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Das politische System der Bundesrepublik Deutschland wird vom Bundesverfassungsgericht als streitbare wehrhafte Demokratie bezeichnet In ihr wird die freiheitliche demokratische Grundordnung fdGO geschutzt Sie kann nicht auf legalem Weg oder durch Mehrheitsbeschlusse aufgehoben werden Gegen verfassungsfeindliche Einzelpersonen und Personenzusammenschlusse Parteien Vereine und Organisationen kann praventiv vorgegangen werden bevor sie gegen die fdGO vorgehen konnen Inhaltsverzeichnis 1 Grundsatzliches 2 Ideengeschichtlicher Hintergrund 3 Historische Entwicklung 4 Mittel der streitbaren Demokratie 5 Zitate 6 Siehe auch 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseGrundsatzliches BearbeitenDas politische Konzept der wehrhaften Demokratie schrankt seinerseits die demokratischen Rechte ein da es bestimmte Grundsatzentscheidungen als unabanderlich festlegt und der Entscheidung der jeweiligen Mehrheit entzieht Dies wird als legitim erachtet da das Konzept nur die fdGO schutzt die als absoluter Mindeststandard jeder freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft angesehen wird Es soll also verhindert werden dass eine Mehrheit eine legalisierte Diktatur errichten kann Dem Politikwissenschaftler Gero Neugebauer zufolge beurteilt das Bundesverfassungsgericht nur Handlungen als verfassungswidrig die darauf zielen die freiheitliche demokratische Grundordnung aggressiv und planvoll funktionsunfahig zu machen um sie letztlich zu beseitigen 1 Die Ablehnung der freiheitlich demokratischen Grundordnung hingegen ist allein nicht verfassungswidrig Eine Partei ist auch nicht schon dann verfassungswidrig wenn sie diese obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht anerkennt sie ablehnt ihnen andere entgegensetzt Es muss vielmehr eine aktiv kampferische aggressive Haltung gegenuber der bestehenden Ordnung hinzukommen sie muss planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeintrachtigen im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen 2 Die Definition der fdGO hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen erstmals beim Verbot der Sozialistischen Reichspartei SRP 1952 ausgeteilt Die Definition findet sich im Artikel uber die freiheitliche demokratischen Grundordnung Ideengeschichtlicher Hintergrund BearbeitenDie Grunduberlegungen fur ein politisches Konzept der streitbaren Demokratie stammen von den wahrend des Nationalsozialismus im Exil lebenden Gelehrten Karl Loewenstein und Karl Mannheim 3 So entwarf Loewenstein 1937 vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus das Modell der militant democracy streitbare Demokratie 4 Karl Mannheims Uberlegungen fur eine geplante Demokratie basierten vor allem auf seinen ideologiekritischen Arbeiten und seinen Analysen der Krisen einer modernen Massendemokratie 5 Historische Entwicklung BearbeitenDie Weimarer Republik wurde am Tag der Annahme ihrer Verfassung dem 31 Juli 1919 von Innenminister Eduard David SPD als demokratischste Demokratie der Welt bezeichnet Der Prasident der Nationalversammlung Constantin Fehrenbach Zentrumspartei bezeichnete die Deutschen als das freieste Volk der Erde Allerdings gab es bereits in der Weimarer Zeit ein Republikschutzgesetz Mit der Machtubergabe 1933 entwickelten die Nationalsozialisten die liberale Weimarer Demokratie zum NS Regime Entscheidungen waren nach der Weimarer Verfassung dem Willen der Mehrheit unterworfen und nicht an Wertvorstellungen gebunden Es handelte sich wie es Otto Kirchheimer 1929 vier Jahre vor der Machtubernahme Adolf Hitlers formulierte um eine Verfassung ohne Entscheidung Es gab nur veranderbares positives Recht Auch Adolf Hitler berief sich auf die in der Weimarer Verfassung festgehaltene Meinungsausserungsfreiheit die 1933 durch die Reichstagsbrandverordnung beseitigt wurde Allerdings sind die Reichstagsbrandverordnung und das nationalsozialistische Ermachtigungsgesetz auch nach dem Weimarer Verfassungsrecht nicht als legal zu bezeichnen Die Reichstagsbrandverordnung brach das Ruckwirkungsverbot und das Ermachtigungsgesetz ubertrug die legislative Gewalt auf die Exekutive was nicht dem Art 76 der Weimarer Reichsverfassung entsprach Die Schuldzuweisung an den Rechtspositivismus halt sich als zahlebige Nachkriegslegende 6 Sie geht auf den Weimarer Methodenstreit der Staatsrechtslehre und die monarchistische sowie konservative Frontstellung gegen die liberale Republik zuruck Die Schuldzuweisung an den Rechtspositivismus ermoglichte es fruheren NS Juristen sich ihrer personlichen Verantwortung fur Verbrechen des Nationalsozialismus zu entziehen 7 In der wehrhaften Demokratie stehen die Demokratie und ihre wichtigsten Elemente selbst nicht mehr zur Diskussion sie konnen auch durch eine noch so grosse Mehrheit nicht aufgehoben werden Ein Grund fur die Einschrankung des Mehrheitsprinzips ist in bestimmten Fallen zu verhindern dass eine momentane Mehrheit fur nachfolgende Generationen entscheidet Mittel der streitbaren Demokratie BearbeitenZur Verteidigung der fdGO und der durch sie garantierten Menschenrechte sind durch das Grundgesetz unter anderem folgende Mittel gegeben Nach Art 1 GG ist die Wurde des Menschen unantastbar und die Grundrechte sind unmittelbar geltendes Recht Nach Art 2 GG wird die freie Entfaltung der Personlichkeit durch die fdGO eingeschrankt Nach Art 5 GG entbindet die Freiheit der Lehre und Forschung nicht von der Treue zur Verfassung Vereinigungen die gegen die Verfassung kampfen sind nach Art 9 Abs 2 GG verboten Entgegen dem missverstandlichen Wortlaut bedarf es aus Grunden der Rechtssicherheit jedoch einer Verbotsverfugung nach 3 Abs 1 Vereinsgesetz so dass die Vereinigung nicht schon kraft Verfassung verboten ist Eine Verwirkung bestimmter Grundrechte Art 18 GG kann durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden wenn diese Grundrechte im Kampf gegen die fdGO missbraucht werden Dies sind die Pressefreiheit die Versammlungsfreiheit die Lehrfreiheit die Vereinigungsfreiheit das Brief Post und Fernmeldegeheimnis das Recht auf Eigentum und das Asylrecht Grundrechte konnen wenn das Grundgesetz es zulasst nur durch ein allgemeines Gesetz das nicht nur fur den Einzelfall gilt und niemals in ihrem Wesensgehalt eingeschrankt werden Art 19 Abs 1 und 2 GG Jedermann hat Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz Art 19 Abs 4 GG Die Verletzung der Grundrechte durch staatliche Stellen kann mittels Verfassungsbeschwerde gerugt werden Mit den Notstandsgesetzen wurde in Art 20 Abs 4 GG ein deklaratorisches Widerstandsrecht zum Schutz der fdGO angefugt Ein Parteienverbot Art 21 Abs 2 GG kann vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden Parteienprivileg wenn einer Partei nachgewiesen werden kann dass es ihr Ziel ist die fdGO zu beseitigen oder zu beeintrachtigen Eine Grundgesetzanderung benotigt eine Zweidrittelmehrheit in Bundesrat und Bundestag wobei sich die Mehrheit nicht auf die anwesenden sondern auf die Gesamtheit der Abgeordneten bezieht Zudem sind verfassungsdurchbrechende Gesetze auch wenn sie mit der fur eine Verfassungsanderung notwendigen Mehrheit beschlossen wurden nicht moglich Eine Anderung des Grundgesetzes ist also nicht mehr so einfach wie in der Weimarer Republik moglich und benotigt eine breite Zustimmung Die sogenannte Ewigkeitsklausel des Art 79 Abs 3 GG sowie die Wesensgehaltsgarantie des Art 19 Abs 2 GG schutzen neben anderen Staatsstrukturprinzipien auch die Gesamte fdGO Nach Art 87a Abs 4 GG darf die Bundeswehr zur Unterstutzung der Polizei zum Schutz der fdGO eingesetzt werden Nach Art 91 GG darf ein Bundesland Polizeikrafte anderer Bundeslander zum Schutz der fdGO anfordern Art 98 Abs 2 und 5 sieht die Moglichkeit vor Richter anzuklagen die fdGO verletzen Auch im Strafgesetzbuch finden sich Regelungen zum Schutz des Staates Gemass 81 StGB der Versuch die verfassungsmassige Ordnung abzuschaffen Hochverrat Weiterhin steht die Verunglimpfung des Bundesprasidenten des Staates und seiner Symbole sowie seiner Verfassungsorgane die Notigung von Verfassungsorganen und zahlreiche Vergehen bezuglich der Manipulation von Wahlen unter Strafe Nach dem Radikalenerlass durfen nur dem Staat loyale Personen als Beamte eingestellt werden Diese Regelung basiert auf Art 33 Abs 4 GG nach dem Beamte in einem offentlich rechtlichen Dienst und Treueverhaltnis stehen Zitate Bearbeiten Ich fur meinen Teil bin der Meinung dass es nicht zum Begriff der Demokratie gehort dass sie selbst die Voraussetzungen fur ihre Beseitigung schafft Man muss auch den Mut zur Intoleranz denen gegenuber aufbringen die die Demokratie gebrauchen wollen um sie umzubringen Carlo Schmid Rede am 8 September 1948 im Parlamentarischen Rat 8 Siehe auch BearbeitenVerfassungsschutz Politisches System der Bundesrepublik Deutschland Widerstandsrecht Freiheitliche demokratische Grundordnung ExtremismusLiteratur BearbeitenErhard Denninger Freiheitliche demokratische Grundordnung Materialien zum Staatsverstandnis und zur Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik Suhrkamp suhrkamp taschenbuch wissenschaft Frankfurt a M 1977 Stephan Eisel Minimalkonsens und freiheitliche Demokratie eine Studie zur Akzeptanz der Grundlagen demokratischer Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland Paderborn 1986 Gereon Flumann Streitbare Demokratie in Deutschland und den Vereinigten Staaten Der staatliche Umgang mit nichtgewalttatigem politischem Extremismus im Vergleich Springer VS Wiesbaden 2015 Hans Gerd Jaschke Streitbare Demokratie und Innere Sicherheit Grundlagen Praxis und Kritik Westdeutscher Verlag Opladen 1991 ISBN 3 531 12198 7 Eckhard Jesse Streitbare Demokratie Theorie Praxis und Herausforderungen in der Bundesrepublik Deutschland Beitrage zur Zeitgeschichte Bd 2 Colloquium Verlag Berlin 1980 ISBN 3 7678 0490 5 Johannes Lameyer Streitbare Demokratie Eine verfassungshermeneutische Untersuchung Schriften zum Offentlichen Recht Bd 336 Duncker amp Humblot Berlin 1978 ISBN 3 428 04062 7 Claus Leggewie Horst Meier Republikschutz Massstabe fur die Verteidigung der Demokratie Reinbek 1995 ISBN 978 3 498 03882 3 Lars Oliver Michaelis Politische Parteien unter Beobachtung des Verfassungsschutzes Die streitbare Demokratie zwischen Toleranz und Abwehrbereitschaft Schriften zum Parteienrecht Bd 26 Nomos Baden Baden 2000 ISBN 3 7890 6695 8 Andreas Sattler Die rechtliche Bedeutung der Entscheidung fur die streitbare Demokratie Untersucht unter besonderer Berucksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Studien und Materialien zur Verfassungsgerichtsbarkeit Bd 22 Nomos Baden Baden 1982 ISBN 3 7890 0796 X Armin Scherb Praventiver Demokratieschutz als Problem der Verfassungsgebung nach 1945 Frankfurt a M 1986 Sarah Schulz Die freiheitliche demokratische Grundordnung Ergebnis und Folgen eines historisch politischen Prozesses Velbruck Weilerswist 2019 ISBN 3 9583 2165 8 Einleitung Markus Thiel Hrsg Wehrhafte Demokratie Beitrage uber die Regelungen zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Mohr Siebeck Verlag Tubingen 2003 ISBN 978 3 161 47967 0 eingeschrankte Vorschau Christoph Weckenbrock Die streitbare Demokratie auf dem Prufstand Die neue NPD als Herausforderung Bouvier Verlag Bonn 2009 Weblinks BearbeitenAndreas Klump Freiheit den Feinden der Freiheit Die Konzeption der streitbaren Demokratie als demokratietheoretisches Fundament zur Auseinandersetzung mit politischem Extremismus Felix Ginthum Verwirkung von Grundrechten nach Art 18 Grundgesetz Bundeszentrale fur politische Bildung Streitbare Demokratie im Dossier RechtsextremismusEinzelnachweise Bearbeiten Extremismus Rechtsextremismus Linksextremismus Einige Anmerkungen zu Begriffen Forschungskonzepten Forschungsfragen und Forschungsergebnissen PDF Datei 24 kB Memento vom 20 Marz 2009 im Internet Archive BVerfG Urteil vom 17 August 1956 Az 1 BvB 2 51 BVerfGE 5 85 141 Verbot der KPD Vgl Karl Mannheim Diagnosis of Our Time Wartime Essays of a Sociologist London 1943 Karl Loewenstein Militant Democracy and Fundamental Rights in American Political Science Review 31 1937 S 417 433 und S 638 658 Vgl Wilhelm Hofmann Karl Mannheim zur Einfuhrung Junius Verlag Hamburg 1996 Ingeborg Maus Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus Munchen 1986 S 43f Wolfgang Abenroth Das Grundgesetz Eine Einfuhrung in seine politischen Probleme 5 Aufl Pfullingen 1975 S 37f http www costima de beruf Politik CSchmid htmBitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Streitbare Demokratie amp oldid 231253032