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Die stochastische Unabhangigkeit von Ereignissen ist ein fundamentales wahrscheinlichkeitstheoretisches Konzept das die Vorstellung von sich nicht gegenseitig beeinflussenden Zufallsereignissen formalisiert Zwei Ereignisse heissen stochastisch unabhangig wenn sich die Wahrscheinlichkeit dafur dass das eine Ereignis eintritt nicht dadurch andert dass das andere Ereignis eintritt beziehungsweise nicht eintritt Inhaltsverzeichnis 1 Stochastische Unabhangigkeit zweier Ereignisse 1 1 Definition 1 2 Beispiel 1 3 Elementare Eigenschaften 1 4 Geschichte 2 Stochastische Unabhangigkeit mehrerer Ereignisse 2 1 Definition 2 2 Beispiel 3 Unabhangigkeit und Kausalitat 3 1 Stochastische Unabhangigkeit und kausale Abhangigkeit 3 2 Stochastische Unabhangigkeit und kausale Unabhangigkeit 3 3 Stochastische Abhangigkeit und kausale Abhangigkeit 4 Bemerkungen 5 Verallgemeinerungen 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseStochastische Unabhangigkeit zweier Ereignisse BearbeitenDefinition Bearbeiten Es sei W S P displaystyle Omega Sigma P nbsp ein Wahrscheinlichkeitsraum und A B S displaystyle A B in Sigma nbsp seien beliebige Ereignisse also messbare Teilmengen der Ergebnismenge W displaystyle Omega nbsp Die Ereignisse A displaystyle A nbsp und B displaystyle B nbsp heissen stochastisch unabhangig wenn P A B P A P B displaystyle P A cap B P A cdot P B nbsp gilt Zwei Ereignisse sind also stochastisch unabhangig wenn die Wahrscheinlichkeit dass beide Ereignisse eintreten gleich dem Produkt ihrer Einzelwahrscheinlichkeiten ist Beispiel Bearbeiten Betrachtet man als Beispiel das zweimalige Ziehen aus einer Urne mit vier Kugeln davon zwei schwarz und zwei rot Zuerst wird mit Zurucklegen gezogen Betrachtet man die Ereignisse A Die erste Kugel ist schwarz displaystyle A text Die erste Kugel ist schwarz nbsp B Die zweite Kugel ist rot displaystyle B text Die zweite Kugel ist rot nbsp dann ist P A 1 2 displaystyle P A tfrac 1 2 nbsp und P B 1 2 displaystyle P B tfrac 1 2 nbsp Es ist dann P A B P Die erste Kugel ist schwarz und die zweite rot 1 4 P A P B displaystyle P A cap B P text Die erste Kugel ist schwarz und die zweite rot frac 1 4 P A cdot P B nbsp Die beiden Ereignisse sind also unabhangig Zieht man hingegen ohne Zurucklegen so lauten die neuen Wahrscheinlichkeiten fur dieselben Ereignisse P A 1 2 displaystyle P A frac 1 2 quad nbsp und P B 1 2 displaystyle quad P B frac 1 2 nbsp Es ist aber P A B 1 2 2 3 1 3 1 4 P A P B displaystyle P A cap B frac 1 2 cdot frac 2 3 frac 1 3 neq frac 1 4 P A cdot P B nbsp Die Ereignisse sind also nicht stochastisch unabhangig Dies macht klar dass stochastische Unabhangigkeit nicht nur eine Eigenschaft von Ereignissen sondern auch der verwendeten Wahrscheinlichkeitsmasse ist Elementare Eigenschaften Bearbeiten Ein Ereignis ist genau dann von sich selbst unabhangig wenn es mit Wahrscheinlichkeit 0 oder 1 eintritt Insbesondere ist die Grundmenge W displaystyle Omega nbsp und die leere Menge displaystyle emptyset nbsp stets von sich selbst unabhangig Hat das Ereignis A displaystyle A nbsp die Wahrscheinlichkeit 0 oder 1 so sind A displaystyle A nbsp und B displaystyle B nbsp fur beliebige Wahl von B displaystyle B nbsp voneinander unabhangig da dann immer P A B 0 displaystyle P A cap B 0 nbsp beziehungsweise P A B P B displaystyle P A cap B P B nbsp gilt Die Umkehrung ist auch richtig Ist A displaystyle A nbsp von jedem beliebigen B displaystyle B nbsp unabhangig so ist P A 1 displaystyle P A 1 nbsp oder P A 0 displaystyle P A 0 nbsp Unabhangigkeit ist nicht zu verwechseln mit Disjunktheit Disjunkte Ereignisse sind nur dann unabhangig wenn eines der Ereignisse die Wahrscheinlichkeit 0 hat da P A B P 0 displaystyle P A cap B P emptyset 0 nbsp 1 Unter Verwendung des wichtigen Begriffes der bedingten Wahrscheinlichkeit erhalt man die folgenden aquivalenten Definitionen Zwei Ereignisse A displaystyle A nbsp und B displaystyle B nbsp mit P A P B gt 0 displaystyle P A P B gt 0 nbsp sind genau dann unabhangig wennP A B P A displaystyle P A B P A nbsp oder dazu aquivalentP A B P A B displaystyle P A B P A bar B nbsp Insbesondere die letzten beiden Definitionen zusammen sagen aus Die Wahrscheinlichkeit des Eintretens des Ereignisses A displaystyle A nbsp hangt nicht davon ab ob das Ereignis B displaystyle B nbsp oder B displaystyle bar B nbsp eintritt Da die Rollen von A displaystyle A nbsp und B displaystyle B nbsp auch vertauscht werden konnen sagt man die beiden Ereignisse sind unabhangig voneinander Geschichte Bearbeiten Das Konzept nahm in Untersuchungen von Abraham de Moivre und Thomas Bayes uber Glucksspiele mit Ziehen ohne Zurucklegen Gestalt an auch wenn zuvor Jakob I Bernoulli implizit darauf aufbaut 2 De Moivre definiert in The Doctrine of Chance 1718 if a Fraction expresses the Probability of an Event and another Fraction the Probability of another Event and those two Events are independent the Probability that both those Events will Happen will be the Product of those Fractions und in einer spateren Ausgabe 3 Two Events are independent when they have no connexion one with the other and that the happening of one neither forwards nor obstructs the happening of the other Das letztere ist Vorlaufer der Darstellung von stochastischer Unabhangigkeit uber bedingte Wahrscheinlichkeiten P A B P A displaystyle P A B P A nbsp Die erste formal korrekte Definition der stochastischen Unabhangigkeit wurde 1900 von Georg Bohlmann gegeben Stochastische Unabhangigkeit mehrerer Ereignisse BearbeitenDefinition Bearbeiten Sei W S P displaystyle Omega Sigma P nbsp ein Wahrscheinlichkeitsraum I displaystyle I nbsp eine nichtleere Indexmenge und sei A i i I displaystyle A i i in I nbsp eine Familie von Ereignissen Die Familie von Ereignissen heisst unabhangig wenn fur jede endliche nichtleere Teilmenge J displaystyle J nbsp von I displaystyle I nbsp gilt dass P j J A j j J P A j displaystyle P left bigcap j in J A j right prod j in J P A j nbsp Beispiel Bearbeiten Gemass obiger Definition sind drei Ereignisse A 1 displaystyle A 1 nbsp A 2 displaystyle A 2 nbsp A 3 displaystyle A 3 nbsp genau dann stochastisch unabhangig wenn sie paarweise unabhangig sind und zusatzlich P A 1 A 2 A 3 P A 1 P A 2 P A 3 displaystyle P A 1 cap A 2 cap A 3 P A 1 cdot P A 2 cdot P A 3 nbsp gilt Folgendes Beispiel von Bernstein 1927 zeigt die paarweise Unabhangigkeit von drei Ereignissen A 1 displaystyle A 1 nbsp A 2 displaystyle A 2 nbsp und A 3 displaystyle A 3 nbsp die aber nicht gemeinsam also A 1 displaystyle A 1 nbsp A 2 displaystyle A 2 nbsp und A 3 displaystyle A 3 nbsp gleichzeitig unabhangig sind ein ahnliches Beispiel wurde bereits 1908 von Georg Bohlmann gegeben In einer Schachtel befinden sich 4 Zettel mit folgenden Zahlenkombinationen 112 121 211 222 Einer der Zettel wird zufallig je mit Wahrscheinlichkeit 1 4 gezogen Wir betrachten dann folgende drei Ereignisse A 1 1 a n e r s t e r S t e l l e displaystyle A 1 lbrace 1 mathrm an erster Stelle rbrace nbsp mit P A 1 1 2 displaystyle P A 1 frac 1 2 nbsp A 2 1 a n z w e i t e r S t e l l e displaystyle A 2 lbrace 1 mathrm an zweiter Stelle rbrace nbsp mit P A 2 1 2 displaystyle P A 2 frac 1 2 nbsp A 3 1 a n d r i t t e r S t e l l e displaystyle A 3 lbrace 1 mathrm an dritter Stelle rbrace nbsp mit P A 3 1 2 displaystyle P A 3 frac 1 2 nbsp Offensichtlich sind die drei Ereignisse paarweise unabhangig da gilt P A 1 A 2 P A 1 P A 2 1 4 displaystyle P A 1 cap A 2 P A 1 cdot P A 2 frac 1 4 nbsp P A 1 A 3 P A 1 P A 3 1 4 displaystyle P A 1 cap A 3 P A 1 cdot P A 3 frac 1 4 nbsp P A 2 A 3 P A 2 P A 3 1 4 displaystyle P A 2 cap A 3 P A 2 cdot P A 3 frac 1 4 nbsp Die drei Ereignisse sind jedoch nicht gemeinsam unabhangig da gilt P A 1 A 2 A 3 0 1 8 P A 1 P A 2 P A 3 displaystyle P A 1 cap A 2 cap A 3 0 neq frac 1 8 P A 1 cdot P A 2 cdot P A 3 nbsp Des Weiteren kann aus P A 1 A 2 A 3 P A 1 P A 2 P A 3 displaystyle P A 1 cap A 2 cap A 3 P A 1 cdot P A 2 cdot P A 3 nbsp nicht geschlossen werden dass die drei Ereignisse paarweise unabhangig sind Betrachtet man dazu beispielsweise die Grundmenge W a b c d e f g h displaystyle Omega a b c d e f g h nbsp und die Ereignisse A 1 a b d f displaystyle A 1 a b d f nbsp A 2 A 3 a c e g displaystyle A 2 A 3 a c e g nbsp versehen mit der Gleichverteilung so ist P A 1 A 2 A 3 P a 1 8 P A 1 P A 2 P A 3 displaystyle P A 1 cap A 2 cap A 3 P a frac 1 8 P A 1 cdot P A 2 cdot P A 3 nbsp Aber es ist zum Beispiel P A 2 A 3 P a c e g 1 2 P A 2 P A 3 1 4 displaystyle P A 2 cap A 3 P a c e g frac 1 2 neq P A 2 cdot P A 3 frac 1 4 nbsp Unabhangigkeit und Kausalitat BearbeitenWichtig ist dass stochastische Unabhangigkeit und Kausalitat grundlegend verschiedene Konzepte sind Die stochastische Unabhangigkeit ist eine rein abstrakte Eigenschaft von Wahrscheinlichkeitsmassen und Ereignissen Es besteht per se kein Zusammenhang zwischen stochastischer und kausaler Unabhangigkeit So ist die stochastische Unabhangigkeit im Gegensatz zur kausalen Unabhangigkeit immer eine symmetrische Eigenschaft es ist also immer A unabhangig von B und B unabhangig von A Dies ist bei kausaler Unabhangigkeit nicht gegeben Stochastische Unabhangigkeit und kausale Abhangigkeit Bearbeiten Betrachtet man beispielsweise beim Werfen von zwei Wurfeln die Ereignisse A displaystyle A nbsp dass der erste Wurfel eine gerade Augenzahl zeigt und B displaystyle B nbsp dass die Summe der gewurfelten Zahlen gerade ist dann ist P A P B 1 2 displaystyle P A P B tfrac 1 2 nbsp und P A B 1 4 displaystyle P A cap B tfrac 1 4 nbsp Die Ereignisse sind also stochastisch unabhangig voneinander aber B ist kausal abhangig von A da der Wurf des ersten Wurfels die Summe der Augenzahlen mitbestimmt Stochastische Unabhangigkeit und kausale Unabhangigkeit Bearbeiten Ein Beispiel bei dem sowohl stochastische als auch kausale Unabhangigkeit eintritt ist das Werfen zweier Wurfel mit den Ereignissen A displaystyle A nbsp dass der erste Wurfel eine 6 zeigt und B displaystyle B nbsp dass der zweite Wurfel eine 6 zeigt Es ist dann P A P B 1 6 displaystyle P A P B tfrac 1 6 nbsp und P A B 1 36 displaystyle P A cap B tfrac 1 36 nbsp es liegt also stochastische Unabhangigkeit vor Ausserdem besteht kein kausaler Zusammenhang zwischen den Wurfeln Stochastische Abhangigkeit und kausale Abhangigkeit Bearbeiten Ein Fall bei dem sowohl stochastische als auch kausale Abhangigkeit vorliegt ist der zweimalige Munzwurf und die Ereignisse A displaystyle A nbsp dass zweimal Kopf geworfen wird und B displaystyle B nbsp dass der erste Wurf Zahl zeigt Es ist dann P A 1 4 displaystyle P A tfrac 1 4 nbsp und P B 1 2 displaystyle P B tfrac 1 2 nbsp aber P A B 0 displaystyle P A cap B 0 nbsp da die Ereignisse disjunkt sind Also sind die Ereignisse sowohl stochastisch abhangig als auch kausal abhangig Bemerkungen BearbeitenBei methodisch korrektem Vorgehen kann man nicht einfach Unabhangigkeit vermuten sondern man muss sie anhand obiger Formel uberprufen Dabei ist meistens die gemeinsame Wahrscheinlichkeit P A B displaystyle P A cap B nbsp nicht von vornherein gegeben Bei der statistischen Auswertung erhobener Daten kann man beispielsweise mit einem x2 Test die Merkmale auf stochastische Unabhangigkeit testen Verallgemeinerungen BearbeitenEine wichtige Verallgemeinerung der stochastischen Unabhangigkeit ist die Unabhangigkeit von Mengensystemen und die daraus folgende weitere Verallgemeinerung der stochastisch unabhangigen Zufallsvariablen Diese sind ein zentrales Konzept der Wahrscheinlichkeitstheorie und Voraussetzung fur viele weitreichende Satze Mittels des bedingten Erwartungswertes lassen sich alle genannten Konzepte noch zur bedingten Unabhangigkeit erweitern Literatur BearbeitenAchim Klenke Wahrscheinlichkeitstheorie 3 Auflage Springer Verlag Berlin Heidelberg 2013 ISBN 978 3 642 36017 6 doi 10 1007 978 3 642 36018 3 Ulrich Krengel Einfuhrung in die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik Fur Studium Berufspraxis und Lehramt 8 Auflage Vieweg Wiesbaden 2005 ISBN 3 8348 0063 5 doi 10 1007 978 3 663 09885 0 Hans Otto Georgii Stochastik Einfuhrung in die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik 4 Auflage Walter de Gruyter Berlin 2009 ISBN 978 3 11 021526 7 doi 10 1515 9783110215274 Christian Hesse Angewandte Wahrscheinlichkeitstheorie 1 Auflage Vieweg Wiesbaden 2003 ISBN 3 528 03183 2 doi 10 1007 978 3 663 01244 3 A M Prochorow Independence In Michiel Hazewinkel Hrsg Encyclopaedia of Mathematics Kluwer Academic Publishers 2001 ISBN 978 1 55608 010 4 online Weblinks Bearbeiten nbsp Wikibooks Einfuhrung in stochastische Unabhangigkeit Lern und LehrmaterialienEinzelnachweise Bearbeiten Norbert Henze Stochastik fur Einsteiger Braunschweig Wiesbaden Vieweg Verlag 1997 ISBN 3 528 06894 9 S 118 de Tari and Diblasi Analysis of didactic situations suggested to distinguish disjunctive events and independent events In ICOTS 7 2006 Zitiert nach Grinstead and Snell s Introduction to Probability In The CHANCE Project Version vom 4 Juli 2006 Website Memento vom 27 Juli 2011 im Internet Archive Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Stochastisch unabhangige Ereignisse amp oldid 234706532