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Kantonsverfassungen frz constitution cantonale ital costituzione cantonale rat constituziun chantunala sind die Verfassungen der Schweizer Kantone Im normativen Sinn bestehen sie aus den hierarchisch hochsten Normen der kantonalen Rechtsordnung Im materiellen Sinn enthalten die Kantonsverfassungen die fur das kantonale Staatswesen wichtigsten Regeln und Normen Im instrumentalen Sinn verstehen sich die Kantonsverfassungen als Kodifikation als einheitliches Dokument in dem die kantonalrechtliche Grundordnung festgelegt ist 1 Inhaltsverzeichnis 1 Funktion 2 Merkmale 3 Gewahrleistung 3 1 Funktion 3 2 Anforderungen an die Kantonsverfassungen 3 3 Verfahren 4 Jungere Totalrevisionen 5 Kantonsverfassungen im Uberblick 6 Historische Entwicklung 7 Literatur 8 EinzelnachweiseFunktion BearbeitenMit ihren Verfassungen definieren sich die Kantone als Gliedstaaten der Schweizerischen Eidgenossenschaft als welche sie von der Bundesverfassung anerkannt sind 2 Als normative Grundlagen des kantonalen Staatsrechts beschlagen die Kantonsverfassungen den gesamten Bereich der bundesrechtlich geschutzten Verfassungsautonomie der Kantone 3 Aufgrund des foderalen Staatsaufbaus sind die Kantone derivative Volkerrechtssubjekte mit eigenen Parlamenten Regierungen und Gerichten Alle staatlichen Bereiche die nicht von der Bundesverfassung dem Bund zugewiesen bzw von einem Bundesgesetz geregelt werden liegen in der Kompetenz der Kantone Innerhalb dieser Kompetenzen die von den Kantonsverfassungen und den daraus abgeleiteten Gesetzen geregelt werden konnen auch Staatsvertrage untereinander sogenannte Konkordate oder mit fremden Staaten geschlossen werden Die Kantone ihrerseits gewahren den Gemeinden und in seltenen Fallen den Bezirken eine gewisse Autonomie Zentrale Aufgaben der Kantonsverfassung ist es die Organe zu bestimmen die im Namen des Kantons handlungsberechtigt sind Im Wesentlichen gehoren dazu das Volk das Parlament die Regierung die Verwaltung und die Gerichte Es obliegt der Kantonsverfassung deren Zusammensetzung Zustandigkeit und Funktionsweise zumindest in den grossen Linien festzulegen Diese organisatorischen Bestimmungen nehmen in allen Kantonsverfassungen einen dominanten Platz ein Fast alle Kantonsverfassungen verfugen auch uber eine mehr oder weniger umfangreiche Aufzahlung der Staatsaufgaben womit sie auch den Inhalt der Tatigkeiten ihrer Organe abdecken Eine klassische Verfassungsfunktion ist sodann die Machtbegrenzung der staatlichen Organe direkte Demokratie Aufteilung der offentlichen Gewalt unter mehreren Staatsorganen die Dezentralisierung des Kantons sowie in einigen Verfassungen allerdings in erster Linie in Form eines Verweises auf die Bundesverfassung die Gewahrleistung der Grundrechte Uberdies bestimmen die Kantonsverfassungen das Verhaltnis zwischen Staat und Kirche 4 Merkmale BearbeitenDie 26 Kantone bilden zusammen den Schweizer Bundesstaat Zwar sind die Kantone organisatorisch selbststandig mussen aber nach Artikel 51 der Bundesverfassung von 1999 die Gewahrleistung des Bundes fur ihre Verfassungen einholen Diese wird erteilt sofern eine Kantonsverfassung mindestens reprasentativ demokratisch ausgestaltet ist das Verfassungsreferendum und die Verfassungsinitiative enthalt sowie mit dem Bundesrecht vereinbar ist 5 Die Kantone sind souveran soweit ihre Souveranitat nicht durch die Bundesverfassung beschrankt ist 6 Die Verfassungen sind mit Ausnahme derjenigen der Landsgemeindekantone institutionell stark vom liberalen gewaltenteiligen und individualistisch demokratischen Staatsrecht der Aufklarungszeit der Amerikanischen und Franzosischen Revolution beeinflusst das dann eine spezifisch schweizerische Pragung durch vorbestehende republikanische und genossenschaftliche Traditionen erhielt Die Kantone sind durchwegs starker demokratisiert als der Bund Allen Kantonen ist die kollegial organisierte und vom Volk direkt auf feste Amtsdauer gewahlte Regierung sowie das Einkammerparlament gemeinsam Die Kantonsparlamente werden heute in allen Kantonen mit Ausnahme von Appenzell Innerrhoden und Graubunden im Verhaltniswahlverfahren gewahlt gemischte Systeme in den Kantonen Uri Appenzell Ausserrhoden und Zug Ausser im Tessin werden die Kantonsregierungen im Mehrheitswahlverfahren gewahlt 6 Institutionell unterscheiden sich die Kantone vor allem in der Art in der das Volk am Prozess der staatlichen Willensbildung teilnimmt Dies geschieht in der Regel durch obligatorische und fakultative Gesetzesreferenden Das obligatorische Gesetzesreferendum besteht heute vorwiegend in Landkantonen mit einer alten genossenschaftlich demokratischen Tradition so in den ehemaligen Landsgemeindekantonen Uri Schwyz sowie in Graubunden oder aber in Kantonen die eine starke demokratische Bewegung erlebt haben Solothurn Basel Landschaft Aargau 6 In allen Kantonen haben sich die Gesetzesinitiative und das Finanzreferendum das dem Volk die Entscheidung uber grossere Staatsausgaben vorbehalt und deshalb von grosser praktischer Bedeutung ist durchgesetzt Die Kantone kennen sodann weitere Formen des Referendums beispielsweise Referenden gegen Konzessionsbeschlusse Bern Uri Graubunden Ein Initiativrecht in Verwaltungssachen gilt hingegen nur in wenigen Kantonen In einigen Kantonen sind ausserdem noch weitere demokratische Rechte verankert so in Zurich die Einzelinitiative und die Behordeninitiative in Bern und Nidwalden das konstruktive Referendum in Glarus der Memorialsantrag in Freiburg Schaffhausen und Solothurn die Volksmotion in Appenzell Ausserrhoden die Volksdiskussion und in Appenzell Innerrhoden das Einzelinitiativrecht der Landsgemeindeteilnehmer Manche Kantone kennen ausserdem ein Abberufungsrecht des Volkes gegenuber Parlament und oder Regierung 6 Die Gemeindeautonomie ist in den Kantonen der Deutschschweiz starker ausgepragt als in der lateinischen Schweiz 7 Dies widerspiegelt sich auch in der Praferenz fur Gemeindeversammlungen wahrend in franzosisch und italienischsprachigen Kantonen Gemeindeparlamente vorherrschen Im Kanton Schwyz sind die Bezirke zugleich offentliche Korporationen mit eigener Rechtspersonlichkeit weshalb sie ebenfalls eine gewisse Autonomie besitzen 8 Gewahrleistung BearbeitenFunktion Bearbeiten Die Gewahrleistung der Kantonsverfassungen ist eine der drei Bundesgarantien die dazu dienen trotz der regionalen Unterschiede im Bundesstaat eine gewisse Einheitlichkeit herzustellen Er kann nur dann Bestand haben wenn die staatsrechtliche Ordnung in den Kantonen nicht zu stark von jener des Bundes oder untereinander abweicht Sodann stellt die Gewahrleistung sicher dass die Kantonsverfassungen den Rahmen des Bundesrechts beachten Die Kantone sind in der Festlegung ihrer verfassungsrechtlichen Ordnung grundsatzlich autonom Der Bund schrankt ihre Eigenstandigkeit nur da ein wo die Bundesverfassung gewisse Forderungen aufstellt Einerseits mussen die Kantonsverfassungen gewissen Anforderungen genugen Art 51 Abs 1 BV andererseits mussen die Kantone samtliche Verfassungsanderungen der Bundesversammlung zur Genehmigung der sogenannten Gewahrleistung vorzulegen 9 Anforderungen an die Kantonsverfassungen Bearbeiten Die wichtigste Anforderung an die Kantonsverfassungen ist die Ubereinstimmung mit dem Bundesrecht wobei alle Normen des Bundesrechts Verordnungen Gesetze Verfassungsnormen den Vorrang geniessen Art 49 Abs 1 BV Des Weiteren mussen sich die Kantone als Demokratien konstituieren Gesetze mussen also durch ein Parlament erlassen werden das vom Volk gewahlt wurde Ebenso werden ein obligatorisches Verfassungsreferendum und eine Verfassungsinitiative verlangt Obwohl die Bundesverfassung nicht von den Kantonen verlangt sich als direkte Demokratien zu organisieren haben sich alle Kantone wenngleich in unterschiedlichem Mass dafur entschieden Sodann muss die Verfassung revidiert werden konnen wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten es verlangt Daraus folgt dass die Verfassung jederzeit geandert werden darf und dass sie sich auf beliebige Verfassungsinhalte im Rahmen des Bundesrechts beziehen kann Letzteres schliesst Ewigkeitsklauseln wie sie das Deutsche Grundgesetz in Art 79 Abs 3 vorsieht aus 10 Verfahren Bearbeiten Die Kantone mussen jede Revision ihrer Verfassungen der Bundesversammlung zur Gewahrleistung unterbreiten Sie uberpruft die Verfassungen dahingehend ob sie den Anforderungen aus Art 51 BV genugen Dadurch ist sie auf eine reine Rechtskontrolle beschrankt und sollte politische Argumente nicht einfliessen lassen Das lasst sich jedoch nicht leicht verwirklichen zumal die Bundesversammlung eine politische und keine rechtliche Instanz ist 11 Mit dem Gewahrleistungsbeschluss stellt die Bundesversammlung fest dass die Kantonsverfassung den bundesrechtlichen Anforderungen genugt Die Anderung der Kantonsverfassung tritt jedoch schon vor der Gewahrleistung in Kraft Wird die Anderung jedoch verweigert ist die Verfassungsbestimmung nichtig Samtliche rechtsanwendende Behorden sind an diesen Beschluss gebunden und weder die Kantone noch die Burger haben eine Moglichkeit die Entscheidung vor einem Gericht anzufechten 12 Das Bundesgericht erachtet sich wegen Art 189 Abs 4 BV als an den Gewahrleistungsbeschluss gebunden Diese Bindung erstreckt sich auf die kantonalen Gesetze sofern sie mit der Verfassungsnorm ubereinstimmen Wahrend die abstrakte Normenkontrolle ausgeschlossen ist besteht die Moglichleit einer konkreten Normenkontrolle in bestimmten Fallen Kantonsverfassungen konnen dann auf Ubereinstimmung mit ubergeordnetem Recht uberpruft werden wenn dieses zum Zeitpunkt der Gewahrleistung noch nicht in Kraft war Diesen Kurswechsel vollzog das Bundesgericht im Jahr 1985 13 Es handelte sich bei diesem Urteil um die Frage ob Art 43 Abs 1 der Kantonsverfassung von Appenzell Innerrhoden vor Art 6 der EMRK standhalte die erst nach der Gewahrleistung der Kantonsverfassung von der Schweiz ratifiziert worden war Im Verfahren um das Stimmrecht von Frauen in Appenzell Innerrhoden dehnte das Bundesgericht diese Sichtweise auf das gesamte der Kantonsverfassung ubergeordnete Recht aus 14 Somit kann in konkreten Anwendungsfallen vor dem Bundesgericht Beschwerde eingelegt werden dass eine Bestimmung einer Kantonsverfassung gegen Verfassungs oder Volkerrecht verstosse sofern dieses nach der Gewahrleistung in Kraft getreten ist sonst nicht 15 Jungere Totalrevisionen BearbeitenIn den 1960er Jahren setzte eine Welle von Totalrevisionen der Kantonsverfassungen ein Ein erster Meilenstein war die Verfassung des neugegrundeten Kantons Jura 1977 die mit dem Bezug auf die Menschenrechtserklarungen und konventionen den ausgebauten Sozialzielen und Staatszielen sowie einer kantonalen Verfassungsgerichtsbarkeit neue Akzente im kantonalen Staatsrecht setzte Wegweisend war darauf die neue Verfassung des Kantons Aargau 1980 die Gegenstand einer wissenschaftlichen Aufarbeitung des kantonalen Staatsrecht durch den Rechtsprofessor Kurt Eichenberger war und starken Einfluss auf die nachfolgenden Revisionen kantonaler Verfassungen ausubte Einen eigentlichen Angelpunkt bildete die neue Berner Kantonsverfassung 1993 welche den Verfassungsreformprozess im Bund beeinflusste und als Katalysator fur weitere Totalrevisionen der kantonalen Grundgesetze wirkte 16 Die aktuelle Welle der Totalrevisionen trug und tragt dazu bei ein Jahrhundert des Mauerblumchendaseins der kantonalen Verfassungen zu beenden und diesen wieder ihre Rolle zu geben die der zentralen Stellung der Kantone in der Schweizerischen Eidgenossenschaft entspricht Unterstutzt wurde die Aufwertung der Kantonsverfassungen dadurch dass im spateren 20 Jahrhundert das bisher weithin geltende obligatorische Gesetzesreferendum in der grossen Mehrheit der Kantone durch ein fakultatives abgelost wurde wodurch die Stellung der Verfassung die uberall weiterhin dem obligatorischen Referendum untersteht eine herausragende Position erhalten hat Zudem losten die Totalrevisionsprozesse neue Entwicklungen im kantonalen Recht aus die zeigen dass sich die Kantonsverfassungen im Rechtsleben der Kantone tatsachlich durchzusetzen vermogen 17 Kantonsverfassungen im Uberblick Bearbeiten Stand April 2021 Kanton Titel Datum Gesetzesreferendum Abberufungsrechte BesonderesKanton Zurich Zurich Verfassung des Kantons Zurich 18 27 Februar 2005 fakultativ Einzelinitiative BehordeninitiativeKanton Bern Bern Verfassung des Kantons Bern Constitution du canton de Berne 19 6 Juni 1993 fakultativ Parlament Regierung konstruktives ReferendumKanton Luzern Luzern Verfassung des Kantons Luzern 20 17 Juni 2007 teilweise obligatorischKanton Uri Uri Verfassung des Kantons Uri 21 28 Oktober 1984 obligatorisch alle gewahlten BehordenKanton Schwyz Schwyz Verfassung des Kantons Schwyz 22 24 November 2010 teilweise obligatorischKanton Obwalden Obwalden Verfassung des Kantons Obwalden 23 19 Mai 1968 fakultativKanton Nidwalden Nidwalden Verfassung des Kantons Nidwalden 24 10 Oktober 1965 fakultativ konstruktives ReferendumKanton Glarus Glarus Verfassung des Kantons Glarus 25 1 Mai 1988 obligatorisch Landsgemeinde MemorialsantragKanton Zug Zug Verfassung des Kantons Zug 26 31 Januar 1894 fakultativKanton Freiburg Freiburg Verfassung des Kantons Freiburg Constitution du canton de Fribourg 27 16 Mai 2004 fakultativ VolksmotionKanton Solothurn Solothurn Verfassung des Kantons Solothurn 28 8 Juni 1986 teilweise obligatorisch Parlament Regierung VolksmotionKanton Basel Stadt Basel Stadt Verfassung des Kantons Basel Stadt 29 23 Marz 2005 fakultativKanton Basel Landschaft Basel Landschaft Verfassung des Kantons Basel Landschaft 30 17 Mai 1984 teilweise obligatorischKanton Schaffhausen Schaffhausen Verfassung des Kantons Schaffhausen 31 17 Juni 2002 teilweise obligatorisch Parlament Regierung VolksmotionKanton Appenzell Ausserrhoden Appenzell Ausserrhoden Verfassung des Kantons Appenzell Ausserrhoden 32 30 April 1995 fakultativ VolksdiskussionKanton Appenzell Innerrhoden Appenzell Innerrhoden Verfassung fur den Eidgenossischen Stand Appenzell Innerrhoden 33 24 November 1872 obligatorisch Landsgemeinde EinzelinitiativeKanton St Gallen St Gallen Verfassung des Kantons St Gallen 34 10 Juni 2001 fakultativKanton Graubunden Graubunden Verfassung des Kantons Graubunden Constituziun dal chantun Grischun Costituzione del Cantone dei Grigioni 35 14 September 2003 fakultativKanton Aargau Aargau Verfassung des Kantons Aargau 36 25 Juni 1980 teilweise obligatorischKanton Thurgau Thurgau Verfassung des Kantons Thurgau 37 16 Marz 1987 fakultativ Parlament RegierungKanton Tessin Tessin Costituzione della Repubblica e Cantone Ticino 38 14 Dezember 1997 fakultativ RegierungKanton Waadt Waadt Constitution du Canton de Vaud 39 14 April 2003 fakultativKanton Wallis Wallis Verfassung des Kantons Wallis Constitution du canton du Valais 40 8 Marz 1907 fakultativKanton Neuenburg Neuenburg Constitution de la Republique et Canton de Neuchatel 41 24 September 2000 fakultativKanton Genf Genf Constitution de la Republique et Canton de Geneve 42 14 Oktober 2012 fakultativKanton Jura Jura Constitution de la Republique et Canton du Jura 43 20 Marz 1977 fakultativHistorische Entwicklung BearbeitenDie im Spatmittelalter aus reichsunmittelbaren Talschaften reichsfreien Stadten und Gemeindeverbanden entstandenen Kantone kannten keine Verfassungen im modernen Sinn Die Regeln und Prinzipien der Machtstrukturen wurden in Satzungen Urkunden und Briefen festgelegt die durchaus schon einzelne Verfassungsfunktionen ausubten namentlich jene der Organisation und der Legitimation Bezugspunkt waren allerdings nichtstaatliche Organisationen und Institutionen wie Zunfte Patrizierfamilien oder die Landsgemeinde nicht wie heute das Staatswesen Beispiele fur solche vormoderne Verfassungen sind die von der Glarner Landsgemeinde 1387 beschlossenen Landsatzungen welche die Grundlagen des Freistaates festlegten die Loosordnung des Standes Bern von 1710 die die Wahl der Exekutivbehorden dem Zufall uberliess der Zurcher Geschworene Brief von 1713 in welchem Ordnung und Regiment gesetzt wurde die 25 Landpuncte von Schwyz von 1719 welche die Hierarchie der Rate festschrieb und die jahrliche Landsgemeinde als grosste Gewalt und Landesfurst bezeichnete sowie das Luzerner Fondamentalgesetz fur alle zukunftigen Zeiten von 1773 das die Privilegien der Gnadigen Herren und Obern verteidigte 44 Mit dem Erlass der Mediationsakte durch Napoleon Bonaparte im Jahr 1803 erhielten die Kantone erstmals geschriebene Verfassungen im modernen Sinn Diese lehnten sich zwar an die vor der helvetischen Revolution von 1798 bestehenden Strukturen an waren jedoch freiheitlicher und demokratischer In den Stadteorten erlangten die alten patrizischen Familien trotzdem wieder eine fuhrende Stellung Zu Beginn der Restauration ab 1815 erliessen die Kantone neue Verfassungen die sich stark an die vorrevolutionaren Verhaltnisse anlehnten Reste der demokratischen und liberalen Errungenschaften konnten sich vor allem in den Verfassungen der neuen Kantone Aargau Genf St Gallen Tessin Thurgau und Waadt halten 45 1830 gab die franzosische Julirevolution den ausseren Anlass zu Machtwechseln in den Kantonen Aargau Bern Freiburg Luzern Schaffhausen Solothurn St Gallen Tessin Thurgau Waadt und Zurich nach der Basler Kantonstrennung von 1833 auch in Basel Landschaft Die in der Regeneration geschaffenen staatsrechtlichen Grundlagen pragen die Kantonsverfassungen und die politischen Systeme bis heute Wesentlich beeinflusst sind sie von den politischen Ideen der Aufklarung bzw vom amerikanischen und franzosischen Verfassungsdenken Das individualistische Freiheitsverstandnis die Rechtsgleichheit und die Gewaltenteilung fanden nun Eingang in die Kantonsverfassungen Die Volkssouveranitat wurde als Verfassungsprinzip festgelegt allerdings bestand in der politischen Praxis eher eine Parlamentssouveranitat Zwar kannten einzelne Kantone weiterhin Zensuswahlrechte oder indirekte Wahlverfahren meistenorts galten aber das allgemeine und gleiche Wahlrecht der Manner sowie die Verteilung der Parlamentssitze nach dem Kopfzahlprinzip Das obligatorische Verfassungsreferendum gehorte zum Kernbestand jener Verfassungen Die meisten Grundgesetze fuhrten besondere Verfassungsrate ein Sechs Kantone kannten die Volksinitiative auf Totalrevision der Verfassung St Gallen 1831 Basel Landschaft 1833 und Luzern 1841 verankerten das Veto den Vorlaufer des Gesetzesreferendums 1846 fuhrte Waadt die Initiativrecht ein Bern im selben Jahr das plebiszitare Gesetzesreferendum und die Abberufung des Parlaments durch das Volk ein Als erster Kanton sah Genf 1847 die direkte Volkswahl der Exekutive vor Viele Kantone fuhrten nach franzosisch helvetischem Vorbild das Direktorialsystem fur ihre funf bis neunkopfigen Exekutiven ein ausserdem verankerten alle Regenerationskantone die Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Gerichten 45 In den Regenerationskantonen beherrschte das liberale Establishment das Parlament und bestimmte mit diesem die politische und wirtschaftliche Entwicklung Gegen diese Dominanz wandten sich ab 1848 die demokratischen Bewegungen welche die Verwirklichung wirtschaftspolitischer egalitarer und sozialpolitischer Ziele durch Einfuhrung direktdemokratischer Mittel verfolgten Die ersten in diesem Sinn demokratisch beeinflussten Verfassungen waren diejenigen von Aargau und Solothurn die in den 1850er Jahren das Abberufungsrecht das Gesetzesinitiativrecht und das Gesetzesreferendum einfuhrten Neuenburg verankerte 1858 das Finanzreferendum in seiner Verfassung Die eigentliche Demokratische Bewegung der 1860er Jahre die von Basel Landschaft ausging und sich vor allem in der Nord und der Ostschweiz auswirkte war vom Kampf des landstadtischen Mittelstandes und der kleinburgerlichen Schichten gegen die Vormachtstellung des hauptstadtischen Grossburgertums gepragt Musterbeispiel fur eine Verfassung aus dieser Ara ist jene des Kantons Zurich von 1869 die mit dem obligatorischen Gesetzesreferendum der Gesetzes und der Einzelinitiative dem Finanzreferendum der Volkswahl der Exekutive sowie derjenigen der Standerate zahlreiche direktdemokratische Elemente enthielt Andere Kantone fuhrten zudem das Abwahlrecht fur das Parlament oder teilweise auch fur die Exekutive ein Die Errungenschaften der demokratischen Kantonsverfassungen wurden auf eidgenossischer Ebene zum Teil in der revidierten Bundesverfassung von 1874 ubernommen Alle Kantone sahen in der Folge Gesetzesreferendum und Gesetzesinitiative vor zuletzt Freiburg im Jahr 1920 Von 1890 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs fuhrten ferner die meisten Kantone das Verhaltniswahlrecht fur ihre Parlamente ein 45 Wesentliche Teile des Aufgabenbereiches der Kantone verlagerten sich ab 1848 auf den Bund In einer ersten Phase wurde dem Bund die Zustandigkeit fur die Gesetzgebung im Zivil und Strafrecht ubertragen wobei die Kantone den Justizvollzug in diesen Bereichen behielten Ab den 1920er Jahren war der Bund auch fur die Wirtschafts und Sozialgesetzgebung zustandig Nach dem Zweiten Weltkrieg ubernahm der Bund weitgehende Gesetzgebungskompetenzen etwa im Bereich des Verkehrs der Technik und des Umweltschutzes dabei wurde den Kantonen haufig der Verwaltungsvollzug belassen Vollzugsfoderalismus Zu den wichtigsten verbliebenen Aufgaben der Kantone gehoren die direkten Steuern das Bildungs und Gesundheitswesen das Polizeiwesen die Regelung der kirchlichen Verhaltnisse und die kulturellen Angelegenheiten 6 Eine Sonderstellung nahmen die Verfassungen der Landsgemeindekantone ein Die dort in der Regel jahrlich stattfindende Versammlung der Stimmberechtigten ist das oberste Staatsorgan mit weitreichenden Befugnissen Die Landrate wandelten sich allerdings nach und nach zu modernen Parlamenten das liberale individualistische Freiheitsverstandnis verdrangte das uberkommene genossenschaftliche und die Gewaltenteilung erzielte grosse Fortschritte Seit der Entstehung des Bundesstaats im Jahr 1848 trugen sechs Kantone diesem Wandel Rechnung und schufen auch aus Grunden der Praktikabilitat diese Form der Demokratie ab Schwyz und Zug 1848 Uri 1928 Nidwalden 1996 Appenzell Ausserrhoden 1997 Obwalden 1998 Landsgemeinden werden heute nur noch in Glarus und Appenzell Innerrhoden abgehalten Auch die Verfassungen dieser beiden Kantone sind als Mischsysteme von Versammlungs Parlaments und Urnendemokratie zu interpretieren 7 Infolge der markanten Bedeutungszunahme der Verwaltung und der Direktwahl der Regierungen durch das Volk erlangte in allen Kantonen die Exekutive gegenuber dem Parlament faktisch eine Vormachtstellung Die Justiz ist in den Kantonsverfassungen in zwei Hierarchiestufen gegliedert Mehrere Kantone kannten noch Geschworenengerichte bis diese indirekt mit der Schweizer Strafprozessordnung 2011 endgultig abgeschafft wurden da sie keine Prozesse nach dem Unmittelbarkeitsprinzip vorsieht 46 Seit der Abschaffung des Kassationsgerichts im Kanton Zurich 2012 im Gefolge der neuen schweizweit gultigen Prozessordnungen existiert eine solche Institution in keinem Kanton mehr 47 Hingegen kennen die meisten hauptsachlich die deutschsprachigen und mehrsprachigen Kantone auf Gemeinde Kreis Regions oder auch Kantonsebene Schlichtungsbehorden je nach Kanton auch Friedensrichter oder Vermittler genannt Seit Mitte des 20 Jahrhunderts wurden Verwaltungsgerichte eingefuhrt und drei Kantone richteten Verfassungsgerichte ein Nidwalden Basel Landschaft Jura 7 Seit der Regenerationszeit enthalten die Kantonsverfassungen Kataloge mit Freiheitsrechten Deren Relevanz ist jedoch durch die schopferische Rechtsprechung des Bundesgerichts ab den 1960er Jahren und die Totalrevision der Bundesverfassung 1999 geringer geworden Die kantonalen Freiheitsrechte erlangen nur noch dann Bedeutung wenn ihr Schutzbereich uber denjenigen der Rechte des Bundes hinausgeht Durch die Gewahrleistung selbststandiger Grundrechte konnen die Kantone aber weiterhin eine Vorreiterrolle gegenuber dem Bund einnehmen wie sie das bereits im 19 und 20 Jahrhundert getan haben 7 Literatur BearbeitenAndreas Auer Staatsrecht der schweizerischen Kantone Stampfli Verlag Bern 2016 ISBN 978 3 7272 3217 6 besonders S 185 260 Alfred Kolz Kantonsverfassungen In Historisches Lexikon der Schweiz Einzelnachweise Bearbeiten Andreas Auer Staatsrecht der schweizerischen Kantone Stampfli Verlag Bern 2016 S 188 f Andreas Auer Staatsrecht der schweizerischen Kantone Stampfli Verlag Bern 2016 S 198 Andreas Auer Staatsrecht der schweizerischen Kantone Stampfli Verlag Bern 2016 S 250 Andreas Auer Staatsrecht der schweizerischen Kantone Stampfli Verlag Bern 2016 S 199 201 Andreas Auer Staatsrecht der schweizerischen Kantone Stampfli Verlag Bern 2016 S 225 231 a b c d e HLS Artikel Kantonsverfassungen Kapitel Aktuelle Kantonsverfassungen a b c d HLS Artikel Kantonsverfassungen Kapitel Kantonsverfassungen Stand 2007 Anne Marie Dubler Bezirk In Historisches Lexikon der Schweiz 9 Marz 2011 abgerufen am 4 April 2021 Ulrich Hafelin Walter Haller Helen Keller Daniela Thurnherr Schweizerisches Bundesstaatsrecht 10 vollstandig uberarbeitete und erweiterte Auflage Schulthess Zurich Basel Genf 2020 ISBN 978 3 7255 8079 8 S 336 Pierre Tschannen Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft Stampflis juristische Lehrbucher 5 Auflage Stampfli Verlag Bern 2021 ISBN 978 3 7272 8928 6 S 268 Ulrich Hafelin Walter Haller Helen Keller Daniela Thurnherr Schweizerisches Bundesstaatsrecht 10 vollstandig uberarbeitete und erweiterte Auflage Schulthess Zurich Basel Genf 2020 ISBN 978 3 7255 8079 8 S 339 Ulrich Hafelin Walter Haller Helen Keller Daniela Thurnherr Schweizerisches Bundesstaatsrecht 10 vollstandig uberarbeitete und erweiterte Auflage Schulthess Zurich Basel Genf 2020 ISBN 978 3 7255 8079 8 S 340 Urteilskopf 111 IA 239 In bger Abgerufen am 19 Juni 2023 Urteilskopf 116 IA 359 In bger Abgerufen am 19 Juni 2023 Ulrich Hafelin Walter Haller Helen Keller Daniela Thurnherr Schweizerisches Bundesstaatsrecht 10 vollstandig uberarbeitete und erweiterte Auflage Schulthess Zurich Basel Genf 2020 ISBN 978 3 7255 8079 8 S 341 f Andreas Auer Staatsrecht der schweizerischen Kantone Stampfli Verlag Bern 2016 S 222 Andreas Auer Staatsrecht der schweizerischen Kantone Stampfli Verlag Bern 2016 S 259 f Verfassung des Kantons Zurich Kanton Zurich 1 Februar 2018 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons Bern BELEX 11 Dezember 2013 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons Luzern Systematische Sammlung Kanton Luzern 1 Juli 2014 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons Uri Urner Rechtsbuch 15 Dezember 2020 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons Schwyz PDF 301 kB Kanton Schwyz 1 Juli 2014 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons Obwalden Systematische Sammlung Kanton Obwalden 1 Juli 2014 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons Nidwalden PDF 106 kB Gesetzessammlung Kanton Nidwalden 2 Mai 2010 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons Glarus Kanton Glarus 1 Januar 2011 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons Zug Systematische Sammlung Kanton Zug 23 Juni 2018 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons Freiburg Systematische Sammlung Kanton Freiburg 1 Januar 2021 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons Solothurn Systematische Sammlung Kanton Solothurn 1 Januar 2005 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons Basel Stadt Systematische Sammlung Kanton Basel Stadt 13 Juli 2006 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons Basel Landschaft Systematische Sammlung Kanton Basel Landschaft 1 April 2019 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons Schaffhausen PDF 98 kB Kanton Schaffhausen 31 Marz 2020 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons Appenzell A Rh Systematische Sammlung Kanton Appenzell Ausserrhoden 1 Juni 2015 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung fur den Eidgenossischen Stand Appenzell I Rh Gesetzessammlung Kanton Appenzell Innerrhoden 1 Mai 2018 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons St Gallen Systematische Sammlung Kanton St Gallen 17 Mai 2009 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons Graubunden Bundner Rechtsbuch 1 Januar 2018 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons Aargau Systematische Sammlung des aargauischen Rechts Kanton Aargau 1 Januar 2021 abgerufen am 4 April 2021 Verfassung des Kantons Thurgau Rechtsbuch Kanton Thurgau 1 April 2017 abgerufen am 4 April 2021 Costituzione della Repubblica e Cantone Ticino Legislazione Kanton Tessin 2 April 2021 abgerufen am 4 April 2021 italienisch Constitution du Canton de Vaud Base legislative vaudoise 11 Marz 2015 abgerufen am 4 April 2021 franzosisch Verfassung des Kantons Wallis Systematische Gesetzessammlung Kanton Wallis 1 April 2008 abgerufen am 4 April 2021 Constitution de la Republique et Canton de Neuchatel Recueil systematique de la legislation neuchateloise 1 Januar 2018 abgerufen am 4 April 2021 franzosisch Constitution de la Republique et Canton de Geneve Legislation genevoise 2021 abgerufen am 4 April 2021 franzosisch Constitution de la Republique et Canton du Jura Recueil systematique jurassien 2021 abgerufen am 4 April 2021 franzosisch Andreas Auer Staatsrecht der schweizerischen Kantone Stampfli Verlag Bern 2016 S 204 206 a b c HLS Artikel Kantonsverfassungen Kapitel Die Kantonsverfassungen ab 1798 CH Geschworenengerichte 2011 verschwindet ein Stuck Justizkultur Swissinfo 14 Juli 2010 abgerufen am 4 April 2021 Kassationsgericht des Kantons Zurich Adieu Burgi Nageli Rechtsanwalte 22 Juni 2012 abgerufen am 4 April 2021 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kantonsverfassung amp oldid 235643601