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Der anomale Monismus ist eine Position der Philosophie des Geistes die von Donald Davidson 1917 bis 2003 entwickelt worden ist Sie behauptet zum einen dass jedes einzelne mentale Ereignis mit einem einzelnen physischen Ereignis identisch ist Zum anderen erklart der anomale Monismus dass Typen mentaler Ereignisse nicht mit Typen physischer Ereignisse identisch sind Ein einzelnes Schmerzereignis s mag also mit einem physischen Ereignis p identisch sein Dem Ereignistyp Schmerz zu dem s gehort entspricht jedoch kein allgemeiner Typ von physischen Zustanden Inhaltsverzeichnis 1 Der philosophiehistorische Kontext 2 Das zentrale Argument fur den anomalen Monismus 3 Interaktion 4 Strikte Gesetze 5 Die Anomalitat des Mentalen 5 1 Das Rationalitatsargument 5 2 Das holistische Argument 6 Perspektive und Kritik 7 Literatur 8 WeblinksDer philosophiehistorische Kontext Bearbeiten nbsp Klassische Identitatstheorie und anomaler Monismus im Vergleich die Pfeile beschreiben Identitat Bei der Identitatstheorie gehoren mentale und neuronale Token je einem Type an die Types sind ebenfalls identisch Beim anomalen Monismus sind die mentalen Ereignisse eines Types mit neuronalen Ereignissen verschiedener Typen identisch Der anomale Monismus ist eine Position die eine Antwort auf das Leib Seele Problem zu geben versucht also auf die Frage nach der Natur von mentalen Zustanden oder Ereignissen Eine der klassischen Positionen zu dieser Frage ist die Identitatstheorie Ihr zufolge sind mentale Ereignisse nichts anderes als neuronale Ereignisse Dabei ist mit Ereignis ein Ereignistype und nicht nur ein Ereignistoken gemeint Die Unterscheidung von Token und Type ist leicht zu verstehen Ein Token ist ein einzelnes Vorkommnis wahrend gleiche Token einen Type bilden Die Ziffernreihe 100101 enthalt daher 6 Zifferntoken aber nur 2 Zifferntypen Da die klassische Identitatstheorie von einer Typenidentitat ausgeht behauptet sie dass eine Person immer dann wenn sie etwa im Zustand Schmerz ist sich auch im gleichen neuronalen Zustand befindet An der klassischen Identitatstheorie der 50er Jahre des 20 Jahrhunderts ist schon fruh Kritik geubt worden Hilary Putnam argumentierte etwa 1967 dass die Identitatstheorie empirisch falsch sei was er mit dem beruhmt gewordenen Argument der multiplen Realisierung begrundete Als Reaktion auf die Probleme der Identitatstheorie wurden in den siebziger Jahren alternative Positionen entwickelt Wahrend Hilary Putnam Jerry Fodor und andere den Funktionalismus formulierten erarbeitete Donald Davidson den anomalen Monismus Im Gegensatz zum Funktionalismus beruht Davidsons Ablehnung der Identitatstheorie jedoch weniger auf der multiplen Realisierung als auf Annahmen uber Rationalitat Davidson will keinen Dualismus vertreten obwohl er der Meinung ist dass sich mentale Ereignistypen nicht auf neuronale Ereignistypen reduzieren lassen Sein Losungsvorschlag lautet wie folgt Auch wenn die Typen nicht miteinander identisch sind so ist doch jedes einzelne mentale Ereignis jeder Token mit einem physischen Ereignis identisch Eine solche Position wird oft als ein nichtreduktiver Materialismus verstanden auch wenn einige Kritiker wie Jaegwon Kim Kim 1996 bezweifeln dass der anomale Monismus uberhaupt eine materialistische Position sei Das zentrale Argument fur den anomalen Monismus BearbeitenIn seinem klassischen Aufsatz Mental Events Davidson 1980 aus dem Jahre 1970 gelangt Donald Davidson zum anomalen Monismus uber drei scheinbar unvertragliche Annahmen Mentale Ereignisse interagieren kausal mit physischen Ereignissen sie konnen einander verursachen Ereignisse die einander verursachen fallen unter ein striktes d h ausnahmeloses Naturgesetz Es gibt keine strikten Naturgesetze uber mentale Ereignisse Diese drei Annahmen scheinen einander zu widersprechen da 2 und 3 die Negation von 1 zu implizieren scheinen 1 und 2 die Negation von 3 die Annahmen 1 und 3 wiederum die Negation von 2 Da Davidson jedoch alle drei Annahmen fur wahr halt versucht er eine Position zu entwickeln die allen Annahmen gerecht wird Dies ist nach seiner Meinung der anomale Monismus Der anomale Monismus interpretiert die Annahmen 1 und 3 wie folgt 1 Einzelne mentale Ereignisse Token interagieren kausal mit physischen Ereignissen sie konnen einander verursachen 3 Es gibt keine strikten Naturgesetze uber mentale Ereignistypen Dabei gelte 1 da jedes einzelne mentale Ereignis mit einem physischen Ereignis identisch sei und als physisches Ereignis auch im Sinne der Annahme 2 unter ein striktes Naturgesetz falle Diese Annahme macht auch den monistischen Teil von Davidsons Philosophie aus Doch auch wenn jedes mentale Ereignis als physisches Ereignis unter ein striktes Naturgesetz fallt gibt es keine generellen psychologischen oder psychophysischen Gesetze Aufgrund dieser These nennt Davidson seine Philosophie anomal von Nomos das Gesetz Davidsons zentrales Argument fur den anomalen Monismus hat somit die Form eines Schlusses auf die beste Erklarung Die Annahmen 1 3 sind wahr Nur wenn der anomale Monismus wahr ist lasst sich erklaren wie die Annahmen 1 3 wahr sein konnen Also ist der Anomale Monismus wahr Interaktion BearbeitenDie erste Annahme von Davidsons zentralem Argument lautet dass sich mentale und physische Ereignisse gegenseitig verursachen Diese Annahme hat eine hohe intuitive Plausibilitat da dies den Vorstellungen des Alltags entspricht Es scheint etwa selbstverstandlich dass Angst mentales Ereignis eine Flucht physisches Ereignis verursachen kann Dennoch gibt es philosophische Positionen die die Interaktion von mentalen und physischen Ereignissen bestreiten So erklart etwa der Epiphanomenalismus dass mentale Ereignisse keine physischen Ereignisse verursachen konnen und der eliminative Materialismus bestreitet jede Interaktion da er behauptet dass es in Wirklichkeit keine mentalen Zustande gibt Wichtiger als diese Konflikte sind jedoch Zweifel ob der anomale Monismus selbst der ersten Annahme gerecht werden kann So wird gegen Davidson immer wieder eingewandt dass seine Position selbst auf eine Form des Epiphanomenalismus hinauslaufe Schliesslich konnen mentale Ereignisse nur als physische Ereignisse Ursachen sein Fur mentale Ereignisse als mentale Ereignisse bleibe hingegen gar keine kausale Rolle ubrig Daher wird teilweise sogar argumentiert dass gar nicht klar sei ob im Rahmen des anomalen Monismus uberhaupt eine Rolle fur mentale Ereignisse ubrig bleibe Vielmehr konne man durch die nichtreduzierten aber kausal wirkungslosen mentalen Ereignistypen kurzen In diesem Sinne laufe die Position Davidsons wider Willen auf eine Form des eliminativen Materialismus hinaus Strikte Gesetze BearbeitenDie zweite Annahme Davidsons besagte dass Ereignisse die einander verursachen unter ein striktes Naturgesetz fallen Erstaunlicherweise hat Davidson jahrzehntelang diese umstrittene Annahme vorausgesetzt ohne explizit fur sie zu argumentieren Erst in dem Aufsatz Laws and Cause aus dem Jahre 1995 hat er versucht diese Annahme zu begrunden Davidson argumentiert hier dass strikte Gesetze eine begriffliche Konsequenz des Konzepts der Verursachung zwischen physischen Ereignissen sind Es wird allerdings meistens bestritten dass dies als eine Begrundung der umstrittenen Annahme ausreicht Insgesamt bleibt wohl anzuerkennen dass Davidson die zweite Annahme eher als intuitiv begrundet ansieht Dies ist erstaunlich da es keineswegs klar scheint dass Kausalitat immer strikte Gesetze voraussetzt So sind alltagliche Kausalsatze nicht immer strikt Der Satz Das Rauchen verursachte ihren Krebs setzt etwa nicht voraus dass es ein striktes Gesetz gibt das vom Rauchen zum Krebs fuhrt Davidsons Replik auf diesen Einwand lautet dass es aber strikte physische Gesetze gebe die vom Rauchen zum Lungenkrebs fuhrten Doch selbst auf der Ebene des grundlegenden physischen Geschehens bleibt die Frage nach strikten Gesetzen umstritten So gibt es in der Wissenschaftstheorie eine Renaissance von indeterministischen Konzeptionen wie sie etwa von Nancy Cartwright formuliert worden sind Davidson hat auf diesen Einwand reagiert indem er erklart dass strikte und deterministische Gesetze nicht gleichzusetzen sind Davidson 1980 S 216 Dabei bleibt aber dann die Frage ob Davidson eine angemessene Erklarung von strikt finden kann die die dritte Annahme es gibt keine strikten Gesetze uber Mentales plausibel lasst Die Anomalitat des Mentalen BearbeitenDie dritte Annahme von Davidsons zentralem Argument besagte dass es keine strikten Naturgesetze uber mentale Ereignisse gebe Diese These der Anomalitat des Mentalen hat umfassende philosophische Debatten ausgelost Davidsons These ist dabei nicht dass es grundsatzlich keine psychischen oder psychophysischen Gesetze geben kann Naturlich gibt es solche etwa Wenn jemand Durst hat dann trinkt er etwas oder Wenn sich jemand in den Finger schneidet empfindet er Schmerzen Doch Davidson will darauf hinaus dass solche Gesetze immer nur einen ceteris paribus Charakter hatten und niemals strikte Naturgesetze seien wie etwa das Newtonsche Fallgesetz Die These der Anomalitat des Mentalen setzt allerdings die Falschheit der Typenidentitatstheorie voraus Sollte diese wahr sein so gabe es namlich strikte psychophysische Gesetze der Form M genau dann wenn N wobei M fur einen mentalen Ereignistypen und N fur einen neuronalen Ereignistypen stehen wurde Davidsons Argumentation fur die Anomalitat des Mentalen lauft daher auf eine Kritik der klassischen Typen Identitatstheorie hinaus Es ist dabei nicht immer ganz klar wie Davidsons Argumentation verlauft was zu verschiedenen Interpretationen in der Literatur gefuhrt hat Unumstritten ist jedoch dass Davidson dem Mentalen Eigenschaften zuspricht die strikte psychophysische Gesetze tatsachlich unplausibel machen wurden und dass zwei der nach Davidson zentralen Eigenschaften die Rationalitat und der Holismus des Mentalen sind Das Rationalitatsargument Bearbeiten Davidsons Uberlegungen zur Rationalitat hangen eng mit seinen weitergehenden sprachphilosophischen und erkenntnistheoretischen Argumenten zusammen Will man einem Menschen Uberzeugungen zusprechen so muss man laut Davidson per principle of charity Prinzip der wohlwollenden Interpretation unterstellen dass die Person uberwiegend wahre und rationale Uberzeugungen hat Anders ware ein Verstehen uberhaupt nicht denkbar Eine mogliche Lesart von Davidsons Argument sieht nun wie folgt aus Das principle of charity hat die Konsequenz dass eine Uberzeugungszuschreibung immer im Lichte weiterer Erkenntnisse uber das Uberzeugungssystem einer Person revidiert werden kann Angenommen es gabe ein striktes Gesetz dass von einer Uberzeugung U zu einem physischen Zustand P fuhrt Wenn man nun im Lichte weiterer Uberzeugungszuschreibungen einer Person nicht mehr U zuspricht dann durfte man ihr auch nicht mehr P zusprechen Dies sei aber absurd da Meinungen uber physische Zustande nicht prinzipiell revidierbar durch Erkenntnisse uber Uberzeugungen sein konnen Das holistische Argument Bearbeiten Davidsons Argumentation fur die Anomalitat des Mentalen bezieht sich auch auf seine These des Holismus des Mentalen Diese These besagt dass man einer Person nicht alleine ein einzelnes mentales Ereignis zusprechen kann sondern ein mentales Ereignis immer schon andere mentale Ereignisse voraussetzt Ein Beispiel Eine Person kann die Uberzeugung dass sie eine Steuerruckzahlung bekommt nur unter der Voraussetzung haben dass sie andere Uberzeugungen hat Sie muss etwa wissen was Geld ist und muss glauben dass sie ein Konto besitzt auf das die Ruckzahlung uberwiesen wird Nun argumentiert Davidson wie folgt Pramisse 1 Mentale Ereignisse konnen prinzipiell nur unter Voraussetzung anderer mentaler Ereignisse geschehen Pramisse 2 Neuronale Ereignisse konnen prinzipiell auch ohne weitere mentale Ereignisse geschehen Pramisse 3 Wenn Pramisse 1 und Pramisse 2 wahr sind dann sind mentale und neuronale Ereignisse nicht identisch Konklusion Mentale und neuronale Ereignisse sind nicht identisch Perspektive und Kritik BearbeitenAm anomalen Monismus wird aus verschiedenen Perspektiven Kritik geaussert Zum einen wird bezweifelt dass Davidsons Argumentationen fur die Anomalitat des Mentalen erfolgreich sind Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Frage wie eine Tokenidentitat ohne Typenidentitat uberhaupt zu verstehen sei Wenn die Tokenidentitat wahr ist fallt ein einzelnes physisches Ereignis p1 unter den mentalen Ereignistyp Blauwahrnehmung wahrend ein anderes physisches Ereignis p2 nicht unter diesen Ereignistypen fallt Nun scheint es aber im anomalen Monismus keine Antwort darauf zu geben warum dies der Fall ist Schliesslich sollen die physischen Ereignisse die Blauwahrnehmungen realisieren keine physische Eigenschaft gemeinsam haben sonst wurden sie ja unter einen gemeinsamen physischen Type fallen Schliesslich bleibt auch im Rahmen des anomalen Monismus das Problem der Qualia ungelost also die Frage wie es sein kann dass bestimmte neuronale Prozesse mit Erleben verknupft sind All dies hat dazu gefuhrt dass der anomale Monismus zwar als eine wichtige Position in der Philosophie des Geistes gilt er jedoch meistens nicht als die Losung des Leib Seele Problems angesehen wird Zudem ist der anomale Monismus als Position immer sehr eng mit Donald Davidson verbunden geblieben und wurde nur von relativ wenigen Philosophen aufgegriffen und weiterentwickelt Allerdings bekennt sich etwa der Neurowissenschaftler Gerhard Roth zu einer Position im Sinne Davidsons Literatur BearbeitenDonald Davidson Essays on Actions and Events Oxford Oxford University Press 1980 ISBN 0199246270 Enthalt die klassischen Aufsatze Davidsons zum Thema Donald Davidson Laws and Cause in Dialectica 1995 S 263 279 Davidsons Verteidigung der These dass Kausalitat strikte Gesetze voraussetzt Donald Davidson Subjective Intersubjective Objective Oxford Oxford University Press 2002 ISBN 0199246270 Neuere Aufsatze u a zum anomalen Monismus Wolfgang R Kohler Hg Davidsons Philosophie des Mentalen Paderborn Schoningh 1997 ISBN 3506747614 Jaegwon Kim Philosophy of Mind Westview Press ISBN 0813307759 Einfuhrende Darstellung u a in den anomalen Monismus und einflussreiche Kritik an ihm Peter Lanz Menschliches Handeln zwischen Kausalitat und Rationalitat Frankfurt am Main Athenaum 1987 Weblinks BearbeitenSteven Yalowitz Anomalous Monism In Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Mark Silcox Donald Davidson Anomalous Monism In J Fieser B Dowden Hrsg Internet Encyclopedia of Philosophy Bibliographie auf PhilPapers Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Anomaler Monismus amp oldid 223782647