgewählt hatte. Neu Jaffa – Jefefija („Die Schönste“) – Neweh Jafo („Aue Jaffas“) – ʾAvivah („Die Frühlingshafte“) – ʿIvrija („Hebräerin“) und schließlich Tel Aviv („Frühlingshügel“) wurden vorgeschlagen. Tel Aviv setzte sich durch. In Sokolows Übersetzung steht Tel (antiker Siedlungshügel) für „alt“, Aviv (Frühling) für „neu“. Tel Aviv – die „erste hebräische/jüdische Stadt“ – wurde 1921 Zufluchtsort für rund 9000 Juden aus Jaffa.
Sokolow hatte den Namen dem Buch Ezechiel entnommen, das damit einen Ort am Fluss Kebar in Babylonien bezeichnet, wo der Prophet die Offenbarung empfängt: „So kam ich zu den Verschleppten, die in Tel Abib wohnten.“ (Ez 3,15a EU; 37, 1–12) Darin heißt es, dass „einmal das ganze zerstreute Volk Israel nach Eretz Israel zurückgeführt werden wird“. Die grundlegende Motivation des politischen Zionismus war jedoch politischer und kaum religiöser Natur. Der auf eine Staatsgründung ausgerichtete Zionismus bildete die Hauptrichtung der Bewegung, konkurrierte aber mit dem national-kulturellen Zionismus, der emanzipatorische Forderungen an die Diaspora stellte. Alternativ zum Zionismus entstand 1897 der Algemeyner Yidisher Arbeter-Bund in Lite, Poyln un Rusland (Bundisten). Die seit 1870 bei Rischon LeZion südlich von Jaffa tätige Mikwe Israel der zionismuskritischen Alliance Israélite Universelle, mit 242 Schülern in Palästina um 1885 und 1.591 um 1905, bot Knaben aus orientalisch-sephardischen und wohlhabenden arabischen Familien in Jaffa ab 1892 eine französische Schulbildung an. Ihr Vorsitzender hatte im Décret Crémieux den algerischen Juden 1870 Frankreichs Staatsbürgerschaft aufgezwungen. Auch Spanien und Italiens Imperialismus im Dodekanes und Italienisch-Libyen versuchten dies. Die osmanische Staatsbürgerschaft erschien vielen Juden attraktiver.
Die Juden waren Europäer und Kinder ihrer Zeit. Am 7. Zionistenkongress 1905 in Basel war die endgültige Entscheidung für die zionistische Landnahme im „leeren“ Palästina gefallen und die 1903 vorgeschlagene territorialistische Kolonie Uganda (in Kenia) verworfen worden. Der führende Antiterritorialist Ber Borochov mobilisierte mit dem Mythos vom Heiligen Land. Boris Schatz zeichnete Baupläne im Eklektizismus aus Jugendstil und Orientalismus. „Revolutionäre Juden“ sahen in Tel Aviv ein hinter sich gelassenes „Klein Odessa“. In jener von Pogromen erschütterten Schwarzmeer-Metropole lebten etwa 200.000 Juden. Armut, Einzug von Kantonisten und Zwangswohnsitz im Ansiedlungsrayon verstärkten den Auswanderungswillen. Theodor Herzls Der Judenstaat und die diplomatischen Mühen des in Sofia „Messias“ genannten „König Herzl“ fanden auch Zustimmung. 1882–1914 wanderten 2,5 Millionen russische Juden aus, davon gingen 2–3 % – weniger als 50.000 –, teils nur kurzzeitig, nach Palästina. Umgeben von mal gastfreundlichen, mal feindseligen Arabern, wollten sie endlich wieder Bauern sein. Neo-praktische Arbeiterzionisten kritisierten den städtischen Individualismus. Jaffas 420 Orangenhaine um 1873 wurden mit der großen oft kernlosen Shamouti weltberühmt. Südlich und östlich entstand ein verdichdeter Ansiedlungssektor. Der zweite von Ruppin 1907 erklärte Sektor lag um Safed, Haifa und Tiberias. 1909/1910 folgte Degania, der erste Kibbuz. Am 2. November 1917 sprach sich Arthur James Balfour in einer vagen Zusage für „die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ aus. Die Balfour-Deklaration machte geltend, dass „zivile und religiöse Rechte bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften“, damals 92 % der Bevölkerung, nicht tangiert werden dürfen.
Mandatszeit
Am 11. Mai 1921 wurde die Verbindung mit Jaffa gelockert. Tel Aviv mit 3600 Bewohnern erhielt von Sir Herbert Samuel den teilautonomen Status einer Township von Jaffa. Damit reagierten die Briten auf die Gewalt gegen Juden 1921 bei den Unruhen von Jaffa. Im Juni 1923 bestimmten sie, welche Viertel Jaffas aus der Obhut des Bürgermeisters Assem as-Said an die Township Tel Aviv übergingen. Neben Tel Aviv auch die Vororte und Häusergruppen Newe Zedeq (1887 gegründet), Newe Schalom (1890), Machaneh Jehudah (1896), Jefeh Nof (1897), Achawah (1899), Battej Feingold (1904), Battej Warschah, Battej Schmerling, Battej Joseph (1904), Kerem HaTeimanim (1905) und Ohel Moscheh (1907). Am 10. Juni 1923 ging ein dieselbetriebenes Kraftwerk in Betrieb, die Jaffa Electric Company. Bald endete das Zeitalter von Gasbeleuchtung und Petroleumlampen. Federführend war Pinchas Ruthenberg, der Gründer der Anglo-Palestine Electricity Company. Die 3. Alija (1920–1923) hatte viele lohnabhängige Menschen an Land gebracht. Ende 1925 zählte Tel Aviv etwa 2000 Arbeitslose bei fast 20.000 Einwohnern.
Sehr zum Missfallen der linkszionistischen Pioniere, deren Ideal nicht weniger als der „Neue Jude“ war, waren „Grabski-Einwanderer“ der 4. Alija (1924–1928), denen die USA versperrt war, meist bürgerliche („kleinbürgerliche“) und „kapitalistische“ (im Besitz von 500–1000 £) ehemalige Klein- und Kleinstunternehmer ohne Interesse an Landwirtschaft. Es kam zu innerjüdischen Arbeitskämpfen, 1931/1932 mit solidarischer Teilnahme arabischer Arbeiter. Die Histadrut, deren Organisierungsgrad 1924 bei 70 % aller jüdischen Arbeiter lag, förderte die Entstehung arabischer Gewerkschaften wie der PLL. Rechte Poale Zion wie David Ben-Gurion hatten eine getrennte antikapitalistische Front schon 1906 am Parteitag in Jaffa gefordert. Weiter links pflegten jüdische Kommunisten mit der 1925 gegründeten Palestine Arab Workers Society (PAWS) und der 1934 entstandenen Arab Workers Society (AWS) in den 1920er und 1930er Jahren eine enge Zusammenarbeit. Gemeinsamer Gegner war die „jüdische Bourgeoisie“ oder sie sabotierten manchmal die Strategie der Histadrut. Diese versorgte die jüdische Bevölkerung mit Notwendigem, betrieb z. B. Egged. In ihrem Hauptquartier befand sich die Genossenschaft Beit Brenner, das größte Restaurant im Land, das für Tel Avivs meist küchenlose Unter- und Halbzimmermieter täglich 2500–3000 Abendessen kochte. Der Preiszerfall der Cash Crops brachte sie so wie viele Araber um den Lohn. 1927 lag die Arbeitslosigkeit in Tel Aviv bei geschätzten 40 %, ausländische Investitionen waren rückläufig. Rund 25.000 Juden verließen Palästina in der Weltwirtschaftskrise nach kurzer Zeit in Richtung europäischer Siedlungskolonien in Übersee, den meisten war die zionistische Ideologie völlig fremd. Die PAWS wurde 1936 von den Briten zerschlagen, ihr Sekretär, Sami Taha, am 12. September 1947 vermutlich auf Anweisung des „Großmuftis“ ermordet.
Im Streit um die Durchsetzung der selbst der Einhaltung des Jom Kippur religiös übergeordneten Schabbatruhe auch im erweiterten Tel Aviv, drohten die Vertreter Newe Zedeqs und Newe Schaloms 1923 für den Fall, die künftige gemeinsame Township würde sich nicht auf die Schabbatwahrung verpflichten, die Rückgliederung ihrer Viertel zu Jaffa anzustreben. So vereinbarten die Verantwortlichen für ganz Tel Aviv, sich amtlich für die Schabbatwahrung einzusetzen, ohne den Anspruch, ihre Einhaltung im Privaten bestimmen zu können. 1926 wurde die aschkenasische Große Synagoge fertiggestellt, 1925 bis 1931 folgte der Bau der sephardischen Großen Synagoge Stiftszelt. Weitere Minjanim und Betsäle entstanden in den Stadtteilen, doch Uriel Halperin, Kanaanäer, somit auch Hebräer, aber „kein Jude“, rauchte auch am Samstag. Auch Besitzfragen gaben Anlass zu Streit: Am 20. Januar 1924 hatten die Einwohner des erweiterten Tel Avivs erstmals ihren Township-Rat gewählt, der am 31. des Monats Meir Dizengoff zum Bürgermeister erkor. Im Juli 1926 erstritt der Hauseigentümerverband Tel Aviv per Feststellungsklage vor dem Obergericht in Jerusalem die Feststellung, wer wahlberechtigt sei. Das Gericht wollte nur Steuerzahler zu künftigen Wahlen zulassen. Im Dezember 1926 schloss die Stadt Jaffa die Einwohner Tel Avivs von den Stadtratswahlen aus, nach Protesten konnten die Tel Avivis am 27. Mai 1927 ihre Vertreter nachwählen, die Mandate gingen an Dizengoff und Chaim Mutro. Wer Mitte der 1920er Jahre sagte „Ich gehe in die Stadt“, meinte damit Jaffa, schrieb ein Zeitzeuge. Begegnungen mit provozierenden Shabab – nationalistisch eingestellten „Jungs, Grobianen und Rowdys“ – und feindseligen britischen Polizisten waren häufig.
Patrick Geddes, gefeierter Urbanist und Durchreisender für Indien, wurde vom anglophilen Chaim Weizmann eingeladen und mit Plänen beauftragt, die er nach seinen Zwischenhalten (über zwei Monate ab September 1919 und im Mai 1920) vorlegte: Hygiene und Ideen einer Neuen Gesellschaft verbindend, plante Geddes eine Gartenstadt mit organisch freistehenden Gebäuden, Baron Empains Planstadt Heliopolis ähnlich. Die erdachte Stadt sollte am Meer liegen, denn sie sollte – vergleichbar mit New York und Buenos Aires – die Eingangspforte zu einer neuen Heimat werden. Und die Stadt, die sich Theodor Herzl optisch ähnlich wie Wien (Cottageviertel) vorstellte, sollte gesunde Meeresluft haben, denn den Zionisten stand vor Augen, wie in den von der Schwindsucht geplagten mitteleuropäischen Metropolen tausende Juden in stickigen Gangküchenhäusern hausten. Die Umsetzung des Geddes-Plans gelang nur in Ansätzen, da private Investoren häufig finanziellen Eigeninteressen gehorchten, wofür sie nicht nur Berl Katznelson hart kritisierte. Von 60 vorgesehenen Parks konnten nur die Hälfte angelegt werden. Ohne Planung oder Standabgaben und mit „beklagenswerter“ Hygiene – so 1925 ein britisches Lamento – kam ab 1921 der Shouk HaKerem (dt. Markt des Weinbergs [der Jemeniten]) aus. 1927 entstand für Juden aus Thessaloniki das eng bebaute Arbeiter- und Industrieviertel Florentin. Das östlich anschließende Shapira bauten ab 1922 usbekische Einwanderer. So bildete sich ein Wohlstandsgefälle zwischen den von linken Idealen oder von der Haskala geprägten Angehörigen der Elite bewohnten Stadtteilen im Norden, der sogenannten „Aristokratie“, und den wirtschaftlich schwächeren Mizrachim im Süden, die sich sozial benachteiligt fühlten und es meist auch waren, da sie kaum Kapital und westliche Bildung besaßen. Oft wurde ihnen mit Misstrauen begegnet, ihre Einwanderung war nicht in größerem Umfang vorgesehen und ihre Identität mussten sie beim Aufbau des „Staats vor dem Staat“ unter Beweis stellen. Im Mai 1930 organisierte der jemenitische Jude Zachariah Gluska eine Demonstration in Tel Aviv, die die Gleichgültigkeit der Jischuv-Leitung gegenüber den durch die Imamherrschaft ab 1922 entrechteten Juden im Jemen anprangerte.
Tel Aviv nannte sich ʿIr (Stadt) seit es mit der Municipal Corporations Ordinance im März 1921 zur Stadt erhoben wurde. Volle Unabhängigkeit von Jaffa erhielt es am 12. Mai 1934. Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland wuchs der Wohnungsbedarf; daher musste, entgegen der ursprünglichen Absicht, nun schnell, funktional und kostengünstig gebaut werden, von Architekten wie Richard Kauffmann, Wilhelm Haller, Erich Mendelsohn, Lotte Cohn, Leo Adler, Arieh Sharon, Genia Awerbuch, Dov Karmi, oder Yehuda Magidovitch, allesamt Architekten, die sich den Prinzipien des Bauhaus und des Internationalen Stils verpflichtet fühlten. Mit Zeev Rechter fand sich auch ein Schüler des Berliner Architekten Erich Mendelsohn in Tel Aviv ein, Sam Barkai hatte beim international stilbildenden Le Corbusier in Paris studiert. Jedoch machten sie zahlreiche funktionale Zugeständnisse an die Bedingungen der Levante und passten ihre Pläne entsprechend an, denn das Klima Palästinas war kontrastreich: „Auf brutheiße Tage folgen frostkalte Nächte, auf wilde Regengüsse Zeiten der wolkenlosen Dürre, auf eisige Nordstürme glühende Südwinde“, beschrieb es Egon Friedell im Jahr 1936. Die Architekten schufen die modernistischen Entwürfe für die Pavillons der Levante-Messe im heutigen Alten Norden. Als Vorbild diente auch die von den Nazis als „jüdisch-bolschewistisch“ oder „kulturbolschewistisch“ beschimpfte Weißenhofsiedlung in Stuttgart. Palästina prosperierte in den 1930er Jahren, wie das innovative Beit Hadar zeigt. Neben dieser durchaus bürgerlichen Lebensmodellen dienenden Architektur baute das Gewerkschaftsunternehmen Solel Boneh der Histadrut Vorstädte für Arbeiter, die Qirjot HaʿOvdim.
Das Haʿavara-Abkommen mit dem NS-Staat ermöglichte es Deutschen, welche den Großteil der 5. Alija (1932–1939) stellten, deutsches Baumaterial und Maschinen, die für den Neuanfang dienlich erschienen, zu importieren, die sie mit hinterlegten Guthaben bezahlten. Auf internationalen Direktüberweisungen lastete ab Dezember 1931 die „Reichsfluchtsteuer“, die die Nazis wiederholt erhöhten, um Inhaber in Deutschland, egal welcher Religion oder Nationalität, durch Besteuerung von der Ausfuhr ihrer Guthaben abzuschrecken, bzw. Guthaben per Steuer auszuplündern, wodurch Flüchtlinge mittellos ausreisten. Unter den neuen ʿOlim waren viele Angehörige des assimilierten Bildungsbürgertums, für die es nicht immer eine geeignete Arbeit gab, zudem eckten Jeckes, wie Deutsche, Deutschböhmen und Österreicher spöttisch genannt wurden, mit ihrer Korrektheit an. Es hieß, man habe sich auf Baustellen mit „Bitte schön, Herr Doktor! – Danke schön, Herr Doktor!“ Ziegelsteine gereicht. Shlomo Dov Goitein klagte: „Gute Manieren und Höflichkeit sind [dem Sabra] suspekt.“ Auch von der Jacke mochten sich die Jeckes in der Hitze nicht trennen. Sie lebten im gesellschaftlichen Kanton Ivrit – „kein Ton Ivrit“. Einige zionistische Politiker veranlasste dies, die Einwanderung der leichter zu integrierenden Polen zu fördern. Am 16. Juni 1933 wurde der in Berlin ausgebildete Ökonom und Linkszionist Chaim Arlosoroff tödlich verletzt am Strand aufgefunden. Der Rechtszionismus galt als Bedrohung: David Ben-Gurion nannte seinen Gegner, den Mussolini- und Piłsudski- Bewunderer Wladimir Jabotinsky, „Wladimir Hitler“. Am 17. April 1933 kam es beim Aufmarsch der Betar, welche zahlreich das Tel Aviver Geula Gymnasium besuchten, laut Shimon Peres die Schule der besitzenden Klasse, zu Zusammenstößen mit Arbeitern. Noch weiter rechts war Brit HaBirionim, der Arlosoroffs Mörder nahe stand. Die Revisionisten ihrerseits sahen im Arbeiterzionismus antidemokratische Tendenzen.
Auch wenn im August 1937, bei der Annahme des Peel-Teilungsplans am 20. Zionistenkongress in Zürich, ihr „Transfer“ gefordert wurde, blieb die arabische Bevölkerung von jeder Vertreibung unbehelligt. Bürgerliche jüdische Familien beschäftigten arabische Hausangestellte. Doch brachten deutsche Einwanderer in ihrem geistigen Gepäck, neben dem 1901 von Israel Zangwill in der New Liberal Review gegebenen Versprechen „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“, weitere Anschauungen mit, die ein Interesse an ihren neuen arabischen Nachbarn gar nicht erst aufkommen ließen. So stufte Alfred Weber 1935 in Kulturgeschichte als Kultursoziologie den Islam als „Sekundärkultur zweiter Stufe“ ein und der verantwortlich im Reichskolonialinstitut tätige Islamwissenschaftler und preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker präzisierte: „[Der Islam ist] nichts anderes als weiterlebender, auf Dauer sich aber immer mehr asiatisierender Hellenismus.“ Deutsche Professoren „wussten in der Regel fast nichts über die zeitgenössische islamische Welt“, schreibt Rebekka Habermas. Eine binationale Verständigung suchte dennoch 1925 bis 1933 die Brit Schalom und ab 1942 ihre Nachfolgerin Ichud. Auch ihr arabisches Pendant, die 1946 von Fawzi Darwisch al-Husseini gegründete Filastin Al-Jadida (Das neue Palästina), blieb politisch und gesellschaftlich isoliert. Husseini, vom Arabischen Hohen Komitee als Landesverräter verunglimpft, wurde am 23. November 1946 ermordet. Sich jüdischerseits mit „den Arabern“ zu beschäftigen – Die versteckte Frage, so Jitzchak Epstein in HaShiloaḥ (Nr. 17, 1907) – blieb arabischen Juden (Mista’aravim) überlassen und hatte rein geheimdienstliche Ziele. Die Mehrheit glaubte über die Anderen schon alles zu wissen. Arabisches Unabhängigkeitsstreben galt für sie demzufolge als unauthentisch, vorübergehend und als das Resultat von Manipulation durch die Eliten.
Ab Februar 1939 betrieb die Reichszentrale für jüdische Auswanderung die forcierte Ausreise von etwa 30.000 Juden. 66.848 Menschen flohen auf diese Weise bis Oktober 1941 aus Österreich. Insgesamt brachte die 5. Alija 197.235 Flüchtlinge ins Land. Im Juli 1941 wurden in Sarona lebende nichtjüdische Palästinadeutsche als Enemy Alien zur Internierung nach Australien ausgeschifft. So erging es auch Italienern. In der Deutschen Schule Sarona, der späteren Joseph-Serlin-Klinik, nahm die jüdische Hilfspolizei Notrim Quartier. Der spätere Budapester Gerechte Carl Lutz, 1935–1940 Schweizer Konsul in Jaffa, übernahm zuerst die Schutzmacht für deutsche Angelegenheiten. Die Polizei beschäftigte sich auch mit jüdischen Delinquenten, die es zur großen Zufriedenheit des jüdischen Nationaldichters Chaim Nachman Bialik schon seit längerer Zeit gab. Als nämlich in den 1920er Jahren ein gewisser Renzel, der erste in Tel Aviv verhaftete Dieb, gefasst wurde, meinte er zu dieser programmatisch angestrebten Normalisierung: „Wir werden erst ein normales Volk sein, wenn es endlich jüdische Polizisten, jüdische Prostituierte und jüdische Banditen in unseren Straßen geben wird.“ 1939 zählte Tel Aviv 700 jüdische Polizisten. Einwanderung von Prostituierten und in den 1930er Jahren Frauen im Allgemeinen (nur 20 % der legalen Einreisen), von Personen mit körperlichen und mentalen Gebrechen oder Alkoholismus versuchte die Zionistische Kommission zu verhindern. Auch Kleinkinder nachziehen zu lassen war schwierig.
1939 lebte diese Gesellschaft mit Männerüberhang zu 90 % in den Städten, denn das Anfang der 1940er Jahre rund 20 % des Agrarlandes umfassende Gebiet, das vor allem der Jüdische Nationalfonds (KKL) arabischen Latifundienbesitzern abgekauft hatte, konnte nicht mehr Menschen aufnehmen. Dennoch bestimmte das ländliche Leben in Kibbuz und Moschaw das Bild, das der Zionismus von sich verbreitete. Verkäufer der insgesamt 681.978 verkauften Dunam waren von 1878 bis 1936 zu 52,6 % außerhalb Palästinas lebende osmanische Eigentümer, 13,4 % des Landes hatten Kirchen, nichtarabische ausländische Eigentümer und Regierung verkauft, 24,6 % gehörte zuvor lokalen Notabeln und ihren Familien, wie beispielsweise den Jaffaer Familien al-Dajani und Rock. 1935 war mit 1225 offiziellen Landgeschäften der Höhepunkt erreicht. Der Endbegünstigte eines Landkaufs war dem Verkäufer häufig unbekannt. Tel Aviv hatte, trotz umliegender Masserein-Dörfer mit 6000 Einwohnern um 1931 (Ṣummayl [al-Maṣʿudiyya], asch-Schaich Muwannis, Jammasin, Salama, Arav Djamusin, Abu Kishaq (Beduinen) und Djerisha), eine jüdische Bevölkerungsmehrheit. Die Stadt wuchs rasch, weil sie, neben Haifa, zum wichtigsten Ankunftshafen des Landes wurde. 1926 hatte Tel Aviv 40.000 Einwohner, 1936 waren es 150.000 Einwohner. Indes wohnten in Djamusin am Yarkon Sudanesen.
Zweiter Weltkrieg mit Folgezeit
Im Zweiten Weltkrieg wurden Tel Aviv und Ṣummayl am 9. September 1940 von auf Rhodos gestarteten italienischen Alcione bombardiert, 137 Menschen starben. Deutsche Luftangriffe forderten am 11. und 12. Juni 1941 mindestens zwölf Tote. Getroffen hatten ihre Bomben ein Invaliden- und Altersheim. Im Gegensatz zum britischen Flottenstützpunkt Alexandria, und zu Haifa, das wegen der irakischen Kirkuk-Haifa-Pipeline der IPC – der „Halsschlagader des British Empire“, so das Time Magazine vom 21. April 1941 – seiner Treibstofflager und Raffinerien, als strategisch wichtig galt, hatten Tel Aviv und Jaffa keine Bodenluftabwehr. Die Angst, dass die SS unter Walter Rauff mit dem bereits aufgestellten „Einsatzkommando Ägypten“ bald da sein würde, erfüllte den Jischuw, als Deutsche und Italiener 1942 kurz vor Kairo standen und der dem italienischen Faschismus zugeneigte ägyptische König Faruk I. sich für neutral erklärte. Ein Teil der zionistischen Führung wurde nach Großbritannien evakuiert. Manche Ägypter, zur unheiligen Allianz bereit, wähnten sich der Arabischen Einheit und dem Ende der britischen Herrschaft nahe, doch die Bomben trafen unterschiedslos Juden wie Araber. Von den Italienern abgeworfene Flugblätter, die Jaffas Bevölkerung zum Aufstand gegen die Briten aufforderten, fanden keinen Widerhall, vielmehr prangerte Jaffas arabische Zeitung Filastin, die bereits 1934 gegen die Nazis Stellung bezogen hatte, die Luftangriffe auf Tel Aviv als „kriminelle Bombardierung“ an. Bei Begräbnissen der jüdischen Opfer auf dem Friedhof Nachalat Yitzchaq sprachen Jaffas Bürgermeister, Yussuf Haikal, und arabische Geistliche ihr Beileid aus. Zu Beginn der 1940er Jahre gab es jüdisch-arabische Hochzeiten, so der Familien Luria aus Tel Aviv oder al-Dajani, Badas und Shanti aus Jaffa.
Tel Aviv wurde zum Anlaufpunkt alliierter Truppen auf Durchreise oder Erholungsurlaub, darunter Neuseeländer und Australier, geflüchtete Zivilisten aus Kairo und polnische Streitkräfte der Sowjetunion, woran bis heute ein polnisches Gräberfeld in Jaffa erinnert. Auch Angehörige der Armee des Freien Frankreichs und griechische Streitkräfte harrten auf ihren Einsatz. Bei El-Alamein, 250 km vor Kairo, konnte durch diese von den Briten kommandierten Verbände der deutsche Vormarsch aufgehalten werden. Trotz eines Stillhaltens der bewaffneten jüdischen Bewegung Hagana gegenüber den Mandatstruppen, kam es seitens der 200–400 Leute zählenden Gruppierung Lechi und ab 1. Februar 1944 des Irgun (auch Etzel) zu Angriffen gegen deren Sicherheitsorgane, da die Briten auch nach Bekanntwerden erster Meldungen über den Holocaust an einer restriktiven Einwanderungspolitik für Juden nach Palästina festhielten. So legte Lechi eine Bombe, die am 20. Januar 1942 in Tel Aviv drei (teils jüdische) Polizisten tötete. Am 6. November 1944 starb Lord Moyne bei einem Mordanschlag des Lechi in Kairo. Die Briten verlegten nach dem Irgun-Terror gegen das Jerusalemer King David Hotel Ende Juli 1946 rund 20.000 Mann für die Fahndungsaktion Shark nach Tel Aviv.
Die Briten, die das Weißbuch vom 17. Mai 1939 veröffentlicht hatten und Schiffe wie die Struma (1942) oder später die Exodus (1947) zum Schutz der arabischen Bevölkerung von der Landung abhielten, befürchteten ab 1921 „ein zweites Irland“ und ein Abdriften der Araber ins Lager der Achsenmächte. Bestätigte Nachrichten über Massenmorde an Juden in Europa, so geschehen im Haaretz-Editorial im März 1943, führten in Tel Aviv zu Großdemonstrationen. Gleichzeitig liefen in Tel Aviv Pagliacci oder Pinocchio. Purim wollte man aber etwas ruhiger angehen. Die Briten erlaubten nur die Youth Aliyah. Die Alija Bet erfolgte (nach britischer Diktion) illegal, ab 1945 auf Schiffen der ZIM. Fast 50.000 Passagiere abgefangener Schiffe wurden auf Zypern oder in Atlit interniert. 1947, vor Ausbruch des Palästinakriegs, lebten in Tel Aviv bereits 230.000 Einwohner. Das Drama der Exodus wurde vom UNSCOP-Leiter Emil Sandström bezeugt und beeinflusste seine Empfehlung. Der UNO-Teilungsplan sah Tel Aviv Ende 1947 als Teil eines für verbindlich erklärten jüdischen Staatsgebiets vor. Die Radiomeldung aus New York fand in Tel Aviv jubelnden Zuspruch. Es wurden Horo getanzt, etliche Male erhalte die haTikwa und der Ruf: „Wir haben einen Staat!“
Überlebende des nationalsozialistischen Völkermords, die Displaced Persons, konnten zwar nach dem Ende des britischen Mandats, nach häufig mehrjährigem Ausharren in deutschen DP-Lagern, nach Eretz Israel einreisen, doch hatte das Schicksal der über 250.000 oft körperlich und seelisch gebrochenen Überlebenden, die zwischen 1946 und 1949 im Land eintrafen, nur einen sehr geringen Anteil am öffentlichen Diskurs im neuen Staat, vielmehr dominierte das Ideal des wehrhaften, leistungsfähigen und von Zukunftsoptimismus getragenen (männlichen) Pioniers oder Tzabar, für das Max Nordau den Begriff „Muskeljudentum“ erfand und mit ihm Hakoah und Makkabiade. Das Ideal konterkarierte das Selbstbild und das im westlichen wie im arabischen Raum verbreitete Zerrbild vom „verweiblichten“ Juden. Da der Zionismus auch eine Bewegung der jüdischen Selbstkritik war, ergab sich diese Überschneidung. David Ben-Gurion, Mapai-Politiker und Exekutivchef der Jewish Agency, äußerte sich kritisch über die Eignung der Überlebenden, sich im Land zu integrieren. Zu der im Jischuv vorherrschenden Einstellung passte, dass am 22. März 1946 der Leiter der deutschen Templergesellschaft und Nazi-Propagandist Gotthilf Wagner in Tel Aviv aufgespürt und getötet wurde. Die Tat war eine der ersten sogenannten Gezielten Tötungen in Israel. Im Juni 1948 kam es zu einem Gewaltausbruch zwischen jüdischen Verbänden mit 18/19 Toten bei der Entladung von Waffenlieferungen des Frachters Altalena, der dabei vor Tel Aviv versenkt wurde. Frankreich hatte der Irgun auf dem Schiff Waffen im Wert von 153 Millionen Francs geliefert und sicherte sich politische Einflussnahme und weitere Exportgeschäfte. Auch die USA, UdSSR und ČSR gehörten zu den ersten Unterstützern des neu entstehenden Staates Israel.
Wir haben einen Staat!
Am 14. Mai 1948 wurde im Museum von Tel Aviv am Rothschild-Boulevard die israelische Unabhängigkeitserklärung verlesen. Seit Januar 1948 war Bürgerkrieg, die erste Kriegsphase. Der Zeitzeuge Yakov Keller erinnert sich: „1948 war ich noch in der Schule. Jeder um mich herum hatte gefeiert. Aber ich war nicht froh, ich hatte das Gefühl: Das bedeutet Krieg. Und ich lag richtig.“ Nach durchfeierter Nacht bombardierte Ägyptens Luftwaffe Tel Aviv „vier oder fünf Mal“, rückte am Boden auf 33 km Nähe vor, beschädigte am 4. Juni 1948 auch das Haus David Ben-Gurions. Israel bombardierte arabische Großstädte. Ab Juni 1948 wurde Israel in Sarona regiert. Dann kam das Waffenstillstandsabkommen von 1949.
Dem Staat fehlten die Menschen, zu deren Schutz er gegründet wurde, stattdessen flohen 1948–1951 rund 40.000 Jemeniten, 80.000 Ägypter und 165.000 Marokkaner nach Israel. Das Königreich Irak hatte auf das Auffliegen zionistischer Aktivitäten mit Diskriminierung reagiert, die 130.000 Juden das Leben unmöglich machte und sie unter Enteignung („Vermögenseinfrierung“) und Ausbürgerung vertrieb. Dann hieß es: „Juden! Israel ruft euch – kommt heraus aus Babylon!“ Operation Esra und Operation Nehemiah beendeten 25 Jahrhunderte jüdische Geschichte. George Adba blieb mit 2000 Juden in Bagdad und meinte: „Das Problem ist, Bagdadis werden sehr schnell sehr wütend.“ Eli Amir erinnert sich an den Souk Hanuni, an Salima Murad, sagt: „Ich rieche Bagdad, ich denke an Bagdad und bevor ich einschlafe, wandle ich in Gedanken dem Tigris entlang.“
Mit dringend benötigten Zahlungen (hebräisch Shilumim) aus dem umstrittenen Luxemburger Abkommen – dem sogenannten Wiedergutmachungsabkommen mit der Bundesrepublik Deutschland – wurde ab 1952 die Infrastruktur weiter ausgebaut, gleichzeitig profitierte die deutsche Industrie. Unternehmen der Lebensmittelverarbeitung, wie Strauss, erhielten Maschinen, was half, der Rationierung und dem Schwarzmarkt von Alltagsgütern entgegenzuwirken. 1949 war es zu Hungerunruhen und Angriffen auf die Knesset im alten Kessem-Kino gekommen. Konrad Adenauer begründete die Hilfen und Waffenlieferungen 1965 sowohl moralisch als auch mit der „Macht der Juden“, die es „auch heute noch“ nicht zu unterschätzen gelte. Er berief Botschafter Rolf Pauls, „taktvoll“ aber intern ganz der Antisemit, in Begleitung eines vermuteten Pfeilkreuzlers nach Tel Aviv. Menachem Begin, selbst ein Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung, rief „zur Hölle mit den Gojim“ und Adenauer einen „Mörder“. Auf den Handel schlecht zu sprechen, ließ er das Verhältnis zur BRD deutlich abkühlen, sah er doch alle Deutschen in einer Kollektivschuld. Im Weltbild von Begin wurden auch die am Völkermord in Europa unschuldigen Palästinenser, die klagten, in Wirklichkeit nur „für die Sünden Europas zu bezahlen“ zu „Nazis“ erklärt. Beide Konfliktparteien machen bis heute von dem Wort Gebrauch.
Die Jahre 1955–1957 und 1961–1964 brachten neue Einwanderungswellen aus arabischsprachigen Ländern, wo bis 1939 nur 6 % der jüdischen Weltbevölkerung gelebt hatte. Eine Minderheit um den Knessetabgeordneten Peretz Bernstein stellte sich erfolglos dagegen. Die seit 1922 offizielle semitische Sprache Ivrit, erlernt im Ulpan, und die Verdrängung des Jiddischen aus der Gesellschaft, erleichterten zwar die sprachliche Integration der Mizrachim, doch mussten 80 % umgeschult werden, da die meisten zuvor als Kaufleute gearbeitet hatten. Sie verfügten meist nicht über die gezielte Hachschara- oder ORT-Vorbereitung auf das Leben in Israel, sprachen Synagogen-Hebräisch (lashon ha-kodesh) und das schambehaftete Arabisch. Akademiker fanden keine entsprechende Arbeit und erlebten einen sozialen Abstieg. Sie lebten in Zelten und Ma'abarot-Baracken, die nach den Regen von 1950–1951 im Schlamm standen. Der schulische Werdegang der Kinder war steinig. So glaubte die jüdische Schweizer Schriftstellerin Salcia Landmann 1967 berichten zu müssen: „Lehrer und Erzieher in Israel klagen allgemein über die zum Teil schwache Begabung und den geringen Lerneifer der Kinder von Einwanderern aus arabischen Ländern.“ Die Rechtspflege verfolgte Verfehlungen dieser Jugendlichen, sowie besonders auch junger Araber, wesentlich härter. Zu der zur Schau getragenen Mischung aus Strenge und Paternalismus der meist links-laizistischen Elite gehörte, dass sie, wie es auch Salcia Landmann gleich im Nachsatz zu diesem Zitat tut, durchaus „Mischehen“ zwischen Aschkenasim und den – oft rechts (Cherut) wählenden – „Orientalen“ (Mizrachim) befürworteten. 1967 gab es vorerst nur 15 % gemischte Eheschließungen. In den 1970er Jahren setzte sich die Überzeugung durch, dass es besser sei, Einwanderern einen Teil ihrer Herkunftskultur zu belassen. Dies nach der Radikalisierung empörter Mizrachim, die sich 1971 in der kommunistischen Gruppe Black Panthers organisierten und auch in Tel Avivs südlichem Viertel HaTikwa Rückhalt fanden. Dieses Unverständnis gilt als ein Grund für die Erosion von Awoda und Meretz. Der linksliberale Soziologe Nissim Mizrachi ortet Ausgrenzung bis in die letzte Linksregierung Ehud Barak. Der Awoda-Parteitag hat im Juni 1997 in Netiwot um Entschuldigung gebeten.
Jiddisch galt als „Jargon der feigen Diasporajuden“, um mit der Vergangenheit zu brechen, wurden Familiennamen hebräisiert. Die Verbindung zum christlichen Europa sollte gekappt werden, der neue Jude war, wie Mosche Shamir es schrieb, „aus dem Meer geboren“. Erst der politisch unterlegte Jerusalemer Eichmann-Prozess brachte in den 1960er Jahren eine Neubewertung der Diaspora. Bei Radio- und TV-Übertragungen wurde 121 Zeugen zum ersten Mal wirklich zugehört. David Ben-Gurion, der dem Prozess ein erzieherisches Ziel gab, versuchte zunächst nur, den Holocaust in die Kontinuität antisemitischer Pogrome einzuschreiben. Unter Golda Meir und Menachem Begin wurde das Menschheitsverbrechen nachträglich zum zentralen Grundstein des Existenzrechts Israels umgedeutet. Bis heute wird diskutiert, ob Juden Lehren aus dem Holocaust ziehen müssen: Eine Mehrheit sieht es als erwiesen an, dass Stärke und militärische Überlegenheit vor einer befürchteten erneuten Vernichtung schützen („Nie wieder wir!“). Wie Chaim Potok 1978 mit Blick auf die Gaskammern schrieb, „Die meisten sanften Juden sind tot“. In Tel Aviv findet sich die ebenso jüdische Minderheitsposition, wonach daraus eine Pflicht zum menschlichen Respekt erwächst, was ein Negieren des Anderen verbietet. Refuzniks von Jesch Gvul oder Ometz LeSarev haben Dienst verweigert.
In Armee und Schule sollen Reisen zu Yad Vashem und heute sogar ins polnische Oświęcim eine jüdisch-israelische Identität stärken, die, wie der Philosoph Raphael Zagury-Orly schreibt, bis heute stark auf der Erfahrung des „Wir sind allein in der Welt“ basiert. Auch für arabische Israelis werden solche Bildungsreisen organisiert, um für sie besser verständlich zu machen, wie sich diese „offene Wunde“ auf das Verhalten ihrer Mitbürger auswirkt. In den 1970er Jahren entstand ein neues Interesse an der Kultur der Diaspora, was z. B. den Erfolg der Sängerin Chava Alberstein begründete. Auch das judenspanische Ladino und Lieder in Haketia wurden in Tel Aviv wiederbelebt. 1984 brachte die von Michael Levin kuratierte Ausstellung White City. International Style Architecture in Israel im Tel Aviv Museum of Art die Neubewertung des architektonischen Erbes und die Bezeichnung Weiße Stadt. Verschiedene Autoren haben argumentiert, dass dieser Stadtplanung identitätspolitische Motive zugrunde liegen. 1994 begann ein umfangreiches Sanierungsprogramm für die bröckelnden Bauten. Mittlerweile sinkt der Anteil der Israelis mit einer vom Holocaust geprägten Familiengeschichte. Nichtaschkenasische Juden, wie die Rabbiner Ovadja Josef und Mordechai Elijahu, verhalten sich ihnen gegenüber auch unsensibel. Indes sind Holocaustüberlebende in Israel häufig armutsbetroffen.
Die Stadt wurde zum Zentrum städtischen Lebens in Israel und wuchs weiter: Nachdem mit der Einwanderung von aus Deutschland vertriebenen Juden – den sogenannten Jeckes – bis 1936 das Siedlungsgebiet am Meer verbaut worden war, entstanden zwischen 1950 und 1960 Stadtteile im Osten. Hier siedelten sich später, hauptsächlich 1984 (Operation Moses) und 1991 (Operation Salomon), meist weniger zahlungskräftige äthiopische Juden an, die Beta Israel – „echte Juden“, „deren Einwanderung nach Israel“, entschied Oberrabbiner Josef 1973 rechtsgültig, „zu beschleunigen“ war – während ab 1975 wohlhabendere Familien nach Ramat Aviv im Norden und ins östliche und südliche Umland zogen. Es entstanden für den sozialen Zusammenhalt auch weniger geeignete Bauten mit viel Sichtbeton, etwa im Stil des Brutalismus. Eilig und unter Spardruck gebaute Stadtteile aus meist staatlich subventionierten Wohnungen, die Shikunim, entwickelten die Probleme einer großstädtischen Banlieue. Der häufig mit Stress verbundene Bevölkerungsdruck, weitere Verdichtungen und Nachverdichtungen und eine wachsende Zahl von Hochhäusern haben seit den 1990er Jahren das Stadtbild erneut stark verändert und damit auch die Sozialstruktur, durch die dabei einhergehende Gentrifizierung. Indes sind die dunkelhäutigen äthiopischen Juden im Leben der Innenstadt wenig sichtbar. Sie, die sich – trotz staatlicher Affirmative Action – oft ausgegrenzt und diskriminiert fühlen, bleiben ihrerseits auf Distanz zur Weißen Stadt. 2015 und 2019 führten Polizeiübergriffe auf äthiopische Juden zu anhaltenden Protesten in Tel Aviv.
Der Umbau zur Hochhausstadt begann 1962. Die Histadrut ließ das architektonisch wertvolle Herzlia-Gymnasium abreißen, um Platz für den 120 m hohen Schalom-Meir-Turm zu schaffen. Ein kultureller Verlust, der zur ersten Initiative für Denkmalschutz führte. In der sprudelnd „produktiven Ekstase“ der späten sixties – so schrieb Leonard Woolf – kam in der Dizengoffstraße das Verb dizengoffen auf. Hier öffnete der Hyperinflation trotzend 1984 das Einkaufszentrum Dizengoff Center. 2006 gab es 385.000 Tel Avivis, 2015 schon 433.000. Israel versucht, die Bevölkerung im Land zu verteilen. Entwicklungsstädte wie Aschdod und Be’er Scheva im Süden werden laufend ausgebaut. Während Schule und Militärdienst bei Jugendlichen zu einer raschen Anpassung führen, können die idealisierten Vorstellungen von Israel, die ihre Eltern mitbringen, meist nicht gegen die Realität bestehen. Sie erleben Israelis oft als rau, aggressiv, gleichgültig und als bewundernswert angst- und respektfrei. Ausländische Juden, an traditionelle chuztpah gewöhnt, empfinden die historisch neuartige, auch authentische Israeliness oft als unjüdisch. Auch die Haltung der schon im Land lebenden ist ambivalent, da jeder neuen Alija bessere Startbedingungen geboten werden. Immer gab es auch Abwanderung bzw. Transitwanderung von Juden aus oder über Israel. Entsprechend dem ideologischen Konzept „Alija machen“, das nicht Einwanderung, sondern Aufstieg bedeutet, wird Auswanderung als Abstieg – jerida – bezeichnet. Den 600.000 bis 1 Million Auslandisraelis – den jordim (Einzahl: jored) – wird Fahnenflucht oder Verrat vorgeworfen. Sie sollen, wie Jitzchak Rabin 1976 meinte, Verachtung verdienen. Auch Friedensaktivisten verlassen das Land. Ins Exil treibt sie die Verfolgung durch rechte Nichtregierungsorganisationen wie Im Tirtzu, die die Arbeit von Akademikern und Künstlern überwacht und bekämpft und die Unterstützung Naftali Bennetts hatte. Wie auch der rechte Ideologe Yoram Hazony, attackiert sie die als „linke Maulwürfe“ verunglimpften Schriftsteller Amos Oz, Abraham B. Jehoshua und David Grossman.
Durch die Konsolidierung der politischen Rechten, die mit liberal-konservativen Weizmannisten (Allgemeine Zionisten) oder Revisionisten von Anfang an in Israel angelegt war, sich mit Menachem Begins überraschender Wahl 1977 konkretisiert hat und in der Ära Benjamin Netanjahu, mit dem Zuspruch der populistischen und in der Hinterhand häufig antisemitischen internationalen Rechten, den politischen Diskurs bestimmt, hat sich eine merkliche Entfremdung zwischen Israel und den überwiegend links und liberal orientierten Juden in der westlichen Diaspora eingestellt. Autoren wie Yoram Kaniuk und Politiker – wie Schimon Peres (1996) oder Avrum Burg – haben, aus teils gegensätzlicher Warte, einen grundlegenden Interessenkonflikt zwischen den Juden und Israel angesprochen. Mitunter wird eine Rückbesinnung auf die Diaspora – oder, als Extremposition einiger Juden außerhalb Israels, die völlige Rückgabe des Landes „vom Fluss bis zum Meer“ – als wünschenswert bezeichnet. Hingegen fördert der New Israel Fund Projekte, die einen Ausgleich mit den Palästinensern suchen. Dennoch ist für linksliberal, ebenso wie für wirtschaftsliberal bis neokonservativ gesinnte Juden, hauptsächlich in den Vereinigten Staaten, Tel Aviv ein wichtiger Referenzpunkt. Letztere haben sich für Privatisierungen staatlicher und gewerkschaftlicher Betriebe starkgemacht. Hochhäuser gelten ihnen als Erfolgsbeweis. Da sie sich oft nur vorübergehend in Tel Aviv aufhalten, verstärkten sie die Freizeitorientierung der Menschen in der Stadt, deren Arbeitszeit, zumal in hochqualifizierten Bereichen, sich häufig nach den Bürozeiten von San Francisco oder Los Angeles richtet. Ein bekanntes Diktum besagt deshalb „Jerusalem betet, Haifa arbeitet – und Tel Aviv feiert“. Der Hedonismus „gebräunter Juden, die schwimmen konnten“, so Amos Oz, wurde dem deutschsprachigen Publikum in der Filmserie Eis am Stiel medial vermittelt und wird der rastlosen Nonstop City in Israel und in der Diaspora oft zur Last gelegt. Die als Ahavat Israel bezeichnete emotionale Zugehörigkeit zu Israel ist häufig auch mit Kritik verbunden, und mit der Frage, wie und von wem diese Kritik geäußert werden darf. Beispielsweise werden der sogenannten BDS-Kampagne unlautere Motive vorgeworfen.
Die auch für israelische Verhältnisse sehr hohen Lebenskosten mit Abbau des Sozialstaats verstärkt soziale Ungleichheit. Als bei stagnierenden Löhnen 2006 bis 2011 Durchschnittsmieten in Tel Aviv um 32 % stiegen, begannen friedliche Proteste im Sommer 2011. Teure Lebensmittel und Kinderkrippen wurden ein Thema. Benjamin Netanjahu beschrieb die jungen Demonstranten in der Autobiografie Bibi – My Story als verwöhnte Kinder reicher Eltern, andere als „Sushi-Fresser“. Die COVID-19-Pandemie in Israel verschärfte zeitweise das oft prekäre Einkommen der Haushalte. Tel Aviv pflegt aber ganz offiziell das Image der internationalen Party-Metropole mit Toleranz für Homosexuelle (LGBT), gay bars und seit 1998 der Tel Aviv Pride. Ihre Rechte vertritt seit 1975 die Agudah for Gays, Lesbians, Bisexuals, and Transgender. Affirmativ besetzen besonders die als Trendsetter umworbenen und in Tel Aviv allgemein akzeptierten schwulen Männer die sonst meist negativ konnotierten Begriffe Hedonismus und Nihilismus. Kontroversen um Pinkwashing nahmen mit den homophoben Morden des 1. August 2009 zu.
Nichtjüdische Arbeitsimmigranten aus Osteuropa (Rumänien, Moldawien, Polen), Süd- (Nepal), Südost- (Thailand, Philippinen) und Ostasien (China) leben befristet in der Stadt. Die postsowjetische Einwanderung brachte viele Menschen ins Land, die nach halachischer Auffassung nicht als Juden gelten, was regelmäßig zu Debatten über die Frage Wer ist Jude? und der wissenschaftlich umstrittenen Forderung nach „jüdischer DNA“ führt. Die Forderung wird besonders von den „Russen“ heftig kritisiert. 2019 waren in Israel rund 300.000 Personen betroffen. Sie stehen vor allem bei Eheschließungen, die nur unter Aufsicht des orthodoxen Rabbinats durchgeführt werden können, unter Legitimationsdruck, viele ziehen deshalb eine Heirat im Ausland vor. Beliebtestes Hochzeitsziel ist Zypern. In zweiter Generation gibt es in Tel Aviv Konversionen, meist von Frauen, zum Judentum. Sowjetische Juden waren 1989 zu 90,5 % russischsprachig, was im Alltag bis heute bemerkbar ist. Russlands Regierung versucht, sich ihre Verbundenheit zu erhalten, sind doch beide Länder wirtschaftlich stark miteinander verflochten. Auch im Tourismus- und Pilgergeschäft bestand ein starkes Interesse nichtjüdischer Russen an Israel.
Weitere Bevölkerungsgruppen sind sogenannte Neue Juden. Das sind unterschiedliche Einwanderergruppen wie Falascha Mura und Hebrew Israelites, die neu als Juden anerkannt werden. Die in Süd Tel Aviv lebenden nichtjüdischen Geflüchteten kommen seit 1990 meist „zufuß“ aus Ländern südlich der Sahara, wie Südsudan/Sudan Eritrea, Kongo, Nigeria und Somalia. 140.000 Menschen wurden im Jahr 2000 ausgewiesen. 2000 bis 2012 gab es erneut fast 50.000 illegale Einreisen aus Afrika. Ein bedeutender Teil der Geflüchteten verbleibt im Land, da Rückführungen oft nicht durchführbar sind. 2017 unterzeichnete Israel mit dem aufnahmewilligen Drittstaat Ruanda gegen Bezahlung ein Übernahmeabkommen. Ihr Aufenthaltsstatus der bleibt unsicher. Viele hoffen, Israel als Transitland nutzen zu können, wobei ihre Kinder teils in Israel aufgewachsen sind. Die zeitweilige Kulturministerin Miri Regev (Likud) bezeichnete sie 2012 als „ein Krebs in Israels Körper“.
Nachdem die großen Einwanderungswellen der russisch-postsowjetischen Alija, nach einem Neuanstieg durch die Kriege in der Ukraine ab 2014, weitgehend verebbt sind, haben sich, wegen des zunehmend als Bedrohung erlebten Antisemitismus in Frankreich, zuletzt vor allem französische Juden in Tel Aviv-Jaffa niedergelassen. Israel bietet ihnen eine Art „Sicherheitsgarantie“, viele kauften für sich vorsorglich Wohnungen in Tel Aviv-Jaffa. Ausgelöst hat diese Fluchtbewegung hauptsächlich eine Serie äußerst brutaler Morde an Jüdinnen und Juden in Frankreichs Ballungszentren. Die Opfer, wie die 85-jährige Mireille Knoll, waren unauffällige Franzosen, was trotz der eigentlich stabilen Sicherheitslage, oft zu der Einschätzung führt, als jüdische Person Frankreich verlassen zu müssen, um besonders die Kinder in Sicherheit zu wissen, und um nicht, wie Eliette Abécassis schreibt, ein Leben im Verborgenen, als „Marranen“, führen zu müssen. Viele Franzosen arbeiten in Tell Aviv in Callcentern für den frankophonen Sprachraum. Eine französische Schule in Newe Zedeq und zahlreiche Geschäfte werben mit Angeboten um diese als kaufkräftig geltenden Einwanderer.
In Tel Aviv wurde bei einer Friedenskundgebung von Schalom Achschaw mit 100.000 bis 150.000 Teilnehmern, die am 4. November 1995 auf dem Platz der Könige Israels (heute Rabin-Platz) stattfand, Ministerpräsident Jitzchak Rabin zum Opfer eines politischen Mordes. Erschüttert nahm die Bevölkerung Tel Avivs zur Kenntnis, dass der Täter jüdisch war. Dieses Trauma brach bei Vielen den Glauben an die „Unschuld“ Israels. Die Stadt ist die Hochburg säkularer Juden, den Hiloni (40 % jüdischen Bevölkerung), in der, entgegen der Entwicklung im übrigen Land und insbesondere in Jerusalem, die sozialdemokratische Partei Awoda und die ebenfalls säkularen Parteien Jesch Atid und Meretz weiterhin weitgehend allein die lokale Politik bestimmen. Als orthodox bzw. „ultraorthodox“ geprägter Ort im Großraum Tel Aviv-Jaffa hat sich hingegen Bnei Berak etabliert. Ein Nebeneinander, das durch die Sympathie der politischen Linken für diese am „Alltag weitgehend desinteressierten“ und deshalb mithin oft auch „toleranten Bürger“ erleichtert wird. Dennoch begegnen sich religiöse und weniger religiöse Juden zunehmend mit Unverständnis, was sich an der Frage der Militärdienstpflicht, weltlicher Unterrichtsinhalte, der Nichtteilnahme am Arbeitsmarkt, Bussen und Zügen am Schabbat (zumal Privatautos gleichzeitig benutzt werden dürfen), der Geschlechtertrennung, Vandalismus gegen Abbildungen von Frauen, Homophobie und an häufiger Nichteinhaltung der COVID-19-Maßnahmen entzündet, doch gibt der Soziologe Natan Sznaider zu bedenken, dass der eigentliche innere Konflikt zwischen jüdischen und arabischen Israelis ausgetragen werde. Und auf die Säkularen bezogen sagt er: „Wir sind alle religiös, sonst würden wir hier ja nicht leben.“ Ein Teil der weltlich orientierten Tel Avivis erwirbt erneut religiöses Wissen in den säkularen Jeschiwot, wie etwa BINA – The Jewish Movement for Social Change in Tel Aviv/Ramat Gan, Haifa und Be’er Scheva. Diese Schulen verbinden meist jüngere Menschen, welche die Erfahrung machen, dass die jüdische religiöse Lebensweise von der Orthodoxie vereinnahmt wird, haben doch das Liberale Judentum und das Konservative Judentum in Israel im Allgemeinen einen schweren Stand. Daneben machen auch christliche Freikirchen, wie Messianische Juden, religiöse Angebote. Evangelikale im Ausland nehmen Einfluss auf die politische Entwicklung, namentlich in Bezug auf das Westjordanland.
Die von den gescheiterten Friedensbemühungen desillusionierte Bevölkerung ist unter dem Schutz des Iron Dome nach verbreiteter Auffassung apolitisch. „Zur Friedensskepsis kommt Politikverachtung“, meinte Tom Segev im August 2009 im Spiegel. Die Resignation resultiert aus dem Gefühl, Israel habe auf palästinensischer Seite „keinen Partner für Frieden“, politisierter Angst vor dem „falschen Frieden“ und aus der schmerzlich ins allgemeine Bewusstsein gerückten Fragmentierung unter den Juden, deren Erwartungen an sich selbst enttäuscht wurden. Dadurch wächst der Druck auf die israelischen Araber in Jaffa. So erhob Jisra’el Beitenu 2014, wie bereits 1973 von Meir Kahane gefordert, die „freiwillige Umsiedlung“ (= „Transfer“) der Araber aus „Jaffa oder Akkon“ zum Parteiprogramm. Ähnlich tönt es seitens der religiös-zionistischen Partei HaTzionut HaDatit (ehemals Tkuma) von Bezalel Smotrich, die bei der Parlamentswahl 2021 den Sprung in die Knesset schaffte. Sie steht im Umfeld des terroristischen (Kach) und ultrarechtsextremen Kahanismus, was der Journalist Anshel Pfeffer ansprach, als er 2021 in der Haaretz titelte: „Junge Haredim schwemmten die niederträchtigen Kahanisten in die Knesset“, wobei Pfeffer die Bezeichnung „Nazis“ für diese politischen Kräfte entschieden ablehnt. Doch berichtete die Zeitung Jedi’ot Acharonot am 28. Juni 1985, nach Befragungen an Schulen, über Zustimmung für Kahane bei 17- bis 18-jährigen Jugendlichen selbst im hochprivilegierten Nord Tel Aviv (dortige Stichprobe: 64 Schüler) von 27,7 %. 72,3 % lehnten diese Ideen ab.
Auch die loyalen Drusen fühlen sich vom fortgesetzten Rechtsruck an den Rand gedrängt: 50.000 Drusen und ebenso viele Juden demonstrierten am 4. August 2018 in Tel Aviv gegen das Nationalstaatsgesetz. Härteste Gegner „außenpolitischer“ Zugeständnisse im Sinne der von der Linken erhobenen Forderung „Land für Frieden“ sind nationalreligiöse Siedler. Derweil wird in Tel Aviv offen über postideologische Ansätze diskutiert. Tel Aviv ist aus ihrer Sicht, im Gegensatz zu den über bypass roads schnell erreichbaren Siedlungen im Westjordanland, legitimes Kernland, während der Gedanke der zionistischen Landnahme neu nationalreligiös und messianisch besetzt ist. Die Tatsache, dass Tel Aviv früher ebenfalls durch diese Landnahme für die Juden angeeignet wurde, führt rechte Kommentatoren zu der Schlussfolgerung, dass auch die rücksichtslose Siedlungsexpansion im Westjordanland legitim sei. So meinte Benjamin Netanjahu: „Wenn wir nicht das Recht haben in Hebron zu leben, dürfen wir in diesem Land nirgendwo leben; nicht in Jaffa, nicht in Akkon, nicht in Jerusalem und schon gar nicht in Tel Aviv.“ Und der Soziologe Natan Sznaider fasst ein häufiges Gegenargument an die Adresse der Friedensaktivisten so zusammen: „Und was ist an deinem Aufenthalt in Tel Aviv legitim?“
Zahlreiche Kommentatoren beschreiben den Werteverlust, verursacht durch die Besatzung, der das moralische Fundament von Staat und Gesellschaft angreift: Von zunehmender sexueller und häuslicher Gewalt, selbst bei Staatspräsident Mosche Katzav (2006), bis zur Angst vor „Bürgerkrieg“. Dieser stehe Israel kurz bevor, warnte der frühere Verteidigungsminister Benny Gantz. Die wöchentlichen Proteste von 2023 gegen die Entmachtung von Israels Oberstem Gericht brachten zuletzt rund 500.000 Menschen auf die Straßen. Vorbei ist die Zeit, als sich die Tel Avivis oft nur mit Veganismus engagierten und selbst das liberale Leitmedium New York Times die Stadt im Mai 2021 eine Blase (englisch bubble) nannte. Die Menschen im „Staat Tel Aviv“ stellen sich gegen den demokratiefeindlichen Coup im „Jerusalem-Staat“. Doch hält sich gegen ihre Zivilgesellschaft der Vorwurf, sie sei von der Realität des Nahen Ostens und der Palästinenser abgeschottet. Die politische Linke – die Israel aufgebaut, mehrere Kriege geführt hat, und das „zionistische Projekt“ oder gar die „zionistische Revolution“ in den Grenzen von 1949 verwirklicht hat – wird hierfür regelmäßig als „linke Feiglinge“ oder „Verräter“ bezeichnet. Der gehässige Diskurs der extremen Rechten wanderte von Facebook auf die Straßen und Plätze, so bedrohten rechte Aktivisten und die Hooligan-Gruppe La Familia von Beitar Jerusalem regierungskritische Demonstrationen in Tel Aviv. Indes wendet sich ein Teil der Stadtbevölkerung von ideologischen Prämissen ab. Ironisch verfremdete Versatzstücke des Zionismus und das Konterfei Theodor Herzls werden in Tel Avivs Straßen zu postmodernen Ikonen. In Worte fasst dies ein berühmt gewordenes Graffito in Florentin, das in Umkehrung des herzlschen „Wenn ihr wollt, ist es kein Traum“ den Vorbeigehenden verheißt: „Wenn ihr nicht träumen wollt, dann müsst ihr es nicht.“ Was ans Schlusswort zu Altneuland erinnert: „Wenn ihr aber nicht wollt, so ist es und bleibt es ein Märchen, was ich euch erzählt habe.“
Terroranschläge
- Am 4.–5. März 1975 nahmen acht per Boot am Strand gelandete Terroristen der Palästinensischen Befreiungs-Organisation (Fatah) alle Gäste des Tel Aviver Savoy-Hotels als Geiseln. Drei Zivilisten und drei Angehörige der Einsatzgruppe Sayeret Matkal, darunter der Kommandant Uzi Yairi, starben bei der Befreiung, sieben Geiselnehmer wurden getötet.
- Am 19. Oktober 1994 (21 Tote) und im Juli 1995 waren öffentliche Einrichtungen in Tel Aviv das Ziel von Terroranschlägen. Am 4. März 1996 ereignete sich vor dem Dizengoff Center ein weiterer Anschlag mit 13 Toten. Diese Anschläge begleiteten und untergruben den damaligen Friedensprozess.
- Am 1. Juni 2000 wurden am Strand von Tel Aviv 21 Jugendliche ermordet und Dutzende weitere schwer verletzt, als sich ein Selbstmordtäter mit einer mit Metallteilen gefüllten Bombe in die Luft sprengte.
- Am 23. Januar 2001 wurden die beiden Besitzer des Sushi-Lokals Yuppies in der Tel Aviver Sheinkin-Straße, Motti Dayan (27) und Etgar Zeitouny (34), von Palästinensern entführt und ermordet. Die Jahre 2000 bis 2005 waren die Jahre der Zweiten Intifada.
- Am 14. Februar 2001 raste ein Palästinenser mit einem Bus nahe Tel Aviv in eine Menschenmenge und tötete acht Personen.
- Am 1. Juni 2001 sprengte sich ein 22-jähriger Palästinenser vor der Diskothek Dolphinarium in Tel Aviv selbst in die Luft. Bei dem Selbstmordanschlag kamen 21 Personen ums Leben, die meisten waren junge Mädchen russischer Herkunft, über 100 wurden verletzt.
- Am 5. März 2002 tötete ein palästinensischer Täter in zwei Restaurants im Zentrum von Tel Aviv drei Menschen und verletzte mehr als 30. Die Todesopfer waren der Polizist Salim Barakat, der 52-jährige Yosef Haybi und der 53-jährige Eli Dahan.
- Am 30. März 2002 sprengte sich ein Selbstmordtäter in dem Cafe Bialik an der Kreuzung Allenbystraße/King George- und Tschermichowskystraße in die Luft. Dabei wurden mehr als 30 Menschen zum Teil schwer verletzt.
- Am 5. Januar 2003 sprengten sich zwei Täter bei der Tel Aviv Central Bus Station nahezu gleichzeitig und nur wenige hundert Meter voneinander entfernt in die Luft. Sie rissen 23 Menschen mit in den Tod und verletzten 100 weitere, mehrere Gebäude wurden beschädigt. Zu den Anschlägen bekannten sich der sogenannte Islamische Dschihad in Palästina und die Al Aksa-Brigaden.
- Am 1. November 2004 zündete ein Selbstmordtäter auf dem Carmel-Markt eine Bombe, durch die drei Personen getötet und rund 30 verletzt wurden. Die Volksfront für die Befreiung Palästinas bekannte sich zur Tat.
- Am 25. Februar 2005 wurden fünf Personen getötet und 50 verwundet, als sich ein Selbstmordtäter vor dem Stage Club in die Luft sprengte. Zu der Tat bekannte sich der Islamische Dschihad.
- Am 19. Januar 2006 brachte ein im Namen des Islamischen Dschihad handelnder Selbstmordtäter bei einem Sandwich-Stand nahe der Central Bus Station einen Sprengsatz zur Explosion, 30 Personen wurden verletzt.
- Am 17. April 2006 war das Fast-food-Restaurant Shawarma das Ziel eines Selbstmordtäters des Islamischen Dschihad. Sieben Tote und mindestens 50 Verletzte fielen der Tat zum Opfer.
- Am 21. November 2012 starben 29 Menschen bei einem Bombenanschlag auf einen Bus in Tel Aviv. Zur Tat bekannten sich der sogenannte Islamische Dschihad in Palästina und die Hamas.
- Am 10. November 2014 wurde beim Bahnhof HaHagana ein 20-jähriger Soldat von einem mutmaßlich aus „nationalistischen Motiven“ handelnden Täter aus Nablus mit einem Messer schwer verletzt.
- Am 21. Januar 2015 wurden bei einem Anschlag in einem Bus der städtischen Verkehrsbetriebe mehrere Menschen verletzt, fünf von ihnen mittel bis schwer. Bei dem Täter, der mit einem Messer auf die Fahrgäste losging, handelte es sich um einen 23-jährigen Palästinenser aus Tulkarem, der keine Aufenthaltsgenehmigung für Israel besaß. Er wurde in der Nähe des Tatortes angeschossen und festgenommen.
- Am 19. November 2015 erstach ein palästinensischer Täter in einem Bürogebäude im Süden von Tel Aviv zwei Menschen und verletzte eine weitere Person.
- Am 1. Januar 2016 erschoss im Zentrum von Tel Aviv ein Palästinenser in der Bar Simta zwei Menschen und verletzte sieben weitere.
- Am 8. Juni 2016 erschossen zwei palästinensische Täter vier Menschen, sieben weitere wurden schwer verletzt. Die Tat ereignete sich im Sarona-Viertel im Stadtzentrum.
- Am 9. Februar 2017 eröffnete im Vorort Petach Tikwa ein 19-jähriger Palästinenser das Feuer auf die Besucher eines Marktes und stach mit einem Messer auf sie ein. Sechs Personen wurden leicht verletzt.
- Am 7. April 2022 erschoss ein Täter aus Dschenin drei Personen in einer Bar im Zentrum von Tel Aviv und verletzte zehn Personen. Der zunächst flüchtige Täter wurde von der Polizei erschossen. Am 9. April 2022 drangen israelische Einsatzkräfte nach Dschenin vor. In Husan erschossen Soldaten am folgenden Tag eine unbewaffnete Mutter von sechs Kindern.
- Am 9. März 2023 eröffnete ein Täter das Feuer auf Personen am Rande einer Protestveranstaltung. Drei Menschen wurden teilweise schwer verletzt. Die Hamas bekannte sich zur Tat.
- Am 7. April 2023 überfuhr ein Automobilist aus der israelischen Stadt Kafr Qasim auf der Strandpromenade von Tel Aviv einen italienischen Touristen und verletzte sieben weitere Personen. Der Täter wurde von der Polizei erschossen. Es kann nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass der tödliche Angriff ein Unfall war.
- Am 4. Juli 2023 überfuhr ein 20-jähriger Palästinenser aus dem Westjordanland in Nord Tel Aviv mit einem Auto mehrere Personen am Straßenrand, entstieg danach dem Fahrzeug und verletzte weitere Personen mit einem Messer. Ein bewaffneter Zivilist erschoss den Angreifer. Acht Personen wurden verletzt. Hamas beansprucht die Tat als Rache für Ereignisse in Dschenin.
Gewalttätige Ausschreitungen im Mai 2021
Im Zuge der Eskalation des Nahostkonflikts im Mai 2021, dem Israel-Gaza-Konflikt 2021, kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen in Tel Aviv-Jaffa und anderen Orten im israelischen Kernland, hauptsächlich in der Stadt Lod. Dem Gewaltausbruch vorausgegangen war die von Siedlern juristisch betriebene Zwangsräumung von palästinensischen Familien in Sheikh Jarrah in Ostjerusalem, Polizeisperren am Damaskustor am 12. April während des Ramadan, das Eindringen der Polizei in die al-Aqsa-Moschee am 13. April, Aufmärsche rechtsradikaler Israelis, darunter die Mitglieder der ultranationalistischen Gruppe Lehava, am 22. April und am Jerusalemtag am 10. Mai und schwere Zusammenstöße auf dem Haram al-Scharif (Tempelberg) am 7. Mai 2021 mit Hunderten verletzten Palästinensern. Raketenbeschuss der radikalislamischen Hamas auf den Großraum Jerusalem am 10. Mai und andere Orte in Israel und israelische Luftangriffe auf Gaza folgten.
- Am 12. Mai 2021 marschierten Dutzende rechtsradikale Israelis durch Tel Aviv und griffen eine Reihe von Geschäften im Besitz von Palästinensern (bzw. arabischen Israelis) an. Die Randalierer schlugen Scheiben ein, warfen Gegenstände und riefen rassistische Parolen. Danach zerrte der rechtsextreme Mob nahe der Strandpromenade von Bat Jam den Automobilisten Said Moussa, den sie für einen Araber hielten, aus seinem Auto und prügelten auf ihn ein, bis er reglos und blutig auf der Straße lag. Der Vorfall wurde im Fernsehen live übertragen. Polizei und Rettung trafen erst fünfzehn Minuten später ein, während das Lynchopfer reglos dalag.
- Am 13. Mai 2021 marschierte ein rechtsextremer jüdischer Mob durch das Viertel HaTikwa, skandierte „Tod den Arabern!“ und attackierte arabische Einwohner des Viertels sowie einen Journalisten und Kameramann des Fernsehsenders Kan. Rechtsradikale hatten im Internet zu bewaffneten Demonstrationen und zum Mord an arabischen Bewohnern aufgerufen.
- Am 14. Mai 2021 wurde in Jaffa ein 12-jähriger arabischer Junge durch zwei in ein Wohnhaus geworfene Brandflaschen im Gesicht schwer verletzt. Am folgenden Tag kam es in Jaffa zu Protestkundgebungen. Polizeiquellen sprachen zuletzt von mutmaßlich arabischen Tätern, die die Bewohner des Hauses für Juden gehalten hätten.
Klima
Tel Aviv weist ein mediterranes Klima auf.