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Dieser Artikel beschreibt die Herrschaftsform Fur die Fernsehserie siehe Kalifat Fernsehserie Als Kalifat arabisch خلافة DMG ḫilafa Nachfolge bezeichnet man die Herrschaft das Amt oder das Reich eines Kalifen also eines Nachfolgers oder Stellvertreters des Gesandten Gottes خليفة رسول الله ḫalifat rasul Allah Es stellt somit eine islamische Regierungsform dar bei der die weltliche und die geistliche Fuhrerschaft in der Person des Kalifen vereint sind Bereits Mohammeds Staat in Medina basierte auf einem theokratischen Modell Mohammed der Religionsstifter des Islam war sowohl der Fuhrer der religiosen Bewegung als auch der Herrscher uber den Machtbereich in dem diese Religion ausgelebt wurde In der Form خليفة الله DMG ḫalifat Allah also Stellvertreter Gottes auf Erden existiert der Kalifen Titel seit den ab 661 regierenden Umayyaden 1 Da gemass Sure 112 al Ichlas jedoch kein Mensch Gott gleich sein konne nicht einmal das Oberhaupt aller Muslime steht diese Interpretation des Kalifats nach Ansicht vieler Muslime im Widerspruch zur Lehre Mohammeds Das Kalifenreich vom 7 bis 8 Jahrhundert Ausbreitung unter dem Propheten Mohammed 622 632 Ausbreitung unter den vier rechtgeleiteten Kalifen 632 661 Ausbreitung unter den Umayyaden 661 750Inhaltsverzeichnis 1 Kalifat der vier rechtgeleiteten Kalifen 2 Kalifat der Umayyaden 3 Kalifat der Abbasiden 4 Kalifat der Fatimiden 4 1 Auseinandersetzung mit den Kalifaten des Westens 4 2 Staatstheoretische Fundierung des Kalifats durch al Mawardi 4 3 Abbasidisches Schattenkalifat von Kairo 5 Kalifat der Osmanen 5 1 Wiederbelebung der Kalifatsidee 5 2 Umdeutung und Abschaffung des Kalifats 6 Nach 1924 7 Siehe auch 8 Literatur 9 Weblinks 10 EinzelnachweiseKalifat der vier rechtgeleiteten Kalifen BearbeitenMohammed hatte keine mannlichen Nachkommen einer oder mehrere leibliche Sohne waren im Kindesalter gestorben ein Adoptivsohn fiel in der Schlacht Nur seine Tochter Fatima und moglicherweise einige weitere Tochter die Uberlieferung ist hier nicht eindeutig uberlebten ihren Vater hatten aber selbst zum Zeitpunkt von Mohammeds Tod noch keine Sohne im ausreichenden Alter um eine Fuhrungsrolle zu ubernehmen Der Prophet hatte weder einen Nachfolger bestimmt noch eine Prozedur zu dessen Wahl festgelegt Nach seinem Tod 632 trafen sich die muslimischen Fuhrer der Gemeinden Ein Teil von ihnen vertrat die Meinung Mohammed habe seinen Vetter ʿAli ibn Abi Talib zu seinem Nachfolger auserkoren Der Grossteil der Muslime war davon nicht uberzeugt und legte erste Richtlinien fur eine Nachfolge fest Demnach musste der Nachfolger des Propheten ein Araber aus dem Stamme Mohammeds der Quraisch sein der zum einen fur die Einhaltung der Regeln des islamischen Glaubens und zum anderen fur die Verbreitung des Islam verantwortlich war Die Mehrheit der muslimischen Fuhrer wahlte Abu Bakr den Vater von Mohammeds Lieblingsfrau Aischa zum Nachfolger des Propheten Er nahm den Titel chalifat rasuli llah an 634 wurde ʿUmar ibn al Chattab zum zweiten Kalifen gewahlt und fuhrte zudem den Kalifentitel Amir al Mu minin أمير المؤمنين Befehlshaber der Glaubigen ein In seiner Amtszeit setzte die islamische Expansion ein und den Muslimen gelang es ihren Einfluss auf Syrien 635 636 Mesopotamien 636 und Agypten 639 642 auszudehnen Nach ihrem Sieg bei Nihawand sudlich von Hamadan brach das Reich der Sassaniden im Iran endgultig auseinander ʿUthman ibn ʿAffan ein Schwiegersohn Mohammeds wurde 644 zum dritten Kalifen gewahlt Bedeutung erlangte seine Regierungszeit vor allem durch die endgultige Abfassung des Koran Er setzte aber auch die Expansionen seines Vorgangers fort So wurden 647 Tripolitanien heute Libyen und weitere Teile des Iran erobert sowie erste Vorstosse nach Anatolien unternommen Mit der Zeit machte sich Uthman durch die Bevorzugung seiner umayyadischen Sippe bei der Amter und Beuteverteilung etliche Feinde insbesondere unter den Heerfuhrern und den Muslimen der eroberten Gebiete 656 wurde er von aufstandischen Muslimen aus Agypten und dem Irak in Medina ermordet Uthmans Gegner waren vor allem die Anhanger des Ali ibn Abi Talib die spateren Schiiten Diese und die aufstandischen Fuhrer wahlten Ali nun zum Kalifen Doch Muawiya der Statthalter von Syrien aus der Sippe der Umayyaden und damit ein Verwandter Uthmans verweigerte die Gefolgschaft Es kam zum Ausbruch von Kampfen Nach der Schlacht von Siffin einigte man sich auf Verhandlungen Eine Gruppe von Muslimen die spateren Charidschiten sah darin eine Postenschacherei und eine grosse Schande und verliess das Lager Alis 661 fiel Ali einem Attentat dieser Gruppe zum Opfer Sein Sohn Hasan verzichtete auf seinen Herrschaftsanspruch als er die Ubermacht der Umayyaden erkannte Ali war der letzte gewahlte Kalif Muawiya fuhrte wahrend seiner Herrschaft die Erbfolge ein und begrundete somit die erste Kalifen Dynastie die der Umayyaden in Damaskus Seither wurden die proklamierten Nachfolger zum neuen Kalifen oder der Titel ging durch Kriege auf andere Herrscher uber Hasans Bruder Husain erhob zwar nach Muawiyas Tod Anspruch auf das Kalifat wurde aber in der Schlacht von Kerbela 680 geschlagen Siehe auch Die Ara der rechtgeleiteten KalifenKalifat der Umayyaden Bearbeiten Hauptartikel Umayyaden Nach der Machtubernahme der Umayyaden unter Muawiya mussten diese sich auch in der Folgezeit immer wieder gegenuber Oppositionsbewegungen behaupten Umstritten war dabei die Legitimation der Umayyaden denen unter anderem vorgeworfen wurde in der Anfangszeit des Islam zu den heftigsten Gegnern des Propheten Mohammed gezahlt zu haben Nach der Befriedung des Kalifats konnten die Muslime ihre Expansion wieder aufnehmen So wurden unter Abd al Malik und al Walid I zu Beginn des 8 Jahrhunderts der Maghreb die Iberische Halbinsel Transoxanien und das Industal erobert Damit erreichte das Kalifat seine grosste Ausdehnung Trotz dieser Erfolge dauerte die Opposition vieler Muslime an Die Schwachung der Umayyaden Herrschaft durch interne Machtkampfe ab 744 wurde durch den Aufstand des Abu Muslim verstarkt Im Jahre 749 ubernahm die Dynastie der Abbasiden gewaltsam die Macht Kalifat der Abbasiden Bearbeiten Hauptartikel Abbasiden Kalifat Nach dem Sturz der Umayyaden durch die Abbasiden entwickelte sich der Irak mit der neuen Hauptstadt Bagdad zum politischen Zentrum des Kalifats Zugleich wurde Bagdad vor allem unter Harun ar Raschid 786 809 zu einer vor Prunk und Reichtum strotzenden Metropole wie es in den Geschichten Scheherazades in Tausendundeine Nacht beschrieben wird und zu einem Zentrum der Kultur und Naturwissenschaften Im 9 Jahrhundert hatte das Kalifat seine Blutezeit erreicht Doch die Ausdehnung und die Burokratie verlangten ihren Preis Mehr und mehr gaben die Kalifen die politische Macht an Staatsminister die Wesire und mittlere Beamte ab Sie selbst sanken schon bald zu blossen nominellen Herrschern herab wahrend die faktische Herrschaft bei sich abwechselnden Heerfuhrern in der Hauptstadt oder bei Lokalherrschern lag Bereits im 8 Jahrhundert war ein Umayyade nach al Andalus entkommen wo er das Emirat von Cordoba begrundete Seit Beginn des 9 Jahrhunderts kam es zur Grundung weiterer Emirate unter anderem Aghlabiden Tuluniden Tahiriden und Samaniden die nur noch formal der Herrschaft der Kalifen in Bagdad unterstanden Mitte des 10 Jahrhunderts wurden die Abbasiden auch in Bagdad politisch entmachtet und unterstanden in der Folgezeit der Kontrolle der persischen Buyiden Kalifat der Fatimiden Bearbeiten Hauptartikel Fatimiden Auseinandersetzung mit den Kalifaten des Westens Bearbeiten Anfang des 10 Jahrhunderts kam es im Westen der islamischen Welt zudem zur Grundung von zwei Gegenkalifaten Im Jahre 910 liess sich Abdallah al Mahdi der damalige Grossmeister der Ismailiten in Kairuan zum Kalifen ausrufen 2 und begrundete damit das Kalifat der Fatimiden Hierdurch sah sich der damalige umayyadische Emir von Cordoba Abd ar Rahman III veranlasst 929 ebenfalls den Kalifentitel anzunehmen 3 Damit gab es nun in den Landern des Islams drei rivalisierende Kalifate Das umayyadische Kalifat von Cordoba zerfiel allerdings schon 1031 in mehrere Einzelreiche und erlosch schliesslich Wesentlich gefahrlicher wurde den Abbasiden das Kalifat der Fatimiden die sich selbst als Nachfahren von Ali ibn Abi Talib und dessen Frau Fatima die der Dynastie auch den Namen gab darstellten Sie dehnten ihren Machtbereich bald auf ganz Nordafrika Syrien Palastina Sizilien und Westarabien aus und konnten im 11 Jahrhundert sogar kurzzeitig die Kontrolle uber Bagdad erringen Die ismailitische Propaganda der Fatimiden und die Bevormundung durch die buyidischen Herrscher unterminierten in der zweiten Halfte des 10 Jahrhunderts immer starker die Autoritat des abbasidischen Kalifats Der abbasidische Kalif al Qadir reg 991 1031 startete daraufhin ein ambitioniertes politisches Programm zur Starkung seiner Autoritat Er liess keine Gelegenheit aus um offentlich die ismailitische Lehre als Ketzerei zu verurteilen und die Fatimiden als Feinde des Islams zu brandmarken Dadurch dass sich Anfang des 11 Jahrhunderts zwei aufstrebende turkische Dynastien im Osten die Ghaznawiden und die Karachaniden formal in seinen Dienst stellten gewann das abbasidische Kalifat in dieser Zeit neues Prestige Eine weitere Macht die die Abbasiden formal als Oberhaupt anerkannten waren die turkischen Seldschuken Sie eroberten in den Jahren nach 1035 vom Nordosten her den Iran und drangen 1055 bis nach Bagdad vor wo sie die Buyiden verdrangten Staatstheoretische Fundierung des Kalifats durch al Mawardi Bearbeiten In den Rahmen der Anstrengungen der abbasidischen Kalifen um Ruckgewinnung ihrer Autoritat gehort auch die staatstheoretische Abhandlung die der schafiitische Gelehrte al Mawardi 972 1058 fur den Kalifen al Qaʾim abfasste In dieser Abhandlung mit dem Titel al Aḥkam as sulṭaniyya Die herrschaftlichen Bestimmungen wird zum ersten Mal eine umfassende Theorie vom Kalifat entwickelt Ein zentraler Gedanke ist dabei die Amterdelegation Der Kalif der zu den Quraisch gehoren muss ist als Imam Vorsteher der islamischen Gemeinschaft dessen Aufgaben sich in allumfassender Weise auf die Bewahrung der Religion din und die Fuhrung siyasa der weltlichen Angelegenheiten erstrecken Er kann diese Aufgaben jedoch an verschiedene Amtstrager delegieren an den Wesir der eine allgemeine Amtsbefugnis in allen Angelegenheiten hat den Emir der als Statthalter in einer Provinz fungiert oder den Dschihad fuhrt den Qadi den Stammbaumwachter den Imam der fur die Durchfuhrung des Ritualgebets verantwortlich ist den Leiter der Wallfahrt den Steuerbeamten und den Muhtasib der von Amts wegen fur das Gebieten des Rechten und Verbieten des Unrechten verantwortlich ist Der Fiktion der Souveranitat des Kalifen wird durch eine formelle Anerkennung der Oberhoheit des Kalifen und durch die Erwahnung seines Namens im Freitagsgebet Genuge getan Das was in diesem Werk das von grosser Bedeutung fur die Folgezeit war als Emire bezeichnet wird waren in der Realitat die Herrscher der Ghaznawiden und Seldschuken die die wirkliche Macht in der Hand hatten aber die formale Oberhoheit des Kalifats anerkannten 4 Al Mawardi knupfte die Delegation der Macht noch an eine Herrschaft nach der Schari a Weil spatere islamische Theoretiker uberzeugt waren dass jede Form von Herrschaft besser sei als Anarchie legitimierten sie auch reine Gewaltherrschaft solange die nominelle Oberherrschaft des Kalifen dabei aufrechterhalten werde Al Ghazali 1058 1111 gab zur Zeit der Seldschukenherrschaft viele der Erfordernisse auf die al Mawardi noch fur notig gehalten hatte Der Kalif solle nicht mehr uber die Fahigkeit verfugen mussen den Dschihad anzufuhren auch Regierungskompetenz kifaya sei nicht erforderlich solange ihm ein kompetenter Wesir zur Seite stehe Anstelle der Fahigkeit zum idschtihad das heisst der eigenstandigen Interpretation des Rechts musse der Kalif lediglich waraʿ Gottesfurcht besitzen Kalif ist in seiner Theorie derjenige dem der Inhaber der realen Macht sauka den Treueid leistet Umgekehrt ist derjenige der die reale Macht besitzt und sich dem Kalifen unterstellt indem er ihn in der Chutba und auf den eigenen Munzen nennt herrschender Sultan 5 Mit dieser Theorie legitimierte al Ghazali die zu seiner Zeit ubliche Praxis Die Fatimiden Dynastie wurde 1171 durch Saladin beseitigt der Agypten gleichzeitig in die staatsrechtliche Sphare des abbasidischen Kalifats zuruckfuhrte Im 12 bzw 13 Jahrhundert beanspruchten zwar im Maghreb auch die Almohaden und als Reaktion auf deren Niedergang die Hafsiden das Kalifat doch waren die abbasidischen Kalifen die einzigen deren Stellung als Oberhaupt der islamischen Gemeinschaft auch ausserhalb ihres eigenen Herrschaftsgebietes anerkannt wurden Mehrere Herrscher liessen sich von abbasidischen Kalifen Einsetzungsschreiben geben um als Sultane anerkannt zu werden so unter anderem im Jemen der Rasulide ʿUmar der sich 1232 von den agyptischen Ayyubiden unabhangig machte Abbasidisches Schattenkalifat von Kairo Bearbeiten Postkarte aus der Dr Paula Sanders Collection mit Grabern der abbasidischen Schattenkalifen in KairoZwar konnten die Kalifen wahrend des 12 Jahrhunderts ihre politische Macht zumindest im Irak zuruckgewinnen doch wurde das Kalifat der Abbasiden 1258 mit der Eroberung Bagdads durch die Mongolen unter Hulegu zerschlagen Zwei Abbasidenabkommlingen gelang aber die Flucht nach Agypten Mit Hilfe der Mamluken die uber Agypten herrschten versuchten sie Bagdad zuruckzuerobern Nachdem dieser Versuch misslungen war erhob der az Zahir Baibars der nun unangefochtene Anfuhrer der Mamluken in Agypten den einzig noch verbliebenen Abbasiden zum Kalifen und liess sich umgekehrt von ihm den Sultanstitel verleihen Auf diese Weise erhielt er die religios politische Legitimation die ihm aufgrund seiner Herkunft als Militarsklave noch fehlte 6 Die Abbasidenprinzen aus dieser Linie versahen in den folgenden Jahrhunderten ihr weitgehend formales Amt ein Kalifat ohne herrscherliche Machtbefugnisse das den Mamlukensultanen jedoch jeweils die notwendige islamische Legitimitat verlieh Dieses abbasidische Schattenkalifat gewann aber immerhin so viel Prestige dass auch ausserhalb des Mamlukenreiches einige Herrscher dem Kalifen in Kairo ihre Huldigung baiʿa ubermittelten und sich dafur Einsetzungsschreiben von ihm geben liessen So erkannte zum Beispiel 1283 die Goldene Horde den abbasidischen Schattenkalifen von Kairo als Fuhrer der islamischen Gemeinschaft an 7 1497 erkannten auch die Herrscher des Reiches Songhay in Westafrika den Kairiner Kalifen an Innerhalb des Mamlukenreiches hatten die abbasidischen Kalifen aber die meiste Zeit nur wenig zu sagen hier gaben Sultane und Emire der Mamluken den Ton an Einzelne abbasidische Kalifen wie zum Beispiel al Mustaʿin bi Llah amtierte 1404 1416 gelangten allerdings zu solchem Ansehen dass in ihrem Namen Munzen gepragt wurden Auch die Hafsiden sahen sich als Erben der 1258 gesturzten Abbasiden von Bagdad und wurden vorubergehend sogar von den Scherifen von Mekka und dem agyptischen Mamlukensultan anerkannt Kalifat der Osmanen Bearbeiten Hauptartikel Osmanisches Kalifat Anders als die Mamluken setzten unter anderem die Osmanen im 16 Jahrhundert nicht mehr auf eine Legitimation durch die abbasidischen Kalifen Der letzte abbasidische Kalif wurde 1517 nach der osmanischen Eroberung Kairos nach Konstantinopel verschleppt und dort inhaftiert Zwar trat in den 1530er Jahren der osmanische Grosswesir Lutfi Pascha mit der Behauptung auf der letzte Abbaside habe den Kalifentitel nach der Eroberung Agyptens auf den osmanischen Sultan Selim ubertragen doch haben die Osmanen diesen Anspruch auf das Kalifat nicht weiter verfolgt weil von islamischen Gelehrten der Einwand kam dass sie aufgrund ihrer Nicht Zugehorigkeit zu den Quraisch eine der Voraussetzungen fur die Ubernahme des Kalifats nicht erfullten 8 Wiederbelebung der Kalifatsidee Bearbeiten Erst in den 1770er Jahren begannen die osmanischen Sultane wieder den Titel des Kalifen fur sich zu verwenden Dies geschah im Rahmen der Verhandlungen zum Frieden von Kucuk Kaynarca 1774 Sultan Abdulhamid I bezeichnete sich bei dieser Gelegenheit als Imam der Glaubigen und Kalif der Einheitsbekenner Auf diese Weise wollte er erreichen dass er von russischer Seite als Schutzherr der auf russischem Territorium lebenden Muslime anerkannt wurde so wie umgekehrt Russland sich als Schutzmacht der auf osmanischem Territorium lebenden orthodoxen Christen begriff 9 Um die Mitte des 19 Jahrhunderts begannen die osmanischen Sultane den Kalifentitel starker zu betonen um dadurch die Unterstutzung der Muslime ausserhalb ihres Machtbereiches zu erlangen Da es in Indien nach der Mutiny 1857 kein islamisches Staatsoberhaupt mehr gab fiel dort die Idee eines osmanischen Kalifen als politischem und spirituellem Fuhrer der islamischen Welt auf besonders fruchtbaren Boden Der Name des herrschenden osmanischen Sultans wurde in den indischen Moscheen nun oftmals in die Freitagspredigt aufgenommen 10 Der osmanische Sultan Abdulhamid II der 1876 den Thron bestieg war ein begeisterter Anhanger des Kalifatsgedankens Bereits in der unmittelbar nach seiner Thronbesteigung verabschiedeten Verfassung des Osmanischen Reiches heisst es in Artikel 4 Der Sultan in seiner Eigenschaft als Kalif ist der Schutzherr fur die muslimische Religion Auch die Muslime in Daghestan erkannten diesen religios politischen Anspruch Als sie wahrend des russisch osmanischen Krieges von 1877 78 einen Dschihad gegen Russland fuhrten taten sie dies im Namen des Kalifen 11 Als Reaktion auf die Besetzung Anatoliens und Istanbuls durch alliierte Truppen am Ende des Ersten Weltkriegs entstand 1919 in Indien die sogenannte Kalifatsbewegung die gegenuber den Briten mit der Forderung auftrat sich fur die Erhaltung des osmanischen Kalifats einsetzen zu mussen Zu ihrem Theoretiker wurde der Gelehrte Abu l Kalam Azad Er forderte entsprechend der klassischen Lehre ein monarchisches Kalifat als spirituelles Zentrum der islamischen Welt mit von ihm eingesetzten islamischen Herrschern in verschiedenen Landern der osmanische Kalif sollte allerdings auch politische Macht besitzen 12 Umdeutung und Abschaffung des Kalifats Bearbeiten Der letzte Kalif Abdulmecid II 1923 Die Forderungen der indischen Kalifatsbewegung wurden allerdings von den realen Entwicklungen uberholt In dem neuen Nationalstaat Turkei begann Mustafa Kemal Pascha der Sieger des turkischen Befreiungskampfes ein umfassendes politisches Reformprogramm Im Zuge dessen wurde 1922 das osmanische Sultanat durch die Grosse Nationalversammlung der Turkei abgeschafft und mit Abdulmecit II ein neuer Kalif eingesetzt dessen Amt rein auf den reprasentativen Bereich beschrankt wurde In einem von der Nationalversammlung herausgegebenen Traktat mit dem Titel Das Kalifat und die nationale Souveranitat Hilafet ve Hakimiyet i Milliye wurde die Umwandlung damit begrundet dass angesichts der Tatsache dass der Prophet seine Nachfolge nicht klar geregelt habe die Muslime die Freiheit hatten das Kalifat so zu organisieren wie sie dies fur richtig hielten 13 Diese Entwicklungen losten in den arabischen Landern des Nahen Ostens heftige Diskussionen aus Raschid Rida fasste 1923 ein Traktat zur Kalifatsfrage ab in dem er die Auffassung vertrat dass die islamische Gesellschaft unbedingt eines Kalifen bedurfe Neben der Verteidigung der Muslime sollte dessen Hauptaufgabe darin bestehen durch Idschtihad die Gesetzgebung auszuuben Dies sollte er nach Absprache mit einer Korperschaft erfahrener Manner tun Hutern und Auslegern der Scharia Das osmanische Kalifat war nach Raschid Ridas Ansicht nur ein Not Kalifat gewesen denn der osmanische Sultan der kein Arabisch konnte war fur den Idschtihad nicht geeignet Ausserdem stammte er nicht von der Sippe der Quraisch ab was nach allgemeiner Auffassung eine notwendige Voraussetzung fur das Kalifenamt war Er hatte aber geduldet werden mussen da es niemanden gab der besser geeignet gewesen ware denn immerhin konnte er die Muslime schutzen Angesichts der Tatsache dass das osmanische Kalifat vor der Ausloschung stehe forderte Raschid Rida die Grundung eines neuen arabischen Kalifats Der zukunftige Kalif sollte sich allerdings nicht aus dem Kreise der arabischen Herrscher sondern der Religionsgelehrten rekrutieren 14 Schon zwei Jahre spater im Marz 1924 schaffte die turkische Regierung das Kalifat mit dem Gesetz Nr 431 15 vollstandig ab Abdulmecit II und alle Mitglieder der osmanischen Dynastie wurden des Landes verwiesen Nach 1924 Bearbeiten Demonstration der danischen Abteilung der Hizb ut Tahrir fur die Wiedererrichtung des Kalifats im Jahre 2006Nach Abschaffung des osmanischen Kalifats am 3 Marz 1924 riefen fuhrende Gelehrte der Azhar Universitat in Agypten zu einem internationalen Kongress auf auf dem ein neuer Kalif gewahlt werden sollte Die Initiatoren der Konferenz beabsichtigten auf der Konferenz den agyptischen Konig Fu ad I als Kalifen auszurufen 16 Dem kam jedoch der haschimitische Konig Husain ibn Ali von Hedschas zuvor Im Marz 1924 liess er sich in Transjordanien von einer Gruppe von ʿUlama zum neuen Kalifen ausrufen 17 Ausserhalb der haschimitischen Gebiete Hedschas Transjordanien Irak wurde sein Kalifat kaum irgendwo anerkannt Die Ambitionen Konig Husains zerschlugen sich ganzlich als der Hedschas im Herbst 1924 von den wahhabitischen Ichwan des saudischen Herrschers Abd al Aziz ibn Saud uberrannt wurde Husain musste abdanken und verliess das Konigreich Sein Anspruch auf das Kalifat hatte damit keine Grundlage mehr Ein Jahr spater kam es in Agypten zu einer heftigen Debatte als der agyptische Richter ʿAli ʿAbd ar Raziq ein Buch veroffentlichte in dem er die Notwendigkeit eines neuen Kalifen in Frage stellte Er erklarte weder der Koran noch der Hadith hatten das Kalifat als notwendige Einrichtung bezeichnet da die Aufgabe Mohammeds eine rein geistliche gewesen sei wahrend seine politischen Handlungen lediglich fur die Umstande seiner Zeit von Bedeutung gewesen seien und nicht in Form des Kalifats fortgefuhrt werden mussten Der Widerstand gegen diese Position fuhrte dazu dass Abd ar Raziq aus seinem Richteramt entlassen wurde Als der internationale Kalifatskongress zu dem die Azhar eingeladen hatte im Mai 1926 schliesslich stattfand konnten sich die Teilnehmer nicht uber den staatsrechtlichen Charakter des Kalifats einigen und nach diesem Kongress befasste sich keine weitere ubernationale Konferenz mehr mit der Kalifatsfrage 18 Ein Kalifat existiert seitdem nur noch in verschiedenen islamischen Sondergemeinschaften wie der Ahmadiyya der Muridiyya und der senegalesischen Tidschaniyya Nachtraglich wird seit den 1960er Jahren 19 auch der Anfang des 19 Jahrhunderts von Usman dan Fodio gegrundete Fulani Staat in Westafrika als Kalifat bezeichnet namlich als Kalifat von Sokoto Siehe auch BearbeitenListe der Kalifen Emirat Sultanat Die Ara der rechtgeleiteten Kalifen Liste der grossten Imperien und ReicheLiteratur BearbeitenPatricia Crone Martin Hinds God s Caliph Religious Authority in the First Centuries of Islam 2003 ISBN 0 521 54111 5 Bawar Bammarny The Caliphate State in Theory and Practice In Arab Law Quarterly Brill Band 31 2017 Nr 2 S 163 186 Hamilton A R Gibb Luṭfi Pasa on the Ottoman Caliphate In Oriens 15 1962 S 287 295 Mikel de Epalza Fonction du califat dans la communaute islamique cas d Al Andalus In Simon Jargy Hrsg Islam communautaire al Umma Concept et realites Labor et Fides Genf 1984 S 47 66 Yves Thoraval Ludwig Hagemann Oliver Lellek Hrsg Lexikon der islamischen Kultur Nikol Hamburg 2005 ISBN 3 937872 05 1 Stefan Heidemann Das Aleppiner Kalifat A D 1261 Vom Ende des Kalifates in Bagdad uber Aleppo zu den Restaurationen in Kairo Brill Leiden 1994 ISBN 90 04 10031 8 Elie Kedourie Egypt and the Caliphate In Kedourie Hrsg The Chatham House Version and other Middle Eastern Studies Praeger New York 1970 Hugh N Kennedy The Prophet and the Age of the Caliphates London 1986 2 Auflage ebenda 2004 Hugh N Kennedy The Caliphate A pelican Introduction Penguin London ISBN 978 0 14 198140 6 Hugh N Kennedy Das Kalifat Von Mohammed bis zum Islamischen Staat Beck Munchen 2017 ISBN 978 3 406 71354 5 Tilman Nagel Staat und Glaubensgemeinschaft im Islam Geschichte der politischen Ordnungsvorstellungen der Muslime 2 Bande Artemis Zurich Munchen 1981 ISBN 3 7608 4529 0 und ISBN 3 7608 4531 2 Janina Safran The second Umayyad caliphate the articulation of caliphal legitimacy in al Andalus Cambridge Mass 2000 ISBN 0 932885 24 1 Reza Pankhurst The Inevitable Caliphate A History of the Struggle for Global Islamic Union 1924 to the Present Oxford University Press New York 2013 ISBN 978 0 19 932799 7 Weblinks Bearbeiten Wiktionary Kalifat Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Artikel Kalifat im Portal bpb de Bundeszentrale fur politische Bildung Einzelnachweise Bearbeiten Patricia Crone Martin Hinds God s Caliph Religious Authority in the First Centuries of Islam 2003 Heinz Halm Das Reich des Mahdi Der Aufstieg der Fatimiden Munchen 1991 Janina Safran The second Umayyad caliphate the articulation of caliphal legitimacy in al Andalus 2000 Tilman Nagel Staat und Glaubensgemeinschaft im Islam Band I S 345 397 Hamilton A R Gibb Constitutional Organization in Majid Khadduri and Herbert J Liebesny Hrsg Origin and Development of Islamic Law Bd I von Law in the Middle East Middle East Institute Washington DC 1955 S 3 27 Hier S 19 zu dieser Episode das Buch von Heidemann Bertold Spuler Die goldene Horde Die Mongolen in Russland 1223 1502 Harrassowitz 1943 S 69 Hamilton A R Gibb Luṭfi Pasa on the Ottoman Caliphate 1962 Tilman Nagel Staat und Glaubensgemeinschaft im Islam Band II S 177 Azmi Ozcan Pan Islamism Indian Muslims the Ottomans and Britain 1877 1924 Leiden 1997 Kemal Karpat The politicization of Islam Reconstructing identity state faith and community in the late Ottoman state Oxford 2001 S 86 Gail Minault The Khilafat movement religious symbolism and political mobilization in India New York 1982 die franzosische Ubersetzung des Traktats in Revue du Monde Musulman 59 1925 S 5 81 Hamid Enayat Modern Islamic Political Thought The Response of the Shiʿi and Sunni Muslims to the Twentieth Century London 2005 S 69 83 Gesetz Nr 431 vom 3 Marz 1924 In RG Nr 63 vom 6 Marz 1924 Martin Kramer Islam assembled The Advent of the Muslim Congress New York 1986 S 86 105 Martin Kramer Islam assembled The Advent of the Muslim Congress New York 1986 S 83 Kramer S 99ff D M Last Sokoto In Encyclopaedia of Islam 2 Auflage Band IX S 711b Normdaten Sachbegriff GND 7722009 2 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kalifat amp oldid 236267683