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Philosophische Anthropologie Anthropologie Menschenkunde von altgriechisch ἄn8rwpos anthrōpos deutsch Mensch und logie ist das Fachgebiet der Philosophie das sich mit dem Wesen des Menschen befasst 1 Als eigene Fachrichtung ist die in der ersten Halfte des 20 Jahrhunderts entstandene Philosophische Anthropologie 2 eine vergleichsweise junge Disziplin Gegenstand und Fragestellungen mit denen sie sich befasst wurden aber auf unterschiedliche Weise grossteils bereits in fruheren Abschnitten der Menschheitsgeschichte reflektiert Dennoch erzeugte Max Scheler als Mitbegrunder der modernen Philosophischen Anthropologie betrachtliche Resonanz mit der Feststellung Caspar David Friedrich Der Monch am Meer 1808 1810 Das Bild thematisiert die Frage nach der Stellung und der Bedeutung des Menschen im Weltganzen Wir sind in der ungefahr zehntausendjahrigen Geschichte das erste Zeitalter in dem sich der Mensch vollig und restlos problematisch geworden ist in dem er nicht mehr weiss was er ist zugleich aber auch weiss dass er es nicht weiss 3 Die philosophische Anthropologie sucht vom einzelnen Menschen zu abstrahieren und zielt auf Allgemeingultigkeit Die tatsachliche Bindung jedes menschlichen Individuums an die jeweils zeitspezifischen ortsspezifischen und kulturellen Daseinsbedingungen wird dabei vorausgesetzt 4 Indem die Grundsituation der philosophischen Anthropologie davon bestimmt ist dass der Mensch nach dem Menschen fragt geht es einerseits um Selbstreflexion als Anliegen und Auftrag Das ist aber andererseits nur moglich in der dem Menschen gegebenen Verbindung der Innenperspektive des Subjekts mit der Aussenperspektive des Beobachters Um die Lebenssituation des Menschen generell zu erfassen bedient sich die philosophische Anthropologie vielfaltiger einzelwissenschaftlicher Erkenntnisse Umgekehrt ergeben sich fur Erkenntnistheorie und Einzelwissenschaften anthropologische Implikationen Zum Umfeld der philosophischen Anthropologie gehoren die sogenannten Humanwissenschaften zu denen insbesondere die Biologie die Primatologie die Neurowissenschaften die Psychologie die Sprachwissenschaften die Ethnologie die Palaontologie die Soziologie und auch die Geschichtswissenschaften sowie eine Vielzahl von Variationen aus diesen Fachern wie die Soziobiologie oder die Evolutionare Psychologie gehoren Zu jeder dieser Fachrichtungen gibt es auch eine spezifische Anthropologie wie etwa eine medizinische eine padagogische eine historische oder eine theologische Anthropologie Wo Menschen in der Selbstbetrachtung zu einem Ratsel oder Problem werden sich selbst befragen oder in Frage stellen und die eigene Existenz betreffende Annahmen oder Antworten entwickeln beruhren sie das Feld der philosophischen Anthropologie Die Spannbreite menschlicher Handlungsfelder und Moglichkeiten wirft unter anderem Fragen nach dem ethisch richtigen oder guten Leben nach dem Sinn des Lebens uberhaupt nach dem Stellenwert von Egoismus und Altruismus nach dem Wesen von mannlichem und weiblichem Geschlecht nach sozialen Anpassungszwangen und individuellen freien Willen auf Fur Michael Landmann entspringt die philosophische Anthropologie der Notwendigkeit desjenigen Wesens das sich selbst schaffen muss und daher eines Bildes bedarf auf das hin es sich schaffen soll Beides greift ineinander 5 Inhaltsverzeichnis 1 Klassische Auffassungen uber den Menschen 2 Historische Anfange der Anthropologie 3 Grundlegung der Anthropologie durch Kant 4 Vorlaufer der modernen philosophischen Anthropologie 5 Begrundung der neueren Philosophischen Anthropologie 5 1 Programmatik Max Schelers 5 2 Helmuth Plessners Theorie der exzentrischen Positionalitat 5 3 Arnold Gehlens Mangelwesen 5 4 Ernst Cassirers animal symbolicum 5 5 Anthropologie der Bedurftigkeit und Ethik bei Wilhelm Kamlah 5 6 Dialogische Anthropologie bei Martin Buber und Kuno Lorenz 5 7 Anthropologie und Existenzialismus bei Helmut Fahrenbach 5 8 Ansatze in der Gegenwart 6 Rezeption und Kritik 7 Siehe auch 8 Literatur 9 Weblinks 10 AnmerkungenKlassische Auffassungen uber den Menschen Bearbeiten nbsp Hildegard von Bingen Liber Divinorum Operum 13 Jh Der Mensch im Mittelalter ist als Mikrokosmos Spiegel des Makrokosmos und zugleich Ebenbild Gottes In der Antike war die Rolle des Menschen durch seine Stellung im Kosmos als von den Gottern geschaffen und durch den Geist mit diesen verwandt bestimmt Der Mensch ist das Mass aller Dinge Dieser Ausspruch des Protagoras bei Platon im Theaitetos kennzeichnet die Haltung der Sophisten in der Antike deren Lehren antimetaphysisch waren und die klar zwischen Natur und Kultur unterschieden Dagegen ist es nach Platon fur den Menschen wesentlich bzw wesensbestimmend dass er dank seiner unsterblichen Seele nicht nach den irdischen Gutern sondern nach dem Einen dem Gottlichen strebt oder mindestens streben sollte Die Seele ist im Korper nur gefangen 6 Der Leib und die Triebe sind nachrangig und werden vom Geist gelenkt Uber den Neuplatonismus der Patristik gelangt dieses Menschenbild in das Christentum und beeinflusst damit stark die Auffassungen des Abendlandes Aristoteles sah hingegen den Menschen auch als Teil der Natur Korper und Seele bilden eine organische Einheit Es gibt eine Parallelitat zwischen der Natur und dem Seelenleben Die Triebe entsprechen dem Pflanzlichen die Sinnlichkeit dem Tierischen und das Denken dem Gottlichen Der Mensch ist das sittliche Wesen das aus Vernunft nach der Verwirklichung der Tugend strebt Als vernunftbegabtes Wesen zoon logon echon und als soziales Wesen zoon politikon verwirklicht sich der Mensch durch seine Lebenspraxis In der Spatantike seit Paulus von Tarsus und in der Patristik besonders durch Augustinus verband sich das antike Denken mit dem christlich judischen Menschenbild als Ebenbild Gottes Die Menschen sind von Gott mit Leib und Seele griechisch Psyche hebraisch Neschome Ruach geschaffen Die Wahrheit liegt im Inneren des Menschen Der Mensch ist nun der Gefallene mit der Erbsunde belastete Mensch der sich nicht allein und durch seine Vernunft zum Gluck verhelfen kann sondern der die Gnade bzw Vergebung Gottes benotigt um dem Schicksal des Fegefeuers bzw der Holle zu entrinnen Entsprechend war die Frage des Mittelalters wie der Mensch sich in der von Gott geschaffenen Ordnung stellt Nach Thomas von Aquin ist ahnlich wie fur Aristoteles die geistige Seele bzw der Geist als Entelechie eine intelligible Substanz in der die geistigen und seelischen Fahigkeiten des Menschen grundgelegt sind Die Seele ist vom Korper zu Lebzeiten nur begrifflich zu trennen existiert wegen ihrer Unsterblichkeit aber nach dem Tod des Menschen auch getrennt weiter Der Leib ist Werkzeug der geistigen Seele speziell der Vernunft Der Mensch hat die naturlichen Neigungen sein Leben zu erhalten seine Art durch Nachkommen zu erhalten und eine Neigung aus Vernunft das Gute zu tun nbsp Albrecht Durer Selbstbildnis 1500 Ein Mensch in der Pose Christi des Erlosers eines GottesMit der kopernikanischen Wende verschob sich das Selbstbild des Menschen Er stand nun nicht mehr im Zentrum sondern war alleingelassen im weiten Raum und mit der Unendlichkeit konfrontiert die ihn angstigte Blaise Pascal Die Physik wurde zur Methode der Erklarung der Welt Johannes Kepler Galileo Galilei Es entstand eine naturalistische Auffassung vom Menschen Thomas Hobbes Kampf aller gegen alle Gleichzeitig konnte der Gegensatz von Leib und Seele nicht aufgelost werden Dies fuhrte zu Rene Descartes Dualismus Der Mensch ist korperlich res extensa und verfugt zugleich uber eine Seele res cogitans Die Erklarung des Menschen wurde zu der Frage nach seiner Erkenntnisfahigkeit Als Ebenbild Gottes bleibt er aber immer noch im Zentrum des Denkens Die von Descartes angestossene Bewusstseinsphilosophie fand unterschiedliche Antworten bei den Empiristen und bei den Rationalisten Beiden gemeinsam ist dass sie psychologische Antworten gaben John Locke und David Hume begrundeten den Sensualismus Die Empiristen gingen grundsatzlich vom Egoismus des Menschen aus Auch das Sozialverhalten erfolgt nach dem Prinzip dass Naherliegendes vorgezogen wird Gottfried Wilhelm Leibniz unterteilte das Bewusstsein in bewusste Wahrnehmungen apperceptiones einfache Wahrnehmungen perceptiones unbewusste Wahrnehmungen petit perceptiones und unterbewusste Strebungen appetitiones Christian Wolff unterschied zwischen empirischer und theoretischer Psychologie und legte damit den Grundstein fur den durch Jakob Friedrich Fries und Johann Friedrich Herbart begrundeten Psychologismus im 19 Jahrhundert Der Bewusstseinsphilosophie seit Descartes ist allerdings gemeinsam dass sie Anthropologie als eigenstandiges Thema noch nicht verfolgte Historische Anfange der Anthropologie BearbeitenDer Begriff der Anthropologie wird erstmals von Magnus Hundt in der Schrift Anthropologicum de hominis dignitate natura et proprietatibus Leipzig 1501 gebraucht Ein weiterer fruher Nachweis ist die Psychologia anthropologica des Otto Casmann eines Rektors in Stade aus dem Jahre 1596 Wahrend Johann Friedrich Blumenbach 1752 1840 die naturwissenschaftliche Anthropologie begrundete gilt Immanuel Kant als der Urvater der philosophischen Anthropologie mit der erstmals 1772 gehaltenen Vorlesung uber Verschiedene Racen des Menschen Kant unterschied die Anthropologie in physiologische und pragmatische Anthropologie Wahrend die erste Thema der Naturwissenschaft sei behandelt die zweite das philosophische Thema der Freiheit und was der Mensch aus ihr macht Der Mensch sei zwar auch Tier aber durch die Vernunft charakterisiert und bestimmt sich in der Gesellschaft zu kultivieren und zu moralisieren Er ist fur Kant autonom und damit in der Lage seinen tierischen Hang zur Tragheit zu uberwinden Dabei gilt Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung Er ist nichts als was die Erziehung aus ihm macht Kant Uber Padagogik Einen wesentlichen Anstoss hat auch Johann Gottfried Herder gegeben von dem die Auffassung uber das Mangelwesen Mensch stammt und der insbesondere die Sprache als besonderen Wesenszug des Menschen in den Mittelpunkt ruckte 7 Schon als Tier hat der Mensch die Sprache der Empfindungen Der Mensch kann aber zusatzlich die Welt mit Reflexion betrachten Durch die Unterscheidung der Dinge mit Hilfe seiner Sinne kann er sie bezeichnen Indem er sie bezeichnet denke er uber sie nach und entwickele Verstand Der Mensch ist der erste Freigelassene der Schopfung er steht aufrecht Die Waage des Guten und des Bosen des Falschen und Wahren hangt an ihm er kann forschen er soll wahlen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit Erster Teil Viertes Buch IV Georg Wilhelm Friedrich Hegel hingegen stand der Anthropologie kritisch gegenuber der er vorhielt sich nur mit dem Moglichen des Menschen zu befassen wahrend die Geschichte das Wirkliche des Menschen betrachte Grundlegung der Anthropologie durch Kant BearbeitenIn der Vorrede seiner Anthropologie 1798 unterschied Immanuel Kant die physiologische Anthropologie die auf die Erforschung dessen geht was die Natur aus dem Menschen macht von der pragmatischen Anthropologie die das untersucht was er als freihandelndes Wesen aus sich selber macht oder machen kann und soll Deshalb wird auf ihn die noch heute nachwirkende strikte Trennung zwischen physiologischer und pragmatischer Anthropologie zuruckgefuhrt doch ist dies ungenau Die physiologische Anthropologie ist die biologische Naturlehre des Menschen Diesen Teil der Menschenkunde klammert Kant bis auf gelegentliche Querverweise als fur seine Absichten unergiebig aus Da der Mensch die Gehirnnerven und Fasern nicht kennt noch sich auf die Handhabung derselben zu seiner Absicht versteht bleibt er in diesem Spiel seiner Vorstellungen nur Zuschauer und das spekulative Nachgrubeln uber die Naturursachen der Empfindungen und Erinnerungen ist unergiebig 8 Kants Anthropologie enthalt eine auf 300 Seiten breit angelegte Menschenkunde unter anderem mit Themen der Allgemeinen Psychologie im heutigen Sinn Charakterkunde Sozialpsychologie Psychopathologie Gesundheitspsychologie und auch Anfange anderer psychologischer Teildisziplinen Diese pragmatische Anthropologie stellt Kants Beitrag zu der im 18 Jahrhundert breit gefuhrten Debatte daruber dar wie eine allgemeine Wissenschaft vom Menschen methodisch und theoretisch zu entwickeln sei was ihre Ziele seien und was ihr Ort in der Gesamtheit der Wissenschaften 9 Kant verbindet die genannten Themen mit der philosophischen Bestimmung des Menschen als vernunftiges und moralisches Wesen Im letzten Kapitel uber den Charakter der Gattung fasst Kant sein allgemeines Menschenbild zusammen Der Mensch ist durch seine Vernunft bestimmt in einer Gesellschaft mit Menschen zu sein und in ihr sich durch Kunst und Wissenschaft zu kultivieren zu zivilisieren und zu moralisieren wie gross auch sein tierischer Hang sein mag sich den Anreizen der Gemachlichkeit und des Wohllebens die er Gluckseligkeit nennt passiv zu uberlassen sondern vielmehr tatig im Kampf mit den Hindernissen die ihm von der Rohigkeit seiner Natur anhangen sich der Menschheit wurdig zu machen Kant 1798 1983 A 321 Kant fragt wie nun die pragmatische Menschenkunde und Padagogik fortschreiten mussen um die sittlichen Anlagen so zu entwickeln dass sie nicht mehr im Widerstreit zur Natur der Menschen stehen Kants oft zitierte Definition der Anthropologie steht nicht in den Vorlesungen zur Anthropologie in pragmatischer Hinsicht 1798 sondern in der Logik Das Feld der Philosophie in dieser weltburgerlichen Bedeutung lasst sich auf folgende Fragen bringen 1 Was kann ich wissen 2 Was soll ich tun 3 Was darf ich hoffen 4 Was ist der Mensch Die erste Frage beantwortet die Metaphysik die zweite die Moral die dritte die Religion und die vierte die Anthropologie Im Grunde konnte man aber alles dieses zur Anthropologie rechnen weil sich die drei ersten Fragen auf die letzte beziehen Der Philosoph muss also bestimmen konnen 1 die Quellen des menschlichen Wissens 2 den Umfang des moglichen und nutzlichen Gebrauchs alles Wissens und endlich 3 die Grenzen der Vernunft Kant 1800 1983 A 25 26 Separat steht ausserdem Kants vielzitierte Schrift Was ist Aufklarung 1784 1983 von deren Absicht zweifellos auch die pragmatische Anthropologie bestimmt ist Methodisch gesehen ist Kants Anthropologie nicht auf sogenannte innere Erfahrung gegrundet sondern betont dass menschliches Denken Fuhlen und Begehren primar durch eine Untersuchung offentlich beobachtbaren menschlichen Handelns vor allem sozialen Handelns zu gewinnen sei fur die es einen systematischen Rahmen von Grundbegriffen brauche Er entwickelt dementsprechend eine Beobachtungslehre die Anthropologie gewinnt Regeln fur die mannigfaltigen Erfahrungen die wir an dem Menschen bemerken Seine Anthropologie in pragmatischer Hinsicht ist nach heutigem Fachverstandnis weitgehend ein Lehrbuch der empirischen Psychologie Alle diese Erkenntnisse sollen jedoch durch die Philosophie geordnet und geleitet werden Mit der konsequenten Unterscheidung zwischen rationaler metaphysischer und empirischer Psychologie hat Kant das Gebiet und die Methodik der Psychologie neu bestimmt Sie ist nicht mehr Teil der Metaphysik in der sie fruher als Seelenlehre meist abgehandelt wurde Sie bildet jetzt den Hauptinhalt der auf Erfahrung beruhenden Anthropologie und erhalt eine wichtige pragmatische Wende denn sie offnet den Zugang zu dem was der Mensch moralisch und aufklarerisch padagogisch gesundheitspsychologisch usw aus sich macht Die Psychologie ist zwar nur empirische Wissenschaft und kann grundsatzlich nicht zu eindeutigen sicheren mathematisch formulierten Gesetzmassigkeiten nach dem Vorbild der exakten Naturwissenschaften gelangen Auch ohne diesen Rang gibt es nutzliches Wissen wobei Kants praktische Absichten viel deutlicher waren als bei den meisten Psychologen des folgenden Jahrhunderts 10 Wenn Kant wegen seiner zugleich empirischen und methodenkritischen Ausrichtung der Anthropologie Psychologie als bedeutendster Psychologe vor Wilhelm Wundt anzusehen ist 11 konnte hierin auch der Grund fur die zwiespaltige Rezeption von Kants Anthropologie in beiden Disziplinen liegen Viele Autoren der Philosophischen Anthropologie zeigen noch heute eine eigentumliche Distanz Andererseits hatte bereits Carl Gustav Carus in herausragender Weise Kants Anthropologie gewurdigt und in der Folgezeit erschienen einige Bucher die Kants Programm nahestanden unter anderem von Gottlob Ernst Schulze und Jakob Friedrich Fries uber Psychische Anthropologie Sie grenzten sich ebenfalls von der spekulativen Seelenlehre ab und traten mit neuem Methodenanspruch und mit konkreten Anwendungsempfehlungen hervor siehe auch Friedrich Eduard Beneke und Rudolf Hermann Lotze 12 In der Philosophie hatte Kants Anthropologie jedoch eine erstaunlich geringe Wirkung und das von Kant entwickelte Programm wurde in der Folgezeit nicht nachhaltig aufgenommen weder in der Philosophie noch in der Psychologie In der Psychologie scheint die grundlegende pragmatische Anthropologie weitgehend vergessen zu sein Es bleibt Spekulation ob ein Titel Lehrbuch der empirischen Psychologie mehr Wirkung ermoglicht hatte Fur Kant war seiner Vorrede zufolge diese auf Weltkenntnis abzweckende Vorlesung zwar interessant aber im Vergleich zur reinen Philosophie zweitrangig Im gesamten Fach Philosophie kam es in der Folgezeit nicht zu einer ahnlich weit gefassten Konzeption Vorlaufer der modernen philosophischen Anthropologie Bearbeiten nbsp William Blake Nebukadnezar 1795 Der Mensch als Tier hier interpretiert als Strafe Gottes Wilhelm Wundt Physiologe Philosoph und schliesslich Psychologe war der wichtigste Grundervater der Disziplin Psychologie Er entwickelte vor dem Hintergrund seines ausgedehnten philosophischen Werks eine umfassende Sicht des Menschen fundiert durch die von ihm gepragte experimentelle Physiologische Psychologie und durch sein Verstandnis der Psychologie als empirische Geisteswissenschaft Diese reicht von der Sprachpsychologie bis zur Volkerpsychologie fur die er auch den Begriff psychische Anthropologie erwogen hatte Der breite humanwissenschaftliche Horizont regte Wundt zu bis heute wichtigen epistemologischen und methodologischen Klarungen an Wundt verband einen Methodologischen Dualismus Psychologie gegenuber Physiologie mit einem Methoden Pluralismus innerhalb der Psychologie und einem perspektivischen Monismus ein Lebensprozess unter verschiedenen Perspektiven Aus dieser philosophischen und zugleich interdisziplinaren Sicht widersprach Wundt der beginnenden Trennung der Psychologie von der Philosophie 13 Eine Revolution der Anthropologie bedeutete der Darwinismus Im Zuge der von Darwin entwickelten Evolutionstheorie setzte sich die Einsicht durch dass der Mensch nach demselben allgemeinen Modell gebaut ist wie alle anderen Wirbeltiere Man fand Argumente und Belege dass der Mensch aus derselben Evolutionslinie wie der Gorilla und Schimpanse stammt Somit hielt man es mehrheitlich fur widerlegt dass der Mensch das Ergebnis eines besonderen gottlichen Schopfungsaktes ist Dazu schreibt Friedrich Engels in einem anthropologischen Aufsatz u a die Arbeit sei die erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens und zwar in einem solchen Grade dass wir in gewissem Sinn sagen mussen Sie hat den Menschen selbst geschaffen 14 Gleichzeitig setzte mit Friedrich Nietzsche angeregt durch Ludwig Feuerbachs Materialismus und Schopenhauers Lehre vom Vorrang des menschlichen Willens eine Kritik der alten Definition des Menschen als vernunftigem Lebewesen ein Fur Nietzsche lasst sich das Leben nur asthetisch rechtfertigen Wir haben umgelernt Wir sind in allen Stucken bescheidner geworden Wir leiten den Menschen nicht mehr vom Geist von der Gottheit ab Wir haben ihn unter die Thiere zuruckgestellt 15 Ein erster Ansatz zur Verarbeitung der so neu entstandenen Selbsterklarung des Menschen ist bei Kierkegaard der in seiner Existenz auf sich selbst angewiesene Mensch Zur weiteren Desillusionierung trug die Psychoanalyse Sigmund Freuds bei welche den Menschen von unbewussten Lust und Todestrieben bestimmt sieht Weniger Beachtung fand der kulturanthropologische Ansatz von Adolf Bastian mit seiner Lehre vom Menschen in ethnischer Anthropologie Verarbeitungen finden sich auch in der Lebensphilosophie die sich als selbstandige philosophische Disziplin am Ende des 19 Jahrhunderts etablierte Neben Wilhelm Dilthey sind Georg Simmel Ludwig Klages und auch Otto Friedrich Bollnow zu nennen Auf diesem Fundament entstanden die spezifischen Ansatze der Philosophischen Anthropologie Begrundung der neueren Philosophischen Anthropologie BearbeitenDie moderne Philosophische Anthropologie im eigentlichen Sinne ist in den 1920er Jahren entstanden 16 Die geschichtliche Situierung dieser Ansatze als Versuche ein einheitliches Menschenbild zu beschreiben ist nicht zufallig Deren Entstehung ist durch das Aufkommen des Zentralthemas Der Mensch in der von der theologischen Bindung emanzipierten Wissenschaft der Neuzeit zu erklaren Solange die Metaphysik die beherrschende Disziplin war konnten die empirischen Wissenschaften keinen Eingang in eine philosophische Methode finden Die zu Beginn des 20 Jahrhunderts erstarkte Tendenz durch wissenschaftliche Vereinheitlichung und Systematisierung den Menschen umfassend begrifflich bestimmen zu wollen und die damit einhergehende Suche nach einer rationalen Begrundung fur dessen Sonderstellung machten es erst moglich dass die philosophische Anthropologie zu einem eigenstandigen und viel beachteten Bereich in der Philosophie werden konnte Die Tatsache dass die philosophische Anthropologie erst im 20 Jahrhundert auf den Begriff gekommen ist lasst sich aus der allgemeinen Tendenz zur Ausdifferenzierung im Feld der Wissenschaften und in der sozialen Wirklichkeit begreifen Im biologischen Zeitalter wird sie zu einer Wissensdisziplin die sich dieser allgemeinen Tendenz entweder entgegenstemmt oder aber sie reflektierend begleitet 17 Die philosophische Anthropologie ist im Wesentlichen durch die Arbeiten von Max Scheler Helmuth Plessner und Arnold Gehlen gepragt Zu den fruhen Wegbereitern gehort auch Paul Alsbergs Werk Das Menschheitsratsel von 1922 Programmatik Max Schelers Bearbeiten Die Schrift von Max Scheler Die Stellung des Menschen im Kosmos aus dem Jahr 1928 ursprunglich ein Jahr zuvor als Vortrag gehalten gilt als Grundungsdokument der modernen Philosophischen Anthropologie Schon die fruheren Arbeiten zeigen seinen Weg dorthin Zur Idee des Menschen 1915 Vom Umsturz der Werte 1915 Vom Ewigen im Menschen 1923Quasi als Leitsatz schrieb er 1915 In einem gewissen Verstande lassen sich alle zentralen Probleme der Philosophie auf die Frage zuruckfuhren was der Mensch sei und welche metaphysische Stelle und Lage er innerhalb des Seins der Welt und Gott einnehme nbsp Der Mensch nur ein Wurm karikaturistische Kritik am materialistischen Reduktionismus der Evolutionstheorie 1882 Die von Scheler entwickelte Anthropologie war dabei noch metaphysisch bestimmt In Anlehnung an Edmund Husserl war sein Philosophieren eine erweiterte Anwendung der phanomenologischen Methode auf die Gebiete der Ethik der Kulturphilosophie und der Religionsphilosophie Fur Scheler war der Mensch einerseits durch seine Triebe bestimmt andererseits selbst und mitverantwortlich fur sein Handeln in der Welt Die von Aristoteles uberlieferte und von der klassischen Philosophie vertretene humanistische Auffassung des Menschen als vernunftiges Lebewesen als animal rationale ersetzte er durch ein diesseitiges Menschenbild Allerdings hielt er die Lehre von Charles Darwin fur einen Irrtum bestenfalls eine unbewiesene Hypothese Es fuhre kein noch so enger Steg und Weg vom homo naturalis und seiner hypothetisch konstruierten Vorgeschichte zum Menschen der Geschichte 18 Stattdessen entwickelte Scheler eine Stufenleiter des Lebendigen in der die Pflanze von reinem Gefuhlsdrang ohne jedes Bewusstsein getrieben ist wahrend das Tier zwar auch psychische Eigenschaften hat jedoch nur instinkthafte die beim Menschen dagegen starker ja wesensmassig hoherstehend ausgepragt sind Der Mensch hat eine Sonderstellung indem er Geist hat Scheler zufolge ist der Mensch nicht umweltgebunden Er kann sich unbegrenzt weltoffen verhalten Insofern hat er keine Umwelt sondern Welt Die Besonderheit des Geistes befahigt den Menschen zur Vergegenstandlichung seiner Welt als Ganzes und seiner selbst Hierdurch kann er Geschichte gestalten Kultur schaffen und sein Handeln nach Normen und Werten ausrichten Als biologische Erscheinung als Lebewesen sei der Mensch ein erblich krankes Tier das sich in einer Sackgasse verlaufen hat ein Ubergang ein faux pas im Grunde eine blosse Verlegenheit der Natur Insofern ist diese Annaherung an den Menschen von der Natur her abzulehnen Der Versuch einer naturlichen Erklarung des Menschen fuhrt immer wieder zur Wiederholung des grossen Irrtums der europaischen Geistesgeschichte zum Humanismus Das wahre Wesen des Menschen liegt jenseits seiner biologischen und sozialen auch vernunftigen Funktionen der Verstand ist biologisch gesehen eine Krankheit Das wahre Wesen des Menschen sei seine geistige Personalitat die darin grundet dass der Mensch transzendiert ja selbst eine Gestalt der Transzendenz ist Als geistige Person ist der Mensch nicht Teil der Welt der objektiven Realitat sondern der idealen Wirklichkeit Um sich als geistige Person zu konstituieren muss er die Wirklichkeit entwirklichen von dem was ist abstrahieren es als nicht existierend denken Mit anderen Worten Der Mensch als Wesen das Gott sucht als Gottsuchender bzw Gottsucher und als lebendiges x Nicht Gott ist so dekretiert Scheler gegen die wissenschaftliche auf Ludwig Feuerbach zuruckgehende Religionskritik eine anthromorphe Erfindung sondern umgekehrt der Mensch ist theomorph Helmuth Plessners Theorie der exzentrischen Positionalitat Bearbeiten Ein weiterer Schuler Husserls war Helmuth Plessner der einen zoologisch fundierten Ansatz verfolgte In dem zeitgleich zu Schelers Schrift im Jahr 1928 erschienenen Hauptwerk Die Stufen des Organischen und der Mensch bestimmte Plessner den Menschen als exzentrisches Wesen Wahrend das Tier an seine unmittelbare Umwelt gebunden ist kann der Mensch gleichsam aus sich heraustreten und die Perspektive eines Beobachters seiner selbst einnehmen Er nimmt eine exzentrische Position ein Im Gegensatz zu Scheler waren fur ihn Korper und Geist eine Einheit Ich bin Leib und habe einen Korper Der Mensch sei weltoffen und habe einen Drang nach Erfahrung aber keine feste Identitat Sein Wesen sei unbestimmbar er sei ins Nichts gestellt und musse zu sich selber Stellung beziehen Er ist nach Plessner gesetzt durch seine Korperlichkeit und muss sich selber setzen im Verhaltnis zu dem Anderen Plessner lehnte eine teleologische Deutung der Evolution ab Fur ihn gab es drei anthropologische Grundgesetze Das erste besteht in der naturlichen Kunstlichkeit d h es liegt in der Natur des Menschen Kunstlichkeiten hervorzubringen die ihm dann objektiv entgegentreten und so auf ihn zuruckwirken Kultur ist der Umweg uber diese kunstlichen Dinge Als zweites die vermittelte Unmittelbarkeit was bedeutet dass der Mensch seine Umwelt bloss vermittelt durch kulturelle Medien durch Sprache erfassen kann Das dritte betrifft den utopischen Standort den der Mensch einnimmt wenn er mit der Frage nach dem Sein der kontingenten Welt konfrontiert wird Die Losung dieses Problems sucht der Mensch in der Transzendenz der Religion In Grenzen der Gemeinschaft Eine Kritik des sozialen Radikalismus griff Plessner 1924 den von Ferdinand Tonnies eingefuhrten Widerspruch zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft auf und bezog Stellung fur eine Kultur des Gesellschaftlichen Dabei machte er vor allem seine anthropologischen Auffassungen geltend und versucht zu zeigen dass erst die gesellschaftliche Lebensform dem Menschen die Moglichkeit gebe sich seinen Eigenarten entsprechend ganz zu entfalten Damit bekommt seine Anthropologie eine gesellschaftspolitische Dimension die von aktuellem Interesse ist 19 Bekannt wurde Plessner auch mit der Arbeit Lachen und Weinen 1941 in der er das Verhalten von Menschen in Extremsituationen untersucht Arnold Gehlens Mangelwesen Bearbeiten Arnold Gehlens Hauptwerk Der Mensch Seine Natur und seine Stellung in der Welt erschien 1940 Er strebte eine empirisch fundierte Philosophie an mit dem Anspruch die wissenschaftsorganisatorische Teilung in Natur und Geisteswissenschaften aufzuheben und die verschiedenen ausdifferenzierten Betrachtungsweisen zu einer Gesamttheorie des Menschen zusammenzufuhren Eine Erklarung des Wesens des Menschen aus einer ausschliesslich biologischen Betrachtung lehnte er ab Gehlen will den Menschen aus sich selbst begreifen Zu diesem Zweck setzt er den Begriff der Handlung in das Zentrum seines Ansatzes Er stellt die Hypothese auf dass der Mensch als ein handelndes Wesen aufzufassen sei Gehlen bestimmt den Menschen unter Hinzuziehung der Arbeiten Herders und Nietzsches als Sonderentwurf der Natur als ein einzigartiges Mangelwesen Dem Menschen fehlen sowohl spezialisierte Organe als auch eine spezifische Umwelt Aufgrund seines Nichtfestgestelltseins seines Unfertigseins ist der Mensch gezwungen zu handeln nicht aus Luxus sondern aus der Lebensnotwendigkeit heraus Gehlen setzt den Ansatz der Weltoffenheit von Scheler fort Allerdings sieht er den Grund fur die Weltoffenheit die den Menschen vom Tier unterscheidet in der mangelhaften Morphologie des Menschen und nicht wie Scheler in der Besonderheit des Geistes Der Mensch ist weltoffen da er keinem konkreten Umweltausschnitt in Bezug auf seine Organbeschaffenheit angepasst ist Er hat keinen klar definierbaren abgrenzbaren Lebensraum wie ein Tier Ganz im Gegenteil Er ist potentiell uberall lebensfahig vorausgesetzt er wandelt seine Umwelt in eine ihm lebensdienliche Welt um Die menschliche Gattung sichert ihr Uberleben indem sie Kultur und Institutionen schafft So erreicht der Mensch eine Entlastung von seinen biologischen Mangeln Durch Kultur wie Sprache Technik und Kunst ist der Mensch in der Lage seine Mangel zu kompensieren Mittels dauerhafter gesellschaftlicher Institutionen sowie Moral und Rechtsnormen erreicht er eine Stabilisierung und Kontrolle der Lebensfuhrung Kultur und Institutionen haben die Funktion von Fuhrungssystemen individueller und gesellschaftlicher Strukturen Ernst Cassirers animal symbolicum Bearbeiten Hauptartikel Animal symbolicum An der Grenze zwischen philosophischer Anthropologie und Kulturphilosophie stehen Ernst Cassirers Studien uber Mensch und Kultur 20 Cassirers Konzept entwickelte sich systematisch aus seiner Erkenntnistheorie und der zunachst als Kulturphilosophie ausgelegten Philosophie der symbolischen Formen Als philosophische Anthropologie formulierte er sein Konzept im Versuch uber den Menschen engl 1944 Vorlaufer fur diesen Ansatz findet man hinsichtlich des Symbols in der Identitats theorie mit dem Schlusselbegriff eines signifikanten Symbols von George Herbert Mead und in der Theorie der kulturellen Symbolisierung von Alfred North Whitehead die beide bei Cassirer allerdings nicht zitiert werden der sich vielmehr auf Hermann von Helmholtz und Heinrich Hertz bezieht In Bezug auf den sprachlichen Aspekt bilden Wilhelm von Humboldt und Johann Gottfried Herder den Ausgangspunkt Nach den Entwicklungen in der Psychologie der Biologie und der Evolutionstheorie bedurfte es fur Cassirer zur Beantwortung der Frage was der Mensch sei eines neuen Schlussels Diesen sah Cassirer in der Bedeutungstheorie der symbolischen Formen Erkenntnis findet nicht nur begrifflich in der Sprache statt sondern auch durch Mythen in der Religion und in der Kunst Auch Geschichte Wissenschaft Technik und Politik haben ihre eigenen symbolischen Formen Jeder Organismus besitzt nach Jakob Johann von Uexkull entsprechend seiner anatomischen Struktur jeweils ein Merknetz und ein Wirknetz Komplexere Tiere wie auch der Mensch haben entsprechend den Ergebnissen der Gestaltpsychologie ein kompliziertes gesamthaftes Wahrnehmungssystem Tiere haben in Bezug auf ihre Wahrnehmungen ublicherweise ein festes Reiz Reaktionsschema Bevor der Mensch handelt verarbeitet er das Wahrgenommene hingegen im Denken zu Symbolen die quasi als vermitteltes Symbolnetz zwischen Merken und Wirken Handeln stehen Bis auf wenige gering entwickelte Ausnahmen verarbeiten Tiere ihre Wahrnehmungen als reine Zeichen und konnen sich auch nur zeichenhaft ausdrucken Ruf des Eichelhahers Sie bewegen sich gleichsam auf der Ebene der emotionalen Sprache ohne syntaktische oder logische Strukturen Sie drucken etwas aus konnen aber nichts darstellen Indem der Mensch in der Lage ist Aussagen mit Sinngehalt zu machen also etwa propositionale Satze zu formulieren unterscheidet er sich vom Tier Indem das Zeichen eine Bedeutung erhalt wird es zum Symbol Erst aufgrund des symbolischen Denkens kann der Mensch die abstrakte Bedeutung von Beziehungen verstehen Raum und Zeit als organische Sphare hat der Mensch mit dem Tier gemeinsam Der Mensch hat daruber hinaus aber auch die Fahigkeit gedanklich einen abstrakten Raum zu bilden Wie schwierig das ist zeigt die Beschreibung des Demokrit der diesen abstrakten Raum ein Nichtsein mit wahrer Wirklichkeit nennt Der abstrakte Raum des Physikers folgt keinen sinnlichen sondern nur logischen Prinzipien Die Fahigkeit der abstrakten Symbolsprache ist Voraussetzung fur Wissenschaft Auch in der Zeitvorstellung verwendet der Mensch uber das reine Vorher und Nachher hinaus Symbole Erinnern ist nicht Wiederherstellen eines vorhandenen Bildes sondern Rekonstruktion An die Zukunft denken und in der Zukunft leben ist Teil der menschlichen Natur Sowohl die Wiedergabe des Vergangenen als auch die Erwartungserlebnisse basieren auf symbolischem Denken Symbolische Formen haben eine Ausdrucksfunktion das freundliche Lacheln nimmt Angst eine Darstellungsfunktion sprachliche Bezeichnung von Sachverhalten mit einem pragmatischen Bezug zur Welt und eine Bedeutungsfunktion abstrakte relationale Theorien auf logisch mathematischer Basis nbsp Franz von Stuck Sisyphus 1920 Der Mythos von Sisyphus ist von Albert Camus noch im 20 Jh als Modell verwendet worden Mit der Fahigkeit zu vielfaltiger Formgebung sieht Cassirer den Menschen vom Reich der Natur ins Reich der Freiheit ubergehen Den Begriff der Humanitat verwendet er im Sinne eines universalen Subjekts das es erlaubt die ganz unterschiedlichen Objektivationen des Lebens im mythischen Denken in der Sprache und Wissenschaft zumindest idealiter auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen 21 Anthropologie der Bedurftigkeit und Ethik bei Wilhelm Kamlah Bearbeiten Aufgrund des moglichen Vorhalts eines naturalistischen Fehlschlusses vom Sein auf das Sollen haben die meisten philosophischen Anthropologien auf eine Verknupfung der Analyse der menschlichen Identitat und Lebenswelt mit Handlungsregeln verzichtet Allerdings kann man durchaus den jeweiligen Status vom Standpunkt der Zweckmassigkeit aus beurteilen und unter diesem Gesichtspunkt normative Aussagen treffen Dies ist der Ansatz von Wilhelm Kamlah der alle Handlungen des Menschen in Abhangigkeit von seinen Bedurfnissen und Widerfahrnissen betrachtete Dabei ist der Mensch kein Einzelwesen sondern immer auf den Anderen angewiesen Daraus leitet sich die Notwendigkeit von Handlungsregeln ab die Kamlah in einer eudamonistischen Ethik als Philosophie der Lebenskunst sah Die hierin eingeschlossene Kritik am Verbot des Selbstmordes bei entsprechend negativen Lebensbedingungen setzte er 1976 mit seinem Suizid selbst um 22 Dialogische Anthropologie bei Martin Buber und Kuno Lorenz Bearbeiten Martin Buber entwickelte eine Dialogik Zentrale Kategorie ist das sich in der Begegnung aktualisierende Zwischen Der Mensch lernt das Grundwort ICH DU zu sprechen und bleibt nicht immer nur beim ICH ES Die Vorstellung Martin Bubers vom menschlichen Dasein sein Personenbegriff ergibt sich aus dem Verhaltnis zum Anderen eben durch Beziehung Am Ende des ersten Teils seines Werks Ich und Du fasst er das wie folgt zusammen Und in allem Ernst der Wahrheit du ohne Es kann der Mensch nicht leben Aber wer mit ihm allein lebt ist nicht der Mensch Wie wird man jetzt nach Buber Mensch Subjekt begegnet Subjekt in Beziehung treten mit dem Anderen Du und der damit einhergehenden Ichwerdung Die Erkenntnis des Einzelnen von sich selbst als ein Ich durch das selbst Bewusst werden in der Beziehung zu einem Du Beziehung ist bei ihm existentiell zur Erkenntnis des wahrhaftigen Dasein der eigenen Person Das Zwischenmenschliche die Beziehung zum anderen lassen uns Mensch sein Der Mensch wird am Du zum Ich Erst wenn das eine Individuum die Existenz eines anderen Individuums anerkennt und mit ihm in Beziehung tritt begreift es sich als wahres Selbst im Gegensatz zum sog falschen Selbst Im Anschluss daran und in Auseinandersetzung mit der anthropologischen Philosophie von Ernst Cassirer Albert Camus und Wilhelm Kamlah entwickelt Kuno Lorenz eine dialogische Anthropologie Nur durch differenzierte Ausbildung von Ich und Du und damit die Ruckbindung der Werke des Menschen an die in ihnen verkorperten Prozesse der Individuation und der Sozialisation konnen Menschen ihres Menschseins innewerden Zwar wird eine im Handlungsvollzug mogliche dialogische Ubergangsmoglichkeit zwischen Ich Rolle und Du Rolle erarbeitet aber es wird vor einer Einebnung von Gegenstandsebene und Zeichenebene in der Handlungsdarstellung gewarnt Anthropologie und Existenzialismus bei Helmut Fahrenbach Bearbeiten Eine Verbindung der Anthropologie Plessners mit dem Existentialismus und der Philosophie Heideggers findet sich bei Helmut Fahrenbach der darauf verweist dass der Mensch sich aufgegeben ist also nur lebt indem er ein Leben fuhrt Er kann sich selbst wahlen Kierkegaard ohne die Moral aus seinem Selbstverhaltnis ausschliessen zu konnen In diesem Sinne nimmt Fahrenbach eine Verknupfung von Anthropologie Normativitat und Ethik vor wie sie bei den Klassikern der Anthropologie noch nicht zu finden ist Ansatze in der Gegenwart Bearbeiten Die nachfolgend geschilderten Ansatze stehen als Beispiele fur aktuelle Diskussionen Odo Marquard beschreibt den Menschen als Homo Compensator Die Kompensationsidee die sich sowohl bei Plessner als auch bei Gehlen findet hat sich in weiten Bereichen der Padagogik und der Soziologie platziert Konrad Lorenz und Karl Otto Apel haben die Moral als Kompensationsmechanismus beschrieben Der Mensch kompensiert auf naturliche Weise durch hohe Geburtenraten nach grossen Seuchen Das Gehirn kompensiert bei Schadigungen Kompensation gibt es als Vergeltung und Kompensation gibt es als Entschadigung Schon Cicero vertrat eine Theorie der kompensatorischen Lebenskunst der Weisen Marquard konstruiert einen Gegensatz zwischen Geschichtsphilosophie und philosophischer Anthropologie der er eine rein naturalistische Position zuweist und diese gleichzeitig kritisiert Alwin Diemer hat einen Versuch unternommen Philosophische Anthropologie unter systematischen Gesichtspunkten zu entwickeln mit Unterscheidungs und Bestimmungsmerkmalen mit der Abgrenzung nach oben Gott und der Abgrenzung nach unten Tierwelt Seine Phanomenologie des Humanbereichs zahlt uberwaltigend viele Aspekte und Fragestellungen auf Diemer betont die doppelte Funktion der Menschenbilder und erklart Die Rede vom Bild impliziert zweierlei einmal das Moment des Sekundaren das an Ab und Ebenbild erinnert zugleich aber auch das Moment des Primaren Bild bedeutet dann zugleich Vor und Leitbild Diese Leitbilder fungieren wenn die entsprechenden Metaphysiken bzw Ideologien politisch gesellschaftliche Macht besitzen als entsprechende padagogische Ideen 23 Robert Spaemann sieht das Wesen des Menschen im Nachvollzug von Kant in der Verbindung des Naturlichen und des Vernunftigen Vernunft heisst Versohnung mit dem was vor ihr ist Der Natur Vor allem aber Anerkennung eines fremden Vernunftwesens kann sich nur realisieren als Anerkennung dieses Wesens in seiner Naturlichkeit Spaemann wendet sich vor allem gegen den Materialismus der oft mit der Evolutionstheorie verbunden wird Begriffe wie System Information Programm oder Struktur sind Abstraktionen und damit nicht frei von Annahmen sondern theoriebeladen Es sind Erklarungsbegriffe fur die Bedingungen fur das Auftreten neuer Phanomene die nicht den Ursprung dieser Phanomene selbst begrunden konnen Humberto Maturana und Francisco Varela entwickelten die Theorie vom Menschen als sich selbst erschaffendes autopoietisches System in Verbindung mit der Evolutionaren Erkenntnistheorie Ob diese Sichtweise einen radikalen Konstruktivismus impliziert ist umstritten Die Idee des autopoietischen Systems beeinflusste auch Niklas Luhmann der die Systemtheorie in die Soziologie ubertrug Gesa Lindemann hat im Anschluss an die historisch reflexive Anthropologie Helmuth Plessners das Konzept der reflexiven Anthropologie entwickelt Ausgangspunkt ist ein neuartiges Verhaltnis von Anthropologie und Soziologie Anthropologie bzw anthropologische Annahmen werden nicht als sozialtheoretisches Fundament begriffen sondern zum Gegenstand der Beobachtung gemacht Bei diesem Ansatz geht es um die Bearbeitung der Frage wie in Gesellschaften der Kreis sozialer Personen begrenzt wird und welche Funktion der Anthropologie in der Moderne zukommt Balint Balla legt seiner Soziologie das Axiom zu Grunde dass der Mensch ein Wesen sei das sich auf die ihm eigene Weise mit dem Grundproblem der Knappheit auseinandersetzt 24 Als kritische soziologische Umgestaltung der Gehlenschen Mangelwesenthese ist Dieter Claessens Studie Das Konkrete und das Abstrakte von 1980 bedeutsam geworden Gunter Gebauer will den Menschen in seiner Lebenswelt unter seinen Lebensbedingungen betrachten Anthropologie solle nicht des Wesen des Menschen in Abgrenzung zum Tier leisten sondern den Menschen aus Sicht des anderen Menschen reflektieren Anthropologie habe nicht die Ideen das Universale oder Ewige zum Gegenstand Der Mensch hat zwar biologische Ausgangsbedingungen sei aber Produkt seiner selbst Der Mensch ist in seine Umwelt hineingeboren aber er verandert sie Durch sein Handeln gibt der Mensch der Welt objektive Gestalt Anthropologie ist geschichtlich sowohl in ihrem Objekt als auch in ihren Methoden Sie fragt nicht nur wer ich bin sondern auch wie ich geworden bin was ich bin Anthropologie ist zuerst der Ausdruck von Unsicherheit Was ist die Bestimmung des Menschen wenn sie in seine eigene Hand gelegt ist Thomas Rentsch will den Menschen in seiner Lebensweise verstehen und eine praktische Ethik daran anschliessen Hierzu muss in der Nachfolge Kants erst die menschliche Grundsituation analysiert werden Die Existenz des Menschen ist bestimmt durch die sich jeweils gegenseitig bedingenden Situativitat Selbstreflexivitat und Sprachlichkeit Moralitat ist ein von der menschlichen Praxis untrennbarer Bestandteil Der Mensch verfugt uber Freiheit zur Selbstgesetzgebung und Selbstregelung denn der Unbestimmtheit der Geworfenheit der Menschen entspricht seine Freiheit zu allen moglichen Setzungen Ethik muss daher immer im Horizont der philosophischen Anthropologie stehen sie ist Bestandteil der Lebenswelt Karl Siegbert Rehberg nimmt die Institutionenlehre Gehlens auf Er weist gesellschaftlichen Institutionen zwei Dimensionen zu zum einen eine restriktive und stabilisierende Funktion fur die Akteure zum anderen gesellschaftliche Integration individueller Handlungen Institutionen sind idealtypisch solche Sozialformen in denen eine Synthese zwischen Sozialstruktur Organisation Normen und Faktenwissen hergestellt wird Institutionen sind Vermittlungsinstanzen kultureller Sinnproduktion durch welche kulturelle Objektivationen verbindlich gemacht werden Institutionen werden auch als symbolische Ordnungen aufgefasst Dies beruht auf der anthropologischen der erkenntnistheoretischen und der kulturphilosophischen Grundannahme der symbolischen Vermitteltheit aller Welt und Selbsterkenntnis des Menschen s o Ernst Cassirer der als Kulturwesen Situationen deuten und andere Handlungsmoglichkeiten bereithalten muss Der Gebrauch von Zeichen und Symbolen ermoglicht solche Transzendierungsleistungen und die Verfugung uber signifikante Symbole Symbole deren Bedeutungen mit anderen geteilt werden heisst gleichzeitig Geist zu haben G H Mead Symbole dienen der Entlastung von Druck aufgrund sinnlicher Triebe oder vom Bewusstsein der Sterblichkeit Rene Girard entwirft im Rahmen seiner mimetischen Theorie eine Wissenschaft des Menschen die die gesamte Entwicklung der menschlichen Kultur von der Menschwerdung und der Entstehung von Religion und Institutionen bis hin zu den gesellschaftlichen Organisationsformen der Gegenwart auf der Grundlage der Mechanismen die die Eindammung der Gewalt erlauben erklart Ernst Tugendhat knupft wieder an Kant an und begrundet aus heutiger Sicht weshalb die Anthropologie im Zentrum der Philosophie steht Was immer Metaphysik bedeuten kann es reduziere sich auf Anthropologie Aus Tugendhats Sicht sind alle metaphysischen Themen eigentlich Elemente des menschlichen Verstehens Die philosophische Anthropologie als Grunddisziplin der Philosophie befasst sich mit diesem Kernbereich des Menschlichen dem Verstehen und fragt nach der Struktur dieses Verstehens Was bleibt als Frage nach dem Sein des Menschen ubrig so uberlegt Tugendhat wenn alles Historische im Sinne des nur Traditionellen weggezogen wurde Tugendhat sieht die Anthropologie in einem Gegensatz sowohl zur Metaphysik als auch zur Orientierung am Geschichtlichen am historisch Vorgegebenen Traditionen gottlicher Offenbarung usw Zum Verhaltnis philosophischer zu empirischer Anthropologie meint Tugendhat dass beide verschiedene Schwerpunkte haben sich jedoch aufeinander zubewegen mussen Der Schwerpunkt der philosophischen Anthropologie ist dadurch gekennzeichnet dass sie in 1 Person geschieht und von einer Reflexion auf allgemeine Strukturen ausgeht dadurch dass man in ihr von sich ausgeht ergeben sich Einseitigkeiten uber die man sich durch die breiteren Kenntnisse der empirischen Anthropologie belehren lassen muss 25 Ferdinand Fellmann definiert den Menschen als Paar Wesen 26 Die Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau gilt ihm als anthropologisches Radikal das die Menschen vom Hordenleben der nichtmenschlichen Primaten getrennt hat Fellmann untermauert sein Bild vom Menschen evolutionsbiologisch versteht seine Rekonstruktion der Urszene der Menschwerdung aber als Beitrag zur philosophischen Anthropologie Vor dem Biologismus ist dieser Ansatz dadurch geschutzt dass die Polaritat der Geschlechter die moralische Dimension der Rechtfertigung des Menschen durch die Liebe einschliesst Hans Peter Kruger hat im Anschluss an Helmuth Plessner die Philosophische Anthropologie neu begrundet Ihr Phanomenspektrum bestehe systematisch betrachtet zwischen dem ungespielten Lachen und Weinen als den Verhaltensgrenzen personaler Lebewesen Es umfasse die Offentlichkeit und daher personale Urteilskraft im Verhaltnis zur Korper Leib Differenz die asthetische Freilegung des Nichts in den modernen Kunsten die naturphilosophische Freilegung von Etwas vor dem Horizont des Nichts in den Naturwissenschaften die Individualisierung der Person die Personalisierung des Individuums und die Souveranitatsfrage in der Ermachtigung zu geschichtlichem Tun als Gemeinschaft und Gesellschaft 1999 Diese deutschsprachige Philosophische Anthropologie wurde mit den impliziten und expliziten philosophischen Anthropologien in den klassischen Pragmatismen Ch S Peirce W James J Dewey und G H Mead anhand der Kant und Hegel Transformationen in beiden Traditionen verglichen 2001 Die Neubegrundung der Philosophischen Anthropologie wurde unter Einschluss weiterer deutsch judischer Denker H Arendt E Cassirer M Scheler ausgeweitet und fur den Vergleich mit den Neopragmatismen H Putnam R Shusterman R Rorty geoffnet 2009 Sie erfolgte als Rahmentheorie fur die neurobiologische Hirnforschung G Roth W Singer und die neue vergleichende Verhaltensforschung F de Waal M Tomasello in 2010 Rezeption und Kritik BearbeitenJoachim Fischer bestimmt in einem ausgreifenden Rekonstruktions und Reflexionsgang die Philosophische Anthropologie im Lichte ihrer Hauptvertreter Scheler Plessner und Gehlen als eine in bestimmten Merkmalen ubereinstimmende Denkrichtung des 20 Jahrhunderts und unterscheidet davon die philosophische Anthropologie als eine Disziplin unter anderen philosophischen Disziplinen wie Ethik Naturphilosophie oder Religionsphilosophie Daruber hinaus sei die Philosophische Anthropologie aber auch eine charakteristische Denkrichtung in Erkenntnis und Wissenschaftsphilosophie in Sprach Kultur Sozial und Technikphilosophie 27 Fur die Autoren der Philosophischen Anthropologie seien nicht zum Beispiel Vernunft oder Sprache sondern das Verhaltnis des Menschen zu seinem Korper die ontologisch dichteste Figur Diesen menschlichen Korperleib diesen Ort des Sich Verklammerns von Schichten diesen gt Abstand zum Korper im Korper lt oder exzentrische Positionalitat als ontologisch komplexesten Ort methodisch zu erschliessen und von ihm aus zu operieren daruber haben die Hauptbeitrager einander erkannt und sind aneinander gebunden geblieben 28 Lange Zeit dominierten in der Rezeption die Ansatze von Scheler und vor allem von Gehlen wahrend Plessner weniger beachtet wurde neuerdings ist jedoch eine Plessner Renaissance zu verzeichnen Fur Gerald Hartung war die Neuausrichtung des Menschenbilds infolge Darwins Evolutionslehre in Verbindung mit den die Verunsicherung noch steigernden sozialen und politischen Katastrophen im 20 Jahrhundert seit Ausbruch des Ersten Weltkriegs jene Gemengelage die der philosophischen Anthropologie den Boden bereitete und die Reflexionsanstosse gab 29 Der Philosophischen Anthropologie insgesamt ist als Grundzug die Abkehr von der humanistischen Menschenauffassung der klassischen Philosophie eigen Scheler schrieb Wer sehe nicht dass hinter der scheinbar so harmlosen Gleichheitsforderung stets und immer um welche Gleichheit es sich auch handle nur der Wunsch auf die Erniedrigung der Hoherstehenden Mehrwertbesitzenden auf das Niveau der Niedrigstehenden verbirgt 30 Eine allgemeine Kritik an der Philosophischen Anthropologie die z B Martin Heidegger vertreten hat argumentiert dass bei der Untersuchung des Bildes vom Menschen schon immer ein vorher festliegendes Menschenbild zugrunde liege das die jeweiligen Ergebnisse bestimme Nach Christian Thies hat sich die Anthropologie als philosophische Disziplin nicht etablieren konnen kaum ein Teilgebiet kampfe mit derartigen Identitatsproblemen Zu besichtigen seien gleichsam Ruinen auf einem Trummerfeld Da helfe nur der Abriss und ein von Grund auf neu zu planendes und zu errichtendes Gebaude 31 Gerd Haeffner sieht einzelwissenschaftliche und philosophische Forschung zum Menschen aufeinander verwiesen Beide Weisen des Fragens wachsen ja gleichzeitig auf dem Boden der schlichten Lebenserfahrung und der dabei entstandenen Alltags Weisheit Beide bemuhen sich um ein begrundetes Wissen das auf einen Begriff des Menschlichen uberhaupt abzielt Beide sind folglich nur in einem gewissen Mass zu trennen sie sind Teil eines einzigen nie abzuschliessenden Wissensprojekts 32 So liesse sich mit Kant sagen dass die anthropologisch relevante empirische Forschung ohne philosophische Klarungs und Syntheseversuche gewissermassen blind bliebe wahrend die philosophischen Bemuhungen weitgehend leer blieben wenn sie uber das eigene Feld nicht hinausgelangten Einzubeziehen seien zudem andere philosophische Disziplinen wie Ontologie Ethik Naturphilosophie Erkenntnislehre und Asthetik Patrick Wilwert geht der Stellung der Philosophischen Anthropologie im Ganzen der philosophischen Disziplinen mit einer skeptischen Doppelfrage nach Ist die einzig mogliche Grundlagendisziplin immer die Anthropologie da es immer der Mensch ist der Wissenschaft und Philosophie in welcher Form auch immer treibt Oder kann es gerade Anthropologie auf keinen Fall sein da der in der Welt lebende Mensch immer schon Teil dessen ist was von einer philosophischen Grundlagendisziplin erst verstandlich gemacht werden soll so dass eine philosophische Anthropologie gewissermassen auf das bauen wurde was erst erklart werden soll 33 Als bedeutsam fur die Funktion der Philosophischen Anthropologie sieht er die doppelte Beziehung zwischen Mensch und Kultur Aus der Perspektive des Gesellschaftsverbands ist der Mensch Kulturschopfer als Einzelwesen jedoch vor allem Kulturgeschopf mit nur sehr begrenztem schopferischen Einfluss Die menschliche Schopferkraft als solche sowie die damit verbundene Verantwortung fur die Kulturgestaltung relativieren aus Wilwerts Sicht die Bedeutung der individuellen psychophysischen Zusammenhange denen der Mensch unterliegt Die Philosophische Anthropologie verweise auf die kulturelle Dimension der menschlichen Existenz indem sie die Aspekte des Sozialen und Geschichtlichen einbeziehe Nicht einer bestimmten Kultur komme also ein Vorrangstellung zu sondern der Schopferkraft des Menschen aus der eine unendliche Vielzahl sich gegenseitig relativierender Kulturen hervorgehen konne 34 Christoph Wulf bezweifelt generell die Moglichkeit eines einheitlichen anthropologischen Wissens Eine einzelne sei damit ohnehin uberfordert In transdisziplinarer Forschung hingegen fuhrten die Vielschichtigkeit der Fragestellungen und Methodenansatze zu einer Komplexitatssteigerung die durch die Einbeziehung kulturspezifisch unterschiedlicher Sichtweisen im transnationalen Rahmen noch gesteigert wurde Siehe auch Menschheitsfragen Nicht die Reduktion sondern die Steigerung von Komplexitat sei das Anliegen anthropologischer Forschung Je mehr das Wissen uber historisch kulturelle Zusammenhange zunimmt desto starker wachst auch das Nichtwissen Die Vorstellung man konne Nichtwissen dauerhaft uberwinden greift zu kurz Nur in Ausschnitten ist sich der Mensch zuganglich insgesamt bleibt er sich notwendig verborgen 35 Siehe auch BearbeitenExistenzphilosophie Historische Anthropologie Psychologische Anthropologie Theologische Anthropologie Rechtsanthropologie Sozialanthropologie Neuthomismus Christliche Soziallehre Weltanschauung Hominisation Evolution des Denkens SubjektivitatLiteratur BearbeitenEinfuhrungen Gerhard Arlt Philosophische Anthropologie Metzler Stuttgart 2001 ISBN 3 476 10334 X Alwin Diemer Elementarkurs Philosophie Philosophische Anthropologie Econ Dusseldorf 1978 ISBN 3 430 12068 3 Gerd Haeffner Philosophische Anthropologie Kohlhammer Stuttgart u a 2000 ISBN 3 17 016688 3 Gerald Hartung Philosophische Anthropologie Reclam Stuttgart 2008 ISBN 978 3 15 020323 1 Wilhelm Kamlah Philosophische Anthropologie Sprachkritische Grundlegung und Ethik Bibliographisches Institut Mannheim 1972 Nachdruck 1984 ISBN 3 411 00238 7 Kuno Lorenz Einfuhrung in die philosophische Anthropologie 2 Auflage Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1992 ISBN 3 534 04879 2 Odo Marquard Anthropologie In Joachim Ritter u a Hrsg Historisches Worterbuch der Philosophie Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1971 ISBN 3 7965 0115 X S 362 374 Wilhelm E Muhlmann Geschichte der Anthropologie Athenaum Verlag Frankfurt am Main Bonn 1968 Josef Speck Hrsg Grundprobleme der grossen Philosophen In Philosophie der Gegenwart Teil 2 Max Scheler Richard Honigswald Ernst Cassirer Helmuth Plessner Maurice Merleau Ponty Arnold Gehlen Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1991 ISBN 3 525 03304 4 Christian Thies Einfuhrung in die philosophische Anthropologie Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2004 ISBN 3 534 15470 3 M Tiles Philosophical Anthropology In Encyclopaedia Britannica 1989 Christoph Wulf Anthropologie Geschichte Kultur Philosophie Reinbek 2004 Weiterfuhrende Literatur Philosophische Anthropologie Erster und Zweiter Teil Neuen Anthropologie Band 6 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Fortschritt Die vielfaltigen Wege der Evolution Fischer Frankfurt am Main 1999 ISBN 3 596 14642 9 Christian Illies Philosophische Anthropologie im biologischen Zeitalter Zur Konvergenz von Moral und Natur Suhrkamp Frankfurt am Main 2006 ISBN 3 518 29343 5 Gerhard Medicus Was uns Menschen verbindet Humanethologische Angebote zur Verstandigung zwischen Leib und Seelenwissenschaften 3 Auflage VWB Berlin 2015 ISBN 978 3 86135 585 4 auf Englisch Being Human Bridging the Gap between the Sciences of Body and Mind VWB Berlin 2015 ISBN 978 3 86135 584 7 Weblinks BearbeitenEdward Dutton The Philosophy of Anthropology In J Fieser B Dowden Hrsg Internet Encyclopedia of Philosophy Rafael Capurro Menschenbilder Einfuhrung in die Philosophische Anthropologie 1999 Wolfgang Welsch Folien zur Vorlesung Anthropologie PDF Datei 155 kB 29 Seiten WS 2006 07 Lutz Geldsetzer Vorlesung Philosophische Anthropologie WS 1985 86 Joachim Fischer Philosophische Anthropologie Rekonstruktion ihrer diagnostischen Kraft PDF Datei 173 kB 32 Seiten 1995 Plattform Philosophische Anthropologie Einfuhrung Literatur Links Homepage Helmuth Plessner Gesellschaft fur philosophische Anthropologie Literaturliste Theologie Systematisch Theologische Anthropologie 2014 Anmerkungen Bearbeiten Zur Etymologie heisst es bei Gerd Haeffner Philosophie ist das Streben philia nach solide begrundetem Orientierungswissen sophia Der Gegenstand der Philosophischen Anthropologie ist der Mensch anthropos von ihm will man klar und allgemeingultig sagen was er als solcher ist logos Haeffner 2000 S 17 Die Grossschreibung folgt der haufigen Praxis in der Sekundarliteratur und insbesondere dem Ansatz Joachim Fischers der zwischen philosophischer Anthropologie als Disziplin und Philosophischer Anthropologie als Denkrichtung in der Theoriegeschichte des 20 Jahrhunderts unterscheidet siehe Fischer 2008 S 595 siehe unter Rezeption und Kritik Max Scheler Die Sonderstellung des Menschen im Kosmos In Der Leuchter Weltanschauung und Lebensgestaltung Achtes Buch Mensch und Erde Darmstadt 1927 S 162 Haeffner 2000 S 87 f Christoph Wulf Anthropologie Geschichte Kultur Philosophie Reinbek 2004 S 266 f Michael Landmann Philosophische Anthropologie Menschliche Selbstdeutung in Geschichte und Gegenwart 4 Auflage Berlin 1976 S 10 zitiert nach Werner Schussler Hrsg Philosophische Anthropologie Freiburg Munchen 2000 S 10 Vgl Gorgias 493a und Phaidon 82e Johann Gottfried Herder Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit 4 Bde 1784 91 Siehe auch Herders Abhandlung uber den Ursprung der Sprache Vorrede zur Anthropologie 1798 1983 BA III Vgl Thomas Sturm Kant und die Wissenschaften vom Menschen Mentis Paderborn 2009 Vgl Brian Jacobs Patrick Kain Hrsg Essays on Kants anthropology Cambridge 2003 Vgl Jochen Fahrenberg Die Wissenschaftskonzeption der Psychologie bei Immanuel Kant und Wilhelm Wundt In e journal Philosophie der Psychologie 10 2008 online auf jp philo at Vgl Schonpflug 2004 Gerd Juttemann Hrsg Wilhelm Wundts anderes Erbe Gottingen 2006 Marx Engels Werke Band 20 Dialektik der Natur Dietz Verlag Berlin 1962 S 444 Friedrich Nietzsche Der Antichrist KSA 6 Kap 14 S 180 Vgl hierzu im Folgenden die grundliche Monographie von Joachim Fischer Philosophische Anthropologie Eine Denkrichtung des 20 Jahrhunderts 2 Auflage Verlag Karl Alber Freiburg Munchen 2009 Hartung 2008 S 11 in Scheler Vom Umsturz I 275 Vergleiche die Dokumentation der Debatte um Plessners Schrift Wolfgang Essbach Joachim Fischer Helmuth Lethen Hrsg Plessners Grenzen der Gemeinschaft Suhrkamp Frankfurt am Main 2002 Hartung 2008 S 104 Hartung 2008 S 106 f Wilhelm Kamlah Philosophische Anthropologie Sprachkritische Grundlegung und Ethik Mannheim 1984 1978 S 231 Balint Balla Knappheit als Ursprung sozialen Handelns Hamburg 2005 2007 S 45 46 Ferdinand Fellmann Das Paar Eine erotische Rechtfertigung des Menschen Berlin 2005 ISBN 3 937262 24 5 Fischer 2008 S 595 Fischer 2008 S 596 f Hartung 2008 S 10 In Umsturz S 193 Christian Thies Einfuhrung in die philosophische Anthropologie 2 uberarbeitete Auflage Darmstadt 2009 S 7 Haeffner 2000 S 13 Patrick Wilwert Philosophische Anthropologie als Grundlagenwissenschaft Studien zu Max Scheler und Helmuth Plessner Wurzburg 2009 S 175 Patrick Wilwert Philosophische Anthropologie als Grundlagenwissenschaft Studien zu Max Scheler und Helmuth Plessner Wurzburg 2009 S 179 f Wulf 2004 S 262 272 nbsp Dieser Artikel wurde am 12 Marz 2006 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen Normdaten Sachbegriff GND 4045798 9 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Philosophische Anthropologie amp oldid 234391623