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Das Millet System osmanisch ملت war eine religios definierte Rechtsordnung im Osmanischen Reich Im Laufe seines 600 jahrigen Bestehens entwickelte sich das Osmanische Reich zu einem multikonfessionellen Gemeinwesen in dem das Millet System die auf dem islamischen Recht beruhende Rechtsordnung fur den Status nichtmuslimischer Religionsgemeinschaften regelte Sie hatten Anspruch auf den Schutz des Sultans wofur sie besondere Steuerleistungen zu entrichten hatten die Dschizya Der Sultan wickelte jeglichen Kontakt mit seinen Untertanen dem theokratischen System des Islam folgend uber deren religios kirchliche Fuhrung ab ihr oblag der Steuereinzug und deren Ablieferung Uber die Kirchenorganisationen entstanden Autonomiebereiche auf wirtschaftlichem rechtlichem und administrativem Gebiet die der kirchlichen Regie unterlagen Infolgedessen wurden nicht mehr ethnische Bindungen ausschlaggebend sondern die Zugehorigkeit zur gleichen Religionsgemeinschaft In osmanischer Zeit wurden in Sudosteuropa kirchliche Abgrenzungen zu den Voraussetzungen fur die Ausbildung eines spateren politischen und nationalen Bewusstseins Inhaltsverzeichnis 1 Begriffe 2 Geschichte der nicht muslimischen Glaubensgemeinschaften in osmanischer Zeit 3 Millets 3 1 Orthodoxe Millet 3 2 Armenische Millets 3 3 Judische Millet 4 Das Ende des Millet Systems 4 1 Die Tanzimat Reformen 4 2 Das Ende 5 Literatur 6 Weitere Quellen 7 EinzelnachweiseBegriffe BearbeitenDer arabische Begriff milla ملة Pl milal ملل der in das Osmanische ubernommen wurde bedeutet Religionsgemeinschaft Die Bevolkerung war entsprechend ihrer Religionszugehorigkeit in sogenannte Millets organisiert Die Anhanger judischen Glaubens im Osmanischen Reich wurden zum Beispiel Teil des Abraham milleti diejenigen christlich orthodoxen Glaubens des Rum milleti Judische und christliche Untertanen wurden entsprechend dem islamischen Recht Dhimmis genannt d h Schutzbefohlene die uber eine eigene Heilige Schrift verfugen Bei Fragen und Streitigkeiten die sowohl muslimische als auch christliche Untertanen betrafen galt das islamische Recht die Scharia Die muslimischen Gemeinschaften des Osmanischen Reiches bildeten die Umma eine gesamtislamische osmanische Glaubensgemeinschaft Der Sultan war zugleich Kalif Das osmanische Gesetz kannte Begriffe wie Volkszugehorigkeit oder Staatsburgerschaft nicht so dass die Rechte und Privilegien eines Moslems von seiner ethnischen Zugehorigkeit unabhangig waren Glaubensrichtungen wie Schiiten Alawiten Aleviten und Jesiden genossen keinen besonderen rechtlichen Status Nur die synkretistischen Drusen von Dschebel ad Duruz und aus dem Libanongebirge genossen eine gewisse feudale Autonomie Geschichte der nicht muslimischen Glaubensgemeinschaften in osmanischer Zeit BearbeitenDie Eroberung von Konstantinopel 1453 durch die Osmanen bedeutete das Ende des Ostromischen Reiches Der Bischof von Konstantinopel der sein Amt auf den Apostel Andreas zuruckfuhrte war seit 381 Patriarch und hatte mehr als ein Jahrtausend lang bis zur Eroberung der Stadt eine herausgehobene Stellung inne 1453 setzte Mehmed II einen griechischen Patriarchen ein Gennadios Scholarios konnte weiter in der Stadt verbleiben die Hagia Sofia wurde ihm aber genommen und zur Moschee umgebaut was sie bis 1932 blieb und seit 2020 wieder ist Dazwischen war sie ein Museum Die Hagios Georgios Basilika im Stadtteil Phanar dem Griechenviertel am Sultanshof wurde neuer Sitz des Patriarchen Er wurde Ethnarch aller orthodoxen Christen erhielt Jurisdiktionsrechte und Einfluss auf die Kirchenprovinzen auf dem Balkan und im Orient Funf Jahre spater setzte Mehmed II auch einen armenischen Patriarchen ein Die griechische und die armenische Kirche wurden in den Staatsapparat integriert Es waren die bevolkerungsreichsten Kirchen 1556 wurde das serbisch orthodoxe Patriarchat mit Sitz in Pec im Kosovo das seine kirchliche Unabhangigkeit 1459 verloren hatte wiederbegrundet Es umfasste Serbien Montenegro Bosnien Herzegowina Kroatien den Norden Mazedoniens und Sudostbulgarien sowie Ungarn und Siebenburgen Christliche Gemeinschaften hielten sich in ganz Syrien und im Nordirak Andere christliche Gruppen die nicht so fest wie die griechische und armenische Kirche eingebunden wurden waren Sekten die als Folge von Kontroversen uber die Natur Christi entstanden waren die Nestorianer in Sudostanatolien und die monophysitischen agyptischen Kopten In Syrien gab es die Jakobiten und die Maroniten des Libanon die seit der Zeit der Kreuzfahrer das Supremat des Papstes anerkannten Das Judentum war noch erheblich weiter verbreitet vom Maghreb bis zum Fruchtbaren Halbmond 1 Juden spielten eine wichtige Rolle in Handel Produktion Geldwesen und Medizin Die nicht muslimischen Glaubensgemeinschaften des Osmanischen Reiches wurde durch das Millet System neu organisiert Es sicherte den im Reich lebenden Christen und Juden bestimmte Rechte zu im Gegenzug wurde den Angehorigen dieser Religionsgemeinschaften den Schutzbefohlenen das Tragen von Waffen untersagt Es gab eine Reihe von diskriminierenden Vorschriften und Verboten z B das Verbot bestimmter Reittiere 2 Millets BearbeitenDas Millet System hatte seine Wurzeln in der Fruhzeit des Islam beziehungsweise konkreter in den Vertragen der arabischen Eroberer die diese mit den von ihnen unterworfenen Gebieten schlossen Die Nicht Muslime wurden Schutzbefohlene Sie erhielten seitens der neuen muslimischen Herrscher die Zusicherung ihre Religion innerhalb eines bestimmten Rahmens frei ausuben zu durfen sowie deren Schutz vor inneren und ausseren Feinden Von den Schutzbefohlenen wurde dafur erwartet dass sie die muslimische Herrschaft anerkennen und an den Staat eine Kopfsteuer zahlen Andererseits galten fur die Nicht Muslime eine Reihe von Einschrankungen Das Reiten eines Pferdes und das Tragen von Waffen war ihnen ebenso untersagt wie die Errichtung neuer Gebetshauser oder das Renovieren oder Erweitern bestehender Einrichtungen ohne einer entsprechenden Genehmigung Auch Kleidervorschriften waren seitens der Schutzbefohlenen einzuhalten In der Offentlichkeit mussten sie stets Zuruckhaltung uben 3 Die Gebetsstatten der anderen Religionen durften die islamischen in keiner Weise uberragen Die Konversion eines Muslims zu einer der anderen Religion war strengstens verboten Die Millet war eine Religionsgemeinschaft die innerhalb des Osmanischen Reiches einen hohen Grad an Autonomie besass sodass innerhalb dieser Gemeinschaft die jeweiligen Regeln der eigenen Religion galten Das Oberhaupt einer Millet galt als Verantwortlicher fur seine Mitglieder In seinen Zustandigkeitsbereich fiel vor allem die Einhaltung der offentlichen Ordnung sowie das Eintreiben der zu zahlenden Kopfsteuer aber auch Geburten Todesfalle Heiraten Gesundheitsvorsorge Schulen usw 4 Zur Gruppe der Schutzbefohlenen zahlten allerdings nicht alle Angehorige einer nicht muslimischen Religion sondern lediglich diejenigen einer monotheistischen Religion welche wie auch der Islam eine oder mehrere heilige Schriften besass Die Anhanger polytheistischer Religionen oder von Religionen ohne eine heilige Schrift waren von diesen Regeln ausgenommen In der Regel galten drei oder vier Millets als offiziell anerkannt die muslimische Millet die orthodoxe Millet die armenische Millet und womoglich die judische Millet 5 Die Anerkennung als Millet beruhte auf gesonderte Vereinbarungen zwischen den nicht muslimischen Religionsgemeinschaften und dem osmanischen Staat uber den allgemeinen rechtlichen Status der betreffenden Gemeinschaft sowie die Rechtsprechungskompetenz ihrer religiosen Gerichte 6 Die Millets waren dazu befugt in ihrem jeweiligen Zustandigkeitsbereich eigene Gesetze und Steuern festzulegen Hierbei standen sie in fester Loyalitat zum Osmanischen Reich Wenn ein Mitglied einer Millet ein Verbrechen gegen das Mitglied einer anderen verubte trat das Gesetz der verletzten Partei in Kraft Aber die herrschende islamische Mehrheit behielt stets die Oberhand so unterlagen Streitfalle in die Muslime verwickelt waren in der Regel der Scharia 1829 wurde ein uniertes syrisch katholisches Patriarchat vom osmanischen Staat anerkannt aber noch nicht ausdrucklich als neue Millet definiert Der Patriarch wahlte Aleppo als Residenzstadt und zog 1850 nach Mardin Nach dem Ersten Weltkrieg fand dieses Patriarchat 1922 in Beirut eine neue Heimat 7 Orthodoxe Millet Bearbeiten Die Millet der orthodoxen Christen ist ebenfalls bekannt unter dem Namen Rum Millet rum milleti Diese Bezeichnung leitet sich aus den Begriffen romisch bzw Rhomaer 8 ab den das Byzantinische Reich das sich als Nachfolger des Romischen Reiches verstand fur sich reklamierte Im Nahen Osten waren die orthodoxen Christen bereits vor den osmanischen Eroberungen zahlenmassig eine Minderheit Im osmanischen Sudosteuropa hingegen stellten sie mit der Zeit beinahe oder gar tatsachlich die Mehrheit der Bevolkerung 9 Ins Leben gerufen wurde die orthodoxe Millet im Jahr 1454 ein Jahr nach der Eroberung Konstantinopels durch das osmanische Heer Der Eroberer von Konstantinopel Sultan Mehmed II setzte Gennadios Scholarios einen Bischof und prominenten Gegner einer Kirchenunion mit Rom als Patriarchen der Stadt ein und erkannte ihn gleichzeitig als Religionsfuhrer millet basi aller orthodoxen Christen im Osmanischen Reich an Der Patriarch wie auch alle anderen christlichen Wurdentrager hatte fortan mit seinem Leben fur seine und die Loyalitat der orthodox christlichen Untertanen des Reiches zu burgen 10 Ausserdem waren die orthodoxe Kirche und ihr Kirchenfuhrer dafur verantwortlich dass deren Glaubigen ihren Verpflichtungen gegenuber dem osmanischen Staat nachkamen und ihre Sondersteuern entrichteten Der orthodoxe Klerus war hingegen von diesen Steuern befreit Die Institution des Religionsfuhrers war demnach eng mit der Politik verbunden Der millet basi nahm buchstablich eine Mittlerfunktion zwischen seiner Millet und dem osmanischen Herrschaftssystem ein Unter Mehmed II wurde es ausserdem gang und gabe jeden neuen Patriarchen gegen eine gewisse Geldsumme als solchen anzuerkennen Diese Summe belief sich anfangs noch auf 1 000 Goldstucken stieg im Laufe der nachsten 100 Jahre jedoch auf 100 000 da die Sultane das Amt immer an den Hochstbietenden verliehen Dank dieser Praxis wechselte im 17 Jahrhundert der Vorsitz des Patriarchen ganze siebenundfunfzig Mal Einige Bewerber ubernahmen diesen mehrmals Kyrillos Loukaris gar siebenmal 11 Als im 16 Jahrhundert die Patriarchate von Antiochien Jerusalem und Alexandria ebenfalls unter osmanische Herrschaft kamen waren diese dem Patriarchat in Konstantinopel theoretisch gleichgestellt Alsbald erlangte jedoch das Patriarchat in Konstantinopel die Vormachtstellung nicht nur weil es sich in der Hauptstadt befand sondern weil es sich den osmanischen Herrschern als verlasslicher Partner erwiesen hatte 12 Ihre inneren Angelegenheiten betreffend genoss die orthodoxe Kirche einen gewissen Grad an Unabhangigkeit und Selbststandigkeit und ubernahm in Hinblick auf die orthodoxen Untertanen quasistaatliche Funktionen Sie verwaltete die zivilrechtlichen Belange ihrer Religionsgemeinschaft und ubte die Zivilgerichtsbarkeit aus Die Kirche ubernahm also auch Aufgaben der Rechtsprechung jedoch nur solange keine Muslime involviert waren Viele Funktionen die zuvor im Byzantinischen Reich oder den orthodoxen Balkanstaaten des Mittelalters der Staat ausubte und nach modernem Verstandnis auch heute von diesem ausgeubt werden galten im Osmanischen Reich als Angelegenheiten der Kirche 13 Fur die orthodoxen Balkanchristen die sehr unterschiedliche Idiome sprachen stellte die gemeinsame Religion lange Zeit einen einigenden Faktor dar Denn unabhangig von ihrer Muttersprache ehrten sie dieselben Kloster und besuchten dieselben Wallfahrtsorte Wahrend des 18 Jahrhunderts hatte die Aufklarung einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Intelligenzia der Rum Millet Dieser aber auch andere Faktoren begunstigten die baldige Entstehung und Verbreitung national gesinnter untereinander konkurrierender Ideologien Wurde etwa bis in die 1760er Jahre hinein in den Kirchen des heutigen Makedoniens und Bulgariens etwa noch das Kirchenslawische genutzt so setzte ab dem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts allmahlich eine Dominanz des Griechischen als Kirchensprache ein Dies war eine direkte Konsequenz phanariotischer Agitation setzten sich die Phanarioten doch massiv dafur ein das Griechische als einzig legitimes Idiom fur die Kommunikation mit Gott zu etablieren 14 Im nun anbrechenden Zeitalter der Nationalbewegungen trat die orthodoxe Kirche gespalten ein Auf der einen Seite befand sich die phanariotische griechischsprachige Oberschicht die sich zudem auch allgemein als Teil der osmanischen Oberschicht verstand Auf der anderen Seite war der niedere sudslawischsprachige Klerus der einen wichtigen Platz innerhalb der Nationalbewegungen einnahm 15 Der zunehmende Antagonismus zwischen beiden Gruppierungen im 19 Jahrhundert fuhrte vermehrt zur Produktion der Bibel in kirchenslawischer russischer und bulgarischer Sprache Die sprachliche Dominanz des Griechischen bzw die kulturelle Dominanz der Phanarioten wurde mit der Verbreitung und Festigung nationalen Gedankenguts insbesondere in der zweiten Halfte des 19 Jahrhunderts aufgebrochen Die Anerkennung nationaler Kirchen der serbischen bulgarischen usw im Laufe des 19 Jahrhunderts besiegelte die Aufteilung der einst einheitlichen orthodoxen Millet So entstand 1870 nach der Wiederbegrundung der Bulgarischen Kirche ein eigenstandiges bulgarisches Millet Eksarhhane i Millet i Bulgar 16 In den nach 1878 beim Osmanischen Reich verbliebenen Gebieten allen voran in Makedonien stritten die verschiedenen orthodoxen Kirchen im Dienste der jeweiligen Nation fortan unerbittlich um die nationale Zugehorigkeit der dortigen Orthodoxen Armenische Millets Bearbeiten Das armenische Volk das eine bedeutende Rolle in der Politik Armee und Wirtschaft sowohl im Byzantinischen Reich als auch spater im Osmanischen Reich gespielt hatte wurde als Armenische Kirche im Jahr 1461 von Sultan Mehmet II anerkannt 17 Die Armenier waren zunachst als armenisch apostolische Glaubensgemeinschaft vom Staat anerkannt Durch den Friedensvertrag von Adrianopel 1829 erlangten die armenischen Katholiken die Garantie der Religionsfreiheit und Anerkennung als vom armenisch apostolischen Patriarchat unabhangige armenisch unierte Millet Noch 1828 fand im Gefolge der Schlacht von Navarino eine Katholikenverfolgung statt in deren Rahmen 12 000 armenische Katholiken als frankische Spione mitten im Winter aus Konstantinopel nach Ankara vertrieben wurden 1831 wurden schliesslich alle katholischen Konfessionen des Osmanischen Reiches unter der Obrigkeit des armenisch unierten Bischofs zu einer eigenstandigen Millet zusammengeschlossen Im Jahre 1850 wurden die armenischen Protestanten offiziell als Glaubensnation anerkannt Judische Millet Bearbeiten Die osmanischen Juden waren keine homogene Gruppe sondern lebten als integrierte und von der islamischen Bevolkerung akzeptierte Minderheit in unterschiedlichen kulturellen und sozialen Milieus 18 Sie genossen ahnliche Privilegien wie die Phanarioten die teilweise umfangreichsten Freiheiten in der judischen Geschichte Die altesten Juden waren die einheimischen Griechisch sprechenden Romanioten Fruhe judische Einwanderer meist Aschkenasim kamen aus Nordeuropa Sie wurden Ende des 15 Jahrhunderts durch die Einwanderung der Sephardim aus Sudeuropa zahlenmassig weit ubertroffen die sich vorrangig in Istanbul Saloniki Smyrna auf der anatolischen Hochebene und dem Balkan niederliessen Die Juden aus Europa brachten bedeutende Kenntnisse in der Medizin sowie im Buhnenhandwerk und in der Druckerkunst mit Erst im 18 Jahrhundert wurde die erste turkische Druckerpresse in Betrieb genommen Im 19 Jahrhundert wurde das Millet System das in erster Linie fur die griechischen und armenischen Gemeinden entwickelt worden war in ahnlicher Form auf die judischen Gemeinden erweitert Zu Anfang des 20 Jahrhunderts beherrschten osmanische Juden zusammen mit Armeniern und Griechen den Handel im gesamten Osmanischen Reich Sie waren als Millet anerkannt und unterstanden ihrem hahambasi dem Oberrabbiner der mit vergleichbaren Privilegien wie das Oberhaupt der griechischen oder armenischen Kirchen ausgestattet war Das Ende des Millet Systems BearbeitenMit dem beginnenden 19 Jahrhundert war das Osmanische Reich nur noch ein Schatten seiner selbst Politische und soziale innere Unruhen militarische Niederlagen und wachsende Einflussnahme durch die europaischen Machte verschlechterten die sozialen Lebensbedingungen der Bewohner des Osmanischen Reiches drastisch 19 Die steigende Macht der christlichen Welt und die Ideen der Franzosischen Revolution losten bei den christlichen Untertanen des Osmanischen Reiches eine Welle der Unzufriedenheit aus Die bauerlichen Nichtmuslime als schwachstes Glied der sozialen Rangfolge militarisch jedermann ausgeliefert sahen die Alternativen Entweder die Ubersiedlung in die sicheren Stadte oder ein Hilfegesuch an die europaische Machte mit der Bitte um militarischen Schutz Die bisherige religionsbezogene Sicht des Millet Systems anderte sich fur die Betroffenen in eine als kulturelle Minderheit erlebte Identitat eine Sichtweise die mit den Ansichten europaischer Politiker ubereinstimmte die Problematik fiel in eine Zeit der Entstehung eines sprachlichen und volkischen Nationalismus in Europa 20 wo sich die Politik folglich auf die Einraumung von Sonderrechten fur die aus ihrer Sicht unterdruckten nichtmuslimischen Minderheiten konzentrierte Damit wurden aus Religionsgemeinschaften die unter dem Begriff der Millets im osmanischen Staatsverstandnis integriert waren schutzenswerte ethnische Minderheiten die durch soziale Ausgrenzung benachteiligt wurden Die Tanzimat Reformen Bearbeiten Die Osmanische Regierung suchte den Gefahren des ethnisch nationalen Separatismus durch eine Reform des Millet Systems zu begegnen und setzte eine allmahliche Entmachtung der Geistlichkeit in den Millets durch Im Zuge der Tanzimat Reformen verfugte die Osmanische Regierung im Hatt i humayun kaiserliches Handschreiben vom 18 Februar 1856 die Gleichstellung aller osmanischen Untertanen und die Garantie kirchlicher Privilegien und Immunitaten 21 was die Nichtmuslime nicht nur rechtlich gleichstellte was islamrechtlich im Ubrigen als grober Verstoss der Anwendung der Rechtsdogmen galt sondern auch eine Sonderstellung schuf die sich mit der zunehmenden Beeinflussung durch europaische Machte standig ausweitete Die europaischen Machte vor allem Grossbritannien und Frankreich waren nicht nur am Schutz der christlichen Untertanen des Osmanischen Reichs interessiert Realpolitisch suchten sie die Sudexpansion Russlands zu bremsen und dieses Ziel konnten sie nur erreichen wenn sie die Desintegration des Osmanischen Reiches verhinderten So forderten sie die Reformpolitik weil diese auch aus ihrer Sicht eine Stabilisierungsstrategie war Die Reformen stiessen innerhalb der Millets keineswegs auf uneingeschrankten Beifall Vor allem der Klerus der griechisch orthodoxen Kirche furchtete sowohl wegen der in der Deklaration sich ankundigenden Sakularisierung als auch wegen der Gleichstellung die seine Privilegien im traditionellen Millet System gefahrdeten den Verlust seiner hergebrachten Position und damit eine Verschlechterung der eigenen Lage 22 Die Millet Reform war auch fur die osmanische Regierung kontraproduktiv weil sie den politischen Aufstieg des ethnisch national gesinnten Burgertums in den christlichen Untertanengemeinschaften begunstigte Diese Entwicklung leistete den Unabhangigkeitskriegen auf dem Balkan Vorschub bestarkte sie doch den Wunsch aus dem osmanischen Staatsverband auszutreten Andererseits kam es aber auch zu einem breiten sozialen Aufstieg stadtischer Nichtmuslime in Wirtschaft und Verwaltung die bald ahnlich wie der Klerus einen Verlust ihrer neu errungenen Privilegien furchteten Die muslimische Bevolkerung wiederum erlebte diese Entwicklungen nun selbst als Vertreibung und Verdrangung insbesondere in der Zusammenarbeit mit europaischen Kaufleuten und Staaten Das Ende Bearbeiten Zu den gravierendsten Reformhindernissen gehorte das durftige Wissen der Regierung uber die meisten Regionen ihres Reiches Von vielen Gebieten gab es nicht einmal genaue Landkarten 23 Der Nationalstaatsgedanke setzt die prinzipielle Gleichheit aller Burger voraus Die turkische Elite hatte jedoch den Anspruch nie aufgegeben die herrschende Volksgruppe Millet i Hakime werde durch die Zugehorigkeit zum Islam und zum turkischen Volkstum definiert Diese Tendenz wurde durch den im spaten 19 Jahrhundert aufkommenden Panturkismus ausgeweitet II 162f Mit dem Untergang des Osmanischen Reiches verabschiedete sich die neue laizistische Republik vom Millet System Spater unter jungturkischer Herrschaft und in der Republik Turkei begann eine zunehmende Ablehnung von Minderheiten auf osmanischem und turkischem Boden Die Republik hatte seit dem schmachvollen Niedergang des Osmanischen Reiches eine panische Angst vor Minderheiten und hegte ihnen gegenuber ein tiefes Misstrauen denn sie glaubte nicht mehr an deren Loyalitat 24 Literatur BearbeitenFikret Adanir Der Zerfall des Osmanischen Reiches In Alexander Demant Hrsg Das Ende der Weltreiche Von den Persern bis zur Sowjetunion Beck Munchen 1997 ISBN 3 406 41850 3 S 108 128 Benjamin Braude Bernard Lewis Hrsg Christians and Jews in the Ottoman Empire The functioning of a plural society Teil 2 The Arabic speaking lands Holmes amp Meier New York NY u a 1982 ISBN 0 8419 0520 7 Youssef Courbage Philippe Fargues Christians and Jews under Islam Translated by Judy Mabro Tauris London u a 1997 ISBN 1 86064 013 3 Yavuz Ercan Osmanli Yonetiminde Gayrimuslimler Kurulustan Tanzimat a kadar Sosyal Ekonomik ve Hukuki Durumlari Die Nichtmuslime in der osmanischen Verwaltung Soziale wirtschaftliche und rechtliche Lage von der Grundung bis zur Tanzimat Turhan Ankara 2001 ISBN 975 6809 59 0 Turk kulturu dizisi Arastirmalar incelemeler 2 Bilal Eryilmaz Osmanli Devletinde Gayrimuslim Teb anin Yonetimi Die Verwaltung der nichtmuslimischen Untertanen im Osmanischen Reich Risale Istanbul 1990 Risale yayinlari 50 S 215 218 Caglar Keyder Bureaucracy and Bourgeoisie Reform and Revolution in the Age of Imperialism In Review XI 2 Spring 1988 S 151 165 Elcin Kursat Der Verwestlichungsprozess des Osmanischen Reiches im 18 und 19 Jahrhundert Zur Komplementaritat von Staatenbildungs und Intellektualisierungsprozessen 2 Bande IKO Verlag Frankfurt am Main u a 2003 ISBN 3 88939 683 6 ZwischenWelten 7 1 2 Zugleich Hannover Univ Habil Schr 1999 Bernard Lewis Die Juden in der islamischen Welt Vom fruhen Mittelalter bis ins 20 Jahrhundert Beck Munchen Beck 1987 ISBN 3 406 32037 6 passim Bernard Lewis Stern Kreuz und Halbmond 2000 Jahre Geschichte des Nahen Ostens Piper Munchen u a 1997 S 302 ISBN 3 492 03541 8 Nicola Melis Il concetto di gihad In Patrizia Manduchi Hrsg Dalla penna al mouse Gli strumenti di diffusione del concetto di gihad Angeli Mailand 2006 ISBN 88 464 7835 5 Temi di storia 83 S 23 54 Nicola Melis Lo statuto giuridico degli ebrei dell Impero Ottomano In Martino Contu Nicola Melis Giovannino Pinna Hrsg Ebraismo e rapporti con le culture del Mediterraneo nei secoli XVIII XX Atti del Convegno storico internazionale Ebraismo e rapporti con le culture del Mediterraneo nei secoli 18 20 Villacidro Cagliari 12 13 aprile 2002 Giuntina Florenz 2003 ISBN 88 8057 183 4 Nicola Melis Trattato sulla guerra Il Kitab al gihad di Molla Husrev Aipsa Cagliari 2002 ISBN 88 876 3640 0 Master Fatih Ozturk The Ottoman millet system In Guneydogu Avrupa Arastirmalari Dergisi Band 16 2009 S 71 86 online auf Englisch Rudi Paret Toleranz und Intoleranz im Islam In Saeculum 21 1970 ISSN 0080 5319 S 344 365 Ernest Edmondson Ramsaur Young Turks prelude to the revolution of 1908 2 edition Sander Yayinlari Istanbul 1982 S 40 41 Anm 30 Mesveret Paris 3 Dezember 1895 Irwin Cemil Schick Osmanlilar Azinliklar ve Yahudiler Osmanen Minoritaten und Juden In Tarih ve Toplum 29 Mayis 1986 S 34 42 Michael Ursinus Zur Diskussion um millet im Osmanischen Reich In Sudost Forschungen 48 1989 ISSN 0081 9077 S 195 207 Elizabeth A Zachariadou Co Existence and Religion In Archivum Ottomanicum 15 1997 ISSN 0378 2808 S 119 129 Weitere Quellen BearbeitenYohanan Friedman Classification of Unbelievers in Sunni Muslim Law and Tradition In Jerusalem Studies in Arabic and Islam 22 1998 ISSN 0334 4118 S 163 198 Kamral Ekbal Toleranz ein Grundprinzip im Islam In Gewissen und Freiheit 19 Nr 36 1991 ISSN 0259 0379 S 67 73 Adel Theodor Khoury Christen unterm Halbmond Religiose Minderheiten unter der Herrschaft des Islam Herder Freiburg 1994 ISBN 3 451 22851 3 Albrecht Noth Moglichkeiten und Grenzen islamischer Toleranz In Saeculum 29 1978 2 ISSN 0080 5319 S 190 204 Christian Rumpf Minderheiten in der Turkei und die Frage nach ihrem rechtlichen Schutz In Zeitschrift fur Turkeistudien 6 2 1993 ISSN 0934 0696 S 173 209 Einzelnachweise Bearbeiten Haim Hillel Ben Sasson Geschichte des judischen Volkes Band 2 Vom 7 bis zum 17 Jahrhundert C H Beck Munchen 1979 ISBN 3 406 07222 4 S 300 302 Esel waren erlaubt fur die Kleidung durfte nur grob gewebter Stoff verwendet werden Muslimen musste Platz gemacht werden etc Vgl dazu die Dissertation von Karl Binswanger Untersuchungen zum Status der Nichtmuslime im Osmanischen Reich des 16 Jh Mit einer Neudefinition des Begriffs Dhimma Munchen 1977 Kramer Heinz Reinkowski Markus Die Turkei und Europa Eine wechselhafte Beziehungsgeschichte Stuttgart 2008 S 60 61 Merten Kai Untereinander nicht nebeneinander Das Zusammenleben religioser und kultureller Gruppen im Osmanischen Reich des 19 Jahrhunderts Berlin u a 2014 S 11 Merten Kai Untereinander nicht nebeneinander Das Zusammenleben religioser und kultureller Gruppen im Osmanischen Reich des 19 Jahrhunderts Berlin 2014 S 11 Gunzel Angelika Religionsgemeinschaften in Israel Rechtliche Grundstrukturen des Verhaltnisses von Staat und Religion Tubingen 2006 S 9 Stiftung Pro Oriente Hans Dieter Dopmann Religion und Gesellschaft in Sudosteuropa In Hans Dieter Dopmann Hrsg Religion und Gesellschaft in Sudosteuropa Munchen 1997 S 15 Victor Roudometof Globalization and Orthodox Christianity The Transformations of a Religious Tradition London New York 2014 S 69 Nikolaos Komnenos Hlepas Ein romantisches Abenteuer Nationale Revolution moderne Staatlichkeit und bayerische Monarchie in Griechenland In Alexander Bormann Hrsg Ungleichzeitigkeiten der Europaischen Romantik Wurzburg 2006 S 169 Hans Dieter Dopmann Die orthodoxen Kirchen in Geschichte und Gegenwart Frankfurt am Main u a 2010 S 58 Kemal H Karpat Studies on Ottoman Social and Political History Selected Articles and Essays Leiden u a 2002 S 587 Aleksandra Pistalo Religionsrecht in Serbien Tubingen 2013 S 15 Keith Brown The Macedonian Question In Imogen Bell Hrsg Central and South Eastern Europe 2003 3 Auflage London 2002 S 51 Klaus Buchenau Orthodoxie und Katholizismus in Jugoslawien 1945 1991 Ein serbisch kroatischer Vergleich Wiesbaden 2004 S 44 Vgl Artikel Bulgarian Millet in der englischsprachige Wikipedia S Shaw History of the Ottoman Empire and Modern Turkey Volume I Empire of Gazis The Rise and Decline of the Ottoman Empire 1202 1808 S 152 Sophie Wagenhofer Die Osmanischen Juden im Blickwinkel europaischer Reisender des 16 Jahrhunderts PDF Datei 1 2 Vorlage Toter Link geku oei fu berlin de Seite nicht mehr abrufbar festgestellt im Mai 2019 Suche in Webarchiven nbsp Info Der Link wurde automatisch als defekt markiert Bitte prufe den Link gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis Matuz Josef Das Osmanische Reich Darmstadt 1985 S 203 ff Ortayli Ilber The Problem of Nationalities in the Ottomen Empire follwowings the secend Siege of Vienna In Das Osmanische Reich und Europa 1683 bis 1783 Konflikt Entspannung und Austausch Hrsg Heis Klingenstein Munchen 1983 S 223 236 Helmuth Scheel Die staatsrechtliche Stellung der okumenischen Kirchenfursten in der alten Turkei S 10 Elcin Kursat Der Verwestlichungsprozess des Osmanischen Reiches im 18 und 19 Jahrhundert S 161 Elcin Kursat Der Verwestlichungsprozess des Osmanischen Reiches im 18 und 19 Jahrhundert S 162 Cem Ozdemir Die Stadt meiner Mutter Memento des Originals vom 3 Februar 2006 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www oezdemir de Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Millet System amp oldid 237150640