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Ein Schtetl auch Stetl jiddisch שטעטל schtetl Plural שטעטלעך schtetlech deutsch Stadtlein ist die Bezeichnung fur Siedlungen mit hohem judischem Bevolkerungsanteil im Siedlungsbereich der Juden in Osteuropa vor dem Zweiten Weltkrieg Lachwa 1926Schtetl von Pinsk 1903 Inhaltsverzeichnis 1 Charakter 2 Geschichte 3 Ausgewahlte Schtetlech in alphabetischer Reihenfolge 4 Siehe auch 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseCharakter BearbeitenMeist handelte es sich beim Schtetl um Dorfer oder Kleinstadte manchmal auch um Stadtteile in denen etwa zwischen 1 000 und 20 000 Juden lebten Grossere judisch gepragte Stadte wie Lemberg oder Czernowitz wurden indes als schtot שטא ט vgl dt Stadt bezeichnet Geographischer Verbreitungsschwerpunkt der Schtetl waren Ostpolen vor allem Galizien aber auch die Ukraine Belarus und Litauen Anders als in den Grossstadten waren die judischen Bewohner in den Schtetl nicht nur geduldet sondern ungeachtet bisweilen stattfindender Pogrome weitgehend akzeptiert Sie konnten sich dort wie in der heiligen Stadt Jerusalem fuhlen 1 waren diese Stadtchen doch keine Ghettos sondern wesensmassig ebenso wie definitionsgemass das Gegenteil Ein Stadtel war nicht das Anhangsel einer christlichen Gemeinde innerhalb der Bannmeile nicht ein diskriminierter Fremdkorper innerhalb einer hoheren Zivilisation sondern im Gegenteil eine scharf profilierte in ihren Grundlagen gefestigte autonome Gemeinschaft mit einer eigenartigen Kultur dies inmitten von Armut und Hasslichkeit und eingekreist von Feinden des judischen Glaubens Das Schtetl war ein Zentrum von dem aus gesehen die slawischen Dorfer periphere Agglomerationen waren deren Einwohner zumeist Analphabeten zum Geistigen kaum eine Beziehung hatten In all seiner Misere war das judische Stadtchen eine kleine Civitas Dei geistig und geistlich erstaunlich in mancher Hinsicht um Jahrhunderte zuruckgeblieben nicht selten abstossend aber dennoch bewundernswert Die Juden des Ghettos von Venedig von Rom oder Worms blieben eine in ihrer eigenen Vaterstadt diskriminierte exilierte Minderheit wahrend die Einwohner des Schtetls majoritar also bei sich zu Hause waren ihre nichtjudischen Nachbarn etwa die polnischen Adeligen mochten machtig und reich sein und auf sie herabsehen Die Juden waren jedoch von ihrer eigenen Uberlegenheit uberzeugt Im Schtetl gab es nicht eine Spur eines Minderwertigkeitsgefuhls wegen der Zugehorigkeit zum Judentum und daher nicht die geringste Neigung das eigene Wesen zu verhullen oder wie die anderen zu werden Manes Sperber Die Wassertrager Gottes 2 Die aschkenasischen Juden der Schtetlech sprachen im Alltag zumeist Jiddisch An ihren religiosen Traditionen hielten sie meist in erheblich hoherem Masse fest als ihre Glaubensbruder in Mittel oder Westeuropa Werktags lernten die Kinder im Cheder am Sabbat und den judischen Festtagen waren die meisten Bewohner in der Synagoge auf Jiddisch Schul genannt anzutreffen und auch fur Kleidung und Haartracht bestanden zahlreiche Vorschriften In ihrer Sozialstruktur waren die Schtetlech meist durch eine breite Unterschicht aus mittellosen Handwerkern Kleinhandlern und Taglohnern gepragt Haufig herrschte in den Schtetlech unvorstellbare Armut die Errungenschaften der Aufklarung und des Industriezeitalters waren an ihnen weitgehend spurlos vorubergegangen Oft fehlte es sogar an Heizung Kanalisation und befestigten Strassen Nicht zuletzt aufgrund der verbreiteten messianischen Endzeiterwartung trugen viele Schtetlbewohner ihre prekare materielle Lage mit Gleichmut Andere freilich wanderten besonders in der zweiten Halfte des 19 Jahrhunderts aus und trugen so zum heute vergleichsweise hohen judischen Bevolkerungsanteil etwa in den Vereinigten Staaten bei Wahrend Teile der neuen judischen Intelligenzija und der Maskilim seit dem 18 und vor allem dem 19 Jahrhundert die Kultur und Lebensweise des Schtetl bisweilen mit gewisser Verachtung als ruckstandig und ein zu uberwindendes Ergebnis der Diskriminierung und Ghettoisierung der Juden betrachteten und das Jiddische als eine ruckstandige Jargon Sprache ansahen lernten um 1900 einige judische Intellektuelle und Schriftsteller diese Kultur schatzen und entwickelten schliesslich ein positives oft verklarendes Bild der nun als authentisch wahrgenommenen judischen bzw jiddischen Schtetl Kultur Dem Leben in den Schtetl wurden vielfach literarische Denkmaler gesetzt in jiddischer Sprache Scholem Alejchem Mendele Moicher Sforim Isaak Leib Perez Isaak Schtern ebenso wie in hebraischer Samuel Agnon und in deutscher Joseph Roth Karl Emil Franzos Nach der nahezu vollstandigen Vernichtung der Schtetlech und ihrer Bewohner wurde nach der Shoah der positive haufig verklarende oft nostalgische Blick auf die Schtetl Kultur popular Geschichte BearbeitenDie Geschichte der Schtetlech reicht bis ins 12 Jahrhundert zuruck als Boleslaw III Schiefmund vor Verfolgung geflohenen Juden aus Mittel und Westeuropa die Ansiedlung im Konigreich Polen gestattete Polnisch litauische Adelige Szlachta bemuhten sich in den folgenden Jahrhunderten Juden auf ihren jeweiligen Landereien in privaten Ortschaften anzusiedeln Diese Ortschaften wurden auf Jiddisch Schtetl und bsw auf Polnisch Miasteczko genannt Die Motivation der Juden sich dort anzusiedeln bestand darin dass es grossere religiose und rechtliche Freiheit und bessere wirtschaftliche Moglichkeiten gab Die den Zuwanderern gewahrten Freiheiten auch fur zugewanderte Nichtjuden standen im Gegensatz zur Unfreiheit der auf den Landereien ebenfalls lebenden leibeigenen Bauern Die Szlachta wiederum profitierten indem sie bestimmte Monopole und Privilegien verpachteten wie Steuerpacht Ein oberster Pachter verpachtete diese weiter beispielsweise das Recht zum Alkoholausschank an mehrere Besitzer von Gastwirtschaften oder Schenken Ahnliches gab es fur Muhlen Walder Imkereien und so weiter In der Folgezeit kam es auch in Polen wiederholt zu Pogromen denen etliche Schtetlech zum Opfer fielen Nach den Teilungen Polens von 1772 1793 und 1795 gehorten die Schtetlech entweder zum Russischen Kaiserreich oder zu Osterreich Ungarn einige wenige auch zu Preussen Vor allem im Zarenreich geriet die Schtetl Kultur zunehmend unter Druck So verbot Zar Alexander III in den sog Maigesetzen 1882 den Juden den Aufenthalt in Ortschaften mit weniger als 10 000 Einwohnern Auch wirkten sich die Aufstande Revolutionen und Burgerkriege des fruhen 20 Jahrhunderts ebenso aus wie die nunmehr auch in Osteuropa beginnende Industrialisierung Vollig ausgeloscht wurden die Schtetlech schliesslich durch die Shoah 1939 1945 wo der grosste Teil der osteuropaischen Juden umgebracht wurde Mit Schtetlech vergleichbare Wohnviertel gibt es heute in verschiedenen Quartieren des New Yorker Stadtteils Brooklyn in den New Yorker Vororten Kiryas Joel New Square und Monsey 3 in Montreal sowie in dessen Vorort Kiryas Tosh in London in Antwerpen und in Jerusalem etwa im Stadtteil Me a Sche arim und Umgebung Ausgewahlte Schtetlech in alphabetischer Reihenfolge BearbeitenA AntopalB Bălți Belz Bar Bedzin Bendzin Belaja Zerkow Belchatow Belz Bels Berdytschiw Bereschany Bialobrzegi Bialystok Bielsk Podlaski Bielsk Podliask Bircza Brazlaw Brody Brzeznica Brzozow Butschatsch Budaniw Bukowsko Burschtyn Bytom Beuthen C Ciechanow Czeladz Czestochowa Tschenstochau CzyzewD Dabrowa Damatschawa Debica Dembits Drahitschyn Drogicin Drohobytsch Dukla Dynow F FrysztakG Gabin Gombin Glogow Malopolski Glowaczow Glowno Gombin Ger Gorlice Gostynin Grybow Grodzisk Mazowiecki Gura HumoruluiH Hrodna Hrubieszow Rubieschow HussjatynI Ilza Drildz Inowlodz Iwaniska Iwansk IzbicaJ Jablonka Janow Sokolski Jaroslaw Jaslo Jedwabne Jurbarkas Justingrad K Kalusch Kamiensk Kaminsk Kanczuga Kielce Kiernozia Kleczew Kletschoi Klimawitschy Knyszyn Kock Kolbuszowa Kolno Gross Kollen Kolomyja Korczyna Kossiw Kozienice Krasnosielc KrosnoL Lachwa Lancut Lask Lodz Lomza Losice Lubaczow Lubawitsch Luniniec Luzk M Majdan Krolewski Medschybisch Miedzyrzec Podlaski Mielec Miloslavichi Minsk Mazowiecki Mlawa MotolN Niebylec Nowy Dwor Nowy Korczyn Nowy Sacz Neusandez NurO Obech Olkusz Opoczno Osaritschi Ostroleka Ostrolenka Ostrow MazowieckaP Pabianice Pilzno Pilsno Pidwolotschysk Pinsk Piotrkow Trybunalski Petrikau Plock Polaniec Plontsch Polazk Przemysl Przeworsk R Radevits Rădăuți Radom Radomsko Radomysl Wielki Radzilow Radzyn Podlaski Ranizow Ropczyce Rozan Rozwadow Ruschyn Rymanow RzeszowS Sadagora Sanniki Sanok Sbarasch Schklow Schytomyr Sedziszow Malopolski Sejny Seini Siauliai Sidra Sidre Slonim Sluzk Sochocin Sokolow Malopolski Solotschiw Sompolno Sosnowiec Starokostjantyniw Staszow Stryj Strzyzow Suprasl Suwalki Suwalken Szczuczyn T Tarascha Tarnobrzeg Tarnow Ternopil Tomaszow Mazowiecki Trachimbrod Troki Trakai Trzcianne Tschawussy Tschortkiw Tyczyn Tykocin Tyktin U Ulanow Uscie SolneW Warta Wielkie Oczy Wilkatsch Wilkatschi Wielun Wizna Wloszczowa Wolotschysk Wyschnyzja Wysokie Mazowieckie WyszogrodZ Zablotow Zabludow Zakroczym Zambrow Zdunska Wola Zelow Zgierz Zmigrod Nowy Zolynia Zsetl Dsjatlawa Daneben seien noch einige fiktionale Schtetlech genannt das dem deutschen Schilda entsprechende Chelm etwa das Schtetl Kasrilevke aus den Erzahlungen von Scholem Alejchem sowie Anatevka der Schauplatz des Musicals Fiddler on the roof Als Schtot zu betrachten sind indes etwa Breslau Brest Budapest Chișinău Czernowitz Danzig Daugavpils Dunaburg Dnipropetrowsk 4 Glogau Iași Kaunas Kiew Klausenburg Konigsberg i Pr Krakau Lemberg Minsk Odessa Posen Prag Riga Wilna Wien Wizebsk und Warschau Siehe auch BearbeitenGeschichte des Judentums Geschichte der Juden in Polen Juden in OsteuropaLiteratur BearbeitenBarbara Beuys Heimat und Holle Judisches Leben in Europa durch zwei Jahrtausende Rowohlt Reinbek bei Hamburg 1996 ISBN 3 498 00590 1 S 640ff Yaffa Eliach There once was a world A nine hundred year chronicle of the Shtetl Eishyshok Boston u a 1998 ISBN 0 316 23239 4 Dominik Esegovic Vom Schtetl zum Sozialismus Zur Bedeutung des sozialistischen Gedankens fur die Schtetlech Osteuropas Grin Munchen 2010 ISBN 978 3 640 62361 7 Gennady Estraikh Mikhail Krutikov Hrsg The shtetl Reality and image Studies in Yiddish 2 Oxford 2000 ISBN 1 900755 41 6 Sander Gilman The Rediscovery of the Eastern Jews German Jews in the East 1890 1918 In David Bronsen Hrsg Jews and Germans from 1860 1933 Heidelberg 1979 S 338 365 deutsche Version Sander Gilman Die Wiederentdeckung der Ostjuden Deutsche Juden im Osten 1890 1918 In Michael Brocke Hrsg Beter und Rebellen Aus 1000 Jahren Judentum in Polen Deutscher Koordinierungsrat der Gesellschaften fur Christlich Judische Zusammenarbeit Frankfurt am Main 1983 ISBN 3 923840 00 4 S 11 32 Heiko Haumann Geschichte der Ostjuden Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe dtv Munchen 1998 ISBN 3 423 30663 7 Heiko Haumann Hrsg Luftmenschen und rebellische Tochter zum Wandel ostjudischer Lebenswelten im 19 Jahrhundert Lebenswelten osteuropaischer Juden 7 Bohlau Koln u a 2003 ISBN 3 412 06699 0 Eva Hoffman Shtetl The life and death of a small town and the world of Polish Jews Houghton Mifflin Boston 1997 ISBN 0 395 82295 5 Steven T Katz Hrsg The Shtetl New Evaluations NYU Press New York 2007 ISBN 978 0 8147 4801 5 Maria Klanska Aus dem Schtetl in die Welt 1772 bis 1938 ostjudische Autobiographien in deutscher Sprache Literatur und Leben N F Band 45 Bohlau Wien 1994 ISBN 3 205 98024 7 Emil Majuk Sljachamy Steteliv Mandrivky zabutym kontynentom Lublin 2015 ISBN 978 83 61064 95 4 bebilderter Fuhrer zu den einstigen Stetls der heutigen Ukraine mit Karten Adressen Kontaktdaten Dan Miron The image of the Shtetl and other studies of modern Jewish literary imagination Syracuse 2001 ISBN 0 8156 2857 9 Yohanan Petrovsky Shtern The Golden Age Shtetl A New History of Jewish Life in East Europe Princeton University Press Princeton NJ 2014 ISBN 978 0 691 16074 0 ukr Kiew 2019 Ben Cion Pinchuk Shtetl Jews under Soviet rule Eastern Poland on the eve of the Holocaust Cambridge 1991 ISBN 0 631 17469 9 Leo Prijs Die Welt des Judentums Beck Munchen 1984 ISBN 3 406 08461 3 S 173ff Tamar Somogyi Die Schejnen und die Prosten Untersuchungen zum Schonheitsideal der Ostjuden in Bezug auf Korper und Kleidung unter besonderer Berucksichtigung des Chassidismus Kolner ethnologische Studien Band 2 Reimer Berlin 1982 ISBN 3 496 00168 2 Roman Vishniac Verschwundene Welt Bildband 3 Auflage Hanser Munchen 1984 ISBN 3 446 13841 2 mit einem Vorwort von Elie Wiesel Stefi Jersch Wenzel Francois Guesnet Hrsg Juden und Armut in Mittel und Osteuropa Bohlau Koln 2000 ISBN 3 412 16798 3 Mark Zborowski Elisabeth Herzog Das Schtetl die untergegangene Welt der osteuropaischen Juden 3 durchges Auflage Beck Munchen 1992 ISBN 3 406 35184 0 Gisela Volger Georg Heuberger Leben im russischen Schtetl judische Sammlungen des Staatlichen Ethnographischen Museums in Sankt Petersburg Auf den Spuren von An Ski Katalog zu einer Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Judischen historischen Museum in Amsterdam Koln 1993 ISBN 3 923158 24 5 Rachel Ertel Le Shtetl La bourgade juive de Pologne de la tradition a la modernite Edition Payot amp Rivages Paris 2011 ISBN 978 2 228 90629 6 franzosisch Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Schtetl Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Das Leben im ostjudischen Schtetl Andrea Ehrlich Das Schtetl Wirtschaftliche und soziale Strukturen der ostjudischen Lebensweise Einzelnachweise Bearbeiten Ilex Beller Das Leben im Schtetl Ein judisches Dorf in 80 Bildern Verlag Leeden Tecklenburg 1989 ISBN 3 923631 21 9 Manes Sperber Die Wassertrager Gottes All das Vergangene dtv Munchen 1981 ISBN 3 423 01398 2 S 18f Laut American Community Survey zitiert im jiddischen Forward vom 10 Januar 2013 S 14 sprachen per Ende 2012 in der Stadtgemeinde New York zu Hause 85 000 mutmasslich grosstenteils chareidische Personen Jiddisch wozu die rund 50 000 in den drei genannten Vororten wohnenden jiddischsprachigen Chareidim kamen Judisches Leben in Dnipropetrowsk http www jpeopleworld com abgerufen am 30 Dezember 2012 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Schtetl amp oldid 236295744