www.wikidata.de-de.nina.az
Die Ewigkeitsklausel oder Ewigkeitsgarantie auch Ewigkeitsentscheidung ist in Deutschland eine Regelung in Art 79 Abs 3 des Grundgesetzes GG die eine Bestandsgarantie fur verfassungspolitische Grundsatzentscheidungen enthalt Die Grundrechte der Staatsburger die demokratischen Grundgedanken und die republikanisch parlamentarische Staatsform durfen auch im Wege einer Verfassungsanderung nicht angetastet werden Ebenso wenig durfen die Gliederung des Bundes in Lander und die grundsatzliche Mitwirkung der Lander an der Gesetzgebung beruhrt werden Auf dieselbe Weise sind auch die Wurde des Menschen und die Gesamtstruktur der Bundesrepublik Deutschland als die eines demokratischen und sozialen Rechtsstaats geschutzt Artikel 79 III des Grundgesetzes fur die Bundesrepublik Deutschland aus der ersten Ausgabe des Bundesgesetzblatts vom 23 Mai 1949Artikel 79 Absatz 3 GG lautet Eine Anderung dieses Grundgesetzes durch welche die Gliederung des Bundes in Lander die grundsatzliche Mitwirkung der Lander bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsatze beruhrt werden ist unzulassig Mit dieser Regelung wollte der Parlamentarische Rat den Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus namentlich dem Ermachtigungsgesetz vom 24 Marz 1933 begegnen 1 und naturrechtliche Grundsatze in Form der Menschenwurde vgl Artikel 1 des Grundgesetzes fur die Bundesrepublik Deutschland sowie der Strukturprinzipien in Artikel 20 Republik Demokratie Bundesstaat Rechtsstaat und Sozialstaat mit einer zusatzlichen Sicherung versehen Fur den Bestand und die Wirksamkeit der Ewigkeitsklausel ist zu unterscheiden zwischen dem Verfassungsgeber als dem pouvoir constituant und dem verfassungsandernden Gesetzgeber als verfasster Staatsgewalt der zu den pouvoirs constitues gehort Zwischen beiden besteht ein Rangverhaltnis Als verfasstes Staatsorgan ist der verfassungsandernde Gesetzgeber der Verfassung untergeordnet Er hat seine Kompetenz aufgrund der Verfassung und nur im Rahmen der Verfassung 2 Gemass Art 20 Abs 3 GG ist die Gesetzgebung daher an die verfassungsmassige Ordnung gebunden Daraus ergibt sich eine Normenhierarchie zwischen dem Verfassungsrecht und einem die Verfassung andernden Parlamentsgesetz Bis zu einer Ersetzung des Grundgesetzes durch eine andere Verfassung Art 146 GG 3 kann die Ewigkeitsklausel nach heute herrschender Meinung nicht aufgehoben werden Mit der Normierung einer Unabanderbarkeitsklausel wird implizit ungeschrieben vorausgesetzt dass diese Klausel selbst ebenfalls unabanderbar ist 4 Die Bezeichnung Ewigkeitsklausel selbst steht nicht im Grundgesetz sondern gehort eher der juristischen Umgangssprache an Das Bundesverfassungsgericht spricht in dem Lissabon Urteil aber selbst von der sogenannten Ewigkeitsgarantie 5 Inhaltsverzeichnis 1 Umfang 1 1 Rechtsstaatlichkeit 1 2 Widerstandsrecht 2 Rechtsfolgen 3 Selbstschutz der Ewigkeitsklausel 4 Konsequenzen 5 Europaische Einigung 6 Siehe auch 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseUmfang BearbeitenGesetze durfen Folgendes nicht antasten die Gliederung des Bundes in Lander die grundsatzliche Mitwirkung der Lander in der Gesetzgebung die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsatze der Schutz der Menschenwurde Art 1 Abs 1 GG 6 das Bekenntnis zu unverletzlichen und unverausserlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft des Friedens und der Gerechtigkeit Art 1 Abs 2 GG 6 die Bindung der staatlichen Gewalt an die Grundrechte Art 1 Abs 3 GG das Bundesstaatsprinzip Art 20 Abs 1 GG die Staatsform der Republik republikanisches Prinzip Art 20 Abs 1 GG das Sozialstaatsprinzip Art 20 Abs 1 GG das Demokratieprinzip Art 20 Abs 2 GG das Prinzip der Volkssouveranitat Art 20 Abs 2 Satz 1 GG die Gewaltenteilung Art 20 Abs 2 Satz 2 GG die Bindung der Gesetzgebung an die Verfassung Art 20 Abs 3 Hs 1 GG die Bindung der Exekutive ausfuhrende Gewalt und Judikative Rechtsprechung an die Verfassung und das sonstige Recht Art 20 Abs 3 Hs 2 GG Diese Grundprinzipien sind dem Zugriff parlamentarischer Mehrheiten entzogen Weil uber Streitfalle das Bundesverfassungsgericht entscheidet steht dieses insoweit uber dem Gesetzgeber Nach dem Wortlaut von Artikel 79 Absatz 3 GG konnen nur die in den Artikeln 1 und 20 GG niedergelegten Grundsatze nicht geandert werden Der Schutz der Ewigkeitsklausel erstreckt sich grundsatzlich auch uber Art 1 Grundgesetz in alle weiteren Grundrechte sofern diese Konkretisierungen des Achtungsanspruchs der Menschenwurde sind In quantitativer Hinsicht ist dies im Detail strittig So konnen zwar die Grundrechte geandert werden und sie mussen den Anforderungen von Art 19 Abs 1 und 2 GG genugen jedoch ist strittig ob der Kern eines Grundrechts mit dem ihm ebenfalls innewohnenden Menschenwurdegehalt deckungsgleich ist Das Bundesverfassungsgericht hatte schon 1971 im Abhorurteil entschieden Art 79 Abs 3 GG verbietet eine prinzipielle Preisgabe der dort genannten Grundsatze hindert jedoch nicht durch verfassungsanderndes Gesetz auch elementare Verfassungsgrundsatze systemimmanent zu modifizieren 7 Im Urteil zum Grossen Lauschangriff aussert sich das Bundesverfassungsgericht zu dem von der Ewigkeitsgarantie geschutzten Kernbereich der Grundrechte In Verbindung mit der in Art 1 Abs 3 GG enthaltenen Verweisung auf die nachfolgenden Grundrechte sind deren Verburgungen insoweit der Einschrankung durch den Gesetzgeber grundsatzlich entzogen als sie zur Aufrechterhaltung einer dem Art 1 Abs 1 und 2 GG entsprechenden Ordnung unverzichtbar sind 8 Rechtsstaatlichkeit Bearbeiten Nicht eine einzelne Norm sondern mehrere Bestimmungen des Grundgesetzes sollen garantieren dass die Ausubung aller staatlichen Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland umfassend an das Recht gebunden ist Art 20 Abs 3 GG In ihrer Gesamtheit machen diese Grundsatze die Rechtsstaatlichkeit Deutschlands aus Es finden sich mittelbar auch fur seine Geltung in Art 28 Abs 1 Satz 1 GG zwar an verschiedenen Stellen weitere Merkmale des Rechtsstaatsprinzips zum Beispiel Art 19 Abs 4 GG Diese stehen jedoch nicht unter dem Schutz der Ewigkeitsklausel 9 Das ist allerdings strittig 10 Widerstandsrecht Bearbeiten Das in Art 20 Abs 4 Grundgesetz garantierte Widerstandsrecht fallt nicht unter diesen Schutz da es erst spater in Art 20 GG eingefugt wurde Diese Ansicht ist unter Verfassungsrechtlern heute kaum umstritten Argumentiert wird im Wesentlichen dass die Ewigkeitsklausel auch umgekehrt gelte und es nicht zulasse eine Entscheidung des verfassungsandernden Gesetzgebers kunftigen Anderungen zu entziehen mag dies durch systematisches Hinzufugen zu Art 20 GG oder durch ausdruckliche Unabanderlichkeitserklarung geschehen Denn der verfassungsandernde Gesetzgeber durfe nicht entscheiden wo die Grenzen seiner Anderungsmacht liegen Diese Festlegung des Verfassungsgebers sei einmalig und nachhaltig durch Art 79 GG getroffen worden 11 Rechtsfolgen BearbeitenKommt es doch zu einer solchen unzulassigen Verfassungsanderung so entsteht verfassungswidriges Verfassungsrecht das damit unwirksam ist Selbstschutz der Ewigkeitsklausel BearbeitenDass Art 79 Abs 3 Grundgesetz ebenfalls den Schutz der Unabanderlichkeit geniesst wird allgemein angenommen obwohl es nicht dem Wortlaut zu entnehmen ist Die funktionale Interpretation spricht jedoch dafur denn andernfalls wurde die Schutzwirkung sinnlos werden was nicht dem Zweck der Norm und der Zielsetzung des Verfassungsgebers entsprache Neben einer immanenten Begrundung werden fur die Unabanderlichkeit der Ewigkeitsklausel auch uberpositive Grunde vertreten Schon in einem Aufsatz aus dem Jahre 1952 hat der Verfassungsrechtler Theodor Maunz erkannt was er als Gebot der Normlogik bezeichnet hat dass Art 79 Abs 3 GG seine Schutzwirkung nur erreichen kann wenn die Unantastbarkeit die er fur bestimmte Verfassungsgrundsatze ausspricht auch fur ihn selbst gilt Das bedeutet dass auch die Begrundung der Unantastbarkeit in Art 79 Abs 3 GG selbst der Ewigkeitsklausel unterliegt Die Ewigkeitsklausel verhindert jedoch nicht dass sich das deutsche Volk eine das Grundgesetz ablosende Verfassung schaffen konnte auch wenn diese Veranderungen mit sich bringt die eigentlich durch die Ewigkeitsklausel verhindert werden sollen Diese Moglichkeit eine neue Verfassung zu schaffen sieht Art 146 Grundgesetz in der alten wie in der neuen Fassung hiernach ausserstenfalls als Totalrevision des Grundgesetzes 12 vor Einige Verfassungsrechtler haben allerdings angenommen dass Art 146 GG a F mit der deutschen Wiedervereinigung ausser Kraft getreten sei und dass die neue Fassung unwirksam sei soweit sie Anderungen betreffe die nach Art 79 Abs 3 GG unzulassig sind Das Bundesverfassungsgericht sieht Art 146 GG als wirksam an hat aber ausdrucklich offengelassen ob sogar die verfassungsgebende Gewalt an die in der Ewigkeitsklausel geschutzten Grundsatze schon wegen der Universalitat von Wurde Freiheit und Gleichheit gebunden ist 13 Konsequenzen BearbeitenDie Ewigkeitsklausel soll zum Beispiel eine Auflosung des Bundes wahrend der Gultigkeit des Grundgesetzes verunmoglichen und wurde den Weg zu einem nicht foderal organisierten Staatswesen etwa nach franzosischem Muster eines zentralistischen Staatsaufbaus oder der Einfuhrung einer parlamentarischen Monarchie nach dem Vorbild der westeuropaischen Nachbarmonarchien verbauen Derartige Anderungen erfordern demnach eine neue Verfassung fur Deutschland die das geltende Grundgesetz rechtswirksam ausser Kraft setze 14 Europaische Einigung BearbeitenDie europaische Integration die mit einer zunehmenden Verlagerung von Kompetenzen auf die Unionsebene einhergeht tangiert die Bundes Rechts und Sozialstaatlichkeit sowie die nationale Demokratie als Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes 15 Den Inhalt der unantastbaren Verfassungsprinzipien hat das Bundesverfassungsgericht im Maastricht und im Lissabon Urteil naher definiert Fur die Begrundung der Europaischen Union sowie fur Anderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen durch die das Grundgesetz seinem Inhalt nach geandert oder erganzt wird oder solche Anderungen oder Erganzungen ermoglicht werden verweist Art 23 Abs 1 Satz 3 GG auch auf die Ewigkeitsklausel des Art 79 Abs 3 GG Die Grundsatze des Demokratiegebots nach Art 20 Abs 1 und 2 und Art 79 Abs 3 GG die das Budgetrecht des Parlaments als zentrales Element der demokratischen Willensbildung garantieren wurden mit den deutschen Zustimmungsgesetzen zum Vertrag uber Stabilitat Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts und Wahrungsunion SKSV und dem Vertrag zur Einrichtung des Europaischen Stabilitatsmechanismus ESMV in Frage gestellt das Bundesverfassungsgericht hat sie jedoch als verfassungsgemass gebilligt 16 17 Siehe auch BearbeitenPolitisches System Deutschlands Streitbare Demokratie Verfassungsstaat Wesensgehaltsgarantie Gesamtanderung der Bundesverfassung Osterreich Literatur BearbeitenHauke Moller Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes und die Schranken der Verfassungsrevision Eine Untersuchung zu Art 79 Abs 3 GG und zur verfassungsgebenden Gewalt nach dem Grundgesetz Diss Universitat Hamburg 2004 PDF 831 kB Otto Ernst Kempen Historische und aktuelle Bedeutung der Ewigkeitsklausel des Art 79 Abs 3 GG In Zeitschrift fur Parlamentsfragen 21 1990 S 354 366 Carl Schmitt Verfassungslehre 1928 4 Auflage 1968 Insbesondere S 11 ff 25 f 102 ff Weblinks BearbeitenMichael Hein Ewigkeitsklauseln Sag niemals nie in Katapult 4 Mai 2015 Einzelnachweise Bearbeiten Bundeszentrale fur politische Bildung Vor 85 Jahren Reichstag verabschiedet Ermachtigungsgesetz 23 Marz 2018 Abgerufen am 23 Juni 2018 Dietrich Murswiek Ungeschriebene Ewigkeitsgarantien in Verfassungen Universitat Freiburg 2008 S 4 Dazu Josef Isensee in Christian Hillgruber Christian Waldhoff Hg 60 Jahre Bonner Grundgesetz eine gegluckte Verfassung V amp R unipress Gottingen 2010 S 135 137 Theodor Maunz Starke und schwache Normen in der Verfassung in Festschrift fur Wilhelm Laforet 1952 S 141 145 Klaus Stern Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd I 2 Aufl 1984 S 115 f BVerfG Urteil des Zweiten Senats vom 30 Juni 2009 2 BvE 2 08 Rn 216 und 218 a b BVerfG Urteil vom 3 Marz 2004 Az 1 BvR 2378 98 und 1 BvR 1084 99 Grosser Lauschangriff BVerfG Urteil vom 15 Dezember 1970 Az 2 BvF 1 69 2 BvR 629 68 308 69 BVerfGE 30 1 NJW 1971 275 Abhorurteil BVerfG Urteil vom 3 Marz 2004 Az 1 BvR 2378 98 Rn 109 Vgl Mangoldt Klein GG Kommentar v Munch GG Kommentar Nachweise bei Hauke Moller Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes und die Schranken der Verfassungsrevision S 163 ff Konrad Hesse Grundzuge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland Rz 761 So Christian Starck Verfassungen Entstehung Auslegung Wirkungen und Sicherung Mohr Siebeck Tubingen 2009 ISBN 978 3 16 149916 6 S 49 BVerfG 2 BvE 2 08 vom 30 Juni 2009 Absatz Nr 217 Dazu Horst Dreier Idee und Gestalt des freiheitlichen Verfassungsstaates Mohr Siebeck Tubingen 2014 S 273 275 Carmen Thiele Stabilitat und Dynamik der Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland 2013 BVerfG Urteil vom 18 Marz 2014 2 BvR 1390 12 Hannes Rathke Aktueller Begriff Europa Das ESM Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18 Marz 2014 Deutscher Bundestag Fachbereich Europa 7 April 2014 Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Normdaten Sachbegriff GND 4201902 3 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Ewigkeitsklausel amp oldid 236579821