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Kategorisierung oder kategoriales Denken bezeichnet die kognitive Fahigkeit unterschiedliche Entitaten Gegenstande Lebewesen Vorgange Abstrakta intuitiv zu sortieren und entsprechenden Sammelbegriffen Kategorien unterzuordnen Diese Kategorien basieren auf bestimmten Ahnlichkeiten oder auf dem Abgleich mit dem theoretischen Vorwissen Die Kategorienbildung ist ein fundamentaler Vorgang bei der Interpretation und Bewertung von Wahrnehmungsinhalten dem Verstandnis von Konzepten und Objekten bei Entscheidungsprozessen und bei allen Arten der Interaktion mit der Umwelt 1 Demzufolge sind Kategorien die Grundbegriffe unseres Denkens 2 Kategorien werden gebraucht um die Welt zu ordnen und zu verstehen sie sind fundamental aber bedenklich wenn sie Abgrenzungen vorspiegeln die so nicht existieren etwa Menschenrassen oder wenn sie falsche Vorstellungen bewirken etwa Naturvolker Die Bezeichnungen Kategorisierung und Klassifizierung werden haufig in gleicher Bedeutung benutzt Klassifizierung steht jedoch im engeren Sinne eher fur die bewusst geplante Ordnung von Wissen im Rahmen einer konkreten Betrachtung nach objektivierbaren einheitlichen Kriterien haufig in Mathematik Naturwissenschaft und Technik 3 Demgegenuber bezeichnet Kategorisierung eher den unbewussten intuitiven oder tradierten Vorgang der Klassenbildung fur beliebige Objekte oder Ereignisse der alltaglichen Wahrnehmung Diese universelle Fahigkeit wird in Philosophie Psychologie Ethnologie und anderen anthropologischen Wissenschaften als wesentliche Grundlage der menschlichen Kulturentwicklung betrachtet 4 5 6 Im Gegensatz zu wissenschaftlichen Klassen sind Alltagskategorien voller Ausnahmen So mussen nicht alle Merkmale zutreffen die eine Kategorie bestimmen sondern nur eine hinreichend grosse Zahl etwa Strausse und Nandus konnen nicht fliegen dennoch ordnen auch Kinder sie spontan den Vogeln zu Ein anschauliches Beispiel fur den gezielten Einsatz der Kategorisierungsfahigkeit ist die Organisationsmethode des Mind Mappings Gedanken Landkarte Inhaltsverzeichnis 1 Kategorie und Chaos 1 1 Arten von Kategorien 1 2 Kategorienwandel 2 Erklarungsansatze 2 1 Die Klassische Ansicht 2 2 Kognitionswissenschaftliche Perspektive 3 Hierarchische Ordnung 4 Die Macht der Kategorien 5 Natur und Kultur Leitkategorie n mit Konfliktpotential 5 1 Europaische Weltanschauungen Der Mensch als Verursacher 5 1 1 Die allgemeine Auffassung 5 1 2 Philosophische Begriffskontroversen 5 1 3 Die Wurzeln der europaischen Leitkategorien 5 2 Chthonische Weltanschauungen Der Mensch als Kontrolleur 5 2 1 Fazit 6 Siehe auch 7 Literatur 8 EinzelnachweiseKategorie und Chaos Bearbeiten nbsp Leicht lassen sich Baume den Kategorien Laubbaum oder Nadelbaum zuordnen dagegen gehort ein Palmenbaum offensichtlich in eine andere Kategorie nbsp Im Mittelalter gehorten Fledermause als fliegende Tiere zur Kategorie Vogel Die Fahigkeit der Kategorisierung fur die verschiedene Erklarungsmodelle existieren setzt immer Abstraktion Begriffsbildung voraus Jeder Mensch ordnet unwillkurlich jegliche Objekte der Wahrnehmung in bekannte Kategorien ein Er kann dadurch adaquat auf eine Situation reagieren sich produktiv mit seiner Umwelt auseinandersetzen und effizienter kommunizieren Solche Kategorien ermoglichen uns unter anderem potentielle Gefahren schnell zu erkennen z B die Kategorien Schlangen Raubtiere Waffen und anderen Menschen etwas uber unsere eigene Wahrnehmung mitzuteilen Verhaltensbiologen gehen heute davon aus dass auch Tiere wie beispielsweise Menschenaffen 7 Pferde 8 oder gar Tauben 9 bereits mentale Kategorien bilden konnen Alltagskategorien bringen Ordnung in das Chaos und reduzieren die Unendlichkeit der Welt auf ein fassbares Mass 5 Dabei ist es unerheblich ob diese gedachte Ordnung tatsachlich der Realitat entspricht wie z B die jahrhundertelange Zuordnung der Fledermause zu den Vogeln 10 entscheidend ist ihre Tauglichkeit fur das Uberleben Die Gesamtheit unserer Kategorien bildet ein stark vereinfachtes wohl geordnetes Modell der Wirklichkeit Das gilt fur das hochkomplexe Theoriengebaude der modernen Wissenschaft fur die Daumenregeln des Alltags 11 und ebenso fur das mythisch magische Denken traditioneller indigener Kulturen 12 Mentale Kategorien existieren haufig in Form von komplementaren Begriffspaaren Dichotomien die je nach kulturellem Hintergrund als unvereinbare Gegensatze oder als sich gegenseitig bedingende Gegenspieler bzw wechselnde Zustande aufgefasst werden 5 13 Durch die Allgegenwart solcher Dichotomien wahr falsch lebendig tot alt jung schwarz weiss Nord Sud Mensch Tier Diesseits Jenseits Natur Kultur usw in den unterschiedlichsten Kulturen bezeichnete sie der Ethnologe Claude Levi Strauss als Grundmuster jeglicher Kategorisierung 12 Dass dabei eine Vielzahl von Gegensatzen einer logischen Prufung nicht standhalten und lediglich Gegenworte Antonyme ohne realen Hintergrund sind wie Hund Katze oder Hemd Hose spielt dabei keine Rolle sondern bekraftigt eher die Vorstellung eines beim Menschen angeborenen Dualismus 14 In vielen philosophischen Schulen der Antike z B bei Heraklit und Parmenides 15 der Neuzeit Descartes Schelling Jaspers Heidegger Sartre Popper u a und vor allem in den fernostlichen Weltanschauungen z B Yin und Yang im Daoismus 16 Hinduismus oder Buddhismus spielen dichotome Leitkategorien eine herausragende Rolle Arten von Kategorien Bearbeiten In der Psychologie werden nach der Art und Weise der Zuordnung verschiedene Systeme von intuitiven Kategorien unterschieden Eine wichtige Unterscheidung wird dabei zwischen Kategorien fur Lebewesen und fur tote Gegenstande gemacht Die Zuordnung zu Lebewesen basiert vor allem auf nicht sichtbaren Merkmalen dem angenommenen inneren Wesen weniger auf der ausseren Erscheinung Dies wird insbesondere bei der Zuordnung von Menschen zu bestimmten Kategorien wie z B Christen oder Studenten deutlich Leblose Objekte insbesondere kulturelle Artefakte werden hingegen ausschliesslich nach ausserlichen und funktionalen Merkmalen einsortiert Objekte die sich augenscheinlich nicht in eine Kategorie einordnen lassen galten in sehr vielen Kulturen als Manifestationen des Bosen des unberechenbaren Chaos Zu dieser Kategorie der Nichtkategorie gehoren beispielsweise Tiere wie die Schlange der Drache oder das Krokodil in ihrer mythologischen Symbolik 5 Kategorien die weitreichende Teile der Welt in einem Begriff zusammenfassen nennt man Leit oder Metakategorien Sie sind noch weit starker als einfache Begriffe Indikatoren fur die typischen Denkstrukturen in einer Kultur Leitkategorien in Industriegesellschaften sind beispielsweise die Dichotomien Ordnung Chaos Kultur Natur 5 sowie die Begriffe Fortschritt Vernunft Kontingenz Alles ist moglich 17 oder Abfall im Sinne von nutzlosen Objekten oder Menschen 18 Kategorienwandel Bearbeiten nbsp Eine Leitkategorie der Postmoderne ist der Abfall bezogen auf Guter und Verpackungen aber auch auf gescheiterte Menschen Er steht fur die Dinge die sich nicht mehr ins System integrieren lassen fur die Kehrseite des Wohlstandes 18 Da Kategorien nur ein Modell der Wirklichkeit darstellen ist es unvermeidlich dass sich Zuordnungen aufgrund neuer Erkenntnisse wandeln Beispiel Fledermaus und Biber werden heute nicht mehr den Vogeln bzw Fischen zusortiert sondern den Saugetieren Veranderungen bei den Leitkategorien spiegeln zudem den mehr oder weniger schnellen Kulturwandel jeder Sozietat wider siehe auch Soziokulturelle Evolution So wird die Kategorie Fortschritt seit dem Ubergang von der Moderne zur Postmoderne zunehmend kritisch gesehen 18 Ein weiteres Beispiel das fur viele Diskussionen gesorgt hat ist der Wandel der Sammelbezeichnung Naturvolker Diese wissenschaftliche Klasse des 19 Jahrhunderts wurde als Gegenbegriff zu den sogenannten Kulturvolkern gesehen und beruhten auf der falschen Vorstellung die Europaer wurden im Gegensatz zu anderen Volkern die Natur beherrschen 19 5 Mit der veranderten Bedeutung des Kulturbegriffes im 20 Jahrhundert wurde die Klasse Naturvolker in der Wissenschaft aufgegeben Im allgemeinen Sprachgebrauch existiert die Bezeichnung jedoch als konventionelle Kategorie weiter die heute nicht mehr mit einer negativ konnotierten angeblichen Kulturlosigkeit in Verbindung gebracht wird sondern mit der positiv konnotierten naturverbundenen Lebensweise der so genannten Menschengruppen Erklarungsansatze BearbeitenDie Klassische Ansicht Bearbeiten Die klassische Aristotelische Ansicht ist die dass Kategorien diskrete Entitaten sind die durch eine Menge an Eigenschaften charakterisiert werden die all ihren Elementen gemeinsam sind Es wird angenommen dass dies die Bedingungen bilden die sowohl notwendig als auch hinreichend fur die Erfassung von Bedeutung sind Kognitionswissenschaftliche Perspektive Bearbeiten In den 1970er Jahren wurde durch die Forschung von Eleanor Rosch und George Lakoff die Idee verbreitet dass Kategorisierung als ein Prozess angesehen werden kann der auf Prototypen basiert Die Prototypensemantik geht davon aus dass die idealen Kategorisierungen nie exakt stattfinden sondern sich nur einem abstrakten Prototypen graduell annahern konnen Hierarchische Ordnung Bearbeiten nbsp Die Kategorien der obersten Abstraktionsebene im chinesischen Yin Yang Symbol Die Welt erscheint uns durch und durch zweigeteilt komplementar gegensatzlichDie Kategorisierung der Welt fuhrt zu einer grossen Anzahl hierarchisch sortierter Abstraktionsebenen Zu jedem Begriff gibt es speziellere Unterbegriffe fur einen bestimmten Satz an Begriffen existieren wiederum allgemeinere Oberbegriffe Extension und Intension Begriffsumfang und Begriffsinhalt stehen zueinander in einem reziproken Verhaltnis Der allgemeinere Begriff verfugt uber hoheren Begriffsumfang und geringeren Begriffsinhalt Der speziellere Begriff verfugt uber geringeren Begriffsumfang bei hoherem Begriffsinhalt Aber auch diese Einteilungen haben Problemfalle bei denen man nicht exakt sagen kann wo ein Element einsortiert wird z B Rotkehlen Amsel Star Fledermaus Vogel Vogel Fische Insekten Tiere Tiere Pflanzen Pilze Lebewesen usw In der wissenschaftlichen Klassifizierung nennt man die Gesamtheit solcher Ordnungshierarchien Taxonomien Auf der obersten ontologischen Abstrahierungsebene munden die Kategorien wieder in ein komplementares Begriffspaar Die Welt erscheint getrennt in raumliche Gebilde und zeitliche Vorgange 20 die je nach Blickwinkel in verschiedenen Varianten wie Bestandigkeit Wandel Wiedergabe Neuschopfung Ruhe Bewegung ausgedruckt werden Alle Kategorien lassen sich auf diese zuruckfuhren Die Logik der Kategorisierung folgt unwillkurlich den Gesetzen des materiellen und sozialen Uberlebens 5 und dem ersten empfundenen Gegensatz menschlicher Wahrnehmung Ich Welt Auch hier wird wiederum deutlich dass es unvermeidlich ist die Welt in solche Kategorien zu splitten obwohl sie in Wirklichkeit ein integriertes Ganzes ist 21 Die Macht der Kategorien Bearbeiten nbsp Antisemitische Parolen im Dritten Reich bedienten sich ideologisch verfalschter Kategorien nbsp Wald gehort fur traditionelle Kulturen der Tropen zur obersten Leitkategorie existentieller unteilbarer Seinszusammenhang 19 In der westlichen Welt indes wird er vorrangig als in Geldeinheiten bewertbares teilbares Wirtschaftsgut betrachtetAlltagskategorien sind kulturell bestimmt Wahrend sie die Kommunikation innerhalb einer Kultur effizient vereinfachen konnen sie die Verstandigung mit Angehorigen anderer Kulturen erschweren Unterhalten sich beispielsweise ein Deutscher und ein Agypter uber Baume so ruft dieses Wort bei ersterem voraussichtlich die bildliche Vorstellung eines Laub oder Nadelbaumes hervor bei zweiterem hingegen vermutlich eher das Bild einer Palme Wird die Kategorie Baume nicht erklart konnen leicht Missverstandnisse entstehen 22 Je allgemeiner und abstrakter eine Kategorie ist desto grosser ist diese Gefahr Kategorien sind vergleichbar mit extrem stark komprimierten Digitalfotos Sie brauchen wenig Speicherplatz und sind sehr schnell abrufbar Ebenso ahnlich sind jedoch auch die Nachteile Bereits die fotografische Aufnahme reduziert die quasi unendliche dreidimensionale Welt auf einen winzigen zweidimensionalen Ausschnitt Die Komprimierung reduziert und verfalscht die Informationen dann nochmals in erheblichem Masse 23 Da die Auffassung der Wirklichkeit kraft unserer biologischen Voraussetzungen unweigerlich in einem extrem komprimierten Kategorienmodell erfolgt erfordert es philosophische Reflexion um zu erkennen dass es sich dabei nicht um die Realitat selbst handelt 24 Bereits Immanuel Kant postulierte diese wichtige Einschrankung unserer Erkenntnisfahigkeit die den unfassbaren Kosmos in begrifflich fassbare Einzelteile mit kunstlichen Grenzen und geistigen Zutaten zerlegt 25 Die bewusste Suche nach der Realitat hinter den Kategorien ist jedoch die Ausnahme da wir uns unweigerlich permanent am inneren Modell orientieren mussen um in der Welt zurechtzukommen So benutzen wir sehr haufig unsere erlernten Kategorien und Begriffe ohne genau zu wissen was sie reprasentieren 26 Besonders deutlich wird dies beim ersten Kontakt mit Fremden Es ist fast unmoglich keine personale Kategorisierung vorzunehmen sprich die Person aufgrund des ersten Eindrucks in eine vorhandene Schublade Stereotyp zu stecken Falls diese Schublade bereits mit Vorurteilen gefullt ist wird es schwierig die Person so kennenzulernen wie sie wirklich ist 27 Die verbluffenden Wirkungen der Erwartungshaltung aufgrund personaler Kategorien sind hinlanglich bekannt So konnen Schuler die einem neuen Lehrer falschlicherweise als Versager vorgestellt werden tatsachlich zum Versager werden wenn das Vorurteil bestehen bleibt Dies gilt selbst fur die Erwartungshaltung der Versuchsleiter wissenschaftlicher Experimente 13 Unsere inneres Weltmodell ist demnach ausgesprochen machtig es beeinflusst erheblich unser Urteilsvermogen und kann sogar verandernd auf die Realitat zuruckwirken siehe auch Selbsterfullende Prophezeiung Bei naherer Betrachtung ist es eine triviale Erkenntnis dass scharfe Grenzen zwischen Phanomenen in der Realitat die Ausnahme sind Tatsachlich bestehen fast ausschliesslich fliessende Ubergange 28 Kategorien suggerieren hingegen eindeutige Trennlinien 29 Die Grenzziehungsproblematik bei Vegetationszonen oder Kulturarealen sowie das Phanomen des Rassismus illustrieren dies eindrucklich Abgrenzende Kategorien sind in unseren Begriffen Vorstellungen und Werten allgegenwartig so dass sie die wesentliche Grundlage jeglicher Weltanschauung sind die bewusst oder unbewusst unsere Handlungen lenken 30 Auch in der modernen aufgeklarten Zeit pragen ideologisch verfalschte Vorstellungskonstrukte unser Leben massgeblich So ist es nicht verwunderlich dass heute mit mathematischen Kategorien wie dem Geldwert einer Sache oder ihrer wirtschaftlichen Bedeutung jegliches menschliche Tun legitimiert wird selbst wenn es sich um lebende Wesen oder existentielle Bedingungen wie reine Luft oder unvergiftetes Wasser handelt 31 19 Natur und Kultur Leitkategorie n mit Konfliktpotential Bearbeiten nbsp Natur und Kultur Zwei gegensatzliche Leitkategorien der westlichen Welt die wie alle Kategorien Grenzen setzen wo in Wirklichkeit keine Grenzen sind Wo endet Natur und wo beginnt Kultur Jede menschliche Gesellschaft hat ihr eigenes ontologisches Kategoriensystem um die Vielfalt der Welt begrifflich zu erfassen 32 Das Verstandnis fremder Leitkategorien erfordert eine aussergewohnlich hohe interkulturelle Kompetenz und ein tiefgehendes Verstandnis der jeweiligen Weltanschauung Die unterschiedlichen Auffassungen der Begriffe Natur und Kultur zeigen in diesem Zusammenhang welch grosses Konfliktpotential damit verbunden ist Dies ist besonders deutlich bei einem Vergleich der europaischen Auffassung mit der nicht industrialisierter traditioneller Volker zeigt sich jedoch bereits innerhalb der europaischen Philosophie Europaische Weltanschauungen Der Mensch als Verursacher Bearbeiten nbsp Der Mensch Sowohl Naturwesen als auch Kulturwesen Prufstein fur den philosophischen Diskurs um die Begriffe Natur und Kultur nbsp Auch die intakten Regenwalder am Amazonas wurden nachweislich durch jahrhundertelange anthropogene Einflusse gepragt Macht sie das bereits zu Kulturlandschaften nbsp Das Wildnisentwicklungsgebiet Oostvaardersplassen liegt auf einem kunstlich geschaffenen Polder wird jedoch seit 1972 nicht mehr genutzt Ist es jetzt eine Kultur oder eine Naturlandschaft nbsp Der Baum der Erkenntnis scheidet Gut und Bose in der christlichen Paradieserzahlung Die Natur ist keineswegs die grosse Urmutter die uns gebar Sie ist unsere Schopfung Es ist unsere Einbildungskraft die sie beseelt Oscar Wilde 33 Neue Kategorien und Begriffe werden immer dann gebildet wenn die Kommunikation uber bestimmte Gegenstande der Wahrnehmung oder gedankliche Konstrukte immer komplizierter wird Lassen sich neue Inhalte sinnvoll d h im Rahmen der Weltanschauung der Beteiligten in das bestehende gedankliche Ordnungssystem integrieren und unter einer Sammelbezeichnung zusammenfassen handelt es sich um eine neue Kategorie So geht der europaische Kulturbegriff auf die Innovation der Landwirtschaft in der Jungsteinzeit zuruck den Boden kultivieren 34 Je abstrakter also je mehr verallgemeinert und je weniger konkret eine Kategorie ist desto realitatsferner bildet sie die Welt ab und desto mehr dient sie vor allem dem Wir Gefuhl der Beteiligten Der Preis dieses Vorganges ist die Vermenschlichung der Welt Um sie besser zu verstehen werden kunstliche Grenzen gezogen 2 und eine stets latente Gefahr ist die Verwechslung dieses Weltmodelles mit der Wirklichkeit Die fur das europaische Denken wichtigen Leitkategorien Natur und Kultur sind ein eklatantes Beispiel fur die weitreichenden Folgen der innewohnenden ideologischen Komponente 35 Die allgemeine Auffassung Bearbeiten Im westlichen Alltagsdenken werden die beiden Ausdrucke in so unterschiedlichen Bedeutungen verwendet dass es nicht moglich ist eine exakte Definition zu formulieren Als einzig ubereinstimmender Aspekt wird im Allgemeinen der Bezug zum Menschen als Verursacher gesehen Das was nicht vom Menschen geschaffen wurde nennt man Natur im Gegensatz zur kunstlich erzeugten Kultur 34 Auf den ersten Blick scheint diese Grundsatzdefinition geeignet Natur und Kultur scharf voneinander abgrenzen zu konnen analog zu einem sich ausschliessenden Entweder oder Gegensatz wie Ursache oder Wirkung oder Leben oder Tod Bei naherer Betrachtung wird diese Bedeutungszuweisung jedoch immer problematischer je abstrakter die Begriffsverwendung ist Bezogen auf einzelne Objekte der Wahrnehmung ist die Zuweisung einfach obwohl es bereits hier Zweifelsfalle gibt Bar Pilz Stein Natur Haus Messer Sprache Kultur Hund Holz Mensch Im grosseren Massstab jedoch also im Sinne von Natur und Kulturlandschaften Walder Berge Flusse Stadte Acker Kanale ist die Definition in vielfaltiger Weise kritisierbar Auf dieser Ebene sind es eher zwei komplementare und polare Begriffe denn ein kategorischer Gegensatz Natur und Kultur schliessen sich nicht gegenseitig aus sondern markieren lediglich die gedachten Enden einer Skala mit fliessend ineinander ubergehenden Mischungszustanden Hemerobie A 1 Philosophische Begriffskontroversen Bearbeiten Die Abgrenzungsproblematik die bereits bei der allgemeinen Kategorisierung offenbar wird hat zu kontroversen Positionen in der europaischen Philosophie gefuhrt Ferner wird deutlich dass es bei diesen Auseinandersetzungen zwangslaufig um die ideologische Legitimation bestimmter Vorstellungen geht Nicht was Natur und Kultur sind sondern was sie sein sollen steht im Vordergrund 19 Dies verdeutlichen vor allem die beiden Extrempositionen des Naturalismus haufig vertreten durch Naturschutzer und des Kulturalismus haufig bei Vertretern der Wirtschaft A 2 Der Naturalist negiert Kultur durch die uberall wirksamen Naturgesetze und durch den Umstand dass der Mensch selbst in erster Linie ein naturlich entstandenes Wesen ist Er sieht fast uberall das unabanderliche Wirken der Natur sei es in Krankheiten und Naturkatastrophen oder im Lowenzahn der durch eine Asphaltschicht bricht Der Kulturalist hingegen negiert Natur in dem Sinne dass sie in erster Linie ein begriffliches Konstrukt des menschlichen Geistes sei und dass die Welt fast uberall und jederzeit dem menschlichen Zugriff unterlage Gerade in Zeiten des anthropogenen Klimawandels sei das Wirken des Menschen selbst in den entlegensten Regionen nachweisbar die meisten sogenannten Wildnisse wurden seit Jahrtausenden in irgendeiner Weise vom Menschen beeinflusst und jedes Naturschutzgebiet wird in seinen Grenzen vom Menschen definiert A 3 Besonders in Bereichen die gleichermassen natur und kulturwissenschaftliche Aspekte beruhren beispielsweise Kognitionswissenschaft Verhaltensforschung Systemwissenschaft Okologie Ethnologie findet die Kontroverse um die Definition von Natur und Kultur statt A 4 Da es nicht um die Realitat selbst geht sondern um Kategorienbegriffe sind alle Positionen anfechtbar Dies offenbart sich vor allem bei der Betrachtung des Menschen selbst So bringt der als Naturwesen gedachte Mensch auch das Nichtnaturliche hervor als Kulturwesen hingegen werden seine korperlichen Anlagen massgeblich von Nichtkulturellem bestimmt Die Auflosung des jeweils anderen Begriffes ist nicht moglich es bleibt bei der untrennbaren Dichotomie Setzt man stattdessen fliessende Ubergange zwischen den Polen Natur und Kultur voraus lasst sich keine Grenze beschreiben Ein zusatzliches ideologisches Problem ist die latente bewertende Nebenbedeutung der Begriffe die intuitive Verbindung zum Gegensatz von Gut und Bose Fur den Kulturalisten ist Natur haufig gleichbedeutend mit dem Wilden Unhistorischen Unverstandenen Chaotischen wahrend der Naturalist dieses Bose eher in der entfremdeten unnaturlichen entarteten unvollkommenen Kultur verorten wird A 5 Die Wurzeln der europaischen Leitkategorien Bearbeiten Gut und Bose sind typisch europaische Leitkategorien die eng mit den elementaren christlichen Wertvorstellungen in Zusammenhang stehen 36 Bereits in fruhchristlichen Schriften ist die Gleichsetzung des Bosen mit der ungezahmten Natur nachweisbar 37 Die europaische Ideologie Eurozentrismus ist sowohl von christlichen Werten als auch von der antiken Metaphysik grundlegend gepragt worden Letztere begrundeten das Prinzip der Vernunft und daraus folgend den Wunsch nach einer wissenschaftlich abgesicherten realistischen Welterklarung Das erfordert vor allem eine klare Abgrenzung des erkennenden Menschen von der Natur Dies gelingt unter anderem durch das Einfangen unbegrenzter fliessender Prozesse in begrenzenden Begriffen die sich an der materiellen Welt orientieren Physikalismus und durch eine vorwiegende Betrachtung von unten auf die so definierten Bausteine der Welt Reduktionismus statt von oben auf das komplexe Systemgeschehen Holismus 38 Chthonische Weltanschauungen Der Mensch als Kontrolleur Bearbeiten nbsp Tropischer Regenwald am Amazonas fur erdverbundene Ethnien keine furchteinflossende Wildnis sondern kulturelle Heimat nbsp Shona Schamane aus Simbabwe der Kontaktmann zur Geisterwelt eine von vielfaltigen Vorstellungen die gesamte Umwelt bis hin zum Ubernaturlichen im Einflussbereich des Menschen zu wahnen Dem Mann der in seinem Tipi auf der Erde sass und uber das Leben und seinen Sinn nachdachte an die Verwandtschaft aller Geschopfe glaubte und die Einheit allen Lebens in der Unendlichkeit erkannte offneten sich die Augen fur den Sinn jeder wirklichen Kultur Luther Standing Bear 39 Bei den meisten erdverbundenen chthonischen Gemeinschaften die nach altuberlieferten Weisen in enger Verflechtung mit ihrer Umwelt leben ist kein Naturbegriff im europaischen Sinne vorhanden Der Mensch sieht sich hier in der holistischen Auffassung der ethnischen Religionen als integraler untrennbarer Bestandteil seines Lebensraumes inklusive allen von ihm selbst geschaffenen Erzeugnisse und Ideen Diese Vorstellung hat bei einigen Ethnologen zu der Schlussfolgerung gefuhrt dass hier keine Kulturidee existieren wurde mithin keine Abgrenzung des Menschen und kein Dualismus von Natur und Kultur 40 41 Andere Anthropologen haben jedoch gezeigt dass bereits eine kleine Veranderung des Natur oder des Kulturbegriffes das scheinbare Fehlen dieser komplementaren Leitkategorie in traditionellen Kulturen widerlegt Wird Kultur ahnlich wie im europaischen Kulturalismus als alles was innerhalb der menschenmoglichen Wirksamkeit liegt und Natur als das ausserhalb liegende Andere definiert wird die gesamte Umwelt der Menschen zum Kulturbereich Tatsachlich betrachten sie alle Bereiche ihres Territoriums als beeinflussbar Selbst die Bereiche die der Europaer erst durch die Moglichkeiten der Technologie als beeinflussbar betrachtet Berge Flusse Klima Gesundheit stehen fur chthonische Menschen durch die Uberzeugung eines mythisch magischen Seinszusammenhanges zwischen Mensch Umwelt und Geisterwelt seit jeher unter ihrer Kontrolle siehe Totemismus Animismus Natur hingegen ist in diesem Sinne der Bereich der Welt der ausserhalb des bekannten Lebensraumes liegt Die Wildnis des Unbekannten die Heimat anderer Volker mit fremden unverstandlichen angsteinflossenden Eigenarten sowie die Welt der Gotter Werden die Begriffe Natur Kultur auf diese Weise transformiert wird die Verwandtschaft zum fruhchristlichen Denken erkennbar denn auch fur den chthonischen Menschen ist die Natur in der vorgenannten Begrifflichkeit das Bose Unbezahmbare Nicht Menschliche und die Kultur das Gute Bekannte und Menschliche 19 5 Bezogen auf den akademischen Streit um die Bezeichnung Naturvolker zeigt die vorgenannte Weltanschauung dass auch diese Menschen zu den Kulturvolkern zahlen so dass eine solche Unterscheidung obsolet wird Fazit Bearbeiten Die Existenz einer komplementaren ontologischen Leitkategorie ist vollig unabhangig davon ob ein abstraktes Begriffspaar wie Natur Kultur vorhanden ist oder nicht Der Unterschied zur westlichen Vorstellung ist graduell und nicht prinzipiell Die europaischen Vorstellungen durfen nicht ohne Weiteres auf die Vorstellungen anderer Kulturen ubertragen werden Leitkategorien sind niemals frei von ideologischen Zugen und reprasentieren nicht die realen Gegebenheiten sondern die Vorstellungen ihrer Schopfer Dabei ist festzuhalten dass es in diesem Sinne keine richtigen oder falschen Vorstellungen gibt 5 Siehe auch BearbeitenKategorie Philosophie Kategorie Psychologie Mentales Lexikon Soziale Kategorisierung Kriterium Distinktion Begriffsklarung Literatur BearbeitenMichael R Waldmann Konzepte und Kategorien In Joachim Funke Peter A Frensch Hrsg Handbuch der Allgemeinen Psychologie Kognition Hogrefe Gottingen u a 2006 ISBN 3 8409 1846 4 S 283 293 Einzelnachweise Bearbeiten A Gregor Schiemann 1 5 Natur Kultur und ihr Anderes In Friedrich Jaeger Burkhard Liebsch Hrsg Handbuch der Kulturwissenschaften Band 1 Grundlagen und Schlusselbegriffe Metzler Stuttgart Weimar 2004 ISBN 3 476 01881 4 Schiemann 2004 S 61 62 und 68 69 Schiemann 2004 S 71 Schiemann 2004 S 60 61 63 und 65 Schiemann 2004 S 68 Schiemann 2004 S 72 73 Sonstige Belege M I Jordan S Russel Categorization In The MIT Encyclopedia of the Cognitive Sciences MIT Press Cambridge 1999 S 104 106 englisch a b Franz Austeda Kategorien In Lexikon der Philosophie 6 erweiterte Auflage Hollinek Wien 1989 S 184 Hans Uszkoreit Brigitte Jorg Informationswissenschaft und Informationssysteme Vorlesungsskript Fachrichtung Allgemeine Linguistik Universitat des Saarlandes PDF auf uni saarland de Roland Posner Kultur als Zeichensystem Zur semiotischen Explikation kulturwissenschaftlicher Grundbegriffe In Aleida Assmann Dietrich Harth Hrsg Kultur als Lebenswelt und Monument Fischer Frankfurt am Main 1991 S 37 74 a b c d e f g h i Stephan Buhnen Kultur und Kulturen In Ulrich Veit Tobias L Kienlin Christoph Kummel Hrsg Spuren und Botschaften Waxmann Munster 2003 ISBN 3 8309 1229 3 S 494 497 Johannes Dolling Semantik und Pragmatik Vorlesungsskript Institut fur Linguistik Universitat Leipzig PDF auf uni leipzig de R Leakey R Lewin Der Ursprung des Menschen Fischer Frankfurt am Main 1998 S 303 304 E B Hanggi J F Ingersoll Long term memory for categories and concepts in horses Equus caballus In Animal Cognition 12 3 2009 S 451 462 Perspektiven Tauben als Kunstkenner Monet oder Picasso In FOCUS Magazin Nr 18 29 April 1995 Ministerium fur Landliche Entwicklung Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg Nachtschwarmer Fledermausschutz in Brandenburg Potsdam 2008 Expertenentscheidungen Gekonnt einfach Max Planck Institut fur Bildungsforschung Berlin 31 Juli 2013 abgerufen am 10 September 2014 a b Claude Levi Strauss La pensee sauvage 1962 Deutsche Ausgabe Das wilde Denken Ubersetzung von Hans Naumann Suhrkamp Frankfurt am Main 1968 a b Hanna Rheinz Die manipulierte Seele Thieme Stuttgart 1995 S 90 107 Richard Dawkins Der Gotteswahn 10 Auflage Ullstein Berlin 2011 S 250 Wilhelm 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Bettendorf Munchen u a 1996 ISBN 3 88498 091 2 S 80 Gerhard Vollmer Biophilosophie 1 Auflage Reclam Stuttgart 1995 S 110 111 114 116 Wilhelm Weischedel Die philosophische Hintertreppe dtv Munchen 1994 S 185 Hans Ludwig Freese Kinder sind Philosophen 6 Auflage Quadriga Weinheim 1996 S 155 Ilona Pache Ethnisch kulturelle Personenbezeichnungen Zur kategorialen Organisation von Diskurs und Gemeinschaft In Siegfried Jager Hrsg Aus der Werkstatt Antirassistische Praxen Konzepte Erfahrungen Forschung Duisburg 1994 ISBN 3 927388 45 9 S 291 302 Hoimar von Ditfurth Im Anfang war der Wasserstoff 11 Auflage dtv Munchen 1990 S 136 Franz Austeda Schlagwort Begriff im Lexikon der Philosophie 6 erweiterte Auflage Verlag Bruder Hollinek Wien 1989 S 38 Ervin Laszlo System Theorie als Weltanschauung Diederichs Munchen 1998 S 23 24 Konrad Lorenz Der Abbau des Menschlichen 6 Auflage Piper Munchen 1986 Bezug auf Thomas Luckmann und Peter L Berger S 198 199 Dieter Haller Text Bernd Rodekohr Illustrationen 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