www.wikidata.de-de.nina.az
Der eliminative Materialismus oder Eliminativismus ist eine Anschauung innerhalb der Philosophie des Geistes Die zentrale These ist dass alles Mentale Substanzen Eigenschaften Zustande Ereignisse nicht existiert 1 Mentales wird auf eine Stufe mit bspw dem Glauben an Hexen Damonen oder an das geozentrische Weltbild gestellt Die altere Theorie der Alltagspsychologie in welcher die Existenz mentaler Zustande von Bedeutung ist wird durch eine bessere z B die neuro oder kognitionswissenschaftliche Theorie ersetzt werden 2 Eliminativisten argumentieren mit der folgenden Analogie Der Glaube an mentale Zustande ist genauso eine falsche Theorie wie das geozentrische Weltbild und wird im Zuge der weiteren Wissenschaftsentwicklung genauso untergehen wie dieses Inhaltsverzeichnis 1 Die Entwicklung des eliminativen Materialismus 2 Argumente fur den eliminativen Materialismus 2 1 Das Theorienargument 3 Argumente gegen den eliminativen Materialismus 3 1 Intuitive Vorbehalte 3 2 Der Inkoharenzeinwand 3 3 Qualia 4 Auswirkungen auf die Psychologie 5 Literatur 5 1 Eliminativistische Literatur 5 2 Eliminativismuskritische Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseDie Entwicklung des eliminativen Materialismus BearbeitenDer eliminative Materialismus wurde erstmals in den 1960er Jahren entwickelt und steht in scharfem Kontrast zu klassischen Positionen der Philosophie des Geistes Selbst Rene Descartes der eine Philosophie des methodischen Zweifels formulierte hielt die Existenz der mentalen Innenwelt fur gewiss Lediglich C D Broad zog in seinem 1925 erschienenen Werk The Mind and its Place in Nature die Moglichkeit eines eliminativen Materialismus kurzzeitig in Betracht verwarf sie jedoch als unplausibel 3 Die Entwicklung des eliminativen Materialismus steht dabei in einem engen Zusammenhang mit der beginnenden wissenschaftshistorischen Betrachtung in der Wissenschaftstheorie wie sie von Thomas S Kuhn und Paul Feyerabend angestossen wurde Ein Ergebnis dieser neuen Perspektive war die Erkenntnis dass sich der wissenschaftliche Fortschritt oft nicht wie noch in den positivistischen Modellen angenommen durch Reduktionen vollzieht Die Wissenschaftsgeschichte zeigt dass die alten Theorien oft nicht auf die neuen Theorien zuruckfuhrbar sind was jedoch nicht bedeutet dass sich widersprechende Theorien langfristig nebeneinander bestehen bleiben Vielmehr werden die alten Theorien einfach ganz aufgegeben oder ihre Widerlegungen anerkannt Beispiele sind die Aufgabe des geozentrischen Weltbildes der Phlogiston Theorie des Vitalismus oder des Hexenglaubens Die These der eliminativen Materialisten ist nun dass sich die alltagliche Theorie von mentalen Zustanden in gleicher Weise als falsch erweisen werde Sie sei von veralteten cartesianischen Vorurteilen gepragt und vollkommen unvertraglich mit den neueren Erkenntnissen der Hirnforschung Fruhe Formulierungen des eliminativen Materialismus stammen von Richard Rorty und Paul Feyerabend 4 5 Diese Ansatze blieben allerdings Aussenseiterpositionen die sich auf eher allgemeine Uberlegungen zum Theorienwandel stutzten Diese Situation anderte sich in den 1980er Jahren durch die Arbeiten von Paul Churchland Patricia Churchland und Stephen Stich Diese drei Philosophen grundeten eliminative Ansatze auf neuro und kognitionswissenschaftliche Ergebnisse Von manchen Kritikern wird der Eliminativismus als eine bedrohliche Theorie angesehen die schreckliche Auswirkungen haben konne Jerry Fodor etwa erklart if commonsense psychology were to collapse that would be beyond comparison the greatest intellectual catastrophe in the history of our species Deutsch Wenn die Alltagspsychologie zusammenbrechen wurde so ware dies bei Weitem die grosste intellektuelle Katastrophe die unsere Art erlebt hat 6 Im Gegensatz dazu halten Eliminativisten ihre These eher fur begrussenswert Sie argumentieren dass ein neurowissenschaftlich fundiertes Vokabular zu einem besseren Verstandnis des Menschen und seiner Probleme fuhren werde Sie sehen sich zudem durch die Erfahrung bestatigt dass die inzwischen betrachtliche Anzahl von Personen mit neurologisch begrundetem Welt und Selbstbild nach aussen hin ahnlich unauffallig erscheinen wie etwa nichtreligiose Personen in einer traditionell religiosen Kulturgemeinschaft 7 Argumente fur den eliminativen Materialismus BearbeitenDas Theorienargument Bearbeiten nbsp Schematische Ubersicht Einige Wissenschaften lassen sich reduzieren blau Die Theorien die grundsatzlich irreduzibel sind werden schliesslich abgeschafft rot Ausgangspunkt aller eliminativen Positionen ist die These dass es sich bei der herkommlichen Auffassung von mentalen Zustanden um eine Theorie handele die wie jede andere Theorie auch grundsatzlich falsifizierbar sei Diese Theorie wird in der Literatur allgemein folk psychology oder Alltagspsychologie genannt Insbesondere die Churchlands haben verschiedene Argumente entwickelt die zeigen sollen dass die Alltagspsychologie eine falsche Theorie und abschaffungsreif sei So argumentieren sie dass durch die Alltagspsychologie viele Phanomene nicht erklarbar seien die von den modernen Neurowissenschaften untersucht und erklart werden konnten Beispiele seien Geisteskrankheiten Lernprozesse oder Gedachtnisfahigkeiten Zudem habe sich die Alltagspsychologie in den letzten 2500 Jahren nicht substantiell fortentwickelt und sei damit eine seit Jahrtausenden stagnierende Theorie Schliesslich hatten schon die alten Griechen eine Alltagspsychologie auf vergleichbarem Niveau gehabt Demgegenuber seien die Neurowissenschaften ein sich rasant entwickelnder Wissenschaftskomplex der schon jetzt viele kognitive Fahigkeiten erklaren konne zu denen die Alltagspsychologie keinen Zugang habe Im Grunde ist nach Ansicht der Churchlands die Alltagspsychologie sogar seit den ersten Wissenschaftsentwicklungen auf dem Ruckzug In den fruhesten Gesellschaften versuchte man noch alle Naturphanomene mit der Zuschreibung von mentalen Zustanden zu erklaren Das Meer war zornig die Sonne mude Nach und nach wurden diese alltagspsychologischen Erklarungen durch leistungsfahigere naturwissenschaftliche Beschreibungen ersetzt Es gebe nun keinen Grund vor unserem Gehirn Halt zu machen und nicht auch eine leistungsfahigere naturwissenschaftliche Beschreibung kognitiver Fahigkeiten zu akzeptieren Wenn wir eine solche Erklarung hatten brauchten wir eine alltagspsychologische Erklarung des Verhaltens genauso wenig wie eine entsprechende Erklarung des Meeresverhaltens Beides reprasentiere atavistisches Denken Gegen das Theorienargument werden von Kritikern zwei Arten von Einwanden vorgebracht Zum einen wird argumentiert dass die Alltagspsychologie eine durchaus erfolgreiche Theorie sei Zum anderen wird bezweifelt dass sich das alltagliche Verstandnis des Mentalen uberhaupt als Theorie begreifen lasse Jerry Fodor gehort zu den Philosophen die nachdrucklich auf die Erfolge der Alltagspsychologie hingewiesen haben Lit Fodor 1987 Sie ermogliche in einer sehr effektiven Weise die Kommunikation im Alltag Verabredungen Planungen usw konnten etwa mit wenigen Worten ausgefuhrt werden Eine solche Effektivitat konne mit einer komplexen neurowissenschaftlichen Terminologie nie erreicht werden Ein anderes Argument der Churchlands lautete dass die Alltagspsychologie Phanomene wie Geisteskrankheiten oder viele Gedachtnisprozesse nicht erklaren konne Diesem Argument wird von Kritikern entgegengesetzt dass es gar nicht die Aufgabe der Alltagspsychologie sei diese Phanomene zu erklaren Es sei daher eine Themenverwechslung wenn man sie wegen dieser Mangel anklage Argumente gegen den eliminativen Materialismus BearbeitenIntuitive Vorbehalte Bearbeiten Die These des eliminativen Materialismus scheint vielen Kritikern so offensichtlich falsch zu sein dass sich jede weitere Argumentation erubrige Man musse sich nur ehrlich selbst befragen um zu wissen dass man mentale Zustande habe Eliminative Materialisten wenden gegen eine solche Ablehnung ihrer Position ein dass Intuitionen sehr oft zu ganz falschen Bildern der Wirklichkeit gefuhrt haben Auch hier bieten sich wieder Analogien aus der Wissenschaftsgeschichte an Es mag offensichtlich erscheinen dass sich die Sonne um die Erde dreht doch bei all ihrer scheinbaren Offensichtlichkeit hat sich diese Vorstellung dennoch als falsch erwiesen Analog Es mag offensichtlich erscheinen dass es neben dem neuronalen Geschehen auch noch mentale Zustande gibt und dennoch konnte sich dies als falsch erweisen Der Inkoharenzeinwand Bearbeiten Manche Kritiker beschranken sich darauf zu argumentieren dass der eliminative Materialismus eine unplausible Position sei Andere behaupten hingegen dass er in einen performativen Widerspruch fuhre da er letztlich das voraussetzen musse was er bestreiten will Wenn der Eliminativist sagt dass es keine mentalen Zustande gibt dann musse er voraussetzen dass seine Worte Bedeutung haben begrundet und wahr sind Nun seien die Begriffe Bedeutung Grund und Wahrheit aber nur unter Bezug auf intentionale mentale Zustande verstandlich Wenn es in der Welt keine Uberzeugungen sondern nur neuronales Geschehen gabe so gabe es auch keine bedeutungsvollen Zustande die wahr oder begrundet seien Da der Eliminativist seiner These allerdings Bedeutung zuspricht und sie fur wahr und begrundet halt setze er implizit das voraus was er eigentlich bestreite mentale Zustande Ein Eliminativist mag wenn er eine der Pramissen als Einwand akzeptiert so reagieren indem er anfuhrt dass sich Bedeutungen Grunde und Wahrheit auch ohne mentale Zustande erklaren liessen da bedeutungsvolle Zustande auch in der Sprache von Maschinen vorkommen wurden ohne dass ihnen mentale Zustande zugeschrieben wurde Nur haben Maschinen keine naturlichen Sprachen sondern diese werden ihnen von mentalen Wesen angeglichen Man musse auch beachten dass in diesen Sprachen viele Worte nicht sinngemass verwendet wurden Denn das Gegenteil von wahr sei unwahr wahrend das Gegenteil des Wortes falsch das Wort richtig sei Dennoch wurden bis heute in allen Programmiersprachen die Worte wahr und falsch als Gegensatze verwendet werden Zudem seien beide gemeinten Zustande in der Maschine wahr im Sinne von existent wahrend die gemeinten Aussagen dieser Zustande eher als erwartet und Ausnahme also dem Ziel eines mentalen Wesens gemass oder ungemass zu deuten seien Hier zeige sich das grundsatzliche Problem der Eliminativisten Ihre Beispiele zogen sie heran ohne die Vergleichbarkeit zu prufen Qualia Bearbeiten Als weiteres Problem fur den eliminativen Materialismus wird angefuhrt dass Menschen erlebende Wesen seien also Qualia hatten Da Qualia allgemein als Eigenschaften von mentalen Zustanden angesehen werden scheint ihre Existenz nicht mit dem Eliminativismus vereinbar zu sein Tatsachlich lehnen eliminative Materialisten daher auch Qualia ab Viele Philosophen halten dagegen einen Qualiaeliminativismus fur unplausibel wenn nicht gar unverstandlich Die klassische Formulierung des Qualiaeliminativismus kommt von Daniel Dennett Lit Dennett 1988 Dennett gibt zu dass die Existenz von Qualia offensichtlich scheint Dennoch behauptet er dass Qualia ein theoretischer Begriff sei der sich aus einer veralteten Metaphysik bzw cartesianischen Intuitionen speise Eine prazise Analyse zeige dass der Begriff in sich voller Widerspruche und letztlich gehaltlos sei Dennetts Argumentation wird meist entgegengehalten dass es zwar wahrscheinlich sei dass man falsche Uberzeugungen in Bezug auf Qualia habe doch dass dies nicht beweise dass es Qualia gar nicht gebe Auswirkungen auf die Psychologie BearbeitenLaut dem eliminativen Materialismus kommen wir bei der Erklarung und der Therapie von psychischen Fehlfunktionen wesentlich weiter wenn wir nach anatomischen Defekten oder Anomalien im Gehirn nach funktionellen Storungen der Physiologie nach biochemischen Veranderungen des Hirnstoffwechsels und nach genetischen Schadigungen oder Storungen der Gehirnentwicklung suchen Darin zeigt sich die Verwechslung des Symptoms einer Fehlfunktion mit ihren mitunter sozialen oder kulturellen Ursachen auf die von holistischen Kritikern des eliminativen Materialismus hingewiesen wird So wird entgegengehalten dass die angebotenen homoostatischen Therapiemoglichkeiten einer erlebnisorientierten Therapie unterliegen Literatur BearbeitenEliminativistische Literatur Bearbeiten Paul M Churchland Eliminative Materialism and the Propositional Attitudes In Journal of Philosophy Band 78 Nr 2 Februar 1981 S 67 90 doi 10 2307 2025900 JSTOR 2025900 Zur Elimination von intentionalen Zustanden Patricia Churchland Neurophilosophy Toward a Unified Science of the Mind Brain MIT Press Cambridge MA 1986 ISBN 0 262 53085 6 Ausfuhrliche Darstellung des Eliminativismus Daniel Dennett Quining Qualia In Anthony J Marcel Edoardo Bisiach Consciousness in Contemporary Science Oxford University Press Oxford 1988 ISBN 0 19 852168 5 1992 ISBN 0 19 852237 1 S 42 77 Klassische Formulierung des Qualiaeliminativismus Paul Feyerabend Mental Events and the Brain In Journal of Philosophy Band 60 Nr 11 23 Mai 1963 S 295 296 doi 10 2307 2023030 JSTOR 2023030 Fruhe Formulierung des Eliminativismus Richard Rorty Mind Body Identity Privacy and Categories In Review of Metaphysics Band 19 Nr 1 September 1965 S 24 54 JSTOR 20124096 Fruhe Formulierung des Eliminativismus Eliminativismuskritische Literatur Bearbeiten C D Broad The Mind and its Place in Nature Routledge amp Kegan London 1925 ISBN 0 415 22552 3 Broad zog erstmals den Eliminativismus in Betracht verwarf ihn jedoch Jerry Fodor Psychosemantics The Problem of Meaning in the Philosophy of Mind MIT Press 1987 ISBN 0 262 56052 6 Betonung der Erfolge der Alltagspsychologie Hilary Putnam Representation and reality MIT Press 1988 ISBN 0 262 66074 1 Eliminativismus unplausibel da er Wahrheit abschaffen musste dt Ausgabe Reprasentation und Realitat Suhrkamp Frankfurt am Main 1991 ISBN 3 518 58090 6 Weblinks BearbeitenWilliam Ramsey Eliminative Materialism In Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Einzelnachweise Bearbeiten Ansgar Beckermann Analytische Einfuhrung in die Philosophie des Geistes 3 Auflage De Gruyter Berlin 2008 S 270 Ansgar Beckermann Analytische Einfuhrung in die Philosophie des Geistes 3 Auflage De Gruyter Berlin 2008 S 273 Broad 1925 Rorty 1965 Muller 1965 Fodor 1987 S xii Daniel Dennett Consciousness Explained Little Brown amp Company Boston 1991 Chapter 13 The Reality of Selves Subsection 3 The Unbearable Lightness of Being ISBN 0 316 18066 1 S 426 430 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Eliminativer Materialismus amp oldid 238615319