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Weltoffenheit ist ein Begriff aus der philosophischen Anthropologie Er bezeichnet die Entbundenheit des Menschen von organischen Zwangen Trieben und seiner unmittelbaren Umwelt und betont seine Offnung hin zu einer von ihm selbst hervorgebrachten kulturellen Welt Hiermit geht einher dass der Mensch ohne festgelegte Verhaltensmuster geboren wird und sich Verhaltenssicherheit in der Welt immer erst erwerben muss Umgangssprachlich bezeichnet der Begriff eine Aufgeschlossenheit gegenuber anderen Kulturen So kann beispielsweise ein Mensch oder eine Gesellschaft weltoffen sein man spricht etwa von einer weltoffenen Stadt Inhaltsverzeichnis 1 Begriffsgeschichte 1 1 Renaissance 1 2 18 Jahrhundert 1 3 20 Jahrhundert 2 Weltoffenheit in der Theologie 3 Weltoffenheit in der Wappenkunde 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseBegriffsgeschichte BearbeitenRenaissance Bearbeiten Der Begriff lasst sich bis zu Pico della Mirandola zuruckverfolgen Dieser interpretiert die Schopfungsgeschichte so dass Gott nach der Vollendung von Himmel Erde Tier und Pflanzenwelt fur den Menschen keinen festen Ort mehr hatte Dies sei allerdings nicht einem Fehler Gottes geschuldet sondern ermoglicht gerade dass der Mensch sich in der Weltmitte stehend erkennend seinen eigenen Ort schaffen kann 18 Jahrhundert Bearbeiten Herder bestimmt in seiner Abhandlung uber den Ursprung der Sprache den Menschen als Mangelwesen das sich vor allem in der Sprache eine eigene Welt schaffe und weitervererbe nbsp Johann Gottfried Herder Der Mensch hat keine so einformige und enge Sphare wo nur eine Arbeit auf ihn warte eine Welt von Geschaften und Bestimmungen liegt um ihn Seine Sinne und Organisation sind nicht auf eins gescharft er hat Sinne fur alles und naturlich also fur jedes einzelne schwachere und stumpfere Sinne Unsre Muttersprache war ja zugleich die erste Welt die wir sahen die ersten Empfindungen die wir fuhlten die erste Wurksamkeit und Freude die wir genossen 1 20 Jahrhundert Bearbeiten In der Anfang des 20 Jahrhunderts zu grosser Bedeutung gelangten philosophischen Anthropologie nimmt der Begriff eine zentrale Bedeutung bei Max Scheler ein der mit ihm den Unterschied zwischen Mensch und Tier bestimmt Der Mensch ist von organisch triebhaften Zwangen entbunden er ist nicht mehr an seine Umwelt gefesselt sondern umweltfrei und weltoffen Der Mensch hat Welt Er nimmt aufgrund seiner Instinktreduktion eine Sonderstellung in der Natur ein Durch die Weltoffenheit uberwindet der Mensch die Umweltgeschlossenheit Arnold Gehlen nimmt diese Definition Schelers auf Wahrend das Tier den aus der Umwelt empfangenen Reizen unmittelbar ausgesetzt ist ist der Mensch umweltenthoben und kann sich frei zu den Reizen verhalten d h ist weltoffen fur sie Begrundet ist dies u a in einer organischen Mittellosigkeit und Unspezialisiertheit des Menschen welche ihn als Mangelwesen Herder dazu zwingen sich selbst Orientierungs und Sinnstrukturen zu schaffen Der Mensch ist also ein Kultur produzierendes Wesen welches sich durch voraussehendes geplantes und gemeinsames Handeln auszeichnet weshalb er von Gehlen als Prometheus gr der Vorausdenkende Figur in der gr Mythologie bezeichnet wird Er ist biologisch zur Naturbeherrschung gezwungen Helmuth Plessner lehnte die Definition der Weltoffenheit bei Scheler als Uberwindung der Umweltgeschlossenheit ab Er betonte dass beim Menschen Umweltgebundenheit und Weltoffenheit kollidieren und nur im Verhaltnis einer nicht zum Ausgleich zu bringenden gegenseitigen Verschrankung gelten 2 Martin Heidegger erklart die Weltoffenheit des Menschen in Grundbegriffe der Metaphysik 1929 1930 anhand der These der Stein ist weltlos das Tier ist weltarm der Mensch ist weltbildend 3 Infolge seiner Weltarmut ist dem Tier das Seiende als Seiendes nicht zuganglich es ist verwoben in seine Umwelt bestehend aus einem Umring von Trieben die auf einzelnes Begegnendes hin enthemmen und dazu fuhren dass das Tier von der Sache hingenommen ist 4 Damit ist dem Tier ein freies Verhalten zum Seienden verwehrt Verhalten ist nur dem Menschen eigentumlich Durch die Verbindung von Trieb und seinem Gegenstand ist das Tier in seinem Tun benommen Wegen dieser Benommenheit und in Abgrenzung zum menschlichen Verhalten sagt Heidegger das Tier benimmt sich 5 Fur die Gebundenheit des Tieres an seine Umwelt stutzt sich Heidegger dabei wie schon fruher Scheler auf die Forschungen von Uexkull und dessen spezifische Verwendung des Begriffs Umwelt Der Mensch hingegen kann sich zu Seiendem frei verhalten weil er in der Lage ist etwas als etwas aufzufassen 6 d h das Sein ein und desselben Seienden verschiedenartig aufzufassen siehe Ontologische Differenz Sich so zu Seiendem verhaltend bildet sich der Mensch eine Welt indem er das Seiende im Hinblick auf das Ganze bestimmt Ob beispielsweise etwas heilig oder profan ist bestimmt sich nur im Hinblick auf die Ordnung des Gottlichen und die Ordnung des Seins im Ganzen Wenn er so immer das einzelne Seiende im Hinblick auf das Ganze bestimmt ist er erganzend d h weltbildend 7 Dem Tier hingegen ist es unmoglich ein Seiendes im Hinblick auf eine Welt als Bedeutungsganzheit zu interpretieren Es bleibt auf seine Umwelt beschrankt und ist daher weltarm es entbehrt Welt Hieraus erklart sich auch warum sich die Welt in welcher der Mensch lebt andern kann denn wenn etwas als etwas aufgefasst werden kann und immer auch muss dann ist dieses als eben nicht festgestellt und kann sich uber Generationen andern wohingegen das Tier auch uber viele Generationen hinweg mit einer festen Umwelt und darauf angepassten Trieben und Reaktionsmustern ausgestattet ist Jean Paul Sartre dient Heideggers Definition der Weltoffenheit spater als eine Grundlage fur die von ihm mitbegrundete philosophische Stromung des Existenzialismus Weltoffenheit wird gleichgesetzt mit absoluter Freiheit des Menschen zu welcher er verurteilt ist Nach Sartre kann sich deshalb der Mensch auf keine Ordnung oder Weltanschauung stutzen weil er das ist was er selbst aus sich macht Wenn die Existenz dem Wesen vorausgeht das heisst wenn die Tatsache dass wir existieren uns nicht von der Notwendigkeit entlastet uns unser Wesen erst durch unser Handeln zu schaffen dann sind wir damit solange wir leben zur Freiheit verurteilt Der Psychologe und Sozialphilosoph Erich Fromm bezieht sich indirekt ohne den Begriff Weltoffenheit explizit zu nennen auf Sartre wobei er zu einer gegensatzlichen Meinung kommt Ihm dient die Tatsache dass die Spezies Mensch als jener Primat definiert werden kann welcher an dem Punkt der Evolution auftrat als die instinktive Determinierung ein Minimum und die Entwicklung des Gehirns ein Maximum erreicht hatte 8 als Grundlage fur seinen Religionsbegriff Religion ist nach Fromms weit gefasster Definition jedes von einer Gruppe geteilte System des Denkens und Handelns das dem einzelnen einen Rahmen der Orientierung und ein Objekt der Hingabe bietet 9 Sie ist fur den Menschen lebensnotwendig weil er ohne diesen Rahmen der Orientierung an der alternativen Sinnlosigkeit seiner Existenz verzweifelte in Passivitat verfiele und schliesslich seelisch und korperlich absturbe Fur Fromm bedeutet Weltoffenheit also nicht die Absage an samtliche Ordnungen und Weltanschauungen sondern sie ist im Gegenteil deren Legitimation Weltoffenheit in der Theologie BearbeitenDie Erkenntnis der Weltoffenheit des Menschen dient in der Theologie auch als eine der Grundlagen fur die Formulierung des judisch christlichen Menschenbildes nach dem der Mensch Abbild Gottes Gen 1 26 ist Dass der Mensch und nur er unter allen Lebewesen Bild Gottes genannt wird ist zunachst Ausdruck seines Herausgehobenseins aus der Natur Dieses Herausgehobensein lasst sich an einzelnen Phanomenen aufweisen Differenziertheit des organischen Systems biologische Unspezialisiertheit Weltoffenheit Rationalitat Sprache Bewusstsein Selbstbestimmung Gewissen u a 10 Weltoffenheit in der Wappenkunde BearbeitenIn der Heraldik stehen geoffnete Tore wie in Offenburg redend ebenfalls fur eine derartige Haltung Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Weltoffenheit Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen http soziologie soz uni linz ac at sozthe freitour skriptum Sport doc DOC Datei 310 KB Einzelnachweise Bearbeiten Herder Abhandlung uber den Ursprung der Sprache 1 2 Vorlage Toter Link www nio uos de Seite nicht mehr abrufbar festgestellt im Marz 2018 Suche in Webarchiven nbsp Info Der Link wurde automatisch als defekt markiert Bitte prufe den Link gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis Zitiert nach Historisches Worterbuch der Philosophie Weltoffenheit Bd 12 S 497 Martin Heidegger Grundbegriffe der Metaphysik Welt Endlichkeit Einsamkeit GA 29 20 S 261 Vgl Martin Heidegger Grundbegriffe der Metaphysik Welt Endlichkeit Einsamkeit GA 29 20 S 369f Vgl Martin Heidegger Grundbegriffe der Metaphysik Welt Endlichkeit Einsamkeit GA 29 20 S 344ff Martin Heidegger Grundbegriffe der Metaphysik Welt Endlichkeit Einsamkeit GA 29 20 S 397 Vgl Martin Heidegger Grundbegriffe der Metaphysik Welt Endlichkeit Einsamkeit GA 29 20 S 498f Vgl Erich Fromm Haben oder Sein SPIEGEL Edition 28 S 158 Vgl Erich Fromm Haben oder Sein SPIEGEL Edition 28 S 156 Duhn Polling Mensch noch mal Hildesheim u a 1993 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Weltoffenheit amp oldid 235597618