www.wikidata.de-de.nina.az
Als Tanzimat osmanisch تنظيمات Tanzimat IA Tanẓimat deutsch Anordnungen Neuordnung wird die Periode tiefgreifender Reformen im Osmanischen Reich bezeichnet die 1839 begann und 1876 mit der Annahme der Osmanischen Verfassung endete Durch die Reformen verzichtete der Sultan auf seine unbeschrankten Rechte uber Leben und Eigentum seiner Beamten Die Ministerialressorts wurden festgelegt die zivilrechtliche Gleichheit aller Untertanen wurde ausgesprochen sowie das Finanz Justiz und Heerwesen reorganisiert Das Edikt von Gulhane das die Tanzimat einleitete Inhaltsverzeichnis 1 Ubersicht 2 Das Hatt i Serif von Gulhane 1839 3 Das Hatt i Humayun 1856 4 Handel 5 Literatur 6 AnmerkungenUbersicht BearbeitenMit den Tanzimat Reformen versuchten die Osmanen den langsamen Niedergang ihres Reiches vor allem im Vergleich zu den aufstrebenden sich industrialisierenden Machten Europas aufzuhalten Dies sollte durch eine umfassende Modernisierung der Regierung der Verwaltung des Militarwesens der Justiz und der Wirtschaft geschehen Durch Abschaffung des Millet Systems das den religiosen Minderheiten Sonderrechte garantierte wollte man unmittelbaren Herrschaftszugriff auf alle Untertanen erreichen Alle diese Reformen wurden oktroyiert das heisst sie bezogen ihre Legitimation allein aus dem Willen des Sultans Treibende Kraft hinter den Reformen waren die Grosswesire Mustafa Resid Pascha 1858 und spater Ali Pascha 1871 und Fuad Pascha 1869 Der amerikanische Osmanist Stanford Shaw der auch die Regierungszeit Abdulhamids II 1876 1908 als Fortsetzung der Tanzimat im engeren Sinne sieht hat sich mit dieser Periodisierung nicht durchsetzen konnen Sultan Mahmut II 1808 1839 unternahm die ersten ernsthaften Reformanstrengungen zu denen die Auflosung des Janitscharenkorps 1826 und die Abschaffung des Lehnswesens Timar 1833 1834 1844 zahlen Nach dem Amtsantritt von Abdulmecid I 1839 schaffte Mustafa Reschid Pascha die Steuerpacht Iltizam formal ab 1843 wurde eine feste Frist fur die Wehrdienstdauer eingefuhrt 1847 erhielten Christen das Recht als Zeuge vor Gericht aufzutreten 1850 wurde ein Handelsgesetz verabschiedet Die Massnahmen wurden unter dem Namen Tanzimat i Hayriye osmanisch Heilsame Neuordnung bekannt und fallen mit der Regierungszeit von Abdulmecid I 1839 1861 und Abdulaziz 1861 1876 zusammen Sie stellten die Nichtmuslime im Reich auf die gleiche Stufe mit den Muslimen und fuhrten ein neues Justizsystem ein organisierten das Steuersystem neu und legten eine allgemeine Dienstpflicht in der Armee fest Im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurden die Steuerpachten auch tatsachlich abgeschafft Die wichtigsten Reformedikte waren das Hatt i Scherif Edles Handschreiben von Gulhane 1839 das Hatt i Humayun Grossherrliches Handschreiben 1856 sowie die Verfassung von 1876 mit denen schrittweise und mit Einschrankungen 1839 lauten diese im Rahmen der Scheriatgesetze die Gleichheit und Gleichbehandlung aller Untertanen unabhangig von ihrer Religion eingefuhrt wurde Das Hatt i Serif von Gulhane 1839 BearbeitenMit dem sultanischen Erlass des Reformedikts Hatt i Serif am 3 November 1839 begann die Epoche des Tanzimat Der Erlass wurde feierlich auf dem Gelande des heutigen Gulhane Parks neben dem Istanbuler Topkapi Palast in Anwesenheit aller europaischen Botschafter verkundet Mit diesem Erlass hatte Sultan Abdulmecid I seine Absicht bekundet die Modernisierung des Osmanischen Reiches fortzusetzen 1 Dabei wurde der Schwerpunkt auf drei Punkte gelegt den Untertanen wird die volle Sicherheit ihres Lebens ihrer Ehre und Ihres Vermogens garantiert die Steuern werden gerecht und geregelt festgesetzt und eingetrieben die Wehrdienstpflichtigen werden geordnet einberufen und ihre Wehrdienstzeit wird auf funf Jahre begrenzt geregelt Bislang waren einzelne Burger willkurlich auf Lebenszeit in die Armee gezwungen worden Diese Neuregelung wurde 1843 umgesetzt Das Hatt i Humayun 1856 BearbeitenDas Hatt i Humayun Reformedikt der Hohen Pforte wurde am 18 Februar 1856 verkundet Das neue Reformedikt entwickelte die Reformen im Hatt i Scherif von Gulhane weiter Es war eine Antwort der osmanischen Regierung auf den Druck Englands Frankreichs und Osterreichs die begonnenen Reformen zu vertiefen Andernfalls ware der Friedensvertrag von Paris der den Krimkrieg beendete wohl nicht so gunstig fur das Osmanische Reich ausgefallen 2 Kern dieser Reform war die Auflosung des Millet Systems Zuvor waren alle Nichtmuslime in drei Millets Religionsgemeinschaften aufgeteilt Die orthodoxen Christen Bulgaren Griechen Serben bildeten die Millet i Rum die armenischen Christen die Millet i Arman dazu zahlten auch Kopten und Syrer und die Juden die Millet i Yahud Jede Millet unterstand der Kontrolle eines Ethnarchen nationalen Fuhrers Dieser war jeweils ein religioses Oberhaupt das dem Sultan direkt unterstellt war Ab dem Ende des 18 Jahrhunderts ubernahmen auslandische Schutzmachte die Funktion der Ethnarchen Grossbritannien burgte fur die Juden Frankreich fur die Katholiken und Russland fur die Orthodoxen Mit dem beginnenden 19 Jahrhundert wandelte sich die bisherige religionsbezogene Sicht des Millet Systems fur die Betroffenen in eine als kulturelle Minderheit erlebte Identitat eine Sichtweise die mit den Ansichten europaischer Politiker ubereinstimmte die Problematik fiel in eine Zeit der Entstehung eines sprachlichen und ethnischen Nationalismus in Europa 3 wo sich die Politik folglich auf die Einraumung von Sonderrechten fur die aus ihrer Sicht unterdruckten nichtmuslimischen Minderheiten konzentrierte Damit wurden aus Religionsgemeinschaften die unter dem Begriff der Millets im osmanischen Staatsverstandnis integriert waren schutzenswerte ethnische Minderheiten die durch soziale Ausgrenzung benachteiligt schienen Durch die Auflosung des Millet Systems erhielten alle Untertanen das osmanische Untertanenrecht Ihre Stellung als Untertanen wurde nicht indirekt uber ihre Ethnarchen bzw die auslandischen Schutzmachte legitimiert Dies schuf reale Moglichkeiten fur eine weitere Modernisierung der grundlegenden Institutionen des Osmanischen Reiches da nun allen Untertanen der Zugang zu Staatsposten ermoglicht worden war Mit der Gleichstellung aller Untertanen wurden auch kirchliche Privilegien und Immunitaten garantiert 4 Auch die Errichtung einer selbststandigen bulgarischen Kirche durch den Ferman von 1870 wird in diesem Zusammenhang gesehen Ausserdem offnete das Hatt i Humayun den Militardienst auch fur Nichtmuslime Gleichzeitig konnten sich auch Nichtmuslime durch eine neu eingefuhrte Militarbefreiungssteuer bedel i askeri بدل عسکری vom Militardienst befreien lassen Diese Praxis wurde wegen der Lange und Beschwerlichkeit des Militardienstes von den Nichtmuslimen bevorzugt andererseits aber auch vom osmanischen Staat gefordert der Nichtmuslimen im Militardienst nicht vertraute Weiterhin gestattete es Auslandern Grundbesitz im Osmanischen Reich zu erwerben offnete die Meerengen des Bosporus und der Dardanellen fur die zivile Schifffahrt und schaffte die Folter ab Es folgten das Gesetz uber den Boden 1858 das Verwaltungsgesetz Vilayet 1864 und das Zivilgesetzbuch Mecelle 1869 Am 23 Dezember 1876 wurde vom Sultan durch Dekret die Verfassung erlassen die erstmals eine Beschrankung der Macht des Sultans durch ein Parlament in zwei Kammern vorsah deren eine die Abgeordnetenkammer aus Wahlen hervorging Das Parlament wurde allerdings nach dem Russisch Osmanischen Krieg 1877 1878 von Abdulhamid II wieder geschlossen und bis zur jungturkischen Revolution von 1908 nicht wieder einberufen Die Verfassung blieb allerdings formell in Kraft die nicht das Parlament betreffenden Vorschriften wurden weiter angewendet Handel BearbeitenMit den von den Machten eingeforderten Reformen gingen auch bedingt durch die industrielle Ruckstandigkeit zunehmend wirtschaftliche Probleme einher In den seit 1536 bestehenden Handelsvertragen mit den europaischen Machten den sogenannten Kapitulationen wurde ihnen der Markt des Osmanischen Reichs geoffnet Die Einfuhrzolle lagen unter den Ausfuhrzollen Durch die mangelnde Wettbewerbsfahigkeit des osmanischen Handwerks wurde das Osmanische Reich zum Exporteur von Rohstoffen und Importeur von europaischen Waren Seit dem 1838 mit Grossbritannien geschlossenen Vertrag von Balta Liman dessen Freihandelsprivilegien in den Folgejahren auf alle anderen europaischen Staaten ausgedehnt wurde und insbesondere seit dem Hatt i Humayun von 1856 wurde das Osmanische Reich mit billigen Manufakturwaren aus Europa geradezu uberschwemmt Es sank auf einen halbkolonialen Status als Absatzmarkt und Rohstoffquelle der Industrielander herab 5 Literatur BearbeitenEdouard Engelhardt La Turquie et le Tanzimat ou histoire des reformes dans l Empire Ottoman depuis 1826 jusqu a nos jours 2 Bande Cotillon Paris 1882 1884 Nora Lafi Une ville du Maghreb entre ancien regime et reformes ottomanes Genese des institutions municipales a Tripoli de Barbarie 1795 1911 L Harmattan Paris 2002 ISBN 2 7475 2616 X Nora Lafi Hrsg Municipalites mediterraneennes Les reformes municipales ottomanes au miroir d une histoire comparee Moyen Orient Maghreb Europe meridionale Zentrum Moderner Orient Studien Band 21 K Schwarz Berlin 2005 ISBN 3 87997 634 1 Lord Kinross d i John Patrick Douglas Balfour Kinross The Ottoman Centuries The Rise and Fall of the Turkish Empire Morrow New York NY 1977 ISBN 0 688 08093 6 Marcin Marcinkowski Die Entwicklung des Osmanischen Reiches zwischen 1839 und 1908 Reformbestrebungen und Modernisierungsversuche im Spiegel der deutschsprachigen Literatur Schwarz Berlin 2007 ISBN 978 3 87997 342 2 Digitalisat Josef Matuz Das Osmanische Reich Grundlinien seiner Geschichte 2 unveranderte Auflage Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1990 ISBN 3 534 05845 3 Donald Quataert The Ottoman Empire 1700 1922 New Approaches to European History Band 17 Cambridge University Press Cambridge u a 2000 ISBN 0 521 63328 1 Thomas Scheben Verwaltungsreformen der fruhen Tanzimatzeit Gesetze Massnahmen Auswirkungen Von der Verkundigung des Ediktes von Gulhane 1839 bis zum Ausbruch des Krimkrieges 1853 Europaische Hochschulschriften Reihe 3 Geschichte und ihre Hilfswissenschaften Band 454 Lang Frankfurt am Main u a 1991 ISBN 3 631 43302 6 Zugleich Mainz Universitat Dissertation 1988 Tunay Surek Die Verfassungsbestrebungen der Tanzimat Periode Das Kanun i Esasi die osmanische Verfassung von 1876 Rechtshistorische Reihe 462 PL Academic Research Frankfurt am Main u a 2015 ISBN 978 3 631 66899 3 Michael Ursinus Regionale Reformen im Osmanischen Reich am Vorabend der Tanzimat Reformen der rumelischen Provinzialgouverneure im Gerichtssprengel von Manastir Bitola zur Zeit der Herrschaft Sultan Mahmuds II 1808 39 Islamkundliche Untersuchungen Band 73 Schwarz Berlin 1982 ISBN 3 922968 17 1 Digitalisat Anmerkungen Bearbeiten Text bei Andreas Meier Hrsg Der politische Auftrag des Islam Programme und Kritik zwischen Fundamentalismus und Reformen Originalstimmen aus der islamischen Welt Peter Hammer Verlag Wuppertal 1994 ISBN 3 87294 616 1 S 54 60 In Deutsch zuerst Wien 1919 Josef Matuz Das Osmanische Reich Grundlinien seiner Geschichte Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1985 ISBN 3 534 05845 3 S 230 Der Text des Edikts in deutscher Ubersetzung findet sich in Andreas Meier Hrsg Der politische Auftrag des Islam Programme und Kritik zwischen Fundamentalismus und Reformen Originalstimmen aus der islamischen Welt Peter Hammer Verlag Wuppertal 1994 ISBN 3 87294 616 1 S 60 65 Erste deutsche Fassung Wien 1919 Ilber Ortayli The Problem of Nationalities in the Ottoman Empire following the second Siege of Vienna In Gernot Heiss Grete Klingenstein Hrsg Das Osmanische Reich und Europa 1683 bis 1783 Konflikt Entspannung und Austausch Wiener Beitrage zur Geschichte der Neuzeit Band 10 Oldenbourg Munchen 1983 ISBN 3 486 51911 5 S 223 236 Helmuth Scheel Die staatsrechtliche Stellung der okumenischen Kirchenfursten in der alten Turkei Ein Beitrag zur Geschichte der turkischen Verfassung und Verwaltung Abhandlungen der Preussischen Akademie der Wissenschaften Philosophisch Historische Klasse Jg 1942 Nr 9 ZDB ID 210015 0 Verlag der Akademie der Wissenschaften Berlin 1945 S 10 Josef Matuz Das Osmanische Reich Grundlinien seiner Geschichte Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1985 ISBN 3 534 05845 3 S 231 f Normdaten Sachbegriff GND 4184443 9 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Tanzimat amp oldid 234613483