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Ein Wahrscheinlichkeitsraum kurz W Raum ist ein grundlegender Begriff aus dem mathematischen Teilgebiet der Wahrscheinlichkeitstheorie Es handelt sich um ein mathematisches Modell zur Beschreibung von Zufallsexperimenten Hierbei werden die verschiedenen moglichen Ausgange des Experiments zu einer Menge zusammengefasst Teilmengen dieser Ergebnismenge konnen dann unter bestimmten Voraussetzungen Zahlen zwischen 0 und 1 zugeordnet werden die als Wahrscheinlichkeiten interpretiert werden Der Begriff des Wahrscheinlichkeitsraums wurde in den 1930er Jahren durch den russischen Mathematiker Andrei Kolmogorow eingefuhrt dem damit die Axiomatisierung der Wahrscheinlichkeitsrechnung gelang siehe auch Kolmogorow Axiome Inhaltsverzeichnis 1 Definition 1 1 Grundidee 1 2 Formale Definition 1 3 Konkretisierung der Definition 2 Klassen von Wahrscheinlichkeitsraumen 2 1 Diskrete Wahrscheinlichkeitsraume 2 2 Endliche Wahrscheinlichkeitsraume 2 3 Symmetrische Wahrscheinlichkeitsraume 2 4 Weitere Klassen 3 Beispiele 3 1 Diskreter Wahrscheinlichkeitsraum 3 2 Reeller Wahrscheinlichkeitsraum 4 Weblinks 5 Literatur 6 EinzelnachweiseDefinition BearbeitenGrundidee Bearbeiten Die Grundidee ist folgende wir wahlen eine Grundmenge zum Beispiel W 1 2 3 displaystyle Omega 1 2 3 nbsp Mit Hilfe der Elemente in W displaystyle Omega nbsp bilden wir nun eine komplexere Menge S displaystyle Sigma nbsp welche W displaystyle Omega nbsp enthalt aber noch weitere Mengen zum Beispiel S W 1 2 3 displaystyle Sigma Omega 1 2 3 emptyset nbsp Als letztes definieren wir eine Funktion P displaystyle P nbsp welche jeder Menge in S displaystyle Sigma nbsp eine Wahrscheinlichkeit zuordnet d h P S 0 1 displaystyle P Sigma to 0 1 nbsp Formale Definition Bearbeiten Ein Wahrscheinlichkeitsraum ist ein Massraum W S P displaystyle Omega Sigma P nbsp dessen Mass P displaystyle P nbsp ein Wahrscheinlichkeitsmass ist Im Einzelnen bedeutet das W displaystyle Omega nbsp ist eine beliebige nichtleere Menge genannt die Ergebnismenge Ihre Elemente heissen Ergebnisse S displaystyle Sigma nbsp ist eine s Algebra uber der Grundmenge W displaystyle Omega nbsp also eine Menge bestehend aus Teilmengen von W displaystyle Omega nbsp die W displaystyle Omega nbsp enthalt und abgeschlossen gegenuber der Bildung von Komplementen und abzahlbaren Vereinigungen ist Die Elemente von S displaystyle Sigma nbsp heissen Ereignisse Die s Algebra S displaystyle Sigma nbsp selbst wird auch Ereignissystem oder Ereignisalgebra genannt P S 0 1 displaystyle P colon Sigma to 0 1 nbsp ist ein Wahrscheinlichkeitsmass das heisst eine Mengenfunktion die den Ereignissen Zahlen zuordnet derart dass P 0 displaystyle P emptyset 0 nbsp ist P A 1 A 2 P A 1 P A 2 displaystyle P A 1 cup A 2 cup ldots P A 1 P A 2 ldots nbsp fur paarweise disjunkte d h sich gegenseitig ausschliessende Ereignisse A 1 A 2 displaystyle A 1 A 2 dotsc nbsp gilt 3 Kolmogorow Axiom und P W 1 displaystyle P Omega 1 nbsp ist 2 Kolmogorow Axiom Der Messraum W S displaystyle Omega Sigma nbsp wird auch Ereignisraum genannt Ein Wahrscheinlichkeitsraum ist also ein Ereignisraum auf dem zusatzlich ein Wahrscheinlichkeitsmass gegeben ist Konkretisierung der Definition Bearbeiten nbsp Modellierung eines Glucksrads durch einen Wahrscheinlichkeitsraum Die Menge der moglichen Ergebnisse ist hier W 1 2 3 displaystyle Omega 1 2 3 nbsp Allen Teilmengen von W displaystyle Omega nbsp werden ihre Wahrscheinlichkeiten als Anteil des Winkels ihres Sektors am Vollkreis des Rades zugeordnet Konkret bedeutet die Definition dass durch dieses Modell Wahrscheinlichkeit als rein axiomatisch begrundetes Konstrukt also nicht empirisch bestimmt wie von Mises es versuchte und auch nicht subjektiv empfunden messbar gemacht wird Tragend ist hier unter anderem der Gedanke die Menge aller moglichen Ausgange des Zufallsexperiments als sich gegenseitig ausschliessende Ergebnisse zu konstruieren Am Beispiel des Glucksrades wird dies deutlich Beim Drehen kann das Rad nur in einer einzigen Winkelstellung zu einer gedachten Null Position stehen bleiben In der Folge kann dem aber auch nur eine einzige der drei aufgemalten Zahlen 1 2 3 zugeordnet werden das Rad kann nicht im Sektor 1 und gleichzeitig im Sektor 2 stehen bleiben Ein Mechanismus verhindert dass es genau auf der Grenze der beiden stehen bleibt Damit ist das gleichzeitige Eintreffen zweier Elementarereignisse ausgeschlossen sie sind disjunkt Dies begrundet den Ubergang vom Allgemeinen Additionssatz zum speziellen Additionssatz der dem 3 Kolmogorowschen Axiom entspricht Die Wahrscheinlichkeit einer Vereinigung abzahlbar vieler inkompatibler d h sich gegenseitig ausschliessender Ereignisse ist gleich der Summe der Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Ereignisse Klassen von Wahrscheinlichkeitsraumen BearbeitenDiskrete Wahrscheinlichkeitsraume Bearbeiten Ein Wahrscheinlichkeitsraum heisst ein diskreter Wahrscheinlichkeitsraum wenn die Ergebnismenge W displaystyle Omega nbsp endlich oder abzahlbar unendlich ist und die s Algebra die Potenzmenge ist also S P W displaystyle Sigma mathcal P Omega nbsp Bei manchen Autoren wird bei Einfuhrungen in die Thematik auf die Angabe der s Algebra verzichtet und stillschweigend von der Potenzmenge ausgegangen Dann wird nur das Tupel W P displaystyle Omega P nbsp als diskreter Wahrscheinlichkeitsraum bezeichnet 1 Teils werden auch Wahrscheinlichkeitsraume mit beliebiger Grundmenge W displaystyle Omega nbsp diskrete Wahrscheinlichkeitsraume genannt wenn das Wahrscheinlichkeitsmass fast sicher nur Werte in einer hochstens abzahlbaren Menge A displaystyle A nbsp annimmt also P A 1 displaystyle P A 1 nbsp gilt 2 Endliche Wahrscheinlichkeitsraume Bearbeiten Ein endlicher Wahrscheinlichkeitsraum ist ein Wahrscheinlichkeitsraum dessen Grundmenge W displaystyle Omega nbsp endlich ist und dessen s Algebra die Potenzmenge ist Jeder endliche Wahrscheinlichkeitsraum ist ein diskreter Wahrscheinlichkeitsraum dementsprechend wird auch hier teils auf die Angabe der s Algebra verzichtet Ist speziell W 0 1 displaystyle Omega 0 1 nbsp versehen mit der Bernoulli Verteilung also P 0 p 1 P 1 displaystyle P 0 p 1 P 1 nbsp so spricht man von einem Bernoulli Raum 3 Symmetrische Wahrscheinlichkeitsraume Bearbeiten Ein symmetrischer Wahrscheinlichkeitsraum 4 auch Laplacescher Wahrscheinlichkeitsraum oder einfach Laplace Raum 5 genannt nach Pierre Simon Laplace besteht aus einer endlichen Grundmenge W w 1 w n displaystyle Omega omega 1 dots omega n nbsp Als s Algebra dient die Potenzmenge S P W displaystyle Sigma mathcal P Omega nbsp und die Wahrscheinlichkeitsverteilung wird durch eine Wahrscheinlichkeitsfunktion definiert als P w i f i 1 n displaystyle P omega i f i frac 1 n nbsp Dies entspricht genau der diskreten Gleichverteilung Symmetrische Wahrscheinlichkeitsraume sind immer endliche und damit auch diskrete Wahrscheinlichkeitsraume Demnach wird auch hier gelegentlich auf die Angabe der s Algebra verzichtet Weitere Klassen Bearbeiten Des Weiteren existieren noch induzierter Wahrscheinlichkeitsraume Bildraume einer Zufallsvariable versehen mit der Verteilung der Zufallsvariable als Wahrscheinlichkeitsmass vollstandige Wahrscheinlichkeitsraume vollstandige Massraume mit einem Wahrscheinlichkeitsmass Produktraume siehe Produkt von Wahrscheinlichkeitsraumen Filtrierte Wahrscheinlichkeitsraume Wahrscheinlichkeitsraume zusatzlich mit einer Filtrierung versehen Beispiele BearbeitenDiskreter Wahrscheinlichkeitsraum Bearbeiten Ein Beispiel eines diskreten Wahrscheinlichkeitsraumes ist die Ergebnismenge der naturlichen Zahlen N 0 1 2 displaystyle mathbb N 0 1 2 dots nbsp Dann ist jede naturliche Zahl ein Ergebnis Als Ereignissystem wahlt man dann wie immer bei hochstens abzahlbar unendlichen Mengen die Potenzmenge P N displaystyle mathcal P mathbb N nbsp Dann sind alle Teilmengen der naturlichen Zahlen Ereignisse Als Wahrscheinlichkeitsmass kann man beispielsweise die Poisson Verteilung P l displaystyle P lambda nbsp wahlen Sie weist jeder Menge k k N displaystyle k k in mathbb N nbsp die Wahrscheinlichkeit P l k l k k e l displaystyle P lambda k frac lambda k k mathrm e lambda nbsp fur einen echt positiven Parameter l displaystyle lambda nbsp zu Dann ist N P N P l displaystyle mathbb N mathcal P mathbb N P lambda nbsp ein diskreter Wahrscheinlichkeitsraum Reeller Wahrscheinlichkeitsraum Bearbeiten Ein Beispiel eines reellen Wahrscheinlichkeitsraumes ist die Ergebnismenge der nicht negativen reellen Zahlen W R 0 0 displaystyle Omega mathbb R geq 0 0 infty nbsp Dann ist jede nicht negative reelle Zahl ein Ergebnis Als Ereignissystem die Borelsche s Algebra auf den reellen Zahlen eingeschrankt auf die nicht negativen reellen Zahlen B R 0 B 0 displaystyle mathcal B mathbb R cap 0 infty mathcal B 0 infty nbsp Dann sind zum Beispiel alle abgeschlossenen alle halboffenen und alle offenen Intervalle und deren Vereinigungen Schnitte und Komplemente Ereignisse Als Wahrscheinlichkeitsmass zum Beispiel die Exponentialverteilung Sie weist jeder Menge A displaystyle A nbsp in der Borelschen s Algebra die WahrscheinlichkeitP E x p l A A l exp l x d x displaystyle P mathrm Exp lambda A int A lambda exp lambda x mathrm d x nbsp fur einen Parameter l gt 0 displaystyle lambda gt 0 nbsp zu Dann ist 0 B 0 P E x p l displaystyle 0 infty mathcal B 0 infty P mathrm Exp lambda nbsp ein Wahrscheinlichkeitsraum Weblinks BearbeitenV V Sazonov Probability space In Michiel Hazewinkel Hrsg Encyclopedia of Mathematics Springer Verlag und EMS Press Berlin 2002 ISBN 1 55608 010 7 englisch encyclopediaofmath org Eric W Weisstein Probability Space In MathWorld englisch Literatur BearbeitenHans Otto Georgii Stochastik Einfuhrung in die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik 4 Auflage Walter de Gruyter Berlin 2009 ISBN 978 3 11 021526 7 doi 10 1515 9783110215274 Norbert Henze Stochastik fur Einsteiger 10 Auflage Springer Spektrum Wiesbaden 2013 ISBN 978 3 658 03076 6 S 37 S 180 S 283 Achim Klenke Wahrscheinlichkeitstheorie 3 Auflage Springer Verlag Berlin Heidelberg 2013 ISBN 978 3 642 36017 6 doi 10 1007 978 3 642 36018 3 Klaus D Schmidt Mass und Wahrscheinlichkeit 2 durchgesehene Auflage Springer Verlag Heidelberg Dordrecht London New York 2011 ISBN 978 3 642 21025 9 doi 10 1007 978 3 642 21026 6 Einzelnachweise Bearbeiten Ulrich Krengel Einfuhrung in die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik Fur Studium Berufspraxis und Lehramt 8 Auflage Vieweg Wiesbaden 2005 ISBN 3 8348 0063 5 S 3 doi 10 1007 978 3 663 09885 0 David Meintrup Stefan Schaffler Stochastik Theorie und Anwendungen Springer Verlag Berlin Heidelberg New York 2005 ISBN 978 3 540 21676 6 S 63 doi 10 1007 b137972 Ehrhard Behrends Elementare Stochastik Ein Lernbuch von Studierenden mitentwickelt Springer Spektrum Wiesbaden 2013 ISBN 978 3 8348 1939 0 S 40 doi 10 1007 978 3 8348 2331 1 Schmidt Mass und Wahrscheinlichkeit 2011 S 198 Georgii Stochastik 2009 S 27 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Wahrscheinlichkeitsraum amp oldid 235771113