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Ein stochastischer Prozess auch Zufallsprozess ist ein mathematisches Objekt zur Modellierung von zufalligen oft zeitlich geordneten Vorgangen Die Theorie der stochastischen Prozesse stellt eine wesentliche Erweiterung der Wahrscheinlichkeitstheorie dar und bildet die Grundlage fur die stochastische Analysis Obwohl einfache stochastische Prozesse schon vor langer Zeit studiert wurden wurde die heute gultige formale Theorie erst Anfang des 20 Jahrhunderts entwickelt vor allem durch Paul Levy und Andrei Kolmogorow Zwei Pfade einer Brownschen Brucke eines speziellen stochastischen ProzessesIm einfachsten Fall ist ein stochastischer Prozess das Modell einer zufalligen Funktion deren Realisierungen gewohnliche Funktionen die so genannten Pfade sind Formal erfolgt die Festlegung eines stochastischen Prozesses durch einen Vektor eine Folge oder allgemeiner eine Familie von Zufallsvariablen die gemeinsam eine mehrdimensionale oder unendlich dimensionale Wahrscheinlichkeitsverteilung besitzen Ursprunglich wurde der Begriff des stochastischen Prozesses fur Falle verwendet bei denen das zeitliche Fortschreiten eines zufallsbestimmten Vorgangs modelliert wurde 1 Inzwischen hat sich die Bedeutung des Begriffs verallgemeinert und als stochastischer Prozess werden auch unendliche Familien von Zufallsvariablen bezeichnet deren Realisierungen Funktionen sind ohne dass ein zeitlicher Bezug vorliegt Solche allgemeineren stochastischen Prozesse werden z B in der Theorie empirischer Prozesse untersucht 2 3 Inhaltsverzeichnis 1 Definition 2 Anmerkungen 3 Einteilung 3 1 Diskrete und stetige Indexmenge 3 2 Diskrete und stetige Wertemenge 3 3 Reell komplex und vektorwertig 3 4 Mehrdimensionale Indexmenge 3 5 Momente 3 6 Stochastische Abhangigkeiten 3 7 Weitere Eigenschaften Pfade und Zuwachse 4 Pfade 5 Stochastische Prozesse versus Zeitreihen 6 Beispiele 7 Weblinks 8 Literatur 9 EinzelnachweiseDefinition BearbeitenSei W F P displaystyle Omega mathcal F P nbsp ein Wahrscheinlichkeitsraum Z Z displaystyle Z mathcal Z nbsp ein mit einer s Algebra Z displaystyle mathcal Z nbsp versehener Raum zumeist die reellen Zahlen mit der Borelschen s Algebra und T displaystyle T nbsp eine Indexmenge zumeist T N 0 R displaystyle T in mathbb N 0 mathbb R nbsp die in Anwendungen haufig die Menge der betrachteten Zeitpunkte darstellt Ein stochastischer Prozess X displaystyle X nbsp ist dann eine Familie von Zufallsvariablen X t W Z t T displaystyle X t colon Omega to Z t in T nbsp also eine Abbildung X W T Z w t X t w displaystyle X colon Omega times T to Z omega t mapsto X t omega nbsp sodass X t w X t w displaystyle X t colon omega mapsto X t omega nbsp fur alle t T displaystyle t in T nbsp eine F displaystyle mathcal F nbsp Z displaystyle mathcal Z nbsp messbare Abbildung ist Die Familie der Zufallsvariablen die einen stochastischen Prozess bilden wird auch in der Form X t t T displaystyle X t t in T nbsp notiert Die Menge Z displaystyle Z nbsp heisst auch Zustandsraum er enthalt alle Werte die der Prozess annehmen kann Eine alternative Formulierung sieht vor dass X displaystyle X nbsp eine einzige Zufallsvariable W H H displaystyle Omega to H mathcal H nbsp ist wobei H Z T displaystyle H subseteq Z T nbsp ein mit einer geeigneten s Algebra H displaystyle mathcal H nbsp versehener Funktionenraum f f T Z displaystyle f mid f colon T to Z nbsp ist Man spricht hier auch von Zufallsfunktionen vergleiche Pfad Stochastik Bei geeigneter Wahl fallen diese beiden Definitionen zusammen Anmerkungen BearbeitenDie Frage nach der Existenz von stochastischen Prozessen mit bestimmten Eigenschaften wird mit dem Satz von Daniell Kolmogorow und dem Satz von Ionescu Tulcea benannt nach Cassius Ionescu Tulcea weitgehend gelost Der Zustandsraum wird bei Verwendung in der Physik auch als Phasenraum bezeichnet 4 Die Indexmenge T displaystyle T nbsp wird auch als Parametermenge des stochastischen Prozesses bezeichnet 5 Einteilung BearbeitenFolgend sind einige Kriterien aufgefuhrt nach denen stochastische Prozesse klassifiziert werden Eine genauere Beschreibung findet sich in der Liste stochastischer Prozesse Die grundlegendste Einteilung stochastischer Prozesse in verschiedene Klassen erfolgt uber die Indexmenge T displaystyle T nbsp und die Werte oder Zustandsmenge Z displaystyle Z nbsp Diskrete und stetige Indexmenge Bearbeiten Ist t displaystyle t nbsp ein Zeitindex und T displaystyle T nbsp abzahlbar etwa T N 0 displaystyle T mathbb N 0 nbsp so heisst der Prozess ein zeitdiskreter stochastischer Prozess oder etwas ungenau diskreter stochastischer Prozess Ist t displaystyle t nbsp ein Zeitindex und T R displaystyle T subseteq mathbb R nbsp ein Teilintervall von R displaystyle mathbb R nbsp so heisst der heisst der Prozess ein zeitstetiger stochastischer Prozess Diskrete und stetige Wertemenge Bearbeiten Ist Z displaystyle Z nbsp endlich oder abzahlbar spricht man von einem zustandsdiskreten oder wertediskreten Prozess Ist Z R displaystyle Z subseteq mathbb R nbsp ein Teilintervall von R displaystyle mathbb R nbsp so spricht man von einem zustandsstetigen oder wertestetigen Prozess Reell komplex und vektorwertig Bearbeiten Ist Z R displaystyle Z subseteq mathbb R nbsp so spricht man von einem reellwertigen stochastischen Prozess oder kurz reellwertigen Prozess Ist Z C displaystyle Z subseteq mathbb C nbsp so spricht man von einem komplexwertigen stochastischen Prozess oder kurz komplexwertigen Prozess Ist Z R n displaystyle Z subseteq mathbb R n nbsp oder Z C n displaystyle Z subseteq mathbb C n nbsp so spricht man von einem n dimensionalen reellwertigen oder komplexwertigen stochastischen Prozess oder von einem vektorwertigen stochastischen Prozess Mehrdimensionale Indexmenge Bearbeiten Fur T R n displaystyle T subseteq mathbb R n nbsp mit n gt 1 displaystyle n gt 1 nbsp nennt man den stochastischen Prozess Zufallsfeld oder zufalliges Feld engl random field Haufig ist T R 2 displaystyle T mathbb R 2 nbsp oder T R 3 displaystyle T mathbb R 3 nbsp insbesondere fur Modelle der Geostatistik Momente Bearbeiten Ausserdem werden stochastische Prozesse noch analog zu den Zufallsvariablen danach klassifiziert ob der Erwartungswert und die Varianz existieren oder spezielle Werte annehmen Ein reellwertiger stochastischer Prozess heisst integrierbar wenn E X t lt displaystyle operatorname E X t lt infty nbsp fur alle t T displaystyle t in T nbsp gilt Ein reellwertiger stochastischer Prozess heisst quadratintegrierbar wenn E X t 2 lt displaystyle operatorname E X t 2 lt infty nbsp fur alle t T displaystyle t in T nbsp gilt Ein quadratintegrierbarer Prozess heisst auch Prozess zweiter Ordnung 6 Ein reellwertiger stochastischer Prozess heisst zentriert wenn E X t 0 displaystyle operatorname E X t 0 nbsp fur alle t T displaystyle t in T nbsp gilt Stochastische Abhangigkeiten Bearbeiten Des Weiteren werden stochastische Prozesse noch mittels der Struktur ihrer stochastischen Abhangigkeiten klassifiziert diese werden meist uber den bedingten Erwartungswert definiert Zu diesen Klassen gehoren Markow Prozesse Ihre Wahrscheinlichkeit einen Zustand anzunehmen ist abhangig von dem Zustand in dem sie sich davor befanden aber nicht von der gesamten Vergangenheit des Prozesses Markow Prozesse haben somit ein kurzes Gedachtnis Martingale sowie Sub und Supermartingale Martingale modellieren ein faires Spiel Hat man zu einem Zeitpunkt bereits einen gewissen Betrag gewonnen so ist der Erwartungswert fur kunftige Gewinne genau dieser bereits gewonnene Betrag Weitere Eigenschaften Pfade und Zuwachse Bearbeiten Des Weiteren kann man Prozesse wie folgt klassifizieren Man kann die Eigenschaften der Pfade untersuchen und die Prozesse dementsprechend unterteilen Prozesse mit stetigen Pfaden Prozesse mit beschrankten Pfaden etc Ein Beispiel fur einen stochastischen Prozess mit fast sicher stetigen Pfaden ist der Wiener Prozess Man betrachtet die sogenannten Zuwachse des Prozesses also Terme der Art X t 1 X t 0 displaystyle X t 1 X t 0 nbsp fur Indizes t 1 t 0 T displaystyle t 1 t 0 in T nbsp Je nach geforderter Eigenschaft der Zuwachse erhalt man dann Prozesse mit stationaren Zuwachsen Prozesse mit unabhangigen Zuwachsen oder auch Prozesse mit normalverteilten Zuwachsen So sind beispielsweise die Levy Prozesse genau die stochastischen Prozesse mit unabhangigen stationaren Zuwachsen Pfade Bearbeiten Hauptartikel Pfad Stochastik Fur jedes w W displaystyle omega in Omega nbsp erhalt man eine Abbildung X w T Z t X t w X t w displaystyle X cdot omega colon T rightarrow Z t mapsto X t omega X t omega nbsp Diese Abbildungen nennt man die Pfade des Prozesses und wird auch mit X w displaystyle X bullet omega nbsp notiert Haufig spricht man statt von den Pfaden auch von den Trajektorien oder den Realisierungen des stochastischen Prozesses Ist speziell T R displaystyle T mathbb R nbsp und Z R displaystyle Z subseteq mathbb R nbsp oder ein allgemeinerer topologischer Raum so kann man von Stetigkeitseigenschaften der Pfade sprechen Man nennt einen zeitstetigen stochastischen Prozess stetig rechtsseitig stetig linksseitig stetig bzw cadlag wenn alle Pfade des Prozesses die entsprechende Eigenschaft haben Der Wiener Prozess hat stetige Pfade von denen im Bild zu den Beispielen unten zwei zu sehen sind Der Poisson Prozess ist ein Beispiel fur einen zeitstetigen wertdiskreten cadlag Prozess er hat also rechtsseitig stetige Pfade bei denen an jeder Stelle der linksseitige Limes existiert Ein Pfad ist somit ein zufalliger Punkt im Raum der Funktionen von T Z displaystyle T to Z nbsp Stochastische Prozesse versus Zeitreihen BearbeitenWahrend die Theorie der stochastischen Prozesse ein Teilgebiet der Wahrscheinlichkeitstheorie und damit der Mathematik ist ist das Gebiet der Zeitreihenanalyse ein Teilgebiet der Statistik Hauptartikel Zeitreihenanalyse Die Zeitreihenanalyse geht von einer konkreten Zeitreihe d h einer endlichen Folge zeitlich geordneter Daten aus und beschreibt diese einerseits mit Methoden der deskriptiven Statistik und verwendet andererseits spezielle stochastische Modelle wie ARMA oder ARCH Modelle zur Erklarung von Zeitreihen Eine beobachtete Zeitreihe kann als endlicher Ausschnitt des Pfades eines zeitdiskreten oder zeitstetigen stochastischen Prozesses aufgefasst werden Eine Aufgabe der statistische Zeitreihenanalyse ist die Schatzung der Parameterstruktur der Verteilung eines stochastischen Prozesses aus einer vorliegenden Zeitreihe Wahrend in der Theorie stochastischer Prozesse die mathematische Struktur der modellierten Zufallsfunktionen etwa Stetigkeit Differenzierbarkeit Variation oder Messbarkeit bezuglich gewisser Filtrierungen im Vordergrund steht geht die Zeitreihenanalyse von den Daten aus und schlagt als statistische Teildisziplin die Brucke zwischen Empirie und Theorie Beispiele Bearbeiten nbsp Ein Standard Wiener Prozess auf dem Zeitintervall 0 3 ausserdem sind der Erwartungswert und die Standardabweichung eingezeichnetEin einfaches Beispiel fur einen zeitdiskreten Punktprozess ist der symmetrische Random Walk hier veranschaulicht durch ein Glucksspiel Ein Spieler beginnt zum Zeitpunkt t 0 displaystyle t 0 nbsp mit einem Startkapital von 10 Euro ein Spiel bei dem er nacheinander immer wieder eine Munze wirft Bei Kopf gewinnt er einen Euro bei Zahl verliert er einen Die Zufallsvariablen X t t N 0 displaystyle X t t in mathbb N 0 nbsp fur den Kontostand nach t displaystyle t nbsp Spielen definieren einen stochastischen Prozess mit deterministischer Startverteilung X 0 10 displaystyle X 0 10 nbsp Genauer betrachtet handelt es sich bei X displaystyle X nbsp um einen Levy Prozess und um ein Martingal Eine vielseitig verwendete Klasse stochastischer Prozesse sind Gauss Prozesse die viele naturliche Systeme beschreiben konnen und als Maschinenlernverfahren Anwendung finden Ein bedeutender stochastischer Prozess aus der Klasse der Gaussprozesse ist der Wiener Prozess auch Brownsche Bewegung genannt Hierbei sind die einzelnen Zustande normalverteilt mit linear anwachsender Varianz Der Wiener Prozess findet Anwendung in der stochastischen Integration der Finanzmathematik und der Physik Weitere Beispiele Bernoulli Prozess Brownsche Brucke Gebrochene Brownsche Bewegung Markow Kette Ornstein Uhlenbeck Prozess Poisson Prozess Weisses Rauschen Weblinks BearbeitenA M Yaglom Stochastic Process In Michiel Hazewinkel Hrsg Encyclopedia of Mathematics Springer Verlag und EMS Press Berlin 2002 ISBN 1 55608 010 7 englisch encyclopediaofmath org Literatur BearbeitenChristian Hesse Angewandte Wahrscheinlichkeitstheorie 1 Auflage Vieweg Wiesbaden 2003 ISBN 3 528 03183 2 doi 10 1007 978 3 663 01244 3 Achim Klenke Wahrscheinlichkeitstheorie 3 Auflage Springer Verlag Berlin Heidelberg 2013 ISBN 978 3 642 36017 6 doi 10 1007 978 3 642 36018 3 David Meintrup Stefan Schaffler Stochastik Theorie und Anwendungen Springer Verlag Berlin Heidelberg New York 2005 ISBN 978 3 540 21676 6 doi 10 1007 b137972 P H Muller Hrsg Lexikon der Stochastik Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematische Statistik 5 Auflage Akademie Verlag Berlin 1991 ISBN 978 3 05 500608 1 Stochastischer Prozess S 415 419 Einzelnachweise Bearbeiten Joseph L Doob Stochastic Processes Wiley New York 1953 ISBN 978 0 471 52369 7 S 46 From the non mathematical point of view a stochastic process is any probability process that is any process running along in time and controlled by probabilistic laws Numerical observations made as the process continues indicate its evolution With this background to guide us we define as stochastic process as any family of random variables x t t T displaystyle x t t in T nbsp Here x t displaystyle x t nbsp is in practice the observation at time t displaystyle t nbsp and T displaystyle T nbsp is the time range involved Galen R Shorack Jon A Wellner Empirical Processes with Applications in Statistics Wiley New York 1986 Unveranderter Nachdruck SIAM Philadelphia 2009 ISBN 978 0 89871 684 9 Aad W van der Vaart Jon A Wellner Weak Convergence and Empirical Processes With Applications to Statistics Springer Series in Statistics 2 Auflage Springer Cham 2023 ISBN 978 3 03129038 1 doi 10 1007 978 3 031 29040 4 Lexikon der Stochastik 1991 S 414 Lexikon der Stochastik 1991 S 415 P H Muller Hrsg Lexikon der Stochastik Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematische Statistik 5 Auflage Akademie Verlag Berlin 1991 ISBN 978 3 05 500608 1 Prozess zweiter Ordnung S 312 313 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Stochastischer Prozess amp oldid 236427989