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Die Geschichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung oder Stochastik beschreibt die Entwicklung eines gleichzeitig alten und modernen Teilgebiets der Mathematik das sich mit der mathematischen Analyse von Experimenten mit unsicherem Ausgang befasst Wahrend viele heute noch gebrauchliche Formeln zu einfachen Zufallsprozessen moglicherweise bereits im Altertum spatestens jedoch im ausgehenden Mittelalter bekannt waren hat sich das heute verwendete axiomatische Fundament der Wahrscheinlichkeitstheorie erst zu Beginn des 20 Jahrhunderts herausgebildet als Schlusselereignisse gelten dabei zum einen ein Briefwechsel zwischen Blaise Pascal und Pierre de Fermat im Jahr 1654 gemeinhin als Geburtsstunde der klassischen Wahrscheinlichkeitsrechnung angesehen und zum anderen das Erscheinen von Andrei Kolmogorows Lehrbuch Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung im Jahr 1933 das die Entwicklung der Fundamente moderner Wahrscheinlichkeitstheorie abschloss Dazwischen war es uber Jahrhunderte hinweg zur Aufspaltung der klassischen Wahrscheinlichkeitstheorie in separate Schulen gekommen diese wurden in erster Linie von den damaligen wissenschaftlichen Zentren London und Paris dominiert Roulettespieler um 1800 Das Glucksspiel war eine der fruhesten Triebfedern der Wahrscheinlichkeitsrechnung Titelblatt der Ars Conjectandi von Jakob I Bernoulli aus dem Jahr 1713 eines der Werke zur Stochastik im 18 JahrhundertIm Laufe der Zeit wurde die Stochastik von einer Vielzahl unterschiedlicher Anwendungsgebiete gepragt War es zunachst das Interesse der Griechen und Romer an Glucksspielen welches die Entwicklung von Rechenmodellen vorantrieb so kamen Anregungen spater auch aus der Philosophie der Rechtswissenschaft und aus dem Versicherungswesen noch spater aus der Physik und heute in erster Linie aus der Finanzmathematik Auf dem Umweg uber die Statistik hat die Wahrscheinlichkeitsrechnung letztendlich Anwendung in praktisch allen quantitativ arbeitenden Wissenschaften gefunden Inhaltsverzeichnis 1 Ausgangslage 1 1 Definition der Wahrscheinlichkeit 1 2 Skepsis von Seiten anderer Wissenschaften 1 3 Stochastische Paradoxa 2 Wahrscheinlichkeitsrechnung im Altertum 3 Mittelalter und fruhe Neuzeit 3 1 Cardanos Liber de Ludo Aleae 3 2 Das Teilungsproblem 3 3 Niederlandische Schule 4 Schisma der Stochastik im 18 und 19 Jahrhundert 4 1 Erste Fundamentalsatze 4 2 Englische Statistiker und franzosische Probabilisten 5 Axiomatisierung und Grundbegriffe 6 Moderne Wahrscheinlichkeitstheorie 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseAusgangslage BearbeitenDie Stochastik entwickelte sich langsamer und weniger zielstrebig als andere mathematische Disziplinen wie etwa die Analysis Von Anfang an hatte sie mit schwerwiegenden Problemen zu kampfen die teilweise auf die Eigentumlichkeiten des Wahrscheinlichkeitsbegriffs an sich teilweise auf Vorbehalte von Seiten anderer Wissenschaften wie Theologie Philosophie und sogar der Mathematik selbst zuruckzufuhren sind Definition der Wahrscheinlichkeit Bearbeiten Eine Moglichkeit der Anwendung von Mathematik ist der Versuch einer Erfassung der Welt in Zahlen Wahrend die Konkretisierung von Zahlkonzepten fur Grossen wie Lange Masse oder Zeit durch eine Messung also den Vergleich mit einer normierten Masseinheit wie der standardisierten Einheit einer Basisgrosse gelingt blieb die quantitative Erfassung von Wahrscheinlichkeiten lange Zeit problematisch Ein Wahrscheinlichkeitsmass exakt zu definieren und so auch den damit implizierten Begriff der Wahrscheinlichkeit gelang erst 1933 durch die Axiome von Kolmogorow Damit wurde jedoch nicht geklart was Wahrscheinlichkeit explizit ware sondern nur herausgearbeitet welche strukturellen Merkmale ein Wahrscheinlichkeitsmass erfullen muss um brauchbar zu sein Die Interpretation der Axiome bleibt insoweit noch eine offene Frage und hier bestehen weiterhin unterschiedliche Auffassungen Im Laufe der Zeit bildeten sich zwei Denkschulen die unabhangig voneinander bestanden ohne sich gegenseitig auszuschliessen Der Frequentismus entstand im Zuge der Untersuchung von Glucksspielen als standardisierte und beliebig oft unter gleichbleibenden Bedingungen wiederholbare Zufallsexperimente Hier zeigte die Beobachtung dass die relative Haufigkeit eines Experimentsausgangs mit zunehmender Wiederholungsanzahl konvergiert Nach frequentistischer Definition entspricht die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses genau diesem Grenzwert oder wie es der franzosische Stochastiker Paul Levy ausdruckte Die Wahrscheinlichkeit ist wie die Masse von Gegenstanden eine physikalische Grosse und die Haufigkeit ist ein Messinstrument fur diese Grosse die wie alle physikalischen Messinstrumente mit gewissen unvorhersehbaren Messfehlern behaftet ist 1 So einleuchtend diese Definition im Falle von Glucksspielen oder auch in der Physik ist so unbrauchbar erscheint sie fur Prozesse die nicht wiederholt werden konnen Dieses Problem besteht nicht wenn man die Wahrscheinlichkeitsauffassung der zweiten Denkschule des Bayesianismus heranzieht Hier ist Wahrscheinlichkeit ein Mass dafur wie sehr man vom Eintreten eines gewissen Ereignisses uberzeugt ist Dabei spielt es formal keine Rolle ob das Ereignis tatsachlich zufallig ist oder ob der Ausgang lediglich unbekannt ist Dieser pragmatische Zugang ermoglicht es auf philosophische Voruberlegungen zum Wesen und zur Existenz des Zufalls zu verzichten ein Umstand der diese Auffassung vor allem in der Statistik beliebt macht Ein wesentlicher Nachteil ist dass die Definition uber die Uberzeugung des Betrachters eine unerwunschte Subjektivitat einfuhrt Dazu kommt dass die Wahrscheinlichkeit hier im Gegensatz zum Frequentismus nicht intuitiv auf eine mathematisch sinnvolle numerische Skala abgebildet werden kann Zur Abbildung mussen Gedankenexperimente der Form Wie viel waren Sie bereit auf das Eintreffen dieses Ereignisses zu wetten herangezogen werden was wiederum unvermeidlich zu Schwierigkeiten beim Thema Risikoaversion fuhrt Obwohl nicht grundsatzlich unvereinbar so haben diese beiden ideologisch verschiedenen Ansatze doch lange Zeit verhindert dass sich eine einheitliche mathematische Theorie und eine einheitliche Notation herausbildeten Skepsis von Seiten anderer Wissenschaften Bearbeiten Uber Jahrhunderte zog sich die Wahrscheinlichkeitsrechnung immer wieder die Skepsis anderer wissenschaftlicher Disziplinen zu Dies kann man auf zwei Aspekte oder Grunde zuruckfuhren die Begriffe Zufall und Wahrscheinlichkeit lassen sich nur mit Muhe definieren und wissenschaftlich quantifizieren Jeder Versuch andernfalls nicht oder nur unzureichend prognostizierbare Phanomene etwa das Wetter Borsenkurse oder den Ausgang eines Wurfelwurfs stochastisch zu deuten konnte als Konkurrenz zu einer anderen Wissenschaft gesehen werden Von Seiten der Theologie und der Kirche etwa wurde der Versuch mit Wahrscheinlichkeitsrechnung den unergrundlichen Wegen des Herrn naher zu kommen die man tagtaglich in der Natur beobachten konnte lange als Blasphemie bezeichnet die Begriffe Zufall und Schicksal liegen nahe beisammen Zusatzlich storte man sich von Seiten der Kirche daran dass in fruhen Jahren das Hauptanwendungsgebiet im Glucksspiel lag das sie seit jeher ablehnte Bemerkenswert erscheint dass Zufallsprozesse sowohl im alten Orakelsteine Urim und Tummim Exodus 28 30 als auch im neuen Testament bei der Wahl des Matthias als Nachfolger des Judas durch Losentscheid Apostelgeschichte 1 23 26 eine Rolle spielen wenn es darum geht Gottes Willen zu ergrunden In der Tradition des Widerstreits zwischen Christentum und Stochastik steht letztendlich auch die andauernde Debatte um Evolution und Kreationismus beziehungsweise Intelligent Design Die Evolutionstheorie sieht die Entwicklung der Lebewesen als Ergebnis eines durch zufallige Mutationen angetriebenen randomisierten Optimierungsprozesses wahrend Kreationisten dahinter einen festen Schopfungsplan vermuten Doch auch die Naturwissenschaftler der Aufklarung begegneten der Stochastik mit Skepsis da sie sie als Bankrotterklarung vor der Natur betrachteten Schliesslich seien alle Phanomene durch deterministische Naturgesetze vollstandig erklarbar wenn man nur genau genug messe und alle Gesetze durch Experimente ergrunde 2 Somit gebe es so etwas wie Zufall uberhaupt nicht was auch die Existenz einer seriosen Wahrscheinlichkeitsrechnung ausschliesse Selbst innerhalb der Gemeinschaft der Mathematiker war die Idee einer Wahrscheinlichkeitstheorie nicht ganz unumstritten Zu offensichtlich schien der Widerspruch zwischen der Stochastik als Wissenschaft unsicherer Ereignisse und dem Anspruch der Mathematik als Lehre wahrer Aussagen unumstosslicher Schlussfolgerungen und gesicherter Erkenntnisse Beispiel Entweder hat eine Variable X displaystyle X nbsp den Wert funf oder sie hat ihn nicht Im ersten Fall ist die Wahrscheinlichkeit fur das Ereignis X 5 displaystyle X 5 nbsp gleich 1 oder 100 Prozent ansonsten ist sie 0 Prozent und fur Werte dazwischen schien in der Mathematik kein Platz Sogar Bertrand Russell Literaturnobelpreistrager und Vordenker der Philosophie der Mathematik im fruhen 20 Jahrhundert Principia Mathematica 1910 war dieser Ansicht Wie konnen wir nur von den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit sprechen Ist Wahrscheinlichkeit nicht die Antithese zu jeglichem Gesetz 3 Erst die exakte axiomatische Begrundung der Stochastik in den Jahren 1901 1933 konnte diesen Widerspruch letztendlich auflosen Stochastische Paradoxa Bearbeiten Ein zusatzliches Hindernis bei der Entwicklung der Wahrscheinlichkeitsrechnung war es auch dass die berechneten Ergebnisse oftmals der menschlichen Intuition zuwiderlaufen Insbesondere im Zusammenhang mit stochastischer Unabhangigkeit und bedingter Wahrscheinlichkeit treten vielfach Falle auf die scheinbar widerspruchliche oder widersinnige Ergebnisse zur Folge haben Solche Phanomene werden gemeinhin als stochastische Paradoxa bezeichnet obwohl hier der Begriff des Paradoxons nicht immer zutreffend ist 4 Beim Gefangenenparadoxon sind die Personen A B und C zum Tode verurteilt jedoch wird einer der drei per Losverfahren begnadigt Damit ist die Wahrscheinlichkeit fur A zu uberleben gleich 1 3 displaystyle frac 1 3 nbsp Nennt der Gefangniswarter A jedoch nach dem Losvorgang den Namen eines der beiden Mitgefangenen der nicht begnadigt wird mindestens eine der beiden anderen Personen wird garantiert hingerichtet so bleiben nur noch zwei Kandidaten fur die Begnadigung ubrig und die Uberlebenswahrscheinlichkeit fur A musste demnach auf 1 2 displaystyle frac 1 2 nbsp steigen Es ist allerdings kaum vorstellbar dass diese Information dass mindestens einer der anderen hingerichtet wird wusste A schliesslich schon vorher tatsachlich die Chance von A auf eine Begnadigung erhohen sollte und in diesem Fall ist es auch nicht so die Uberlebenswahrscheinlichkeit betragt weiterhin 1 3 displaystyle frac 1 3 nbsp Allerdings ist gleichzeitig die Uberlebenswahrscheinlichkeit fur den nicht genannten Mitgefangenen auf 2 3 displaystyle frac 2 3 nbsp gestiegen nbsp Bertrands Kugelparadoxon Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit dass der Zufallspunkt oberhalb der gelben Linie links landet Nach Bertrand entspricht sie dem Verhaltnis der Lange der roten Linie rechts zur Lange des gesamten grunen Grosskreises oder a 180 Das Kugelparadoxon auch Bertrand Paradoxon genannt wurde 1889 in einem Lehrbuch 5 von Joseph Bertrand aufgestellt Es lautet wird ein Punkt zufallig gleichverteilt auf der Oberflache einer Kugel etwa der Einschlagpunkt eines Meteoriten auf der Erde ausgewahlt wie gross ist dann die Wahrscheinlichkeit dass dieser Punkt von einem vorher fest gewahlten Punkt etwa dem im selben Jahr fertiggestellten Eiffelturm einen Abstand von weniger als 10 Winkelminuten hat dass also der Eiffelturm und der Zufallspunkt mit dem Erdmittelpunkt einen Winkel von weniger als 10 60 displaystyle frac 10 60 nbsp Grad einschliesst Eine Moglichkeit diese Wahrscheinlichkeit zu berechnen besteht darin die Flache der in Frage kommenden Punkte also die Oberflache der Kappe um den Eiffelturm mit Radius 10 Winkelminuten durch die Gesamtoberflache der Kugel zu teilen was etwa 2 1 10 6 displaystyle 2 1 cdot 10 6 nbsp ergibt Bertrand schlug aber noch eine zweite Losung vor da es fur den Abstand irrelevant ist auf welchem Grosskreis durch den Eiffelturm der Punkt liegt und alle Grosskreise gleich wahrscheinlich sind genugt es exemplarisch einen solchen Grosskreis zu betrachten Dann betragt die Wahrscheinlichkeit einfach 20 360 60 9 2 10 4 displaystyle frac 20 360 cdot 60 approx 9 2 cdot 10 4 nbsp da von 360 Grad genau 20 Bogenminuten oder 20 60 displaystyle frac 20 60 nbsp Grad in Frage kommen Bertrands Ansicht nach war keine der beiden Antworten falsch sondern lediglich die Gleichverteilung auf der Mannigfaltigkeit der Kugeloberflache nicht wohldefiniert Wahrend das Gefangenenparadoxon noch mit verhaltnismassig einfachen stochastischen Hilfsmitteln auflosbar ist beweist das zweite Problem dass die Wahrscheinlichkeitstheorie auch zum Ende des 19 Jahrhunderts noch nicht weit genug entwickelt war um Zufallsphanomene auf einem Kontinuum zweifelsfrei wiederzugeben Doch nicht nur die bedingte Wahrscheinlichkeit die in der ein oder anderen Form der erwahnten Paradoxa eine Rolle spielt verleitet bisweilen zu Trugschlussen auch der Begriff der stochastischen Unabhangigkeit lauft der Intuition oft zuwider Als Beispiel sei das folgende einfache Spiel genannt ein gewohnlicher sechsseitiger Wurfel wird zweimal hintereinander geworfen und die Augenzahlen addiert Das Spiel ist gewonnen falls die Summe der Augen eine gerade Zahl ist andernfalls verliert der Spieler Nun ist der Ausgang des Spiels also ob das Ereignis Spiel gewonnen eintritt oder nicht vom Ausgang des zweiten Wurfs unabhangig Obwohl sich dieses Ergebnis anhand der Definition der stochastischen Unabhangigkeit leicht nachprufen lasst ist es insofern verbluffend als der zweite Wurf das Spiel ja endgultig entscheidet Mogen diese Probleme heute eher wie mathematische Spielereien erscheinen so darf dabei nicht vernachlassigt werden dass heute bereits eine voll entwickelte und widerspruchsfreie Wahrscheinlichkeitstheorie zur Verfugung steht Jedoch mussten erst Begriffe wie Unabhangigkeit und bedingte Wahrscheinlichkeit definiert werden was schwerfallt wenn die aus heutiger Sicht einzigen sinnvollen Definitionen zu Trugschlussen wie den oben erwahnten fuhren konnen Dies mag eine Erklarung dafur sein dass sich eine konsistente mathematische Wahrscheinlichkeitstheorie nicht bereits fruher entwickelte Wahrscheinlichkeitsrechnung im Altertum Bearbeiten nbsp Ein romischer AstragalEin Interesse am Zufall lasst sich bis in die fruheste Menschheitsgeschichte zuruckverfolgen Archaologische Funde zeigen an mehreren Stellen auf der ganzen Welt eine auffallige Haufung an Sprunggelenksknochelchen von Schafen und anderen ahnlich geformten Knochen 6 Von diesen lateinisch Astragali genannten Knochen ist bekannt dass sie im romischen Reich als Spielwurfel verwendet wurden zum Glucksspiel um Geld aber auch zu rituellen Zwecken um Auskunft uber die Laune der Gotter zu erhalten Solche und ahnliche Orakel die sich naturlicher etwa bei der Vogelschau oder eben kunstlicher Zufallsereignisse bedienen lassen sich weltweit beobachten Auffallig ist dabei dass bereits fruh auch Wurfel in der heute ublichen Kubusform oder als Tetraeder hergestellt wurden Einer der fruhesten Funde im heutigen Iran datiert etwa auf 3000 v Chr Dies bedeutet dass bereits damals versucht wurde Wahrscheinlichkeiten gezielt zu beeinflussen um etwa faire und damit besonders interessante Spiele zu entwerfen So gesehen kann man den Versuch ideale Wurfel also solche bei denen alle Seiten dieselbe Wahrscheinlichkeit aufweisen zu schaffen als Fruhform stochastischen Kalkuls bezeichnen In Indien waren mindestens seit der vedischen Zeit vor 1000 v Chr rituelle und gesellige Spiele bekannt 7 bei denen funfseitige Nussfruchte als Wurfel Verwendung fanden bevor eingeschrankt ideale Prismenwurfel entwickelt wurden In der Geschichte Nala und Damayanti aus dem Epos Mahabharata werden neben Wurfelspielen zwei stochastische Themen erwahnt Zum einen die Kunst des raschen Zahlens eine Art Schluss von einer Stichprobe auf die Gesamtheit 8 sowie ein uns heute unbekannter Zusammenhang zwischen Wurfelspielen und dieser Schlussweise 9 10 Obwohl das Glucksspiel auch mit idealen Wurfeln in der hellenistischen Welt bekannt und verbreitet war und die mathematischen Grundkenntnisse bereits zu Zeiten Euklids oder Pythagoras dies durchaus ermoglicht hatten fand man bisher keine uberlieferten Hinweise auf konkrete stochastische Berechnungen aus dieser Zeit Dies mag zum einen daran liegen dass der Wahrscheinlichkeitsbegriff damals noch nicht so weit entwickelt war dass es moglich gewesen ware Wahrscheinlichkeit auf einer numerischen Skala einzuordnen wie es heute ublich ist und im allgemeinen Sprachgebrauch verstanden wird Es mag aber auch eine Rolle gespielt haben dass die antike Wissenschaftsphilosophie dem Empirismus stark abgeneigt war Wahre Erkenntnis konne man nicht aus Experimenten sondern lediglich aus logischer Argumentation gewinnen Wahrscheinlichkeit lasst sich hingegen nur im Experiment erfahren und eindeutige Vorhersagen ermoglicht die Stochastik nur im Zusammenhang mit unendlich oft unabhangig wiederholten Vorgangen etwa beim Gesetz der grossen Zahlen was aber wiederum einen frequentistischen Zugang zum Wahrscheinlichkeitsbegriff voraussetzt Die in diesem Zusammenhang stehende Aussage von Aristoteles dass der Zufall sich grundsatzlich der menschlichen Erkenntnis und damit auch der Wissenschaft entziehe wurde von spateren Aristotelikern zum Dogma erhoben und verhinderte auf langere Zeit die Entstehung einer Wahrscheinlichkeitsrechnung im Abendland 11 nbsp Fruher Fund alter idealer WurfelVom romischen Kaiser Claudius 10 v Chr 54 n Chr ist bekannt dass er ein Freund des Spiels Duodecim Scripta war eines Vorgangers des heutigen Backgammon und daruber auch ein Buch verfasste Da dieses jedoch heute nicht mehr erhalten ist ist unklar ob es sich dabei auch um eine stochastische Analyse des Spiels handelte Es ware die fruheste bekannte Abhandlung dieser Art Neben dem Glucksspiel bot auch das Versicherungswesen ein fruhes Betatigungsfeld fur Wahrscheinlichkeitsabschatzungen Versicherungsvertrage insbesondere fur Handelsreisen auf See lassen sich in Babylon und China mindestens bis ins zweite Jahrtausend v Chr zuruckverfolgen Beispielsweise werden solche Kontrakte im Codex Hammurapi etwa 1760 v Chr erwahnt Im Romischen Reich gab es bereits eine Form von Leibrenten bei der ein Vertragspartner gegen eine einmalige feste Einzahlung bis zu seinem Lebensende regelmassige Auszahlungen erhielt Verschiedene Formen von Krediten und Zinsen lassen sich sogar noch fruher feststellen Codex Ur Nammu 3 Jahrtausend v Chr und es kann davon ausgegangen werden dass solche mit Unsicherheiten behafteten Vertrage ahnlich alt sind wie der Handel mit Gutern selbst Derartige Versicherungskontrakte sind sicher erst nach rudimentaren probabilistischen Uberlegungen bezuglich der aus dem Vertrag entstehenden Profite und Verpflichtungen zustande gekommen bei denen ansatzweise die Wahrscheinlichkeit zukunftiger Ereignisse etwa der Schiffbruch eines Handlungsreisenden der fruhe Tod eines Leibrentners oder der Ausfall eines Schuldners geschatzt wurde Von dieser fruhen Form des Risikomanagements sind jedoch kaum Zeugnisse erhalten was nicht verwunderlich ist da Kaufleute zu allen Zeiten darauf bedacht waren ihre Rechenmodelle geheim zu halten Mittelalter und fruhe Neuzeit BearbeitenIn der christlichen Gesellschaft des Mittelalters waren Orakel und Glucksspiel obwohl weiterhin verbreitet doch offentlich verpont sodass eine Forschung uber den Zufall zumindest offiziell nicht stattfand zumal die Wissenschaften zu jener Zeit von Klostern dominiert wurden So dauerte es bis ins 13 Jahrhundert ehe wieder ein Kandidat fur die erste stochastische Publikation auftauchte Das in Hexametern formulierte und anonym veroffentlichte De vetula heute dem Kanzler der Kathedrale von Amiens Richard de Fournival 1201 1260 zugeschrieben 12 beschreibt Spiele mit drei Wurfeln und listet explizit die dabei moglichen 216 Kombinationen auf Das verbotene Thema des Gedichtes mag der Grund fur die anonyme Veroffentlichung gewesen sein Andere Autoren wie der Monch Jean Buteo 1492 1572 Logistica um 1560 umgingen das kirchliche Verbot dadurch dass sie anstatt von Wurfeln von Kombinationsschlossern sprachen deren Schlussel zum Beispiel 4 Barte mit jeweils sechs Einstellungen besassen um so 6x6x6x6 1296 verschiedene Moglichkeiten darstellen zu konnen 13 Cardanos Liber de Ludo Aleae Bearbeiten nbsp Gerolamo Cardano 1501 1576 der erste nachgewiesene StochastikerEs dauert bis ins 16 Jahrhundert ehe die erste nachweisbare stochastische Publikation entstand Gerolamo Cardano italienischer Universalgelehrter und einer der einflussreichsten Mathematiker seiner Zeit legte in seinem ab 1524 entstandenen Werk Liber de Ludo Aleae das Buch vom Wurfelspiel den Grundstein der Theorie diskreter Zufallsprozesse Spiele mit bis zu drei Wurfeln werden hier wie zu dieser Zeit ublich fast durchgehend in Prosa beinahe vollstandig besprochen daneben finden sich aber auch philosophische Gedanken zu Gluck Kapitel XX De fortuna in Ludo uber das Gluck im Spiel Risikofreude und scheue Kapitel XXI De timore in iactu uber die Furcht vor dem Wurf Spielsucht Kapitel IV Utilitas ludi amp damna Nutzen und Schaden des Spiels sowie auch ein eigenes Kapitel uber effektive Wege des Betrugs Kap XVII De dolis in huiusmodi Ludis uber die List in so gearteten Spielen Zusatzlich werden auch Kartenspiele diskutiert die in Europa ab dem 15 Jahrhundert immer beliebter geworden waren die aber Cardanos Aufmerksamkeit weitaus weniger erregten als das Hazard ein wahrscheinlich von Kreuzfahrern aus dem Orient importiertes Wurfelspiel An einer Veroffentlichung seiner Ergebnisse war Cardano offenbar lange Zeit nicht gelegen nutzte er doch einen Informationsvorsprung um regelmassig mehr zu gewinnen als er einsetzte und dadurch zum Teil auch sein Studium zu finanzieren Doch der notorische Spieler verfiel der Spielsucht und verspielte in seinem spateren Leben das meiste seines Vermogens und seines guten Rufes Sein Buch wurde erst 1663 posthum veroffentlicht als unlangst andere Gelehrte auf die Wahrscheinlichkeitstheorie aufmerksam geworden waren Das Teilungsproblem Bearbeiten nbsp Blaise Pascal 1623 1662 Es sollte bis weit ins 17 Jahrhundert dauern ehe sich wieder Mathematiker erfolgreich mit dem Zufall beschaftigten und wie in vielen anderen Wissenschaften hatte sich das Zentrum mittlerweile von Italien nach Frankreich verlegt Blaise Pascal einer der einflussreichsten Mathematiker und Religionsphilosophen seiner Zeit beschrieb am 29 Juli 1654 in einem Brief an seinen Kollegen Pierre de Fermat zwei Probleme die ihm sein Freund Antoine Gombaud Chevalier de Mere zugetragen hatte und die seither als De Mere oder Wurfelproblem frz probleme des des und Teilungsproblem probleme de partis bekannt sind Das Wurfelproblem beschaftigt sich mit einem einfachen Glucksspiel Die Wahrscheinlichkeit mit einem Wurfel in vier Versuchen mindestens eine Sechs zu werfen betragt mit 671 1296 displaystyle tfrac 671 1296 nbsp knapp mehr als 50 Prozent Versucht man hingegen mit zwei Wurfeln eine Doppelsechs zu erzielen wofur die Wahrscheinlichkeit jeweils 1 36 displaystyle tfrac 1 36 nbsp also nur ein Sechstel des Ein Wurfel Falls betragt und macht dafur entsprechend sechsmal so viele also 24 Wurfe so liegt die Siegchance knapp unter 50 Prozent Nach de Mere hatte aber die gleiche Wahrscheinlichkeit wie zuvor herauskommen mussen sodass er einen Rechenfehler vermutete Das Teilungsproblem behandelt ein fiktives Spiel bei dem der Spieler der zuerst eine festgesetzte Anzahl von fairen Runden fur sich entscheidet bei denen jeder Spieler also je eine Siegchance von 50 Prozent besitzt unabhangig vom Ausgang der vorangegangenen Runden einen Geldpreis gewinnt Das Spiel wird aber durch hohere Gewalt vor der Entscheidung abgebrochen sodass der Betrag nun abhangig vom derzeitigen Spielstand gerecht geteilt werden soll nbsp Pierre de Fermat 1607 1665 Wahrend sich die Partner des Briefwechsels beim ersten Problem schnell einig waren dass de Meres Proportionalitatsansatz sechsmal niedrigere Wahrscheinlichkeit also sechsmal so viele Versuche fur gleiche Siegeschancen naheliegend aber falsch sei und demnach kein Widerspruch bestunde bereitete das zweite grossere Schwierigkeiten da hier die Frage der Gerechtigkeit vage gestellt war und erst sinnvoll mathematisch formuliert werden musste Letztendlich kamen sie zu dem Entschluss dass der Einsatz gemass den Gewinnwahrscheinlichkeiten aufgeteilt werden musse und Pascal zeigte auf wie diese mit Hilfe der Kombinatorik und speziell dem von ihm unlangst entwickelten Pascalschen Dreieck berechnet werden konnten Die Wahrscheinlichkeit dass ein Spieler von n ausstehenden Spielen genau k gewinnt betrage demnach n k 1 2 n displaystyle tbinom n k cdot tfrac 1 2 n nbsp wobei der Binomialkoeffizient n k displaystyle tbinom n k nbsp dem Pascalschen Dreieck zu entnehmen sei Leibniz hatte wahrend seines Parisaufenthalts vom Teilungsproblem gehort und den Nachlass von Pascal eingesehen Er kannte auch die Schriften von Christiaan Huygens zur Wahrscheinlichkeitsrechnung 1678 formulierte er in De incerti aestimatione einen eigenen Losungsvorschlag zum Teilungsproblem Diese Arbeit existierte nur als Handschrift und wurde erst 1957 veroffentlicht Leibniz kam zu einem etwas anderen Ergebnis als Pascal und Fermat obwohl er deren Losung kannte Leibniz hatte eine andere Gerechtigkeitsvorstellung als Pascal und Fermat die heute so interpretiert und in Form eines Leistungsprinzips etwas vereinfacht so ausgedruckt werden kann Gleicher Lohn fur gleiche Leistung 14 Das Teilungsproblem war bereits vor de Mere bekannt und kann inzwischen bis 1380 zuruckverfolgt werden 15 und auch schon Cardano sowie seine Zeitgenossen Nicolo Tartaglia Luca Pacioli und Giobattista Francesco Peverone hatten ihrerseits Losungen angeboten Die Losungen von Cardano Pacioli und Tartaglia unterscheiden sich von Pascals und Fermats aus heutiger Sicht richtigem Vorschlag teilweise stark da sie mit Mitteln kaufmannischer Gewinn und Verlustrechnung oder eher wie de Mere mit Proportionen denn kombinatorisch argumentierten Peverone erhielt fast die nach heutiger Sicht richtige Losung Wie sie zustande gekommen ist kann aber erst erforscht werden wenn seine Schrift Due breve e facili trattati offentlich zuganglich gemacht wird Die italienischen Mathematiker verloren um die Mitte des 16 Jahrhunderts die Uberzeugung dass es eine richtige mathematisch ermittelbare Losung gibt Tartaglia ausserte die Meinung das Problem konne eher juristisch als mit Vernunft gelost werden 16 Da Pascal und Fermat von den Bemuhungen der Italiener aber nichts gewusst haben durften spatere Publikationen jedoch stets auf ihren Uberlegungen aufbauten gilt der Briefwechsel von 1654 vielen als Geburtsstunde der Stochastik Niederlandische Schule Bearbeiten nbsp Christiaan Huygens 1629 1695 fuhrte die Wahrscheinlichkeitsrechnung in den Niederlanden und in England einStand der Briefwechsel von Pascal und Fermat auch am Anfang der Entwicklung modernen stochastischen Kalkuls so wurde dieser doch erst 1679 also nach dem Tod der beiden veroffentlicht Damit gebuhrt die Ehre der fruhesten gedruckten stochastischen Publikation dem niederlandischen Mathematiker und Physiker Christiaan Huygens der schon 1655 bei einem Parisaufenthalt vom Diskurs der beiden Franzosen gehort hatte und daraufhin 1657 in Leiden seine Abhandlung De Ratiociniis in Ludo Aleae Uber Schlussfolgerungen im Wurfelspiel veroffentlichte Huygens Einsicht in die Logik der Spiele und die Frage der Gerechtigkeit derselben geht dabei weit uber das hinaus was Cardano Pascal und Fermat diskutierten Auch fur unsymmetrische Spiele mit unterschiedlichen Einsatzen oder Gewinnen fand er mit Hilfe eines Indifferenzprinzips ein Spiel ist demnach gerecht wenn alle Parteien bereit waren ihre Rolle mit der der anderen zu tauschen faire Einsatze und entwickelt dabei einen der bis heute zentralen stochastischen Begriffe den Erwartungswert Dadurch liess sich die Frage nach der Gerechtigkeit auf das einfache Kriterium erwarteter Gewinn Einsatz reduzieren womit auch das de Meresche Teilungsproblem gelost war Mit den Niederlanden war die Wahrscheinlichkeitsrechnung in einem der Zentren der damaligen Finanzbranche angelangt und hielt dort bald Einzug in die Finanzmathematik Der Ratspensionar Johan de Witt eine der einflussreichsten Gestalten in Hollands goldenem Zeitalter und daneben Hobbymathematiker diskutierte in Waardije van Lijf renten naer Proportie van Los renten der Wert von Leibrenten verglichen mit Amortisationen 1671 mit Huygens Methoden staatliche Leibrenten die damals Witwen angeboten wurden Er verwendete dabei das erste bekannte stochastische Mortalitatsmodell und kam zu dem Ergebnis dass die ausgezahlten Renten aus Sicht des Staates unvernunftig hoch seien Der Tatsache dass de Witt als Beamter keine privaten finanziellen Interessen verfolgte sondern seine Entscheidung der Offentlichkeit gegenuber rechtfertigen musste verdankt die Nachwelt wohl die Veroffentlichung seiner Berechnungen Geruchten zufolge soll die von ihm veranlasste Rentensenkung auch eine Ursache fur einen Volksaufstand im folgenden Jahr gewesen sein an dessen Ende de Witt gelyncht wurde Schisma der Stochastik im 18 und 19 Jahrhundert BearbeitenHuygens wurde 1663 aufgrund seiner Leistungen auf dem Gebiet der Astronomie als erster Auslander in die Londoner Royal Society aufgenommen Nebenbei fuhrte er aber auch die Wahrscheinlichkeitsrechnung in England ein wo sie auf fruchtbaren Boden traf Bereits ein Jahr spater benutzte John Tillotson Erzbischof von Canterbury in On the Wisdom of Being Religious Uber die Weisheit religios zu sein Huygens Erwartungswert um zu beweisen dass sich der Glaube an Gott lohne Sei die Wahrscheinlichkeit dass Gott tatsachlich existiert noch so gering so habe aufgrund des unendlichen Gewinns im Himmel das Spiel Gottes einen unendlich hohen Erwartungswert Unbeabsichtigterweise machte Tillotson seine Zeitgenossen dadurch auf ein Problem aufmerksam das die Stochastik noch mehr als zweihundert Jahre lang nicht befriedigend losen sollte Wie ist mit Ereignissen umzugehen deren Wahrscheinlichkeit Null ist Stichhaltig ist sein Argument namlich nur dann wenn man der Existenz Gottes eine positive Wahrscheinlichkeit einraumt Die Pascalsche Wette zielte auf ahnliche Uberlegungen ab Erste Fundamentalsatze Bearbeiten nbsp Jakob I Bernoulli 1655 1705 Die Wahrscheinlichkeitsrechnung im 18 Jahrhundert wurde durch zwei bedeutende Werke gepragt wobei zum ersten Mal eine Abkehr vom Glucksspiel hin zu anderen Anwendungsbereichen deutlich wird Zum einen erschien 1713 in Basel Ars conjectandi Die Kunst des Vermutens von Jakob I Bernoulli eine unvollendete Abhandlung die posthum Bernoulli war bereits 1705 gestorben aus seinen Tagebuchern veroffentlicht wurde Aufbauend auf Huygens Vorarbeit finden sich hier bahnbrechende Erkenntnisse auf dem Gebiet der Kombinatorik beispielsweise taucht hier erstmals der Begriff Permutation auf und eine vollstandige Diskussion der Binomialverteilung aber es wurden auch erstmals unendliche Folgen von identischen Zufallsprozessen untersucht Diese sind fur den Spezialfall zweier moglichen Ausgange noch heute als Bernoulli Ketten bekannt Die Konvergenz der relativen Haufigkeit gegen die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses wurde von Bernoulli nicht als Axiom vorausgesetzt sondern in einem Satz geschlossen Ausgehend davon formulierte er auch die fruheste Version des Gesetzes der grossen Zahlen heute einer der zwei wichtigsten Satze der Stochastik Eine prazise Definition der Wahrscheinlichkeit blieb aber auch Bernoulli schuldig er hielt diese aber auch nicht fur notig da es seines Erachtens keinen Zufall gibt nur unvollstandige Information Jemand der um den Lauf der Gestirne nicht weiss konne demnach auf eine Sonnenfinsternis ebenso wetten wie auf einen Munzwurf 17 Diese Ansicht macht Bernoulli praktisch zum ersten erklarten Bayesianer Bemerkenswert ist ferner die Tatsache dass Bernoullis Hauptinteresse neben den erwahnten Konvergenzaussagen darin bestand die Stochastik auf die Rechtsprechung anzuwenden wo es schliesslich gilt aufgrund von unvollstandiger Information die Glaubwurdigkeit einer Aussage zu beurteilen also im bayesschen Sinne die Wahrscheinlichkeit einer wahren Aussage zu bestimmen Dieser Versuch mathematisches mit juristischem Schlussfolgern zu versohnen wurde allerdings nie ernsthaft praktiziert nbsp Abraham de Moivre 1667 1754 Der zweite wesentliche Durchbruch dieser Zeit gelang Abraham de Moivre einem nach England geflohenen Hugenotten An der Royal Society veroffentlichte er 1718 The Doctrine of Chances Die Lehre von der Wahrscheinlichkeit ein Werk das die neue englische Schule der Stochastik in den nachsten hundert Jahren wesentlich beeinflussen sollte Die grosste Leistung de Moivres war sicherlich die Formulierung eines zentralen Grenzwertsatzes neben dem Gesetz der grossen Zahlen der zweite fundamentale Satz der Stochastik heute als Satz von Moivre Laplace bekannt und dadurch auch die Einfuhrung der Normalverteilung Letztere hatte hier allerdings noch nicht den Status einer eigenstandigen Wahrscheinlichkeitsverteilung sondern fungierte lediglich als Grenzwert von diskreten Wahrscheinlichkeiten Als Hilfsmittel taucht hier erstmals die wahrscheinlichkeitserzeugende Funktion von Verteilungen auf Englische Statistiker und franzosische Probabilisten Bearbeiten Die Arbeiten Bernoullis und de Moivres legten den Grundstein fur das was in den Folgejahren als Theorie der Fehler und spater als Statistik bekannt wurde In den Naturwissenschaften wo zumeist versucht wird Gesetzmassigkeiten zunachst durch Messungen aufzuspuren kam man immer ofter in Situationen wo Messungen mit zu grosser Ungenauigkeit behaftet waren oder insbesondere in der Astronomie nicht beliebig oft wiederholt werden konnten sodass man dazu ubergehen musste Fehler als Teil des Modells zu verstehen und sie mathematisch zu behandeln Bernoulli hatte in Ars Conjectandi bereits gezeigt dass die Wahrscheinlichkeitsrechnung dazu ein geeignetes Werkzeug ist unabhangig davon ob man an die zufallige Natur der Fehler glaubt oder nicht Der nachste bedeutende Schritt in diese Richtung gelang dem englischen Mathematiker und Pfarrer Thomas Bayes dessen Hauptwerk An Essay towards solving a Problem in the Doctrine of Chances Eine Abhandlung zur Losung eines Problems durch die Wahrscheinlichkeitslehre 1764 ebenfalls posthum veroffentlicht wurde Darin wird zum einen die bedingte Wahrscheinlichkeit formal eingefuhrt bisher war immer stillschweigend von Unabhangigkeit ausgegangen worden was in einen Spezialfall des heute sogenannten Satzes von Bayes mundete Daneben zeigte Bayes als Erster die noch heute gultige Dualitat von Stochastik und Statistik auf Wahrend die Stochastik auf Grundlage von gegebenen Verteilungen auf die Wahrscheinlichkeit zukunftiger Ereignisse zu schliessen versucht bei Bayes forward probability ist das Ziel der Statistik auf Grundlage beobachteter Ereignisse Ruckschlusse auf die ursprungliche Verteilung zu ziehen backward probability Dieses Paradigma legte den Grundstein fur die Bayessche Statistik und lautete eine bis heute gultige Vorherrschaft der angelsachsischen Schule auf dem Gebiet der mathematischen Statistik ein spater vertreten durch Francis Galton William Student Gosset Karl Pearson R A Fisher oder Jerzy Neyman Wahrenddessen schien die Wahrscheinlichkeitsrechnung in ihrer damaligen Form die immer noch auf dem Fundament von Pascal und Huygens beruhte an ihre Grenzen zu stossen In immer mehr Anwendungsbereichen wurde es notwendig sich mit stetigen Verteilungen auseinanderzusetzen also solchen die uberabzahlbar viele Werte annehmen konnen Dies schliesst aber aus dass die einzelnen Werte alle mit positiver Wahrscheinlichkeit auftreten und Ereignisse der Wahrscheinlichkeit null wurden zu jener Zeit als unmoglich interpretiert Diesen scheinbaren Widerspruch dass sich Zufallsexperimente aus lauter unmoglichen Ereignissen zusammensetzen sollten konnten die Mathematiker noch bis ins zwanzigste Jahrhundert nicht vollig schlussig ausraumen obwohl sie bereits erste Erfahrungen mit Dichten von Verteilungen machten soweit es die damalige Integrationstheorie zuliess nbsp Pierre Simon Laplace 1749 1827 der wichtigste Vertreter der franzosischen Schule im 19 JahrhundertDerweil wandte sich die Forschung in der von Frankreich dominierten kontinentalen Schule mehr der Erfassung des Wesens von Zufall und Wahrscheinlichkeit zu Daher verwundert es nicht dass die wichtigsten Beitrage zu jener Zeit mit Marie Jean Antoine Nicolas Caritat Marquis de Condorcet Essai sur l application de l analyse a probabilite des decisions 1785 Abhandlung zur Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung in Entscheidungen und Jean Baptiste le Rond d Alembert Beitrage uber Wahrscheinlichkeit in der Encyclopedie Autoren hatten die heute gleichermassen als Philosophen wie als Mathematiker gelten Das Hauptwerk aus jener Zeit ist Theorie Analytique des Probabilites Mathematische Wahrscheinlichkeitstheorie 1812 von Pierre Simon Laplace das einerseits alle bis dahin erzielten Erfolge auf dem Gebiet der Stochastik zusammenfasst andererseits auch den Versuch einer neuen Philosophie des Zufalls wagt Laplaces Zugang zur Wahrscheinlichkeit war intuitiv da er hinter allen Phanomenen eine Gleichverteilung vermutete siehe Stetige Gleichverteilung die nicht mit der nach Laplace benannten Laplace Verteilung zu verwechseln ist Bisweilen wird der Laplacesche Wahrscheinlichkeitsbegriff auch als autonomer dritter Zugang neben Frequentismus und Bayesianismus angesehen 18 Daneben deutete er auch Grenzen der menschlichen Erkenntnis auf dem Gebiet der Naturwissenschaft an Laplacescher Damon womit er von der die letzten Jahrhunderte dominierenden Wissenschaftsphilosophie der Aufklarung zugunsten einer Physik des Zufalls abruckte Weitere bedeutende Durchbruche verzeichneten dieser Jahre Carl Friedrich Gauss und Adrien Marie Legendre die 1795 beziehungsweise 1806 unabhangig voneinander die Methode der kleinsten Quadrate auf Grundlage normalverteilter Fehler entwickelten Simeon Denis Poisson ein Schuler Laplaces Poisson Verteilung und Pafnuti Lwowitsch Tschebyschow Tschebyschow Ungleichung Verallgemeinerung des Gesetzes der grossen Zahlen der gefordert vom franzosischen Mathematiker Joseph Liouville und von Poisson eine an die franzosische angelehnte russische Schule begrundete Daneben existierte gegen Ende des 19 Jahrhunderts auch eine wenig einflussreiche deutsche Schule deren Hauptwerk Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung 1886 von Johannes von Kries die Stochastik mit den Ideen Kants zu vereinen versuchte und dazu eine mathematische Theorie der Spielraume heranzog die sich aber nach von Kries Tod nicht weiter verbreiten konnte obgleich von Kries Ideen die spateren Arbeiten Ludwig Wittgensteins beeinflussen sollten Axiomatisierung und Grundbegriffe BearbeitenDie Wahrscheinlichkeitstheorie war gegen Ende des 19 Jahrhunderts unubersehbar in einer Sackgasse angelangt da die seit Jahrhunderten in Stuckarbeit zusammengetragene Theorie den immer komplexeren Anspruchen der Anwendung nicht mehr gerecht wurde In der Physik fruher Prototyp deterministischer Wissenschaft setzte sich etwa vermehrt die Idee durch Phanomene durch zufallige Prozesse auf molekularer oder atomarer Ebene zu erklaren Drei eng beieinander liegende Ereignisse um die Jahrhundertwende fuhrten die Stochastik jedoch aus diesem Dilemma heraus hin zu dem strukturellen Rahmen der heute im engsten Sinne unter Wahrscheinlichkeitstheorie verstanden wird Das war erstens die Entwicklung der modernen Mengentheorie durch Georg Cantor in den Jahren 1895 1897 die der Analysis einen bis dahin nicht bekannten Grad der Abstraktion erlaubte Dazu kam zweitens die von David Hilbert auf dem internationalen Mathematikerkongress in Paris vorgestellte Liste von 23 Problemen deren sechstes sich explizit mit der Axiomatisierung der Wahrscheinlichkeitstheorie und Physik befasste und damit ein breites Spektrum von Mathematikern auf dieses Problem aufmerksam machte Der dritte und entscheidende Beitrag war die Entwicklung der Masstheorie durch Emile Borel im Jahr 1901 woraus wenig spater die Integrationstheorie nach Henri Leon Lebesgue entstand Obwohl es Borel und Lebesgue zunachst nur darum ging die Integralrechnung konsistent auf Raume wie den R n displaystyle mathbb R n nbsp oder allgemeinere Mannigfaltigkeiten auszuweiten bemerkte man schnell dass sich diese Theorie geradezu ideal fur eine neue Form der Wahrscheinlichkeitsrechnung eignet Beinahe alle Begriffe der Masstheorie besitzen eine direkte logische Interpretation in der Stochastik Das Grundgerust der masstheoretischen Wahrscheinlichkeitstheorie bildet der Wahrscheinlichkeitsraum W A P displaystyle Omega mathcal A P nbsp Dabei bezeichnet W displaystyle Omega nbsp in der Integrationstheorie den Definitionsbereich der zu integrierenden Funktionen Hier ist es die Menge aller elementaren Ereignisse von denen nur jeweils genau eines gleichzeitig eintreten kann etwa die sechs Ausgange 1 2 6 eines Wurfelwurfes A displaystyle mathcal A nbsp ist eine s Algebra auf W displaystyle Omega nbsp und enthalt Teilmengen von W displaystyle Omega nbsp also aus Elementarereignissen zusammengesetzte Ereignisse beispielsweise das Ereignis dass der Wurfel eine gerade Augenzahl zeigt also 2 4 6 Die s Algebra die Bezeichnung geht auf Felix Hausdorff zuruck muss jedoch nicht alle Teilmengen von W displaystyle Omega nbsp enthalten sondern nur solche fur die eine sinnvolle Wahrscheinlichkeit definiert werden kann P displaystyle P nbsp ist ein Mass das jedem Ereignis A A displaystyle A in mathcal A nbsp eine Wahrscheinlichkeit P A 0 displaystyle P A geq 0 nbsp zuordnet sodass gewisse Bedingungen erfullt sind Da Masse von Borel ursprunglich geometrisch als Verallgemeinerung von Flacheninhalten motiviert waren wird beispielsweise gefordert dass die leere Menge das Mass Null hat also P 0 displaystyle P emptyset 0 nbsp In die Sprache der Stochastik ubersetzt bedeutet das dass die Wahrscheinlichkeit dass keines der in W displaystyle Omega nbsp aufgefuhrten Ereignisse eintritt gleich Null ist W displaystyle Omega nbsp das Experiment also vollstandig beschreibt Des Weiteren wird sinnvollerweise gefordert dass das Mass die Flache der Vereinigung disjunkter Mengen gleich der Summe der einzelnen Masse Flachen ist Hier bedeutet das dass falls zwei Ereignisse nie gleichzeitig eintreten konnen wie eine gerade und eine ungerade Augenzahl im selben Wurf die Mengen 1 3 5 und 2 4 6 sind disjunkt die Wahrscheinlichkeit dafur dass eines der beiden auftritt genau der Summe der einzelnen Wahrscheinlichkeiten entspricht Das Gleiche wird auch fur abzahlbare aber nicht fur uberabzahlbare Vereinigungen gefordert Der einzige Zusatz der in der Wahrscheinlichkeitstheorie gegenuber der gewohnlichen Masstheorie gemacht werden muss ist die Normierung des gesamten Raumes auf Wahrscheinlichkeit eins also P W 1 displaystyle P Omega 1 nbsp Mengen deren Mass Null ist werden als Nullmengen bezeichnet wie etwa eine Gerade in der Ebene die keine Flache hat In der Wahrscheinlichkeitstheorie sagt man von Nullmengen dass sie fast sicher nicht eintreten Dadurch wird das oben beschriebene Dilemma dass sich Zufallsexperimente aus lauter unmoglichen Ereignissen zusammensetzen konnen aufgelost Auch eine Ebene setzt sich aus vielen parallelen Geraden zusammen von denen jede die Flache Null hat Da aber uberabzahlbar viele Geraden im Spiel sind entsteht kein Widerspruch zu den von P displaystyle P nbsp geforderten Eigenschaften Dadurch kann erstmals klar zwischen einem Ereignis unterschieden werden das zwar eintreffen kann aber Wahrscheinlichkeit Null hat das ist eine Nullmenge und einem solchen das uberhaupt nicht eintreten kann etwa die Augenzahl sieben beim Wurfelwurf die nicht in W displaystyle Omega nbsp enthalten ist Lebesgue erweiterte die Masstheorie um sogenannte messbare Abbildungen Das sind Funktionen mit Definitionsmenge W displaystyle Omega nbsp die in gewisser Weise mit der Struktur der s Algebra vertraglich sind genaueres dazu siehe unter Masstheorie sodass fur sie ein Integral definiert werden kann In der Stochastik sind dies genau die Zufallsvariablen Dadurch wird die mathematisch unbefriedigende Definition einer Zufallsvariablen als Variable die verschiedene Werte mit verschiedener Wahrscheinlichkeit annimmt durch eine handfeste mathematische Definition abgelost Das Lebesgue Integral W f d P displaystyle textstyle int Omega fdP nbsp einer Funktion f bezuglich eines Masses P ist nichts anderes als der schon zu Huygens Zeiten bekannte Erwartungswert E f der Zufallsvariablen Misst man die Flache einer Menge B nicht absolut das heisst in Relation zu ganz W displaystyle Omega nbsp sondern nur relativ zu einer gewissen Teilmenge A W displaystyle A subset Omega nbsp so entspricht das einfach der bedingten Wahrscheinlichkeit P B A displaystyle P B A nbsp Die Unkorreliertheit von Zufallsvariablen eine abgeschwachte Form der stochastischen Unabhangigkeit entspricht exakt der Orthogonalitat von Funktionen im Lebesgue Raum L 2 P displaystyle L 2 P nbsp Nachdem die Masstheorie in den Folgejahren von Borel Johann Radon Satz von Radon Nikodym und Maurice Rene Frechet noch wesentlich abstrahiert und verallgemeinert worden war war damit beinahe als Nebenprodukt der ideale Rahmen fur eine neue Wahrscheinlichkeitstheorie entstanden In schneller Abfolge wurden in den ersten drei Jahrzehnten des 20 Jahrhunderts alte stochastische Satze in die neue Wahrscheinlichkeitstheorie ubersetzt und neue aufgestellt Probleme ergaben sich jedoch zunachst bei der Einbettung der bedingten Erwartung in allgemeine Wahrscheinlichkeitsraume und der Frage ob und wie zu gegebenen unendlichdimensionalen Verteilungen auch entsprechende Wahrscheinlichkeitsraume und Zufallsvariablen darauf gefunden werden konnen die ebendiese Verteilung besitzen Die grossten Fortschritte auf diesem Gebiet steuerte der junge russische Mathematiker Andrei Kolmogorow bei ein indirekter Nachkomme der Schule von Tschebyschow und dessen Schuler Andrei Markow Markow Ketten Satz von Gauss Markow Vor allem Kolmogorows Konsistenz oder Erweiterungssatz der die zweite Frage beantwortet wurde als entscheidender Durchbruch gefeiert Kolmogorows Lehrbuch Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung dessen Erstausgabe im Jahr 1933 erschien fasste erstmals die gesamte bis dahin entwickelte axiomatische Wahrscheinlichkeitstheorie einschliesslich Kolmogorows Erweiterungen luckenlos zusammen und avancierte schnell zum Standardwerk auf diesem Gebiet Neben seinen eigenen Beitragen bestand seine grosste Leistung darin alle erfolgversprechenden Ansatze in einem Werk zu bundeln und damit alle verschiedenen stochastischen Schulen Franzosen Deutsche Briten Frequentisten Bayesianer Probabilisten und Statistiker mit einer einheitlichen Theorie zu versorgen Deshalb gilt vielen das Jahr 1933 neben dem Jahr 1654 des Pascal Fermat Briefwechsels als mogliches Geburtsjahr der Wahrscheinlichkeitsrechnung Moderne Wahrscheinlichkeitstheorie Bearbeiten nbsp Zwei Pfade einer Brownschen Bewegung Nach Festlegung des Kolmogorowschen Axiomensystems konzentrierte man sich in den Folgejahrzehnten in erster Linie auf die Erforschung stochastischer Prozesse die sich als Zufallsvariablen mit Werten in unendlichdimensionalen Funktionen Raumen auffassen lassen Eine wichtige Rolle spielte dabei die Brownsche Bewegung Bereits 1785 von Jan Ingenhousz und spater von Robert Brown bei der Beobachtung schwimmender Partikel in Flussigkeiten beschrieben wurde dieser Prozess im annus mirabilis 1905 von Albert Einstein verwendet um die molekulare Struktur von Wasser zu erklaren Dieser damals sehr umstrittene Ansatz verhalf der Stochastik endgultig zum Durchbruch als Hilfsmittel in der Physik Der Nachweis der Existenz der Brownschen Bewegung als stochastischer Prozess gelang aber erst 1923 dem Amerikaner Norbert Wiener weshalb die Brownsche Bewegung unter Mathematikern heute auch als Wiener Prozess und der von Wiener konstruierte Wahrscheinlichkeitsraum als Wiener Raum bekannt ist Die Brownsche Bewegung nimmt heute die zentrale Stellung in der stochastischen Analysis ein doch auch die meisten anderen zu jener Zeit entdeckten Prozesse waren physikalisch motiviert etwa der Ornstein Uhlenbeck Prozess oder das Ehrenfest Modell Etwa in derselben Zeit begann die Theorie der Zufallsmatrizen mit den Studien des Statistikers John Wishart Zu den am fruhesten studierten Klassen von stochastischen Prozessen gehorten die Martingale welche ursprunglich bereits im 18 Jahrhundert als Roulette Strategien bekannt waren und nun von Paul Levy Levy Fluge Levy Verteilung und Joseph L Doob Doob Meyer Zerlegung Doobsche Ungleichungen in einem neuen Kontext untersucht wurden Daraus ging spater der Begriff der Semimartingale hervor der heute das Grundgerust der stochastischen Analysis bildet Uber den Begriff der Martingale wurde zudem eine vollig neue stochastische Interpretation fur die s Algebra eingefuhrt die zuvor bei Borel und Hausdorff nur den Rang eines technischen Hilfsmittels gehabt hatte Die Menge aller Ereignisse die zu einem bestimmten Zeitpunkt bekannt sind bei denen also die Frage ob sie eintreten zu diesem Zeitpunkt bereits klar mit ja oder nein beantwortet werden kann bildet ihrerseits wieder eine s Algebra Deshalb kann mit einer Familie zeitlich angeordneter s Algebren genannt Filtrierung die zeitliche Informationsstruktur eines Prozesses dargestellt werden Solche Filtrierungen sind heute ein unerlassliches Hilfsmittel in der stochastischen Analysis Eine weitere bereits fruh ausfuhrlich studierte Klasse sind die Levy Prozesse bei denen neben Levy Alexandr Chintschin Satz von Levy Chintschin Gesetze des iterierten Logarithmus die grossten Erfolge verzeichneten Chintschin hatte mit Kolmogorow den Doktorvater geteilt Levy mit Frechet nbsp Louis Bachelier 1870 1946 gilt heute als erster Vertreter der modernen FinanzmathematikNach dem Zweiten Weltkrieg spielte die Finanzmathematik eine immer wichtigere Rolle in der stochastischen Grundlagenforschung Schon 1900 funf Jahre vor Einstein hatte Louis Bachelier in seiner Dissertation Theorie de la Speculation 19 mit Hilfe einer Brownschen Bewegung Optionspreise an der Pariser Borse zu berechnen versucht damit allerdings wenig Aufsehen erregt Ein wichtiger Durchbruch gelang dem Japaner Itō Kiyoshi Itō Formel Itō Prozesse als er in den 1940er Jahren die stochastische Integration begrundete ein in der modernen Finanzmathematik unerlassliches Hilfsmittel ohne das bahnbrechende Beitrage wie die Entwicklung des Black Scholes Modells fur Aktienkurse durch Fischer Black Robert C Merton und Myron Scholes Wirtschaftsnobelpreis 1973 nicht moglich gewesen waren Der Einzug der Brownschen Bewegung in die Finanzmathematik zeigte viele uberraschende Parallelen zwischen Physik und Wirtschaftswissenschaften auf So ist das Problem der Bewertung europaischer Optionen in den Modellen von Bachelier und Black Scholes gleich dem Problem der Warmeleitung in homogenen Materialien Ein weiteres mathematisches Hilfsmittel das uber die Finanzmathematik Einzug in die Stochastik gehalten hat ist der Masswechsel Ging man zunachst stets von einem festen Wahrscheinlichkeitsmass aus und konstruierte sich daraufhin stochastische Prozesse die gewisse Eigenschaften erfullen die etwa Martingale sind so wird nun auch zu bereits definierten Prozessen ein geeignetes Wahrscheinlichkeitsmass gesucht sodass der unter dem neuen Mass betrachtete Prozess die gewunschten Eigenschaften erfullt Ein zentraler Satz der den Zusammenhang zwischen der Existenz und Eindeutigkeit gewisser Martingalmasse und der Moglichkeit der Arbitrage auf Aktienmarkten herstellt ist heute als fundamental theorem of asset pricing Fundamentalsatz der Aktienbewertung bekannt Mitte des 20 Jahrhunderts entstanden wichtige Arbeiten zur Perkolationstheorie und die Theorie der Zufallsgraphen Ein wichtiger Kern der modernen Wahrscheinlichkeitstheorie des 20 und 21 Jahrhunderts ist die Stochastik in unendlicher Dimension und auf Mannigfaltigkeiten In den 1970ern und 1980ern entstanden viele Gebiete wie die stochastische Differentialgeometrie die Theorie der stochastischen partiellen Differentialgleichungen Weisses Rauschen Analysis und der Malliavin Kalkul Literatur BearbeitenQuellen Thomas Bayes An Essay towards solving a problem in the Doctrine of Chance London 1763 PDF 920 kB Jakob Bernoulli Ars Conjectandi Basel 1713 Ubersetzung ins Deutsche von R Haussner Oswalds Klassiker der exakten Wissenschaften Band 107 Leipzig 1899 Kommentierter Ausschnitt PDF 100 kB Gerolamo Cardano Liber de Ludo Aleae Lyon 1663 PDF 1 57 MB Christiaan Huygens De Ratiociniis in Aleae Ludo Academia Lugduno Batava Universitat Leiden 1657 Englische Ubersetzung von 1714 PDF 96 kB Andrei Kolmogorow Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung Springer Berlin 1933 Reprint 1974 ISBN 3 540 06110 X Pierre Simon Laplace Theorie analytique des probabilites 4 Auflage Gabay Paris 1825 Reprint 1995 ISBN 2 87647 161 2Darstellungen Rondo Cameron Larry Neal A Concise Economic History of the World Oxford University Press 2002 ISBN 978 0 19 512705 8 Lorraine Daston Classical Probability in the Enlightenment Princeton University Press 1988 ISBN 978 0 691 00644 4 Michael Heidelberger Origins of the logical theory of probability von Kries Wittgenstein Waismann International Studies in the Philosophy of Science Band 15 Heft 2 1 Juli 2001 ISSN 0269 8595 PDF 151 kB Robert Ineichen Wurfel und Wahrscheinlichkeit Stochastisches Denken in der Antike Spektrum Verlag 1996 ISBN 3 8274 0071 6 Ian C Johnston And still we evolve A Handbook for the Early History of Modern Science Malaspina University College British Columbia 1999 Oystein Ore Cardano The gambling scholar Princeton University Press 1953 Glenn Shafer Vladimir Vovk The origins and legacy of Kolmogorovs Grundbegriffe Probability and Finance project Working paper 2005 PDF 544 kB Helmut Wirths Die Geburt der Stochastik Stochastik in der Schule Jahrgang 19 Heft 3 Oktober 1999 1 Weblinks BearbeitenElectronic Journal for History of Probability and Statistics Materials for the History of Statistics University of York 1 2 Vorlage Toter Link www economics soton ac uk Figures from the History of Probability and Statistics University of Southampton Seite nicht mehr abrufbar festgestellt im Juni 2023 Suche in Webarchiven Einzelnachweise Bearbeiten Shafer Vovk 2006 S 12 Daston 1988 S XV Simon Singh Fermats letzter Satz 11 Auflage Deutscher Taschenbuch Verlag Munchen 2006 S 63 ISBN 978 3 423 33052 7 Gabor J Szekely Paradoxa Verlag Harri Deutsch 1990 Joseph Bertrand Calcul de probabilites Gauthier Villars Paris 1889 Richard J Larsen Morris L Marx An Introduction to Mathematical Statistics and its Applications 3 Auflage Prentice Hall London 2001 S 3 ISBN 0 13 922303 7 R Ineichen S 15ff R Haller Zur Geschichte der Stochastik In Didaktik der Mathematik 16 S 262 277 I Hacking The emergence of probability London Cambridge Press 1975 S 7 ISBN 0 521 31803 3 R Ineichen S 19 Wirths 1999 S 10 Wirths 1999 S 7 Barth Haller Stochastik LK Bayer Schulbuchverlag 6 Nachdruck der 3 Auflage 1985 S 71 Wirths 1999 S 14 und S 29 Wirths 1999 S 8 Wirths 1999 S 13 Johnston 1999 Section 4 Note 5 Siehe etwa Friedrich Fels Anmerkungen zum Begriff der Wahrscheinlichkeit aus Praxisorientierter Sicht Arbeitspapier 51 2000 FH Hannover 2000 ISSN 1436 1035 Englische Ubersetzung in Paul Cootner The Random Character of Stock Market Prices MIT press 1967 ISBN 0 262 53004 X nbsp Dieser Artikel wurde am 1 Mai 2007 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Geschichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung amp oldid 236145660