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Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig Weitere Bedeutungen sind unter Vergeltung Begriffsklarung aufgefuhrt Als Vergeltung auch Retaliation Wiedervergeltung 1 bezeichnet man im weitesten Sinn jede Reaktion auf eine vorhergegangene Aktion auf Gegenseitigkeit Reziprozitat Nach dem Soziologen Richard Thurnwald ist Gegenseitigkeit die einen Ausgleich zwischen Leistung und Gegenleistung herstellen will ein Grundaspekt ethischer Gesellschaften und die Basis fur jede soziale Vorstellung von Gerechtigkeit Ursprunglich verstand man unter Vergelten eine Gegenleistung oder Belohnung Entgelt fur erwiesene Dienste 2 Verwandt ist der Begriff Geld fur ein Tauschmittel das verschiedene Leistungen oder Waren in Bezug auf ihren gemeinsamen Tauschwert vergleichbar und damit austauschbar werden lasst Die Idee der Wechselseitigkeit hat eine lange Geschichte Sie ist die Ausgleichende wechselseitige Gerechtigkeit des Aristoteles Do ut des lautet die entsprechende Gerechtigkeitsformel des romischen Rechts Vergeltung beschreibt auch der Spruch Wie Du mir so ich Dir 3 Gleiches wird mit Gleichem vergolten Daher gehort das Vergelten auch zum Gleichheitsprinzip der westlichen Verfassungen und der Menschenrechtskonventionen Einen anderen Ansatz der Wechselseitigkeit verfolgt hingegen die ebenfalls traditionsreiche Goldene Regel Heute wird Vergeltung meist als Strafe mit dem Charakter der Suhne und negativ im Sinne von Rache verstanden Sie spielt in verschiedenen Religionen und Ideologien als kosmisches rechtliches und oder politisches Prinzip von Tun und Ergehen oder Lohn und Strafe eine besondere Rolle im Verhaltnis eines Gottes zu den Menschen wie unter den Menschen in diesem oder einem jenseitigen Leben Inhaltsverzeichnis 1 Vergeltung als Rechtsprinzip 1 1 Herkunft 1 2 Frankisches und germanisches Recht 1 3 Griechisch romische Antike 2 Vergeltung als religiose Ethik 2 1 Judentum 2 2 Christentum 2 3 Islam 2 4 Asiatische Religionen 3 Vergeltung in der sakularen Neuzeit 4 Vergeltung als Universalgesetz 5 Vergeltung als politische Strategie 5 1 Nationalsozialismus 5 2 Vergeltung als Kriegsstrategie 6 Siehe auch 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseVergeltung als Rechtsprinzip BearbeitenHerkunft Bearbeiten Hauptartikel Talion Das Vergeltungsprinzip ist eine Wurzel nicht nur des abendlandischen Rechts Man findet zum einen das sogenannte Ius talionis oder Lex talionis in fruhen antiken Rechtstexten die eine Verhaltnismassigkeit zwischen Tat und Suhne herstellen bzw Schadensersatz gewahren wollen Es gab aber zum anderen schon immer die mehrfache Vergeltung das Duplum und auch daruber hinausgehende Bussen allerdings nicht fur Totschlage und Korperverletzungen So gab es die doppelte bis zehnfache Busse bei bestimmten Vermogensdelikten Die Vergeltung bezieht sich aber nur auf Menschen untereinander Sie ist also nicht bei kultischen Delikten zu finden und wird auch durchbrochen wo mit der Strafe auch andere Strafzwecke verfolgt werden wie Generalpravention und Spezialpravention Ausserdem hat sie nur dort eine Funktion wo die Privatstrafe Teil der Rechtsordnung ist Diese zeichnet sich dadurch aus dass gegen einen Gruppenfremden oder eine fremde Gruppe ein Strafanspruch besteht oder die Strafe vom Verletzten vollzogen wird oder ihm zugutekommt 4 Dabei handelt es sich darum dass bisher ausserrechtliche Auseinandersetzungen verrechtlicht werden Aus Krieg wird Fehde aus Fehde Prozess Im Zuge dieser Entwicklung wurden die Sanktionen von der Duldung brachialer Aktionen zu Vermogensbussen abgewandelt Ein wesentlicher Anwendungsfall der Vergeltung ist die Blutrache in geschlechterrechtlich organisierten Gesellschaften Die Vergeltung ist haufig nicht nur ein Recht des Verletzten sondern auch eine Pflicht deren Verletzung die Verpflichteten ehrlos macht oder eine Obliegenheit die ihn bestimmter Rechte beraubt 5 Dies verhinderte auch lange Zeit die Entgegennahme einer Busszahlung Wergeld als Vergeltung weil sie als entehrend galt 6 Das Rechtsprinzip der Vergeltung horte auf als das Strafrecht zum offentlichen Recht wurde Dieser Prozess setzte bereits im 12 Jahrhundert ein Frankisches und germanisches Recht Bearbeiten In den alten frankischen und germanischen Rechten sind Bussen die die Talion um ein Vielfaches uberschritten regelmassig anzutreffen In der Lex Salica 6 Jahrhundert wurde bereits zwischen Wiedergutmachung des Schadens der dilatura 7 und der Strafe die wahrscheinlich auch dem Verletzten zugutekam unterschieden so dass man eigentlich nur bei der Strafe von Vergeltung sprechen kann Die Strafe uberstieg in der Regel die Talion Wenn ein Freier ausserhalb des Hauses etwas im Wert von 2 Pfennig stiehlt werde er zu 600 Pfennig gleich 15 Schilling ausser Wertersatz und dilatura verurteilt 8 Besonders deutlich wird die Trennung wenn Strafe und Wiedergutmachungspflicht verschiedene Personen treffen Wenn ein Knecht etwas im Werte von 40 Pfennig stiehlt werde er entweder entmannt oder er gebe 240 Pfennig gleich 6 Schilling Doch der Herr des Knechtes der den Diebstahl beging leiste dafur Wertersatz 9 Bei den Totungen und Korperverletzungen werden nur Geldstrafen ausgeworfen die aber wahrscheinlich den Verletzten oder Angehorigen zustanden Nur wenn weder der Tater noch die Verwandten die Strafe aufbringen konnten wurde die Todesstrafe verhangt 10 Im Konigsgesetz von 818 819 wurde fur die Totung eines Menschen in der Kirche die Todesstrafe verhangt Wenn es aber in Selbstverteidigung geschah so zahlte er zusatzlich zur Bannbusse 600 Schilling fur die Entweihung der Kirche und musste die Busse die die Geistlichen festsetzten die der Tat die er beging entspricht auf sich nehmen Die Verletzung eines Priesters wurde dreifach gebusst Zwei Teile erhielt der Priester der Dritte als Friedensgeld ging an die Kirche und zusatzlich die Bannbusse fur den Konig 11 In der Lex ribuaria war fur Straftaten gegen Gefolgsleute des Konigs die dreifache Busse angeordnet 12 Das Gleiche galt fur Straftaten gegen die Kirche in der Lex Alamannorum 13 Auch in der Lex Baiuvariorum wurde die Talion uberschritten Fur einen getoteten Kirchenknecht wurde z B angeordnet zwei Knechte zu stellen 14 Auch im Capitulare Saxonicum von 797 wurde fur die Totung eines Konigsboten dreifache Busse festgesetzt Auch in der Lex Thuringorum und in der Lex Francorum Chamavorum sind fur Diebstahle von Haustieren mehrfache Bussen angeordnet In der Lex Frisionum ist fur die Totung einer Geisel neunfache Busse angeordnet 15 In den Gesetzen AEthelberhts von Kent ist ebenfalls die neunfache Busse fur Diebstahl am Konigsgut bestimmt 16 Im Uplandslag des schwedischen Konigs Birger war die Totung aus dem Hinterhalt mit zweifacher Busse belegt Nach diesem Gesetz konnte der Diebstahl von einer halben Mark oder mehr mit dem Tod durch Hangen bestraft werden wenn der Bestohlene sich nicht mit einer Busse begnugte 17 Auch in der Lex Gundobada des Konigs Gundobad von Burgund wurde Viehdiebstahl mit dem Tode des Diebes und der Verknechtung der mitwissenden Ehefrau und der Kinder uber 14 Jahre bestraft 18 Auch schwere Beleidigungen konnen mit dem Tod vergolten werden In Gulathingslov werden Vorwurfe der Homosexualitat aufgezahlt Da mag er ihn auch deshalb wie einen friedlosen Mann fur diese Worte die ich aufgezahlt habe toten wenn er sie durch Zeugen feststellt 19 Soweit dem Konig ein Bussanspruch zustand konnten Tater und Verletzter die Sache auch nicht auf sich beruhen lassen und so den Anspruch des Konigs vereiteln 20 Nach der Gragas gibt es ein Totschlagsrecht fur Manner hinsichtlich einer bestimmten Gruppe ihm nahestehender Frauen wenn sie sexuell missbraucht wurden 21 Griechisch romische Antike Bearbeiten Ahnliche Entwicklungen zu einer Kodifizierung und Verrechtlichung archaischen Rachedenkens lassen sich auch sonst in der Antike feststellen etwa bei Drakon in Athen 621 v Chr Blosse Selbstjustiz wurde als Gefahr fur das Gemeinwesen erkannt Wo Rache um jeden Preis gesucht wird dort herrscht unbeschrankte Willkur und Gewalt vgl Bellum omnium contra omnes die zu Mass und Fristlosigkeit tendiert und damit den Anlass und Ausgangsschaden weit ubertrifft Die Rache sollte durch Recht zuruckdrangt werden Dazu erforderte es ein auf ein Gewaltmonopol gestutztes Gerichtswesen also eine sozial anerkannte allgemeine Rechtsinstanz die das Vergehen und das Strafmass feststellen und seine Ausfuhrung uberwachen sollte Damit kamen aber andere Strafzwecke ins Spiel Auf Seneca wird der Satz zuruckgefuhrt Kein Vernunftiger straft allein wegen des begangenen Unrechts der Vernunftige straft um kunftige Gefahr zu verhuten 22 Damit ist der Gedanke der Vergeltung grundsatzlich in Frage gestellt Vergeltung als religiose Ethik BearbeitenJudentum Bearbeiten Hauptartikel Auge fur Auge Im Tanach erscheint der Rechtssatz Leben fur Leben Auge fur Auge nur in Bezug auf Falle von Korperverletzung oder Meineid und nur als Anrede an Tater angehorige und Richter nicht an Geschadigte In den im Talmud gesammelten Erorterungen der Rabbiner wurde dieser Rechtssatz seit dem 1 Jahrhundert vor Christus diskutiert dabei setzte sich die Auffassung durch dass er nur einen der Tat angemessenen Schadensersatz keine gleichartige Schadenszufugung verlange Christentum Bearbeiten Im Neuen Testament stellt Jesus von Nazaret das judische Toragebot der Nachstenliebe die er als Feindesliebe aktualisiert dem Vergeltungsrecht gegenuber So heisst es in Mt 5 38ff Ihr habt gehort dass da gesagt ist Auge um Auge Zahn um Zahn Ich aber sage euch dass ihr nicht widerstreben sollt dem Ubel sondern so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen dem biete den andern auch dar Und so jemand mit dir rechten will und deinen Rock nehmen dem lass auch den Mantel Liebet eure Feinde segnet die euch fluchen tut wohl denen die euch hassen bittet fur die die euch beleidigen und verfolgen Auch hier handelt es sich um eine personale Relation nicht um staatliches Recht Wo irdische Vergeltung ausbleiben konnte wird unter Christen auf Gott verwiesen vgl den Dank Vergelt s Gott Islam Bearbeiten Der Offenbarungscharakter des koranischen Vergeltungsrechts und dessen konkrete Strafbestimmungen begrenzen im Islam die Auslegungsmoglichkeiten des Talionsgebots Die Schari a macht offenbartes durch Auslegungen Mohammeds Sunna und spatere Rechtsprechung tradiertes Recht fur alle Lebensbereiche geltend Sie unterscheidet grundlegend zwischen Verstossen gegen Gottesrecht und Menschenrecht Erstere werden mit im Koran festgelegten Grenzstrafen ḥudud meist Steinigung oder Geisselung bestraft um die gottliche Ordnung zu sichern Letztere werden entweder durch Familienangehorige der Opfer vergolten qiṣaṣ oder nach dem Ermessen eines Richters bestraft Bei Vergehen gegen Leib und Leben anderer Menschen wird die Wiedervergeltung nach Sure 5 45 angewandt Ein islamisches Gericht muss zuerst die Schuld des Taters feststellen Dabei reichen die Aussage des Opfers und eines anderen Zeugen fur eine Verurteilung aus Diese mussen keine direkten Augenzeugen sein auch ein Indizienbeweis wird in Qiṣaṣ Fallen zugelassen Bei gerichtlich festgestellter Korperverletzung durfen das Opfer oder seine Familie dem Tater unter Aufsicht des Richters die exakt gleiche Verletzung zufugen die er dem Opfer zugefugt hatte Der Tater muss zudem eine gute Tat fur Gott begehen etwa fasten oder eine Geldspende entrichten fruher einen Sklaven freilassen Bei Totungsdelikten wird der Tater nur dann getotet wenn der nachste mannliche Verwandte des Opfers dies vor Gericht verlangt Zudem darf die Vergeltung gemass Sure 2 178 nur dann vollstreckt werden wenn Tater und Opfer gleich sind Fur einen Mann darf nur ein anderer Mann fur eine Frau eine andere Frau fur einen Sklaven ein Sklave getotet werden Diese Bedingung erfullen nur wenige Falle so dass dann nur eine vom Richter festgesetzte Strafe in Betracht kommt Diese kann je nach Beurteilung des Einzelfalls von Freispruch bis zur Todesstrafe reichen Ein Verfahren wird sofort eingestellt wenn das Opfer dem Tater vergibt oder dieser glaubhaft und nachhaltig Reue bekundet Wer dieses Wiedervergeltungsrecht bricht kann auf Antrag des Opfers oder seiner Familie strafverfolgt werden Faktisch uben Opferfamilien jedoch oft Selbstjustiz die als Blutrache fur die Verletzung der Familienehre gesellschaftlich gebilligt und vielfach nicht verfolgt wird Erst die Totung dessen der die Ehre verletzt hat gilt als deren Wiederherstellung Wenn eine Wiedervergeltung wegen Ungleichheit von Tater und Opfer nicht moglich ist oder die Familie des Opfers sie nicht verlangt kann diese dafur einen Blutpreis diya beanspruchen Fur eine Frau ist das Blutgeld nur halb so hoch Auch fur Nichtmuslime ist es meist niedriger Bei einer Korperverletzung wird die Hohe nach der Schwere der Tat abgestuft Die Zahlung ersetzt nicht die gute Tat die ein Tater auch dann begehen muss 23 In Koran und Hadith erscheint das Prinzip der gottlichen Vergeltung oftmals im Zusammenhang mit dem Jungsten Tag in eschatologischer Bedeutung indem den Rechtschaffenen das Paradies und den Frevlern die Holle zugesprochen wird Asiatische Religionen Bearbeiten Hinduismus Buddhismus und Taoismus glauben an das ewige Rad des Karma das vom Selbst erzeugte schicksalhafte universale Vergeltungsgesetz Das menschliche Wiedervergelten ist demgegenuber gerade nicht gefordert sondern soll uberwunden werden weil es karmische Wirkungen erzeugt Der taoistische Begriff des Geschehenlassens Wu wei rat zu einem widerstandslosen auf Gegengewalt verzichtenden Annehmen des erlittenen Unrechts Der Buddhismus betont die negative Ruckwirkung von Vergeltungsgedanken sowie die Gefahr einer leidverursachenden Verlangerung von Feindseligkeit und Gewalt Er beschimpfte mich schlug mich besiegte mich beraubte mich jenen die daruber grubeln kommt ihre Feindseligkeit nicht zum Erliegen Feindseligkeiten kommen nicht durch Feindseligkeiten zum Erliegen egal was passiert Feindseligkeiten kommen durch Nicht Feindseligkeit zum Erliegen dies eine nie endende Wahrheit Nicht so wie jene die nicht erkennen dass wir hier am Rande des Todes sind die die es erkennen ihre Streitigkeiten sind zum Erliegen gekommen Dhammapada 3 4 Mahatma Gandhi machte auf die unweigerlichen Folgen jeder gewaltsamen Rache aufmerksam Ihm wird das Zitat zugeschrieben Auge um Auge und die ganze Welt wird erblinden Vergeltung in der sakularen Neuzeit BearbeitenDas Talionsprinzip wurde allmahlich abgewandelt Man versuchte unter dem Stichwort Angemessenheit den Gesichtspunkt des Gleichgewichts zwischen Tat und Strafe auch im staatlichen Strafrecht zur Geltung zu bringen Demzufolge sollte das Strafmass sich nunmehr nicht mehr wie bisher am Schaden den der Tater verursacht hatte orientieren sondern sich nach der kriminellen Energie des Taters bemessen Diese wurde als Unrecht gewertet insofern sie gegen eine allgemeingultige Rechtsnorm verstosst Dabei unterschied bereits die Antike zunehmend genau zwischen Unfall Versehen Fahrlassigkeit und Vorsatz Letzterer ruckte neuzeitlich in den Mittelpunkt der Rechtsphilosophie Denn mit dem im Naturrecht begrundeten Menschenrechten war das Bild eines ethisch verantwortlichen Taters verbunden der moralische Entscheidungsfreiheit besitze und darum schuldfahig sei Immanuel Kant leitete in seiner Metaphysik der Sitten 1797 Qualitat und Quantitat der Strafe aus dem Ius talionis her Dieses war fur ihn die Basis der den Individuen ubergeordneten staatlichen Rechtsordnung Ihm war bewusst dass ein Rechtsstaat das Prinzip Gleiches mit Gleichem nicht buchstablich erfullen konne aber gleichwohl durchsetzen musse um die Rechtsordnung zu wahren und Unrecht zu suhnen Daher musse er nach einem Surrogat zur Befriedigung der Gerechtigkeit suchen also einer staatlichen Sanktion die proportionirlich mit der inneren Bosartigkeit der Verbrecher zu halten sei 24 Er bestand daher auf der Hinrichtung eines Morders sogar fur den fiktiven Fall dass eine Gesellschaft ihre Selbstauflosung beschliesse Selbst wenn sich die burgerliche Gesellschaft mit allen Gliedern in Einstimmung aufloste z B das eine Insel bewohnende Volk beschlosse auseinanderzugehen und sich in aller Welt zu zerstreuen musste der letzte im Gefangnis befindliche Morder vorher hingerichtet werden damit Jedermann das widerfahre was seine Taten wert sind und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte das auf die Bestrafung nicht gedrungen hat weil es als Teilnehmer an dieser offentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann 25 Kant hielt damit den biblischen Gedanken fest dass die Strafe nicht nur eine Norm oder einen sozialen Zweck erfullen sondern eine Tat am Tater suhnen musse und dafur das Kollektiv verantwortlich sei Aber er war sich auch daruber im Klaren dass ein Gleichgewicht zwischen Tat und Vermogensstrafe nicht auch ein Gleichgewicht bei den Tatern bewirke weil ein Reicher sich eine solche Tat im Gegensatz zum Armen durchaus erlauben konnen 26 Damit hatte er das Vergeltungsprinzip der Privatstrafe auf die Vergeltung gesellschaftlicher Rechtsguter ubertragen Der Rechtswissenschaftler Hans Welzel 1904 1977 ubernahm diesen Gedanken und vertrat dass die Schuld des Taters das Strafmass nicht nur rechtfertigen sondern auch zumessen solle Dieser Gedanke ist in 46 des bundesdeutschen Strafgesetzbuchs eingeflossen Die Schuld des Taters ist Grundlage fur die Zumessung der Strafe 27 Die praventiven Strafzwecke blieben ausgeblendet ebenso dass die Zumessung sich im Rahmen des vom Gesetz vorgegebenen Strafrahmens halten mussen der seinerseits das Mass personlicher Schuld des einzelnen Taters in seinem generalisierenden Strafanspruch gar nicht berucksichtigen kann 28 Damit ist der Vergeltungsgedanke im Strafrecht auch unter den Uberlegungen Kants vollstandig aufgelost Dies zeigt sich auch an den Strafnormen die weit vor einem wie auch immer definierten durch den Tater verursachten gesellschaftlichen Schaden liegen sodass ein wie auch immer geartetes Gleichgewicht zwischen angerichtetem Schaden und Strafe uberhaupt nicht bemessen werden kann sondern allein polizeipraventive Gesichtspunkte eine Rolle spielen wie beim privaten Besitz von Rauschgift oder bestimmter pornografischer Erzeugnisse Vergeltung als Universalgesetz BearbeitenDie Idee der Vergeltung beziehungsweise das Prinzip Tit for Tat wird als ein wesentliches Prinzip der Kooperation unter Lebewesen angesehen Denn so schreibt der Politologe Robert Axelrod unbedingte Kooperation tendiert dazu den anderen Spieler zu verderben sie belasst die Burde der Besserung schadigender Spieler bei dem ubrigen Teil der Gemeinschaft was es nahelegt dass Reziprozitat eine bessere Grundlage fur Moralitat ist als unbedingte Kooperation 29 Auch das Schwarmverhalten spiegelt den Gedanken der wechselseitigen Achtung 30 Vergeltung als politische Strategie BearbeitenNationalsozialismus Bearbeiten nbsp Deutsche Vergeltungsmassnahme in Warschau 1944 Erbarmungslose Vergeltung wurde in der politischen Religion des Nationalsozialismus zum einen als judische Wesenseigenschaft zum anderen als eine Art Naturgesetz und notwendige Selbstbehauptung im Rassenkampf propagiert Vergeltung als Kriegsstrategie Bearbeiten Im 20 Jahrhundert gewann der Luftkrieg mit Bombenangriffen auf feindliches Hinterland eine dominierende Rolle in der Kriegsfuhrung Seitdem ist Vergeltung ein verbreitetes Propagandaschlagwort fur aktive oder reaktive Luftangriffe geworden So flog die deutsche Luftwaffe vom 20 Januar bis Mai 1944 Angriffe auf britische Stadte vor allem London die als Vergeltung fur vorausgegangene britische Luftangriffe auf deutsche Stadte ausgegeben wurden Diese von Briten als Babyblitz verspottet hatten keinen militarischen Zweck 31 Seit 1943 kundigte das NS Regime Vergeltungswaffen an die eine entscheidende Kriegswende herbeifuhren sollten Diese seit Juni 1944 einsetzbaren V1 und V2 Raketen waren nicht prazise lenkbare Fernwaffen die nur dem Terror der feindlichen und der Beruhigung der eigenen Bevolkerung dienten oder dienen sollten 32 Als ebenso sinnlos bewerten manche Historiker heute auch die alliierten Luftangriffe auf Dresden und Hamburg 33 Im Kalten Krieg spielten auf beiden Seiten des Ost West Konflikts konventionelle und vor allem atomare Kriegsszenarien und Vergeltungsstrategien zwecks Abschreckung des Gegners eine zentrale Rolle Seit den Atombombenabwurfen auf Hiroshima und Nagasaki 1945 bis 1954 drohten die USA der Sowjetunion massive Vergeltung engl massive retaliation an Orten und mit Mitteln eigener Wahl fur jeden nicht naher definierten Expansionsversuch an Erst nachdem die Sowjetunion 1954 ebenfalls nicht nur Atombomben sondern auch Wasserstoffbomben und Langstreckenbomber besass erreichte sie ein atomares Gleichgewicht des Schreckens Dieses Atompatt basierte auf der Fahigkeit zum vernichtenden Zweitschlag auch im Falle eines Uberraschungsangriffs durch den Gegner Mutual assured destruction Dies zwang die USA ihre Strategie zur flexiblen Antwort Flexible Response zu modifizieren Siehe auch BearbeitenSchadensersatz Soziale Sanktion Wiedergutmachung TalionLiteratur BearbeitenBegriffsgeschichte Jacob und Wilhelm Grimm Deutsches Worterbuch dtv 1984 Europaische Rechtsgeschichte Reinhold Schmid Hrsg Die Gesetze der Angelsachsen In der Ursprache mit Uebersetzung Erlauterungen und einem antiquarischen Glossar Leipzig 1858 Karl August Eckhardt Hrsg Die Gesetze des Karolingerreiches 714 911 Weimar 1934 Bd I Salische und ribuarische Franken II Alemannen und Bayern III Sachsen Thuringer Chamaven und Friesen Claudius Frh v Schwerin Schwedische Rechte Alteres Westgotalag Uplandslag Germanenrechte Bd 7 Weimar 1935 Franz Beyerle Hrsg Gesetze der Burgunden Germanenrechte Bd 10 Weimar 1936 Andreas Heusler Islandisches Recht Die Graugans hier Gragas Germanenrechte Bd 9 Weimar 1937 Hans Welzel Das Deutsche Strafrecht Berlin 1954 W Preise Blutrache In Handworterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte Berlin 1971 Bd 1 Spalte 459 461 H Holzhauer Privatstrafe In Handworterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte Berlin 1984 Bd 3 Spalte 1993 1998 Aussereuropaische Rechtsgeschichte Richard J Evans Rituale der Vergeltung Kindler Verlag GmbH 2001 ISBN 3 463 40400 1 Christine Schirrmacher Ursula Spuler Stegemann Frauen und die Scharia Munchen 2004 Rechtsphilosophie Immanuel Kant Metaphysik der Sitten In Kant Werke Insel Bd IV Immanuel Kant Die Metaphysik der Sitten Erster Theil Metaphysische Anfangsgrunde der Rechtslehre E Vom Straf und Begnadigungsrecht I 1797 W Naucke Straftheorie Strafzweck In Handworterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte Berlin 1984 Bd 5 Spalte 1 6 Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Vergeltung Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Jewish Encyclopedia Retaliation Jakob Stehle Lex Talionis Brigitte Gensch Auge fur Auge nicht Auge um Auge Manfred Oeming Universitat Heidelberg Auge um Auge Zahn um Zahn 2003 Detlef Kraus Schuld im Strafrecht Antrittsvorlesung 1992 PDF 70 kB Einzelnachweise Bearbeiten http www retrobibliothek de retrobib seite html id 113590 Grimm Bd 25 Sp 411 Axel Montenbruck Strafrechtsphilosophie 1995 2010 Vergeltung Strafzeit Sundenbock Menschenrechtsstrafe Naturrecht 2 erweiterte Auflage FU Berlin Berlin 2010 online S 3 43 H Holzhauer Sp 1994 Frostathingslov Nr 22 Keiner soll das zu einem anderen sagen dass er eine Beschamung verschuldet habe nach einer Glosse eine Rechtskrankung ohne Genugtuung hingenommen habe Gulathingslov Nr 186 Nun hat niemand Bussanspruch fur sich ofter als dreimal weder Mann noch Frau wenn er sich nicht dazwischen racht Preiser Sp 459 Ersatz fur den Schaden der durch die Zeit die zwischen der Vorverhandlung und der folgenden Ruckgabe oder Entschadigung liegt entstanden ist Mediae latinitatis Bd I S 437 Eckhardt Lex Salica Nr 12 1 Eckhardt Lex Salica Nr 13 2 Eckhardt Lex Salica Nr 61 Und wenn ihn keiner der Seinen durch Busse auslosen kann busse er mit dem Leben Eckhardt I S 115 Eckhardt S 143 Eckhardt II S 9 Eckhardt II S 81 Eckhardt III S 93 Aethelbirhts Gesetze Kap 1 Nr 4 Schmid S 3 v Schwerin Uplandslag Nrn 11 38 Lex Gundobada Nr 47 Gulathingslov Nr 196 Gulathingslov Nr 214 Gragas III Nr 90 Naucke Sp 2 Schirrmacher S 50 Kant A 200 B 230 Bd 4 S 455 Kant A 199 B 229 Bd 4 S 455 Kant A 198 B 228 Bd 4 S 454 Welzel S 103 Kraus S 15 Robert Axelrod Die Evolution der Kooperation 1984 u a 2005 ISBN 3 486 53995 7 u a 122 Axel Montenbruck Zivilreligion Eine Rechtsphilosophie I Grundlegung Westlicher demokratischer Praambel Humanismus und universelle Trias Natur Seele und Vernunft 3 erheblich erweiterte Auflage 2011 115 ff Universitatsbibliothek der Freien Universitat Berlin open access Sonke Neitzel Die deutschen Luftangriffe auf feindliche Stadte im Ersten und Zweiten Weltkrieg Memento des Originals vom 10 Juni 2007 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www historicum net Ralf Blank Die Battle of the Ruhr Memento des Originals vom 29 September 2007 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www historicum net A C Grayling Among the Dead Cities Bloomsbury London 2006 ISBN 0 7475 7671 8 Die toten Stadte Waren die alliierten Bombenangriffe Kriegsverbrechen Bertelsmann Munchen 2007 ISBN 978 3 570 00845 4 Normdaten Sachbegriff GND 4187705 6 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Vergeltung amp oldid 230552551