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Dieser Artikel beschaftigt sich mit der sozialen Mobilitat beim Menschen Fur anderweitige Erklarungen siehe Mobilitat Begriffsklarung Soziale Mobilitat bezeichnet die Bewegung von Einzelpersonen oder Gruppen zwischen unterschiedlichen sozio okonomischen Positionen 1 Beispielsweise bringt die Veranderung des Berufs oder der Stellung im Berufsleben Veranderungen im sozialen Beziehungsraum mit sich die sich im Aufstieg oder Abstieg darstellen vertikale Mobilitat bezogen auf eine gedachte Ordnung von sozialer Klasse oder sozialer Schichtung Horizontale Mobilitat ist die Veranderung des Berufs oder der Tatigkeit ohne Veranderung der Zugehorigkeit zur sozialen Klasse oder Schicht Die soziale Mobilitat ist niedriger in Landern mit hoherer Einkommensungleichheit hier in Englisch Hingegen bezeichnet die raumliche oder territoriale Mobilitat die Bewegung der Einzelpersonen im geographischen Raum siehe auch Migration und Auswanderung Inhaltsverzeichnis 1 Begriff 1 1 Intragenerationenmobilitat 1 2 Intergenerationenmobilitat Schichtmobilitat 2 Zentrale Fragestellungen 3 Methodische Fragen 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseBegriff BearbeitenDer Begriff Soziale Mobilitat wurde 1929 durch den russisch amerikanischen Soziologen Pitirim Sorokin gepragt Er bezeichnete damit Auf und Abwartsbewegungen sowie seitliche Bewegungen im von ihm so genannten sozialen Raum Diese vollziehen sich auf der Grundlage des Wandels von Wirtschafts Klassen Berufs und Siedlungsstrukturen z B durch Industrialisierung Ruckgang der Beschaftigung in der Landwirtschaft Verstadterung Zunahme der Zahl abhangig Beschaftigter aufgrund demographischer Verschiebungen z B durch Veranderung der durchschnittlichen Kinderzahl oder veranderten Generationenabstand sowie durch Veranderungen des Bildungssystems Soziale Durchlassigkeit nennt man die erleichterte Moglichkeit bzw erhohte Wahrscheinlichkeit sozialer Mobilitat im Rahmen einer Ordnung von Klassen oder Schichten Diese erhoht sich z B durch verbesserte Bildungschancen durch den Verlust des Einflusses von Oligarchien und Eliten oder politische Eingriffe wie das Verbot der Diskriminierung von unterprivilegierten Ethnien oder Kasten Fur die Bewertung der Aufwarts oder Abwartsrichtung der Mobilitat konnen auch das Prestige einer sozialen Position und die mit ihr verbundenen Gratifikationen z B das Einkommen eine Rolle spielen Soziale Mobilitat ist eine Erscheinungsform des sozialen Wandels Unterschieden wird zwischen intragenerationaler und intergenerationaler Mobilitat Intragenerationenmobilitat Bearbeiten Die Intragenerationenmobilitat erfolgt innerhalb eines Menschenlebens Zu ihr gehort eine Anderung der sozialen Stellung einer Person durch Ausbildung durch Beforderung oft auch durch Erbschaft von der Elterngeneration oder durch wirtschaftliche Strukturveranderungen etwa durch Schliessung von Kohlengruben und Ubergang in Ersatz Erwerbszweige dies ist nicht selten verbunden mit raumlicher Mobilitat Intergenerationenmobilitat Schichtmobilitat Bearbeiten Unter Intergenerationenmobilitat der sozialen Mobilitat im engeren Sinne versteht man den sozialen Aufstieg oder Abstieg der sich von einer Generation zur nachsten vollzieht Im weiteren Sinne umfasst er mehrere Generationen etwa im 19 und 20 Jahrhundert die nicht untypische Berufsabfolge Landwirt Volksschullehrer Arzt Soziale Mobilitat wurde von der Sozialforschung oft nur als Vater Sohn bzw als Mutter Tochter Mobilitat gemessen Zentrale Fragestellungen BearbeitenZwangslaufig ist jede Untersuchung von Trends der sozialen Mobilitat ein Vorstoss in die Sozialgeschichte und Wirtschaftsgeschichte was Ursachenforschung immer einschliessen sollte Dennoch bleibt die Mobilitatsforschung oft bei der Deskription stehen 2 Die Entwicklung sozialer Mobilitat wahrend der industriellen Revolution war Gegenstand zahlreicher Studien die den Eindruck erweckten dass es sich hierbei um eine singulare Entwicklung handelte die mindestens bis zum Ersten Weltkrieg auf hohem Niveau anhielt So ergeben sich fur die USA sehr hohe um die 80 fur England und Wales hohe fur Frankreich mittlere knapp 50 fur das weniger industrialisierte Schweden knapp 30 geringe Werte fur eine aufwarts gerichtete vertikale Mobilitat im Zuge einer sich verandernden Arbeitswelt z B durch berufliche Qualifikation Arbeitsplatzwechsel Einkommenssteigerung usw In Deutschland erreicht diese Form der Mobilitat erst zwischen 1901 und 1905 ein Maximum mit 50 3 Allerdings gibt es Zweifel daran ob diese Phase als Zeit eines einmaligen sozialen Umbruchs beschrieben werden kann So scheint die raumliche Mobilitat in dieser Phase wesentlich starker ausgepragt gewesen zu sein als die soziale Mobilitat Ausserdem hat sich Mobilitatsforschung zu dieser Phase stark auf Handels und Hafenstadte wie Koln Marseille oder Boston fokussiert weniger jedoch langsam wachsende Industrie oder Bergbaustadte untersucht Stephan Thernstrom untersuchte die Mobilitat in der kleinen Industriestadt Newburyport in Neuengland zwischen 1850 und 1880 in der auch eine Zuwanderung irischer Arbeiter erfolgte und fand eine geringe intergenerationale Aufwartsmobilitat bei guter sozialer Integration 4 Fur das 20 Jahrhundert gehen die meisten Studien von einer Stagnation der Mobilitat auf relativ hohem Niveau bis zum Ende der 1950er Jahre aus als die Mobilitat wieder anstieg 5 Nach Reinhard Schuren haben vier Fragestellungen in der jungeren Forschung einen besonderen Stellenwert Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Industrialisierung Berufsstrukturwandel und beruflicher Mobilitat wobei letztere haufig als Indikator fur die Offenheit einer Gesellschaft interpretiert werden Das Interesse am sich wandelnden Grad der Offenheit und Durchlassigkeit einer Gesellschaft dokumentiert an der Zuganglichkeit von Elite Positionen durch berufliche Rekrutierung und durch Heiratskreise 6 Ist diese Durchlassigkeit gering spricht man von hoher Selbstrekrutierung der Eliten bzw Berufsgruppen Das Interesse an der sozialen und politischen Bedeutung und Auswirkung von Mobilitat Vor allem wurde nach der Bedeutung von Aufstiegschancen und barrieren fur die Lebenschancen das Bewusstsein und die Bewegung der Arbeiterklasse gefragt 7 Man kann haufige oder zunehmende berufliche Mobilitat oder Heiratsbeziehungen zwischen zwei oder mehr gesellschaftlichen Gruppen als Ausdruck grosser oder wachsender sozialer Nahe zwischen ihnen deuten umgekehrt geringe oder abnehmende Mobilitat als Ausdruck ausgepragter oder zunehmender sozialer Distanz Die These einer Meritokratisierung des sozialen Positionierungsprozesses wonach Aufwartsmobilitat von Bildung bestimmt wird trifft fur die bis 1969 Geborenen in Westdeutschland nicht zu Es konnte gezeigt werden dass der Zusammenhang zwischen Bildung und sozialer Positionierung uber mehrere Kohorten weitgehend stabil ist und sogar in der jungsten Kohorte abnimmt 8 Die in den meisten Industrielandern in jungerer Zeit zu beobachtende erneute Zunahme der sozialen Mobilitat hat jedoch die Chancenungleichheit nicht grundsatzlich verringert Im Gegenteil ist die Migration in diese Lander haufig zunachst mit der Abwartsmobilitat der Migranten verbunden da ihr Human und Sozialkapital teilweise entwertet wird 9 Auch ist die in Europa steigende raumliche Binnenmigration nicht mit einer sozialen Aufwartsmobilitat verbunden 10 Methodische Fragen BearbeitenDa Klassen und Schichten ebenso wie Berufe und Beschaftigte in Wirtschaftszweigen dynamische Kategorien sind deren Umfang sich standig andert ergeben sich fur die Messung der Intergenerationenmobilitat komplexe methodische Probleme Aus der Sicht der Skalierungstheorie handelt es sich bei den eben genannten Kategorien um die Messung von Mobilitat mit Nominalskalen was dazu fuhrt dass die Werte verschiedener Lander oder uber mehrere Generationen hinweg nicht direkt vergleichbar sind Auch wenn es nicht an Anstrengungen gefehlt hat mit diesem Problem fertigzuwerden so ist doch bis auf Teillosungen auf diesem Skalierungsniveau keine vollige Vergleichbarkeit von Daten zu erreichen Gunstiger sieht es beim Vergleich von Mobilitat aufgrund von Ordinalskalen beziehungsweise quasimetrischen Skalen aus also mit Einkommen Bildungsjahren Besitz und Steuerklasse Aus diesen werden oft synthetische Skalen gebildet wie Sozialprestige und Sozialstatus die eine statistische Synthese der eben genannten Kriterien darstellen Es gibt also keine soziale Mobilitat an sich sondern nur Mobilitat auf bzw in einer definierten Skala Fur eine Feststellung dass die soziale Mobilitat zum Beispiel auf der Bildungsskala gemessen in Bildungsjahren und Qualifikationsstufen zugenommen oder abgenommen hat ist es notwendig diese Bildungsskala auf Standardwerte zu normieren Allerdings wurde in der Mobilitatsforschung nie ausschliesslich mit quantitativen Verfahren gearbeitet Literatur BearbeitenPitirim Sorokin Social Mobility New York Harper 1927 Hartmut Kaelble Historische Mobilitatsforschung Westeuropa und die USA im 19 und 20 Jahrhundert Darmstadt 1978 Hartmut Kaelble Soziale Mobilitat und Chancengleichheit im 19 und 20 Jahrhundert Deutschland im internationalen Vergleich Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Band 55 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1983 ISBN 3 525 35713 3 Reinhard Schuren Soziale Mobilitat Muster Veranderungen und Bedingungen im 19 und 20 Jahrhundert Winkel St Katharina 1989 ISBN 3 922661 51 3 Peter A Berger Soziale Mobilitat In Bernhard Schafers Wolfgang Zapf Hrsg Handworterbuch zur Gesellschaft Deutschlands Leske amp Budrich Opladen 2001 S 595 605 ISBN 978 3 8100 2926 3 PDF Datei 68 kB 10 Seiten uni rostock de Gregory Clark The Son Also Rises Surnames and the History of Social Mobility Princeton University Press Princeton 2014 ISBN 978 0 691 16254 6 Weblinks BearbeitenTellerwascher bleibt Tellerwascher Nach der Analyse eines amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers sind die Aufstiegschancen in den USA weitaus geringer als in den meisten europaischen Landern Telepolis Katharina Simon Muscheid Patrick Kury Soziale Mobilitat In Historisches Lexikon der Schweiz Einzelnachweise Bearbeiten Wolfgang J Koschnick Standardworterbuch fur die Sozialwissenschaften Band 2 Munchen u a 1993 ISBN 3 598 11080 4 Kaelble 1978 S 38 Kaelble 1978 S 12 Stephan Thernstrom Poverty and Progress Social Mobility in a Nineteenth Century City Harvard University Press 1980 Kaelble 1978 S 22 26 f Zur Mobilitat von Eliten siehe Kaelble 1978 S 107 ff Siehe auch Kaelble 1978 S 40 ff Reinhard Pollak Bildung und soziale Mobilitat in Deutschland Institutionelle und historische Ursachen fur die Entwicklung sozialer Mobilitat uber funf Geburtskohorten 1920 1969 Diplomarbeit Universitat Mannheim Online PDF Fur die USA George J Borjas Barry R Chiswick Foundations of Migration Economics Oxford University Press 2019 Michael Braun Ettore Recchi Keine Grenzen mehr Opportunitaten Migration und soziale Mobilitat innerhalb der EU In Peter A Berger Anja Weiss Hrsg Transnationalisierung sozialer Ungleichheit Wiesbaden VS Verlag 2008 S 161 183 Normdaten Sachbegriff GND 4077572 0 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Soziale Mobilitat amp oldid 236112123