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Als polnischer Westgedanke polnisch polska mysl zachodnia wird die Vorstellungswelt bezeichnet welche eine Gewinnung deutscher Gebiete westlich der polnischen Grenze von 1772 anstrebte die im Mittelalter schon einmal zu Polen gehort hatten Polen Litauen war durch drei Teilungen zwischen 1772 und 1795 unter Russland Osterreich und Preussen aufgeteilt worden und als Staat verschwunden Der polnische Westgedanke nahm im 19 Jahrhundert in den Kreisen der nationaldemokratischen Bewegung Polens Gestalt an und zielte auf die Wiedergrundung eines polnischen Staates In der Diskussion um den Grenzverlauf des nach dem Ersten Weltkrieg wiedererstandenen Staates Polen gewannen diese Vorstellungen an Aktualitat Aus dem polnischen Westgedanken entwickelte sich eine Forschungseinrichtung die von deutscher Seite als der deutschen Ostforschung entsprechend auch als polnische Westforschung bezeichnet wird weil sie ein nahezu getreues Spiegelbild der deutschen Ostforschung bildete 1 Sie entwickelte sich mit dem Entstehen des neuen polnischen Nationalstaates nach dem Ersten Weltkrieg Ihr Zentrum war die 1919 neu eingerichtete Universitat Posen die 1919 20 Piasten Universitat hiess Sie richtete sich gegen die deklarierten deutschen Absichten die im Friedensvertrag von Versailles festgelegte Ostgrenze mit Polen nicht anzuerkennen und in Frage zu stellen Nach dem Beginn des Uberfalls auf Polen 1939 widersetzte sie sich aus dem Untergrund der Germanisierungspolitik des Nationalsozialismus Nach dem Zweiten Weltkrieg war es ihr Ziel die wiedergewonnenen Gebiete bis zur Oder Neisse Linie zu legitimieren Insgesamt lassen sich drei Aspekte des polnischen Westgedankens unterscheiden ein politisches Westprogramm program zachodni das nach dem Ersten und auch nach dem Zweiten Weltkrieg eine Verschiebung der polnischen Westgrenze als Ziel formulierte unter dem Begriff der Westforschung wissenschaftliche Ansatze zur Begrundung der Notwendigkeit und Rechtmassigkeit dieser Verschiebung und die Westarbeit praca zachodnia d i die propagandistische Tatigkeit zur Popularisierung des Westgedankens 2 Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Die polnische Westgrenze im Friedensvertrag von Versailles 3 Die Etablierung der polnischen Westforschung 4 Zweiter Weltkrieg 5 Die Westforschung und die wiedergewonnenen Gebiete 6 Deutsch polnischer Grenzvertrag von 1990 als Voraussetzung eines Neubeginns 7 Siehe auch 8 Literatur 9 EinzelnachweiseVorgeschichte Bearbeiten nbsp Die Ausbreitung der Slawen im 5 bis 10 JahrhundertPosen das Zentrum des seit Jahrhunderten polnischen Kernlandes Grosspolen war bereits im 19 Jahrhundert zum organisatorischen Hauptzentrum der polnischen Nationalbewegung in Preussen bzw im Deutschen Reich geworden Im April und Mai 1848 kam es zum Aufstand der Posener Polen gegen die preussische Herrschaft Der Aufstand richtete sich gegen die Einbeziehung uberwiegend polnischer Gebiete in die Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung und damit gegen die Inkorporation eines Teils von Polen in einen deutschen Nationalstaat Ferneres Ziel war eine Vereinigung ganz Polens Dem wiederzugrundenden Polen galten in der Frankfurter Nationalversammlung die Debattentage vom 24 bis 27 Juli 1848 Alle Anspruche Polens wurden zuruckgewiesen was nicht nur im Beitrag des ostpreussischen Abgeordneten Carl Friedrich Wilhelm Jordan und seiner Betonung des gesunden Volksegoismus deutlich wurde sondern auch in der polenfeindlichen Schrift des Frankfurter Paulskirchenmitglieds und Leipziger Historikers Heinrich Wuttke Deutsche und Polen 1846 1848 nbsp Herrschaftsgebiet Boleslaws I um das Jahr 1000 Kartenausschnitt aus Putzgers Historischer Schul Atlas 1905 Er wies ausdrucklich den Anspruch zuruck dass die geforderte polnische Westgrenze die Oder sein sollte Dabei gab er wie auch der Debattenredner Jordan zu dass die Slawen eigentlich auf Gebiete bis zur Saale und tief in das Herz von Deutschland Anspruch hatten die ihnen seit dem 10 Jahrhundert entrissen worden waren 3 Dabei weist er allerdings darauf hin dass die Slawen sich diese Gebiete als Angreifer an sich gerissen hatten 4 Der Historiker Roland Gehrke schrieb 2001 zu den im 19 Jahrhundert entwickelten Territorialvorstellungen fur einen kunftigen polnischen Nationalstaat Mit der Ruckbesinnung auf das piastische Erbe gerieten auch die territoriale Ausrichtung des Piastenstaates und daruber hinaus die mittelalterliche Westausdehnung des Slaventums uberhaupt ins Blickfeld von Historikern und Publizisten So bezeichnete es Wilhelm Boguslawski im Vorwort zu seiner monumentalen vierbandigen Geschichte des nordwestlichen Slaventums bis zur Mitte des 13 Jahrhunderts als sein Ziel dem Leser die enge Verbindung zwischen den westslawischen Stammen und den Bewohnern des piastischen Polen sowie die ursprungliche ethnographische Grenze zwischen Germanen und Slaven in Erinnerung zu rufen Diese Grenze wurde in einzelnen Darstellungen unter Ruckgriff auf eine teilweise recht abenteuerliche Interpretation von Ortsnamen sowie mittelalterlichen und antiken Quellen uber ihren ungefahren Verlauf entlang der Flusslaufe von Elbe und Saale hinaus noch sehr viel weiter nach Westen verlegt 5 nbsp Sprachenkarte von Deutschland in Andrees Allgemeiner Handatlas 1881Vor Weltkriegsende erschien 1917 in Moskau eine Broschure des Journalisten Boleslaw Jakimiak in der er sich Gedanken daruber machte wie die in den Jahrhunderten zuvor vollzogenen Germanisierungsprozesse ruckgangig zu machen waren Dabei stellte sich die Deutsche Ostsiedlung fur ihn so dar man beachte dass das zahlenmassig verhaltnismassig kleine nur aus einer Handvoll Stammen Sachsen Bayern Franken hervorgegangene und zwischen Rhein und Weser siedelnde deutsche Volk mit Hilfe von Intrigen und Winkelzugen teilweise auch mit Hilfe einer besseren Bewaffnung und einer besseren Organisation schrittweise ein um das Vielfache grosseres Territorium seiner Herrschaft unterwarf das nicht sein eigenes war und der alteingesessenen slavischen Bevolkerung dieses Territoriums seine Sprache aufzwang Man bedenke dass es ein Volk das derart rauberischen Instinkten gehorcht und bei der Entnationalisierung der Bevolkerung der einverleibten Gebiete derart rucksichtslos vorgeht kein zweites Mal auf dem Erdball gibt Fur Jakimiak galten als Westgrenze der ins Auge gefassten neuen Staatsgrundung bereits die Oder und die Lausitzer Neisse 6 Die polnische Westgrenze im Friedensvertrag von Versailles BearbeitenDer Nationalpolitiker Roman Dmowski war polnischer Verhandlungsfuhrer beim auszuhandelnden Friedensvertrag von Versailles Er sprach sich fur einen Anschluss Deutschosterreichs an Deutschland aus weil er meinte dass damit die preussische Vorherrschaft in Deutschland und die preussisch deutsche Gefahr fur Polen zu brechen seien 7 Sein Territorialprogramm fur das kunftige Polen unter teilweiser Missachtung vollstandig nichtpolnisch besiedelter Gebiete sah hingegen so aus 1 Das osterreichische Polen das in den Teilungen Polens annektierte Galizien und die Halfte des osterreichischen Schlesien Teschen 2 das russische Polen das Konigreich Polen und die in den Teilungen Polens annektierten Gouvernements Kowno Wilna und Grodno sowie einen Teil der Gouvernements Minsk und Wolhynien 3 das deutsche Polen die in den Teilungen Polens annektierten Provinzen Posen und Westpreussen mit Danzig zusatzlich Oberschlesien und der sudliche Teil von Ostpreussen 8 Diese Forderungen blieben in diesem Ausmass unerfullt Die deutschen Gebietsabtretungen hatten trotzdem zur Folge dass die Abtrennung Ostpreussens vom ubrigen Reichsgebiet siehe Polnischer Korridor und vor allem die als willkurlich empfundene Zerreissung des oberschlesischen Industriegebiets den Ruf nach einer Revision der blutenden Grenze im Osten laut werden liessen Die Etablierung der polnischen Westforschung BearbeitenWie in der deutschen Ostforschung trugen verschiedene Wissenschaften zum Westforschungsprojekt bei das sein Zentrum in Posen hatte Die vorlaufige Universitatsbenennung als Piasten Universitat war bereits Programm und wies darauf hin dass in einem Jahrtausendraum gedacht wurde namlich von Mieszko I her der als Erster in Beruhrung mit der sachsischen Expansion unter den Liudolfingern in Gestalt des Markgrafen Gero gekommen war 9 Neben der Nationalgeschichte waren es vor allem Archaologie Geographie Soziologie und Linguistik die ihre Beitrage zur Erkundung der westlichen Gebiete leisteten die einst von Slawen bewohnt waren die im Zuge der vom Heiligen Romischen Reich ausgehenden mittelalterlichen Ostexpansion zuruckgedrangt worden und grossflachig vollig verschwunden waren Robert Brier schrieb 2003 Der Archaologe Jozef Kostrzewski etwa sah die Rolle seiner Wissenschaft als Produzentin von Argumenten fur politische Forderungen und erinnerte wahrend des polnischen Historikertages im Jahr 1925 daran dass die Geschichtswissenschaft in den Westgebieten schon immer den Zwecken der Verteidigung der nationalen Existenz gedient habe Hatte sich diese politische Einstellung zu Wissenschaft in den Westgebieten des damaligen polnischen Staates zweifelsohne unter den besonderen Umstanden des Germanisierungsdruckes im Deutschen Reich entwickelt so erhielt sie spatestens seit der Mitte der Zwanziger Jahre durch den Aufstieg der Ostforschung in der Wissenschaftslandschaft der Weimarer Republik erhohte Aktualitat Nach der Entstehung von deutschen Osteuropa Forschungsinstituten in Konigsberg und Breslau wahrend des Ersten Weltkriegs war es besonders die 1926 gegrundete Stiftung fur deutsche Volks und Kulturbodenforschung die dieser Forschungsrichtung ein institutionelles Geprage sowie eine inhaltliche und methodische Stossrichtung gab 10 Wie eng die Beruhrung mit deutschen Konzepten war zeigte sich beispielhaft darin dass der Westforscher Jozef Kostrzewski bei Gustaf Kossinna studiert hatte Der hatte die These entwickelt dass die slawische Kultur zivilisatorisch junger sei als die deutsche Ihr Entstehen verdanke sie wesentlich germanischer Kultur weshalb Mitteleuropa bis zur Weichsel gleichsam germanische Urheimat gewesen sei Kostrzewskis wissenschaftliche Tatigkeit bestand darin Kossinna zu widerlegen Rudolf Jaworski stellt fest dass sowohl in der polnischen West wie in der deutschen Ostforschung hochpolitische Forschungsanliegen im Streit um Territorien Minderheiten und Kultureinflusse entstanden waren Sie hatten den Zweiten Weltkrieg uberdauert und lange Zeit das geistige Klima zwischen beiden Landern vergiftet da sie uber die wissenschaftliche Arbeit hinaus auch publizistisch und padagogisch wirksam wurden 11 Zweiter Weltkrieg BearbeitenMit dem Uberfall auf Polen und der nationalsozialistischen Absicht Polen als Kolonialland Hanns Johst 1940 zu behandeln vgl Fremdvolkische und die Fuhrungsschichten zu vernichten wurde auch die Posener Universitat 1941 in eine Reichsuniversitat verwandelt Das bedeutete fur die Westforscher Untergrundarbeit zumal eine von deutschen Ostforschern erstellte Liste existierte auf deren Grundlage die Gestapo die Vertreter der Westschule identifizierte und verfolgte 12 In der in Posen gegrundeten Untergrundorganisation Ojczyzna Vaterland trat der Mittelalterhistoriker und Staatsrechtler Zygmunt Wojciechowski hervor Sein Betatigungsfeld war die Leitung des Westburos der Regierungsdelegatur in Warschau Bestand die ursprungliche Aufgabe dieser Institution in der politischen Vertretung der polnischen Gebiete die ans Reich angeschlossenen waren begann man sich dort unter dem Schlagwort der geforderten oder zuruckkehrenden Gebiete ziemie postulowane ziemie powracajace allerdings auch mit Fragen der Ubernahme von Territorien jenseits der Westgrenze von 1939 zu beschaftigen ein Arbeitsbereich der nach 1943 dominierte Ziel des Weststudiums war zum einen die Propaganda fur moglichst weitgehende Gebietsforderungen Zum anderen sollten diese Forderungen durch die Fortfuhrung und Ausweitung der Westforschung untermauert und ihre Realisierung vorbereitet werden Verwirklicht werden sollte dies durch die Erforschung der Geschichte der deutsch polnischen Beziehungen und der geforderten Gebiete sowie die Dokumentation deutscher Verbrechen wahrend der Okkupation 13 nbsp Eine Stele mit Ziffern beim Posener Residenzschloss erinnert an polnische Kryptoanalytiker und ihren Beitrag zum alliierten Sieg Wichtig war die Zusammenarbeit mit der zunachst in Frankreich und dann in London wirkenden polnischen Exilregierung und sie mit Ruckmeldungen und Material fur die anstehenden Verhandlungen mit den drei Alliierten Sowjetunion England und USA zu versorgen Ein 1943 erstelltes Memorandum verlangte die Schaffung vollendeter Tatsachen nach dem Krieg noch vor einer Friedenskonferenz Dem Ziel der Westverschiebung diente auch die Forderung die deutsche Bevolkerung aus den neuen Territorien vollstandig auszusiedeln Damit sollte die Moglichkeit der Durchfuhrung von Plebisziten ausgeschlossen werden mit denen man nach dem Ersten Weltkrieg schlechte Erfahrungen gemacht hatte 14 Der Warschauer Aufstand von 1944 bedeutete eine Umorientierung der zunachst rein nationalpolnisch ausgerichteten Bestrebungen Wojciechowski vollzog die Anpassung an die kunftige sowjetische Dominanz am schnellsten weil absehbar war dass die eigenen Forderungen nur Chancen auf Verwirklichung hatten wenn Josef Stalin von ihnen uberzeugt war Denn Stalin wollte Russland ebenfalls auf Kosten Polens nach Westen verschieben was ihm umso leichter gelingen wurde wenn er den Verlust durch den in der Westforschung so begehrten Erwerb von Gebieten im Westen kompensierte die als urpolnisch und als Mutterlander Wojciechowski weil piastisch galten vgl Ostgebiete des Deutschen Reiches So hatte Stalin schon 1941 Wladyslaw Sikorski die Zusage gemacht dass die kunftige polnische Westgrenze die Oder sein werde Im Juli August 1944 legte er sich gegenuber dem Lubliner Komitee der von der Sowjetunion gestutzten kommunistischen provisorischen Regierung Polens zum ersten Mal auf die Oder Neisse Linie als Grenzverlauf fest und sicherte den Besitz von Stettin und Breslau zu 15 Das hatte fur Wojciechowski und die von ihm geleitete Westforschung unmittelbare Folgen Ende 1944 wurde uber ein Instytut Zachodni dt West Institut nachgedacht das dann im Februar 1945 in Posen gegrundet wurde und das Wojciechowski bis zu seinem Tod 1955 leitete Das Bundnis mit den Russen erfuhr dabei folgende Legitimation indem es dem panslawischen Zusammenhang zugewiesen wurde Der Kern der slawischen Welt sind zweifelsohne die russische grossrussische und die polnische Nation Zygmunt Wojciechowski 16 Auch der polnische Historiker Wladyslaw Konopczynski setzte jetzt auf den Schutz des von Moskau gestutzten und durchgesetzten neuen Regimes und folgerte 1946 Es weht jetzt ein entgegengesetzter Wind Es ist still uber dem Osten laut um die Gero und die Ottonen Albrechts und Friedrichs um Bismarck und Hitler 17 Nach etlichen Krisen und Schwerpunktverlagerungen vor allem nach dem Ende des Kalten Krieges besteht das Institut fort und bleibt Zentrum der Beschaftigung mit Deutschland Die Westforschung und die wiedergewonnenen Gebiete BearbeitenIn der Zeitschrift des Polnischen Westverbandes Polski Zwiazek Zachodni PZZ Polska Zachodnia Nr 4 vom 26 August 1945 wurden die vor allem von Winston Churchill geausserten Zweifel an der Berechtigung der Oder Neisse Grenze mit dem Hinweis zerstreut dass Polen nur einen Teil der seit urdenklichen Zeiten slawischen Gebiete neuerlich besitze unter Berufung auf das historische Recht das sogar von den Deutschen bestatigt worden sei konne Polen eigentlich alle slawischen Gebiete bis zur Elbe zuruckfordern obwohl es dies nicht tue siehe weiter oben Wilhelm Jordan und Heinrich Wuttke 1848 1946 veroffentlichte dann das Slawische Komitee in Breslau als ersten Band der Slawischen Bibliothek das Buch des fruheren Nationaldemokraten Karol Stojanowski Uber die Reslawisierung Ostdeutschlands O reslawizacje wschodnich Niemiec Der Autor ging davon aus dass ausgehend von den Sorben der Lausitz die erloschene slawische Sprache durch die Ansiedlung einer slawischen Kernbevolkerung auf ostdeutschem Gebiet neu belebt werden konne Zum Vergleich dafur wie so etwas gelinge verwies er auf die Ruckkehr der Juden nach Palastina und zur Wiedereinfuhrung des Altslawischen auf das modernisierte Bibelhebraisch siehe Ivrit Stojanowski wollte mit dem Entstehen westslawischer Staaten westlich der Oder die Gewahr dafur haben dass in dem auszuhandelnden Friedensvertrag der preussische Staat ohne Wiederbelebungschancen fur immer untergehe Er meinte dass das auf seine westlichen und sudlichen Territorien begrenzte Deutschland viel von seiner eroberungssuchtigen Psyche verlieren wurde Siehe hierzu Zonenprotokoll Wahrend der Anschluss der Lausitz an Polen mit breiter Resonanz diskutiert wurde wurden die Vorstellungen zur Reslawisierung bis zur Elbe fur unrealistisch gehalten 18 Allerdings wurde darauf gedrungen dass die Hauptstadtrechte von Berlin nach Westen verlagert wurden Man furchtete namlich dass durch Berlin als Hauptstadt die preussische Tradition weiterwirken und die Reichsidee Bismarcks und Hitlers unterstrichen wurde Eine kunstliche Gravitation ganz Deutschlands nach Osten sollte auf jeden Fall vermieden werden 19 Noch im Oktober 1945 wurde das Ministerium fur die Wiedergewonnenen Gebiete gegrundet 20 Es bestand bis 1949 Ihm oblag es fur die grenzkolonisatorische Integration der Gebiete zu sorgen die nach der Vertreibung der Deutschen mit polnischer Bevolkerung zu besiedeln waren Die Arbeit der Westforscher sollte dazu dienen die Regierung bei Nationalitatenproblemen sowie wirtschaftlichen demographischen und kolonisatorischen Fragen in Bezug auf die neuen Westgebiete zu beraten 21 Die Westforscher fanden so eine politische Legitimation ihrer Arbeit die sich in der vom Institut bis heute herausgegebenen Zeitschrift Westrundschau Przeglad Zachodni niederschlug Ab 1945 erschien sie mit grosser Regelmassigkeit monatlich Dieses wichtigste Organ der polnischen Westforschung bildete erstens als Fachzeitschrift die Moglichkeit der Veroffentlichung von Aufsatzen und Rezensionen Daruber hinaus war sie ein Forum auf dem sich die Westforscher durch Diskussionen Polemiken Forschungsberichte oder Leserbriefe austauschen konnten oder uber die Tatigkeit anderer Institute und Einrichtungen berichtet wurde Neben diesen wissenschaftlichen Beitragen finden sich aber auch gelegentlich Texte die einen eher programmatischen oder sogar propagandistischen Charakter hatten und sich auf aktuelle Ereignisse bezogen wie z B ein Leitartikel Wojciechowskis in dem er den Ausgang des Krieges mit dem polnischen Sieg der Schlacht von Grunwald verglich 22 In der Volksrepublik Polen wurde die Westforschung zu einer staatstragenden Wissenschaft erhoben und entsprechend finanziert Sie hat nach Rudolf Jaworski zur Sicherung des kommunistischen Herrschaftsanspruchs beigetragen und antwortete auf die restaurativen Tendenzen der deutschen Ostforschung ebenfalls als Frontwissenschaft zweier verfeindeter Machtblocke Dabei sei aber die Oder Neisse Linie nur bedingt eine deutsch polnische Angelegenheit gewesen 23 Fur den britischen Historiker Norman Davies hat sich in der Nachkriegszeit Folgendes abgespielt Seltsamerweise fiel die Ubernahme nationalistischer Ideen durch die Kommunisten zeitlich mit der Beseitigung der ethnischen Minderheiten und der Umwandlung der polnischen Gesellschaft zusammen Wahrend Stalin auf die polnische kommunistische Partei einen radikalen Einfluss ausubte schuf er ein mononationales Polen Wahrend Dmowskis Ideen in der Ideologie der Nachkriegszeit unerwartet wiederauflebten gingen ebenso unvorhergesehen seine kuhnsten ethnischen Traume in Erfullung es entstand ein Polen in dem ausschliesslich Polen lebten 24 Deutsch polnischer Grenzvertrag von 1990 als Voraussetzung eines Neubeginns BearbeitenAls im Zuge der sich anbahnenden deutschen Wiedervereinigung 1990 insbesondere in der Republik Polen die Sorge wuchs das vereinigte Deutschland konne eine Revision der deutschen Ostgrenzen fordern verlangten die vier Siegermachte als Voraussetzung fur ihre Zustimmung zur deutschen Einheit die endgultige Anerkennung der Oder Neisse Grenze als rechtmassige Staatsgrenze zwischen Deutschland und Polen Diese Anerkennung wurde im Zwei plus Vier Vertrag verankert und im deutsch polnischen Grenzvertrag vom 14 November 1990 in einem volkerrechtlichen Vertrag bekraftigt Durch diesen am 16 Januar 1992 in Kraft getretenen Vertrag gab die Bundesrepublik Deutschland alle Anspruche auf die Ostgebiete des Deutschen Reiches auf die ostlich dieser Linie lagen und seitdem auch volkerrechtlich zu Polen gehoren Spatestens seither ist die deutsche Ostforschung selbst Gegenstand kritischer Aufarbeitung und Gegenstand von Wissenschaftsgeschichtsforschung geworden und ist als Oberbegriff zeitgenossischer Forschung so belastet dass andere Begriffe an ihre Stelle getreten sind Als erste gemeinsame Bestandsaufnahme beider durch geschichtspolitische Instrumentalisierungen beeintrachtigten Forschungsrichtungen erschien 2003 ein Band in dem sowohl die deutsche Ostforschung wie auch die polnische Westforschung kritisch vorgestellt werden 25 Festzuhalten ist dass in beiden Forschungsrichtungen innovative Konzepte zum Tragen kamen namlich verschiedene Disziplinen zusammengefuhrt wurden in denen vor allem wirtschafts sozial rechts oder bevolkerungsgeschichtliche Fragestellungen im Vordergrund standen 26 Darin schlug sich eine gesamteuropaische Entwicklung nieder die sich andernorts aus den imperialistischen Eroberungen und der Einrichtung von Kolonien in Ubersee ergeben hatte und die im Zusammenhang mit der zwischen 1814 und 1914 verdreifachten Bevolkerungszunahme in den europaischen Landern 27 im Sozialimperialismus ihre deutlichsten Auspragungen erfuhr 28 Insgesamt wird zunehmend eine Perspektive verfolgt in der auch das Geschehen in Mittelost und Osteuropa in gesamteuropaische Zusammenhange eingeordnet wird 29 So schreibt Jurgen Osterhammel 2009 in seinem Werk uber das 19 Jahrhundert Die Verwandlung der Welt unter der Uberschrift Siedlungskolonialismus von den faschistischen Imperialtraumen in den von Deutschland Italien und Japan zwischen 1930 und 1945 entfalteten staatskolonialistischen Siedlungsprojekten Italien in Libyen und Athiopien Japan in der Mandschurei wo eine militarische Ordnungsutopie entstehen sollte und Deutschland das im eroberten Osteuropa eine arische Rassetyrannei errichten wollte Schon im 19 Jahrhundert seien an den Frontiers ganze Volker dezimiert oder zumindest ins Elend gesturzt worden Die Siedler des faschistischen Imperialismus seien jedoch nur noch Instrumente staatlicher Politik gewesen Es war der Staat der sie anwarb entsandte und mit Land in kolonialen Rand und Uberseegebieten versorgte und der ihnen einredete sie erfullten eine besonders wichtige nationale Pflicht und sollten unvermeidliche Harten des Alltags zum Wohle des Volksganzen ertragen Sie seien ob in Afrika in der Mandschurei oder an der Wolga nur Versuchskaninchen in Imperialtraumen gewesen 30 Aber auch die staatskolonialistischen Siedlungsprojekte als Eigenheit des faschistischen Imperialismus erzeugten mit anderen Vorzeichen ebenfalls ihr Gegenbild Denn nach Robert Brier leisteten die polnischen Westforscher einen Beitrag zur Sowjetisierung des Landes indem sie den Stalinismus nationalisierten Das habe sich in der personlichen Lebensbilanz Wojciechowskis niedergeschlagen der als polnischer Nationalist sich mit der Volksrepublik identifizierte und sagte dass ich mit diesem Polen am engsten verwachsen bin und ich mich fur sein Schicksal mitverantwortlich fuhle Wenn Hans Mommsen das Bild von einem faustischen Pakt zur Beschreibung der Bereitschaft der Ostforscher zur Kooperation mit dem NS Regime zur Verwirklichung ihrer territorialen und bevolkerungspolitischen Ordnungskonzepte ohne Rucksicht auf mogliche inhumane Folgen benutzte so konne dieses Bild auch auf die Westforschung ubertragen werden die mit der Forderung nach der Vertreibung der Deutschen Teil des nationalistischen Radikalisierungsprozesses war der die Volker die unter der nationalsozialistischen deutschen Besatzungsherrschaft gelitten haben heimgesucht habe 31 Fur Ost und Westforschung wird allerdings weitere kritische Forschung gefordert weil offenbar noch nicht zu allen Themenbereichen vorbehaltloser Zugang gefunden ist 32 Siehe auch BearbeitenDas neue Europa Der slawische Standpunkt von Tomas Garrigue Masaryk Panslawismus OstfluchtLiteratur BearbeitenDetlef Brandes Der Weg zur Vertreibung 1938 1945 Plane und Entscheidungen zum Transfer der Deutschen aus der Tschechoslowakei und aus Polen Oldenbourg Munchen 2005 ISBN 3 486 56731 4 Robert Brier Der polnische Westgedanke nach dem Zweiten Weltkrieg 1944 1950 PDF 828 kB Digitale Osteuropa Bibliothek Geschichte 3 2003 Roland Gehrke Der polnische Westgedanke bis zur Wiedererrichtung des polnischen Staates nach Ende des Ersten Weltkrieges Genese und Begrundung polnischer Gebietsanspruche gegenuber Deutschland im Zeitalter des Nationalismus Herder Institut Marburg 2001 ISBN 3 87969 288 2 Andreas Lawaty Das Ende Preussens in polnischer Sicht Zur Kontinuitat negativer Wirkungen der preussischen Geschichte auf die deutsch polnischen Beziehungen de Gruyter Berlin 1986 ISBN 3 11009 936 5 Jan M Piskorski Jorg Hackmann Rudolf Jaworski Hrsg Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik Disziplinen im Vergleich Fibre Osnabruck 2003 ISBN 978 3 929759 58 7 Jorg Hackmann Strukturen und Institutionen der polnischen Westforschung 1918 1960 In Zeitschrift fur Ostmitteleuropa Forschung 50 2001 S 230 255 Einzelnachweise Bearbeiten Jan M Piskorski zitiert bei Robert Brier Der polnische Westgedanke nach dem Zweiten Weltkrieg 1944 1950 Digitale Osteuropa Bibliothek Geschichte 3 2003 S 13 PDF 828 kB Vgl Robert Brier Der polnische Westgedanke nach dem Zweiten Weltkrieg 1944 1950 S 3 f Polen und Deutsche 1846 S 5 f 1882 wies Ernest Renan in seiner Rede Was ist eine Nation in der Sorbonne am 11 Marz 1882 auf die zwischen Deutschen und Slawen stattfindende Auseinandersetzung hin Bedenken Sie diese ethnographische Politik ist nicht verlasslich Heute setzt ihr sie gegen die anderen ein spater werdet ihr erleben wie sie sich gegen euch selbst kehrt Ist es sicher dass die Deutschen die die Flagge der Ethnographie so hoch gehisst haben nicht eines Tages erleben werden wie die Slawen ihrerseits die Dorfnamen Sachsens und der Lausitz erforschen die Spuren der Wilzen und der Obodriten erkunden und Rechenschaft fur die Gemetzel und massenhaften Verkaufe fordern die ihren Ahnen von den Ottonen angetan wurden Vgl Abdruck der Rede hier Heinrich Wuttke Polen und Deutsche Politische betrachtungen von Heinrich Wuttke Schkeuditz 1846 S 6 Roland Gehrke Der polnische Westgedanke bis zur Wiedererrichtung des polnischen Staates nach Ende des Ersten Weltkrieges Genese und Begrundung polnischer Gebietsanspruche gegenuber Deutschland im Zeitalter des Nationalismus Herder Institut Marburg 2001 S 130 f Volltext online Memento vom 21 Oktober 2013 im Internet Archive PDF 434 S Vgl Roland Gehrke 2001 S 139 Vgl Andreas Lawaty Das Ende Preussens in polnischer Sicht Zur Kontinuitat negativer Wirkungen der preussischen Geschichte auf die deutsch polnischen Beziehungen Berlin de Gruyter 1986 S 38 Vgl Roland Gehrke 2001 S 304 Vgl Robert Brier 2003 S 53 Robert Brier 2003 S 12 f Rudolf Jaworski Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung S 12 in Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik Disziplinen im Vergleich hrsg von Jan M Piskorski Jorg Hackmann Rudolf Jaworski fibre Osnabruck 2003 S 11 23 Robert Brier 2003 S 21 In diesem Zusammenhang ist besonders Albert Brackmann als deutsches Pendant zu Zygmunt Wojciechowski zu erwahnen Er schrieb auf Veranlassung Heinrich Himmlers und auf Bestellung der SS vom 26 September 1939 die auch in 7 000 Exemplaren der Wehrmacht im Mai 1940 zukommende Propagandaschrift Krisis und Aufbau in Osteuropa Ein weltgeschichtliches Bild unwesentlich gekurzt PDF 417 kB Robert Brier 2003 S 19 Vgl Robert Brier 2003 S 20 Detlef Brandes Der Weg zur Vertreibung 1938 1945 Plane und Entscheidungen zum Transfer der Deutschen aus der Tschechoslowakei und aus Polen 2 Aufl Oldenbourg Munchen 2005 S 465 469 Wie sehr in Josef Stalin die panslawistischen Traditionen verankert waren wie in Hitler die alldeutschen so dass beide in ihrem Sinne zu handeln trachteten hebt Hannah Arendt in ihrem Buch Elemente und Ursprunge totaler Herrschaft Antisemitismus Imperialismus totale Herrschaft Piper Munchen 1986 8 Aufl 2001 S 473 hervor So erklarte Stalin am 9 Mai 1945 Der jahrhundertelange Kampf der slawischen Volker um ihre Existenz und Unabhangigkeit hat mit dem Sieg uber die deutschen Okkupanten und die deutsche Tyrannei geendet Siehe Stalin Ansprache an das Volk Andreas Lawaty 1986 S 115 Andreas Lawaty 1986 S 206 ff Westdeutsches Presseecho zu einem Sorbenstaat letztes Drittel der Internetseite Andreas Lawaty 1986 S 211 Auch das Attribut wiedergewonnen ist im Sinne Jan M Piskorskis als getreues Spiegelbild deutscher Ausdrucksweise zu sehen Von der Wiedergewinnung alten deutschen Volks und Kulturbodens im Osten ist 1941 auch im SS Leitheft Kriegsausgabe Jg 6 Folge 2b S 2 die Rede und zwar in Zusammenhang mit den ersten Um und Ansiedlungen von Volksdeutschen in den seit 1939 eroberten Gebieten Robert Brier 2003 S 25 Robert Brier 2003 S 29 Rudolf Jaworski 2003 S 17 f Vgl dazu neuerdings Bogdan Musial Stalins Beutezug Die Plunderung Deutschlands und der Aufstieg der Sowjetunion zur Weltmacht Berlin Propylaen 2010 ISBN 978 3 549 07370 4 darin das Kapitel Stalins Kriegsziel die nachhaltige Schwachung Deutschlands S 181 236 Norman Davies Im Herzen Europas Geschichte Polens 4 durchgesehene Auflage C H Beck Munchen 2006 S 137 Jan M Piskorski Jorg Hackmann Rudolf Jaworski Hg Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik Disziplinen im Vergleich Fibre Osnabruck 2003 Robert Brier 2003 S 14 Vgl Dirk van Laak Uber alles in der Welt Deutscher Imperialismus im 19 und 20 Jahrhundert C H Beck Munchen 2005 S 36 Wie Olivier Le Cour Grandmaison in seinem Buch La Republique imperiale 2009 darlegt gehorten zum Beispiel zur Entwicklung Frankreichs als Kolonialmacht in Konkurrenz mit England eigene wissenschaftliche Einrichtungen wie die Akademie der kolonialen Wissenschaften Forschungs und Unterrichtsdisziplinen waren Anthropologie Ethnologie Kolonialsoziologie Volkerpsychologie politische Wissenschaft Recht Geschichte sowie Geographie S 17 Was also fur deutsche Ostforschung und polnische Westforschung als innovativ beschrieben werden kann hatte seine Vorlaufer und Parallelen in den Wissenschaftseinrichtungen die den Herrschaftszielen der imperialistischen europaischen Kolonialmachte zuarbeiteten Nach Le Cour Grandmaison war auch der Lebensraumgedanke eine Eigenheit des gesamteuropaischen Imperialismus S 329 352 Vgl hierzu Polnische Kolonialambitionen Memento vom 27 Juli 2016 im Internet Archive Jurgen Osterhammel Die Verwandlung der Welt Eine Geschichte des 19 Jahrhunderts 4 aktualisierte Aufl C H Beck Munchen 2009 ISBN 3 40658 283 4 S 531 f Vgl Robert Brier 2003 S 87 f Brier folgt hier dem US Historiker Norman Naimark Der Nationalismus und die osteuropaischen Revolutionen 1944 1947 Transit 15 1998 40 60 Vgl hierzu die Rezension zu dem 2003 erschienenen Band Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik Disziplinen im Vergleich Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Polnischer Westgedanke amp oldid 237330250