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Kanonenfutter ist eine umgangssprachliche geringschatzige Bezeichnung fur verlustreich eingesetzte Soldaten Sie werden in einem Krieg von der eigenen Fuhrung rucksichtslos gegenuber der feindlichen Waffenwirkung eingesetzt gleichsam als geringwertiges Menschenmaterial und meist im Interesse ubergeordneter taktischer oder strategischer Ziele Dabei ist das Eintreten hoher Verluste im Voraus abzusehen und wird in Kauf genommen Im deutschen Sprachgebrauch etablierte sich der Begriff endgultig zur Zeit des Ersten Weltkrieges vor allem wegen der uberragenden Rolle der Artillerie im Stellungskrieg und den Materialschlachten der Jahre 1914 bis 1918 Metaphorisch werden die Soldaten als Futter der gegnerischen Kanonen bzw Waffen bezeichnet Insbesondere auf die Infanterie traf der Begriff zu da sie die Hauptlast des Kampfes tragen musste und als schlachtentscheidende Waffengattung einen dementsprechend grossen Umfang hatte Sie war in allererster Linie vom gegnerischen Feuer betroffen Zudem waren die Soldaten der Infanterie ublicherweise weniger qualifiziert als Angehorige technischer Spezialtruppen und erschienen daher entbehrlicher Inhaltsverzeichnis 1 Wortherkunft 2 Geschichte vor 1800 3 Geschichte in der Moderne 4 Siehe auch 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseWortherkunft BearbeitenInsbesondere die Weiterentwicklung der Artillerie und ihr immer massiverer Einsatz fuhrten bei Angriffen auf feindliche Stellung uber offenes Gelande zu einer enormen Todesrate unter den ersten Angriffswellen Ungefahr zu dieser Zeit kam im englischen Sprachraum die Wendung food for powder Schiess Pulverfutter 1 auf mit der auf zynische Weise Soldaten gemeint waren die man in den sicheren Tod schickte In der ersten Halfte des 19 Jahrhunderts entstand aus dem englischen food for powder die deutsche Lehnubertragung Kanonenfutter 2 Geschichte vor 1800 BearbeitenIn der Kriegfuhrung kam es bereits seit Jahrhunderten zum gezielten Einsatz von schlecht ausgerusteten und unerfahrenen Einheiten die in einer ersten Angriffswelle die gegnerischen Truppen erschopfen und deren Vorrate an Pfeilen und Bolzen verringern sollten bevor die regularen Einheiten zum Angriff ubergingen Fur diesen Zweck wurden oftmals Straflinge Sklaven oder Soldner eingesetzt Bei der Belagerung von Konstantinopel im Jahre 1453 liessen die Osmanen zunachst meist schlecht bewaffnete auslandische Soldner die Mauern der Stadt ersturmen deren Bekampfung lediglich an der Ausdauer der Belagerten zehren sollte Im Englischen Burgerkrieg kamen so genannte Forlorn Hope Kompanien zum Einsatz die sich aus Freiwilligen zusammensetzten und mit ausserst gefahrlichen Aufgaben betraut wurden Sie lenkten gegnerisches Feuer auf sich wodurch unter anderem Geschutzpositionen verraten wurden Ausserdem sollten sie den Gegner dazu bringen Minen vorzeitig zu sprengen Die Forlorn Hope Einheiten lassen sich daher durchaus als Kanonenfutter einstufen Obwohl bereits seit dem 14 Jahrhundert Kanonen verwendet wurden kam der Begriff Kanonenfutter erst dann auf als die Industrialisierung auch die Kriegfuhrung vollstandig durchdrungen hatte Die Kriegstaktik wurde den neuen waffentechnischen Gegebenheiten jedoch nur zogerlich angepasst So wurde bei den Landsknechten im Dreissigjahrigen Krieg der so genannte verlorene Haufen eingesetzt der vor dem eigentlichen Verband kampfte um ihm eine Bresche zu schlagen oder den angreifenden Gegner aufzuhalten und in Unordnung zu bringen Geschichte in der Moderne BearbeitenMit Einfuhrung der Wehrpflicht beginnend in Frankreich zur Wende zum 19 Jahrhundert standen den Befehlshabern wahrend der Napoleonischen Kriege grosse Zahlen oft wenig ausgebildeter Soldaten zur Verfugung die zudem schnell und billig ersetzt werden konnten Nach 1815 gab es zunachst eine langere Friedensperiode und eine Abkehr vom Massenheer Mit der Weiterentwicklung der Waffentechnik infolge der immer rasanteren Industrialisierung und Innovation angesichts eines enormen Bevolkerungswachstums und der Durchsetzung des Wehrpflichtsystems im letzten Drittel des 19 Jahrhunderts erhohten sich dann die Verlustraten in Kriegen ausserordentlich eine Entwicklung die bereits der Krimkrieg 1854 56 und der Amerikanische Burgerkrieg 1861 65 deutlich ankundigten In diesen Kriegen kamen zunachst ebenfalls Gefechtstaktiken zum Einsatz die seit der napoleonischen Zeit kaum modifiziert worden waren In den Schlachten bei Fredericksburg Chancellorsville Antietam und besonders in der Schlacht von Gettysburg 1863 kam es immer wieder zu verlustreichen wie erfolglosen Angriffen von Linienformationen auf aus gedeckten Stellungen feuernde Gegner Die angreifenden Infanterieformationen schossen dabei aus einer Entfernung von wenigen Dutzend Metern Salven ab um die Verteidiger durch das konzentrierte Feuer aus ihren Stellungen zu drangen Dieses Vorgehen was seit dem Aufkommen von prazisen Gewehren mit gezogenem Lauf schwerste Verluste zur Folge hatte gestaltete sich nur selten erfolgreich Eine Ausnahme bildet hierbei die Schlacht bei Spotsylvania Court House da hier durch den massierten Einsatz von Infanterie ein Einbruch in die ausgebauten Grabenstellungen erreicht werden konnte Grundsatzlich muss man aber festhalten dass die angreifenden Soldaten in ihren dichten Formationen immer ein leichtes Ziel fur die Verteidiger darstellten Dies spiegelt sich schliesslich auch nach vier Jahren Burgerkrieg in den Verlustzahlen wider da ca 600 000 Tote auf beiden Seiten zu beklagen waren Vor 1914 liessen Auseinandersetzungen wie in kleinerem Massstab der Burenkrieg 1899 1902 und namentlich der Russisch Japanische Krieg 1904 05 einige Ruckschlusse auf die weitere Entwicklung zu Massgeblich war dabei auch die Entwicklung des Maschinengewehrs durch Hiram Maxim Im Ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918 erhielt der Begriff seine eigentliche Auspragung Besonders an der jahrelang nahezu unveranderten Westfront in Frankreich und Belgien waren gewaltige Mengen an Artillerie und Millionen von Soldaten in relativ begrenzten Raumen konzentriert Ab 1915 16 bildete sich dort die Materialschlacht voll aus Dies hatte zur Folge dass Einheiten bereits auf dem Weg zur Front schwere Verluste durch Geschutzfeuer erlitten Treffend war der Begriff Kanonenfutter fur das Konzept der Abnutzungsschlacht Dabei sollte der Gegner durch permanenten massiven Einsatz von Kriegsgerat und Soldaten allmahlich abgenutzt werden wobei man davon ausging dass die gegnerischen Verluste deutlich hoher sein wurden bzw der Gegner sie schwerer ertragen konne als die eigene Seite In diesem Zeichen standen Offensiven zwischen 1915 und 1917 etwa im Artois bei Verdun an der Ostfront am Isonzo an der Somme Aisne und in Flandern Meist waren die Verluste auf beiden Seiten annahernd gleich hoch insgesamt verloren die Alliierten aber mehr Soldaten als die Mittelmachte Allerdings war die personelle Uberlegenheit der durch die USA zusatzlich gestarkten Entente 1918 fur die Kriegsentscheidung ausschlaggebend auch wenn sie fur Frankreich einem Pyrrhussieg nahekam Fur die Kampfe an der deutschen Westfront ersannen die Soldaten Wortschopfungen wie Stahlbad Blutpumpe und Maas Muhle Der Philosoph und Kriegsveteran Ernst Junger gab seinen Kriegserinnerungen 1920 den Titel In Stahlgewittern Im Zweiten Weltkrieg wurde wieder verstarkt das Konzept der Strafkompanien aufgegriffen bei denen es sich praktisch per Definition um Kanonenfutter handelte So setzte die sowjetische Rote Armee derartige Kompanien ein die meist ausserst schlecht ausgerustet waren und die deutsche Wehrmacht durch ihre aussichtslosen Angriffe dazu zwingen sollten Munition zu verbrauchen Auf deutscher Seite gab es vergleichbare Einheiten wie etwa das Strafbataillon 999 Auch im Ersten Golfkrieg 1980 1988 schickte die Militarfuhrung des Iran gegen den Irak ungenugend ausgerustete und ausgebildete Rekruten in den sicheren Tod um allein durch die Masse der eigenen Angreifer die feindlichen Stellungen uberrollen zu konnen Allerdings ohne nachhaltigen Erfolg wie es insbesondere in der Schlacht um Basra deutlich wurde Auch im Krieg in der Ukraine der 2022 durch die Invasion Russlands begann kann bisweilen beobachtet werden wie russische Soldaten und kleine russische Einheiten eingesetzt werden um durch sinnlose Angriffe ukrainische Stellungen aufzuklaren Siehe auch BearbeitenDoppelsoldner Himmelfahrtskommando Redshirt SoldatenspracheLiteratur BearbeitenNorbert Ohler Krieg und Frieden im Mittelalter Nikol Hamburg 1997 ISBN 3 937872 02 7 Janusz Piekalkiewicz Der Zweite Weltkrieg Econ Dusseldorf 1985 ISBN 3 89350 544 X James M McPherson Battle Cry of Freedom Oxford University 1988 ISBN 0 19 503863 0 Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Kanonenfutter Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme UbersetzungenEinzelnachweise Bearbeiten Kanonenfutter In Brockhaus Konversations Lexikon 1894 1896 10 Band S 98 Kanonenfutter In Heinrich August Pierer Julius Lobe Hrsg Universal Lexikon der Gegenwart und Vergangenheit 4 Auflage Band 9 Altenburg 1860 S 281 zeno org Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kanonenfutter amp oldid 239001637