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Dieser Artikel behandelt den philosophischen Begriff Zur umgangssprachlichen Verwendung siehe Konsumismus Der Materialismus ist eine erkenntnistheoretische und ontologische Position die alle Vorgange und Phanomene der Welt auf Materie und deren Gesetzmassigkeiten und Verhaltnisse zuruckfuhrt Damit ist er auch eine Form des Naturalismus In der Grundfrage der Philosophie grenzt sich der Materialismus von allen anderen Philosophien ab Die idealistische Losung der Grundfrage der Philosophie geht in allen Varianten vom Primat des Bewusstseins gegenuber der Materie aus Der Materialismus geht davon aus dass selbst Gedanken Gefuhle oder das Bewusstsein auf Materie zuruckgefuhrt werden konnen Er erklart die den Menschen umgebende Welt und die in ihr ablaufenden Prozesse ohne Gott In der Gegenwartsphilosophie wird der Begriff Physikalismus oft gleichbedeutend mit Materialismus verwendet Gegenbegriffe sind der Idealismus fur den nur Bewusstseinsinhalte eigentlich wirklich sind und der Dualismus fur den das Physische und das Psychische zwei strikt voneinander getrennte eigenstandig existierende Seinsbereiche darstellen Inhaltsverzeichnis 1 Begriff 2 Geschichte 2 1 Bis zum Anfang des 19 Jahrhunderts 2 2 Historischer und Dialektischer Materialismus 2 3 Analytische Philosophie 3 Kritik am Materialismus und Auseinandersetzung mit dem Idealismus 3 1 Grundlegende Positionen Erkenntnistheorie und Materialismus 3 2 Materialismus und die Wahrnehmung von Raum und Zeit 4 Siehe auch 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseBegriff BearbeitenDer Begriff Materialismus wurde zuerst im 17 Jahrhundert von Henry More verwendet und findet sich auch in der Korrespondenz von Gottfried Wilhelm Leibniz mit Samuel Clarke wieder 1 In seinem heutigen Verstandnis ist er eine Schopfung des 18 Jahrhunderts 2 Noch bis in die Mitte des 18 Jahrhunderts erscheint Naturalist in den beiden grundverschiedenen Bedeutungen von Naturwissenschaftler und Materialist In Deutschland findet sich auch Realist fur Materialist W Kraus Schon bei La Mettrie hat der Begriff eine zentrale Bedeutung gewonnen In seiner Schrift L homme machine Der Mensch eine Maschine aus dem Jahre 1747 heisst es Ich fuhre die philosophischen Systeme von der menschlichen Seele auf zwei zuruck Das erste und alteste ist das System des Materialismus das zweite ist das des Spiritualismus Auch bei Diderot in dem Enzyklopadieartikel zu Immaterialismus oder Spiritualismus 1765 und bei Holbach im Systeme de la nature System der Natur 1770 werden Materialismus und Immaterialismus oder Spiritualismus einander gegenubergestellt Holbach schreibt Wenn wir mit Hilfe der Erfahrung die Elemente erkennen wurden die die Grundlage des Temperaments eines Menschen oder des grosseren Teils der Individuen ausmachen aus denen sich ein Volk zusammensetzt so wussten wir was fur sie richtig ware welche Gesetze und Einrichtungen fur sie notwendig und nutzlich waren Mit einem Wort die Moral und Politik konnen aus dem Materialismus Vorteile ziehen die ihnen die Lehre vom Spiritualismus niemals geben kann und an die auch nur zu denken diese Lehre sie hindert Der Mensch wird stets fur alle ein Geheimnis bleiben die darauf beharren ihn mit den voreingenommenen Augen der Theologie zu sehen In Helvetius nachgelassenem Werk De l homme Vom Menschen 1772 wird betont dass die Worte Materialist und Aufklarer gleichbedeutend seien Auch Kant unterscheidet zwischen Materialismus und Spiritualismus Die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft 1793 Fur Hegel ist der Materialismus Naturalismus das konsequente System des Empirismus ENZ 1830 60 Heine weist in seiner Schrift Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland 1834 darauf hin dass man in Frankreich zwischen Sensualismus einerseits und Spiritualismus manchmal auch Rationalismus andererseits unterscheide Er selbst zieht aber die Unterscheidung zwischen Materialismus und Idealismus vor Den Materialismus definiert er als die Lehre von der Geisteserkenntnis durch die Erfahrung durch die Sinne als die Lehre von den Ideen a posteriori und den Idealismus als die Lehre von den angeborenen Ideen von den Ideen a priori Geschichte BearbeitenBis zum Anfang des 19 Jahrhunderts Bearbeiten Die Ursprunge des Materialismus liegen in der griechischen Naturphilosophie Wichtige Vordenker sind u a Thales Anaximander Epikur vor allem aber Leukipp und Demokrit die Begrunder der materiellen Atomistik Die Naturphilosophen suchten naturliche Erklarungen der Wirklichkeit anstelle der mythologischen Die Naturphilosophie gilt somit auch als Vorlauferin der modernen Wissenschaft Als Vertreter des Materialismus im Zeitalter der Aufklarung sind ab 1750 La Mettrie gefolgt von d Holbach Helvetius sowie d Alembert und Diderot zu nennen Fur grosses Aufsehen sowohl bei den Aufklarern als auch bei deren Gegnern sorgte 1770 die pseudonyme Veroffentlichung von Holbachs Systeme de la nature Dieses zweibandige Werk legt ein mechanistisches Weltbild dar in dem die Natur aus sich selbst wirkt und alle Prozesse deterministisch ablaufen Das Werk pladiert ausdrucklich fur Atheismus dem es die moralische Uberlegenheit attestiert und argumentiert gegen verschiedene Gottesbeweise Ein materialistisches Weltbild hatte jedoch schon uber 100 Jahre fruher der Philosoph Rene Descartes Er reduzierte den lebenden Organismus auch des Menschen auf dessen Mechanik und definierte die Materie als Gegenstuck zum Geist Ein streng mechanistisches deterministisches Weltbild entwarf nach den Philosophen der Aufklarung der franzosische Mathematiker Physiker und Philosoph Laplace Er behauptete die Kenntnis des gegenwartigen Zustands eines jeden Teilchens im Universum erlaube es auf Grundlage der Naturgesetze den Zustand des Universums zu jedem zukunftigen Zeitpunkt zu bestimmen vgl Laplacescher Damon Gegen die Vorstellung vom Laplaceschen Damon lassen sich verschiedene Einwande erheben die auf von der Physik nach Laplace erkannten Gesetzmassigkeiten beruhen Der Laplacesche Damon dient heute nur noch zur Veranschaulichung eines streng deterministischen Weltbildes Historischer und Dialektischer Materialismus Bearbeiten Hauptartikel Historischer Materialismus und Dialektischer Materialismus Junghegelianische materialistische Wendungen des absoluten Idealismus Hegels entwickelten Ludwig Feuerbach Karl Marx und Friedrich Engels ab den 1840er Jahren Unter Ruckgriff auf die englische Nationalokonomie insbesondere Smiths und Ricardos sowie Ideen des franzosischen Sozialismus begrundeten Marx und Engels ihre materialistische Geschichtsphilosophie beim spaten Engels und in dessen Nachfolge als Historischer Materialismus bezeichnet und dialektischen Methode Engels wandte sich zugleich gegen den damals aufkommenden nicht dialektischen naturwissenschaftlichen Materialismus der im Materialismusstreit mit dem aufkommenden sich ebenfalls von Hegel lossagenden Neukantianismus in Konflikt geriet zuweilen als Vulgarmaterialismus bezeichnet Der dialektische Materialismus knupft insbesondere an die von Engels im Anti Duhring und der Dialektik der Natur vorgenommene Verweltanschaulichung an und wurde mit dem historischen Materialismus zusammen hegemonialer philosophischer Grundansatz in den realsozialistischen Staaten vgl etwa Josef Stalins Uber Dialektischen und Historischen Materialismus Dem entgegen sehen manche marxistischen Materialisten Grenzen der Dialektik von denen bereits Marx andeutungsweise schrieb Georg Lukacs sah die Dialektik auf die Menschheitsgeschichte begrenzt wahrend Antonio Gramsci weder eine Beschrankung der Dialektik auf den Menschen noch eine Ausdehnung auf die Natur zu akzeptieren bereit war Andere Marxisten gaben den Bezug auf die Dialektik weitgehend auf Teile des Neu Kantianismus suchten die Philosophie Kants mit dem historischen Materialismus zu verbinden Louis Althusser setzte zunachst eine strukturalistische Marx Interpretation hegelianischen Interpretationen entgegen und formulierte spater in Anschluss an die griechische Atomistik einen aleatorischen Materialismus Der Materialismus ist je nach Stromung des Marxismus mit einem Impetus auf Okonomie Gesellschaft Natur Wissenschaft Natur oder in Anknupfung an die Thesen uber Feuerbach Praxis in unterschiedlicher Gewichtung verbunden Theodor W Adorno machte als Wesen des Marx folgenden kritischen Materialismus in Abgrenzung vom standpunktphilosophischen Vulgarmaterialismus die Kritik am Idealismus aus was ihn fur einen Ansatzpunkt seiner negative Dialektik macht Analytische Philosophie Bearbeiten In der analytischen Philosophie finden sich viele Vertreter materialistischer Positionen Es werden verschiedene Modelle entwickelt wie Bewusstsein und Sinnesempfindungen siehe auch Qualia in ein physikalistisches Weltbild integriert werden konnen Wahrend manche Philosophen solche Vorgange zur Illusion erklaren wollen der Eliminative Materialismus etwa bei Paul Churchland und Daniel Dennett betonen andere dass das Psychische zwar keine eigene Seinssphare neben dem Physischen ist sich aber dennoch nicht vollig auf letzteres zuruckfuhren lasst z B der Anomale Monismus bei Donald Davidson Kritik am Materialismus und Auseinandersetzung mit dem Idealismus BearbeitenDer Materialismus ist seit seinen Anfangen kritisiert worden Neben Auseinandersetzungen der verschiedenen Stromungen des Materialismus spielt dabei hauptsachlich die Auseinandersetzung zwischen Materialismus und Idealismus eine Rolle Grundlegende Positionen Erkenntnistheorie und Materialismus Bearbeiten Eines der Hauptargumente von idealistischer Seite gegen den Materialismus ist dass man mentale menschliche Fahigkeiten wie das Selbstbewusstsein nicht rein materiell verstehen und nicht vollstandig auf Materie zuruckfuhren konne Demgegenuber ist eines der wichtigsten Argumente gegen den Idealismus bzw fur den Materialismus dass der Idealismus die Eigengesetzlichkeit der sinnlich wahrnehmbaren Welt und deren beobachtete Unabhangigkeit von mentalen Prozessen nicht erklaren konne Weiter wird gegen den Materialismus argumentiert dass der Materialismus sich nicht selbst erklaren konne da er als Theorie und nicht als Materie auftritt Daruber hinaus sei der Begriff der Wahrheit bzw die gesamte Erkenntnistheorie rein materiell nicht zu verstehen Die Erkenntnistheorie werde durch den Materialismus auf eine empirische Wissenschaft verkurzt Kulturelle Inhalte Ideen und alle immateriellen Formen hatten keine eigenstandige Existenz mehr Eine Erkenntniskritik oder eine unabhangige Reflexion der Erkenntnis seien in einem Materialismus nicht mehr oder nur noch sehr eingeschrankt moglich Eine Uberprufung von wissenschaftlichen Hypothesen sei nur noch innerhalb bestimmter metaphysischer Vorbedingungen moglich Gegen diese Kritik wird eingewendet dass die Materie sich sehr wohl selbst erklaren konne und zwar mittels ihrer hochstentwickelten Erscheinungsform des menschlichen Gehirns So habe der Mensch im Verlauf von Jahrtausenden in der praktischen Auseinandersetzung in und mit der Natur d h durch Arbeit die Fahigkeit erlangt seine ihm uber die Sinneswahrnehmung vermittelten Erkenntnisse im Denken und in der Sprache zusammenzufassen Die Resultate des Denkens selbst die Ideen seien nicht materiell beruhten aber auf der Tatigkeit des Gehirns und seien damit Produkt der Materie Eine wesentliche Kritik nimmt die Produkte menschlichen Geistes als Ausgangspunkt fur ihre Argumentation Selbst unter der Annahme dass Ideen Theorien Bau Plane technisches Know how etc vom Gehirn und nicht vom Bewusstsein produziert seien musse bedacht werden dass diese unabhangig von ihren Urhebern weiter existieren konnten Insofern sei der Mensch von einer geistigen Welt umgeben die sein kulturelles Erbe ausmache Dem entgegensetzen kann man wiederum dass diese Ideen bei anderen Menschen auch nur als Synapsenverbindungen im Gehirn gespeichert und somit nach wie vor sterblich sind Materialismus und die Wahrnehmung von Raum und Zeit Bearbeiten Der Materialismus beruht auf der Grundannahme dass wir die Welt so erfahren wie sie ist dass wir das Ding an sich unmittelbar wahrnehmen oder sich unsere Erkenntnis doch jedenfalls im Sinne der Popperschen Falsifikation mittels empirischer Methoden an die Welt an sich stetig weiter annahern konne In der Annaherung kommt das dialektische Verhaltnis von absoluter und relativer Wahrheit zum Ausdruck Somit ist die Natur um uns ein Fakt und unsere Wahrnehmung dessen richtig wenn auch uber die Sinne manches durch Farben Klange usw verfalscht wird Die Wahrung dieser faktischen Natur ist trotz Quantenphysik weiterhin die Materie Raum und Zeit sind grundlegende Existenzformen der Materie Es gibt weder einen an sich seienden unabhangigen Raum noch eine an sich seiende unabhangige Zeit sie sind stets an Materie gebunden 3 Das Nebeneinander und Nacheinander der Dinge sind Raum und Zeit Die Relativitatstheorie hat das Verstandnis von Raum und Zeit revolutioniert und Zusammenhange aufgedeckt die sich mathematisch prazise in Formeln fassen und durch Experimente bestatigen lassen Die Materialisten sehen in diesen Verausserungen einen klaren Widerspruch zu den Aussagen der Idealisten wie Immanuel Kant Dieser vertrat die Auffassung dass der Mensch im Geiste nur uber eine subjektive Anschauung von der Natur verfugen kann wahrend die wahre Seinsform der Natur ihm nicht zuganglich ist Er ging dabei so weit zu behaupten dass auch die Ordnungen und Strukturen die wir wahrnehmen nur von uns im Gedanken hinein gebracht sind Die evolutionare Erkenntnistheorie strebt eine Verbindung von Physikalismus und Idealismus an Demnach sollen diese angeblichen geistigen A priori letztlich doch Aposteriori sein namlich insofern auf Erfahrung also auf einer Wechselwirkung mit der Realitat beruhen als unser Erkenntnisapparat sich im Laufe der Evolution an die eben vorhandene raumzeitliche Struktur seiner Umgebung angepasst habe und diese deshalb von Geburt an ohne dass dies erlernt werden musste voraussetze Geht man davon aus dass dieser Erkenntnisapparat als Gehirn auch aus der Materie erschaffen ist und somit seine Wahrnehmung sich auf Gesetze der Physik zuruck fuhren lasst ohne damit zwingend das Erleben der Wahrnehmung als Phanomen erklart zu haben ist ein heute sehr popularer Schulterschluss gefunden Siehe auch BearbeitenAtheismus Empirismus Neutraler Monismus Positivismus wissenschaftlicher Realismus Jakob Moleschott Ludwig Buchner Carl VogtLiteratur BearbeitenGeorg Klaus Manfred Buhr Hrsg Philosophisches Worterbuch 2 Bande 12 gegenuber der 10 neuerarbeitete und durchgesehene Auflage VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1976 Mario Bunge Martin Mahner Uber die Natur der Dinge Materialismus und Wissenschaft Hirzel Verlag Stuttgart 2004 Eduard Jan Dijksterhuis Die Mechanisierung des Weltbildes Springer Berlin Heidelberg New York 1956 DNB 451027213 Neuauflage 1983 ISBN 3 540 02003 9 Terry Eagleton Materialismus Die Welt erfassen und verandern Promedia Wien 2018 ISBN 978 3 85371 433 1 Frederic Gregory Scientific Materialism in Nineteenth Century Germany D Reidel Dordrecht 1977 Friedrich Albert Lange Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart 2 Bande Suhrkamp Frankfurt am Main 1974 Margarete J Osler Mechanical Philosophy In New Dictionary of the History of Ideas 1389 1392 M Overmann Der Ursprung des franzosischen Materialismus Die Kontinuitat materialistischen Denkens von der Antike bis zur Aufklarung Peter Lang Frankfurt 1993 Annette Wittkau Horgby Materialismus Entstehung und Wirkung in den Wissenschaften des 19 Jahrhunderts Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1998 Martin Kupper Materialismus PapyRossa Verlag Koln 2017 ISBN 978 3 89438 639 9 Weblinks Bearbeiten Wiktionary Materialismus Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme UbersetzungenEinzelnachweise Bearbeiten Arnim Regenbogen Uwe Meyer Hrsg Worterbuch der philosophischen Begriffe Verlag Felix Meiner Hamburg 1998 ISBN 3 7873 1325 7 S 399 Georg Klaus Manfred Buhr Hrsg Marxistisch Leninistisches Worterbuch der Philosophie Rowohlt Hamburg 1972 ISBN 3 499 16155 9 Artikel Raum und Zeit In Georg Klaus Manfred Buhr Hrsg Philosophisches Worterbuch 11 Aufl Leipzig 1975 Normdaten Sachbegriff GND 4127749 1 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Materialismus amp oldid 235435913