Der Ferman zur Errichtung des Bulgarischen Exarchats vom 28. Februar 1870 ist ein Ferman (Dekret) des osmanischen Sultans Abdülaziz, durch den die Bulgarisch-orthodoxe Kirche in Form eines Exarchats ihre Unabhängigkeit zurückerhielt. Er wurde in Bulgarisch, Türkisch (Osmanisch) und Griechisch verfasst. Die Unabhängigkeit der bulgarischen Kirche wird als Etappensieg der Bewegung der bulgarischen Nationalen Wiedergeburt gesehen in ihrem Kampf um einen unabhängigen bulgarischen Staat.
Bedeutung und Auswirkungen Bearbeiten
Durch dieses Dokument konstituierte zum ersten Mal in der Geschichte des Christentums ein islamischer Herrscher eine christliche Kirche. Im § 10 legte er auch die Grenzen des Exarchats fest. Für alle Orte, die im Ferman nicht namentlich erwähnt wurden, gestattete man ein Plebiszit (§ 10 des Fermans). Wenn sich dabei zwei Drittel der orthodoxen Einwohner zum Bulgarischen Exarchat bekannten, wurde die Ortschaft der Jurisdiktion der bulgarischen Kirche unterstellt. Dieses betraf, auf Druck des ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel vor allem Eparchien in Makedonien und Thrakien. Nach einer Volksabstimmung traten einige der makedonischen Diözesen bei.
Mit dem Ferman des Sultans wurde mit dem bulgarischen Exarchat zum ersten Mal ein Millet im osmanischen Reich auf ethnischer Grundlage zugelassen. Dieses bulgarische Millet (Eksarhhâne-i Millet i Bulgar) hatte in Makedonien und Thrakien einen bulgarisch-griechischen Kirchenkampf zur Folge, der später auch bewaffnet ausgetragen wurde.
Der Ferman von 27. Februar 1870 steht deutlich in der Linie der Vorschläge, die in den Jahren zuvor zur Lösung der bulgarischen Kirchenfrage gemacht wurden. Er enthält wesentliche Elemente aus dem Projekt des Patriarchen von Konstantinopel Gregorios VI., geht auf die Forderungen der Bulgaren ein, die im Vorschlag Paisijs von Plowdiw enthalten waren, und stimmt grundsätzlich mit den beiden von der osmanischen Regierung im Jahr 1868 vorgelegten Projekten überein.
Dass die Hohe Pforte der bulgarischen Kirche nicht die volle Unabhängigkeit gewährte, hatte seinen Grund nicht nur in der Tatsache, dass beide Seiten zufrieden gestellt werden sollten. Vielmehr behielt die Regierung auch nach der Veröffentlichung des Fermans einen wichtigen Trumpf in ihrer Hand: Sie konnte auch weiterhin jedem Versuch von bulgarischer Seite, der angestrebten Autokephalie näher zu kommen, mit Wohlwollen oder Ablehnung begegnen. Auch sollten diejenigen bulgarischen Kräfte, die loyal zur Politik der Hohen Pforte standen, gestärkt werden. Außerdem behielt sich die osmanische Regierung eine weitere Möglichkeit zur Beeinflussung der Politik des Exarchats vor, die in den beiden Projekten von 1868 noch nicht vorgesehen war. So musste nach § 4 vor der Wahl des Exarchen eine Kandidatenliste von der Hohen Pforte genehmigt werden.
Der Ferman verankerte dadurch die Abhängigkeit des Exarchats vom Wohlwollen der osmanischen Regierung, was in den folgenden Jahren deutlich wurde. Beispiele sind die Beeinflussung der Wahl des bulgarischen Exarchen, die Verzögerung der Herausgabe der Berâts (Ernennungsurkunden) der bulgarischen Bischöfe, z. B. Dorotej von Skopje und Nathanail von Ohrid und die Verzögerung der im § 10 vorgesehenen Volksbefragungen in den gemischten Eparchien Makedoniens und Thakiens.
Text des Fermans Bearbeiten
Literatur Bearbeiten
- Gerhard Müller (Hrsg.): Theologische Realenzyklopädie, Band 10, Ausgaben 1–2, Walter de Gruyter, 1977, S. 436 ff.
- Fikret Adanir: Die makedonische Frage : ihre Entstehung u. Entwicklung, 1979, S. 57 ff.
- Fikret Adanır: Die Gründung des bulgarischen Exarchats in Die makedonische Frage, Band 20 von Frankfurter historische Abhandlungen, S. 42 ff.
- Lexikon zur Geschichte Südosteuropas, S. 141, S. 225.
- Ernst Reinhardt: Die Entstehung des bulgarischen Exarchats, R. Berger Verlag, 1912.
- Kirche im Osten Band 24/1981, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, S. 68ff.
- Hans-Dieter Döpmann: Kirche in Bulgarien von den Anfängen bis zur Gegenwart, München, Biblion Verlag, 2006.
- Gunnar Hering: Der Konflikt des Ökumenischen Patriarchats und des bulgarischen Exarchats mit der Pforte 1890. (1988).
- Ioannis Zelepos: Die Ethnisierung griechischer Identität, 1870–1912: Staat und private Akteure vor dem Hintergrund der „Megali Idea“, Band 113 von Südosteuropäische Arbeiten, Verlag Oldenbourg, 2002, S. 271.
- Edgar Hösch: Geschichte der Balkanländer: von der Frühzeit bis zur Gegenwart, C.H.Beck, 2008, S. 152/53, S. 175ff.
- Jansen, Christian/Borggräfe, Henning: Nation – Nationalität – Nationalismus. (Historische Einführungen, 1), Campus-Verlag, 2007, S. 167ff.
Weblinks Bearbeiten
- Originaltext des bulgarischen Teils des Fermans in Wikipediaprojekt Wikisource
- Text nach den heutigen Rechtschreibstandards des bulgarischen Teils des Fermans in Wikipediaprojekt Wikisource
Einzelnachweise Bearbeiten
- ↑ Kirche im Osten
- Fikret Adanir
- Dunja Melčić, S. 142
- Vgl.: Lexikon zur Geschichte Südosteuropas, S. 427; Sfetas Spyridon: Makedonien und interbalkanische Beziehungen, 1920–1924, Verlag Hieronymus, 1992, S. 5
- Vgl. Artikel Bulgarian Millet in der englischsprachige Wikipedia
- Originaltext: Освѣнь тѣзи исчисленны и поименованны мѣста, ако православнытѣ жители на другытѣ места, сичкытѣ или най-малко двѣтѣ третини поискатъ въ духовнытѣ си работы да се подчиняватъ на Българскѫ-тѫ Ексархiѭ, и това като са испыта ако са потвьрди и докаже ще имъ са допрощава. Нъ понеже това ще да става както са каза горѣ, съ желанiето и съгласiето на сичкытѣ или поне на двѣтѣ третини, заради това които съ този предлогъ съ трудятъ да сѣѭтъ нѣкакъ си несъгласiе и раздоръ помежду жители-тѣ, такывато законно ще бѫдѫтъ подъ отговорность и ще са мъмратъ.
- Deutsch nach Kirche im Osten. Band 24/1981, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, S. 68ff.