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Die Verordnung des Reichsprasidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28 Februar 1933 RGBl I S 83 war eine strafbewehrte Notverordnung des Reichsprasidenten Paul von Hindenburg mit der die in den Artikeln 114 115 117 118 123 124 und 153 der Weimarer Verfassung WRV festgesetzten Grundrechte ausser Kraft gesetzt wurden 1 Die Verordnung wurde von Reichskanzler Adolf Hitler Reichsminister des Innern Wilhelm Frick und Reichsminister der Justiz Franz Gurtner gegengezeichnet und trat am selben Tag in Kraft Reichstagsbrandverordnung vom 28 Februar 1933 RGBl S 83Die am 30 Januar 1933 gebildete Hitlerregierung hatte behauptet die Kommunisten seien fur den Reichstagsbrand in der Nacht vom 27 auf den 28 Februar 1933 verantwortlich und hatten damit zur Revolution aufrufen wollen Deswegen wurde die Verordnung zur Abwehr kommunistischer staatsgefahrdender Gewaltakte erlassen und Reichstagsbrandverordnung genannt Tausende von Gegnern der Reichsregierung wurden daraufhin verhaftet Die Reichstagsbrandverordnung war neben der Verordnung vom 4 Februar 1933 2 nach der offentliche politische Versammlungen Druckschriften und Spendensammlungen verboten werden konnten und dem Ermachtigungsgesetz vom 24 Marz 1933 3 mit dem der Reichstag seine Gesetzgebungskompetenz verlor eine der wichtigsten Grundlagen der Herrschaft der NSDAP die den Weg von der Weimarer Republik zur totalitaren Diktatur ebneten Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 1 1 Ausserkraftsetzung von Grundrechten 1 2 Eingriffe in den Foderalismus 1 3 Verscharfung von Strafbestimmungen 1 3 1 Todesstrafe 1 3 2 Ruckwirkung 2 Vorgeschichte 3 Rechtliche Bedeutung 4 Literatur 5 Weblinks 6 Siehe auch 7 EinzelnachweiseInhalt BearbeitenAusserkraftsetzung von Grundrechten Bearbeiten Mit 1 wurden die Artikel 114 115 117 118 123 124 und 153 der Verfassung bis auf weiteres ausser Kraft gesetzt Es waren daher Beschrankungen der personlichen Freiheit des Rechts der freien Meinungsausserung einschliesslich der Pressefreiheit des Vereins und Versammlungsrechts Eingriffe in das Brief Post Telegraphen und Fernsprechgeheimnis Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschrankungen des Eigentums auch ausserhalb der sonst hierfur bestimmten gesetzlichen Grenzen zulassig Die Verordnung bot zunachst die juristische Grundlage fur die Anordnung von Schutzhaft gegenuber kommunistischen und sozialdemokratischen Kandidaten vor der Reichstagswahl vom 5 Marz 1933 4 und fortan fur Eingriffe der beschriebenen Art gegen alle Personen und Vereinigungen deren Existenz oder Tatigkeit fur die beabsichtigte Umgestaltung Deutschlands im nationalsozialistischen Sinne als hinderlich angesehen wurde Da in der Verordnung selbst keinerlei Beschrankung auf Kommunisten erwahnt wurde konnte der personliche Geltungsbereich beliebig erweitert werden Somit verlor das gesamte deutsche Volk die genannten Rechte Ebenso wurde die Verordnung zum Verbot von Publikationen angewendet Ein Beispiel ist das 1938 erfolgte Verbot des Prediger und Katechet woruber ein Handzettel des Verlages Erich Wewel detailliert informiert 5 Eingriffe in den Foderalismus Bearbeiten 2 der Verordnung gab der Reichsregierung das Recht anstelle der obersten Landesbehorde die zur Wiederherstellung der offentlichen Sicherheit und Ordnung notigen Massnahmen auch in den deutschen Landern zu treffen Sie bildete damit die Grundlage fur die Gleichschaltung der Exekutive im Deutschen Reich Mit der Auflosung der Landtage im Gesetz vom 31 Marz 1933 6 wurde der Foderalismus ganzlich abgeschafft Verscharfung von Strafbestimmungen Bearbeiten Todesstrafe Bearbeiten In 5 Abs 1 enthielt die Verordnung eine Liste von Verbrechen die abweichend von den Bestimmungen im Strafgesetzbuch nicht langer mit lebenslangem Zuchthaus sondern mit dem Tode zu bestrafen waren Das galt fur Hochverrat Giftbeibringung Brandstiftung Herbeifuhren einer Explosion oder Uberschwemmung Beschadigung von Eisenbahnanlagen und gemeingefahrliche Vergiftung ausserdem gem 5 Abs 2 fur schweren Aufruhr und schweren Landfriedensbruch sowie Freiheitsberaubung in der Absicht sich des der Freiheit Beraubten als Geisel im politischen Kampfe zu bedienen Die Todesstrafe galt gem 4 unter bestimmten Voraussetzungen auch bei Zuwiderhandlungen gegen die von den obersten Landesbehorden oder den ihnen nachgeordneten Behorden zur Durchfuhrung der Reichstagsbrandverordnung erlassenen Anordnungen Ruckwirkung Bearbeiten Am 29 Marz 1933 wurde die Geltung von 5 durch das Gesetz uber Verhangung und Vollzug der Todesstrafe Lex van der Lubbe ruckwirkend ausgedehnt so dass er auch fur Taten galt die in der Zeit zwischen dem 31 Januar und dem 28 Februar 1933 begangen worden waren 7 Danach wurde Marinus van der Lubbe der die Brandstiftung im Reichstag gestanden hatte im Januar 1934 hingerichtet Das Gesetz verstiess gegen das Ruckwirkungsverbot welches seit der Zeit der Aufklarung zu den grundlegenden Prinzipien des Rechtsstaats gehorte Eine solche ruckwirkende Geltung von Strafgesetzen war indes bereits in der Weimarer Republik keine Seltenheit da schon die Republikschutz Verordnung und das Republikschutzgesetz von 1922 eine zeitlich sogar unbegrenzte Ruckwirkung von Strafvorschriften die teilweise auch Todesstrafe androhten etabliert hatte Vorgeschichte BearbeitenKurt von Schleicher Hitlers parteiloser Vorganger im Amt des Reichskanzlers drohte in einer Rundfunkrede am 15 Dezember 1932 der Kommunistischen Partei mit dem Erlass einer scharfen Verordnung 8 Die zur wirtschaftlichen Beruhigung notwendige Ausschaltung aller absichtlichen Storungen hat in der Vergangenheit leider eine grosse Zahl von Ausnahmebedingungen notig gemacht Ich gestehe offen dass ich es fur verhangnisvoll halten wurde wenn wir in Deutschland auf die Dauer nicht ohne diese scharfen Bestimmungen auskommen konnten Ich habe deshalb den Herrn Reichsprasidenten gebeten die zweifellos eingetretene Beruhigung zum Anlass zu nehmen um derartige Ausnahmebestimmungen aufzuheben um endlich einmal wieder zu normalen Rechtsverhaltnissen zuruckzukehren Der Herr Reichsprasident will diesem Vorschlag im Vertrauen auf den gesunden Sinn der ordnungsliebenden Bevolkerung entsprechen hat dabei aber zum Ausdruck gebracht dass er nicht zogern wurde eine scharfe Verordnung zum Schutze des deutschen Volkes zu erlassen falls er sich in seinen Erwartungen getauscht sieht Den gewerbsmassigen Unruhestiftern ebenso wie einer gewissen aufreizenden die Atmosphare vergiftenden Presse darf ich in diesem Zusammenhang warnend zur Kenntnis bringen dass eine solche Verordnung fertig im Schubkasten liegt und in der Tat in ihrer Luckenlosigkeit eine ausgezeichnete Arbeit darstellt Ich hoffe dass ihre Anwendung ebenso wenig notig werden wird wie der Einsatz der Reichswehr Ich mochte aber auch die staatsfeindliche kommunistische Bewegung nicht im Zweifel daruber lassen dass die Reichsregierung auch vor drakonischen Ausnahme Bestimmungen gegen die kommunistische Partei nicht zuruckschrecken wird falls sie die Lockerung der Zugel zur vermehrten Verhetzung der Bevolkerung missbrauchen sollte Auf dieser Linie liegt die vom Reichsprasidenten Paul von Hindenburg am 4 Februar 1933 erlassene und von Reichskanzler Hitler Innenminister Frick und Justizminister Gurtner gegengezeichnete Verordnung des Reichsprasidenten zum Schutze des Deutschen Volkes sog Schubladenverordnung durch die die Versammlungs und Pressefreiheit erheblich eingeschrankt wurde Die Reichstagsbrandverordnung ging hingegen weit uber die Plane Schleichers hinaus Der Text der Verordnung folgte dem bereits zu Beginn der Weimarer Republik entwickelten Muster der Notverordnungen des Reichsprasidenten fur den Ausnahmezustand 9 das auch spater immer wieder zur Anwendung kam 10 zuletzt nun jedoch bereits unter dem blossen Vorwand der Storung von Sicherheit und Ordnung aus Anlass des Preussenschlages am 20 Juli 1932 11 Wesentliche Neuerung der Reichstagsbrandverordnung war jedoch dass nun die Gewalt nicht auf das Militar ubertragen wurde sondern bei der Reichsregierung blieb bzw ihr was Landeszustandigkeiten betraf zusatzlich ubertragen wurde Reichsprasident Friedrich Ebert erliess in den Jahren 1919 1925 auf Grund von Art 48 Abs 2 WRV insgesamt 136 Notverordnungen 12 Anfang der dreissiger Jahre folgten weitere 109 Verordnungen 13 Rechtliche Bedeutung BearbeitenArt 48 Abs 2 der Weimarer Reichsverfassung erlaubte dem Reichsprasidenten im Fall einer erheblichen Storung oder Gefahrdung der offentlichen Sicherheit und Ordnung vorubergehend die Grundrechte ganz oder zum Teil ausser Kraft zu setzen Das Nahere sollte nach Absatz 5 ein Reichsgesetz bestimmen das jedoch nie zustande kam 14 Ob die Verordnung vom 28 Februar 1933 diesen Voraussetzungen entsprach ist strittig Ob eine Gefahrdung der offentlichen Ordnung vorlag unterlag der Einschatzungsprarogative des Reichsprasidenten Der Ausnahmezustand wurde durch seine erweiterten Interpretationen benutzt um die Ordnung im Sinne der Regierung und nicht der Verfassung wiederherzustellen Die Verordnung sah kein Ende der Grundrechtsbeschrankungen vor diese sollten bis auf weiteres gelten Bereits 1941 bezeichnete Ernst Fraenkel in seinem Buch Der Doppelstaat die Reichstagsbrandverordnung als die Verfassungsurkunde des Dritten Reiches dessen Verfassung der Belagerungszustand sei 15 Anstelle ausgesetzter Verfassungsbestimmungen wurde sie gemeinsam mit dem Ermachtigungsgesetz zur rechtlichen Grundlage des nationalsozialistischen Regimes Beide begrundeten den dauerhaften zivilen Ausnahmezustand und damit jene unkontrollierte Machtfulle mit der alle spateren staatlichen Massnahmen legitimiert wurden Die Verordnung blieb die rechtliche Basis fur die von gesetzlichen Schranken befreite Tatigkeit der Polizei und insbesondere der Gestapo wenngleich sie in spateren Jahren an Bedeutung verlor und unbeschrankte Befugnisse mit dem Gesamtauftrag im Zuge des Neuaufbaus des nationalsozialistischen Staates gerechtfertigt wurden 16 Die Strafnorm des 4 wurde durch neue Gesetze und Verordnungen auf der Grundlage des Ermachtigungsgesetzes ausgestaltet Dies gilt auch fur die Strafverscharfungen von 5 Abs 1 der 1935 aufgehoben wurde Die neuartigen Strafbestimmungen gemass Abs 2 blieben dagegen in Kraft 17 5 wurde nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Kontrollratsgesetz Nr 55 vom 20 Juni 1947 explizit aufgehoben Literatur BearbeitenLudwig Richter Die Vorgeschichte des Art 48 der Weimarer Reichsverfassung Der Staat 1998 S 1 26 Lothar Gruchmann Justiz im Dritten Reich 1933 1940 Anpassung und Unterwerfung in der Ara Gurtner Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte Bd 28 3 verbesserte Auflage Oldenbourg Munchen 2001 ISBN 3 486 53833 0 Thomas Raithel Irene Strenge Die Reichstagsbrandverordnung Grundlegung der Diktatur mit den Instrumenten des Weimarer Ausnahmezustandes In Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte Bd 48 2000 S 413 460 PDF 7 13 MB Andreas Schwegel Der Polizeibegriff im NS Staat Polizeirecht juristische Publizistik und Judikative 1931 1944 Beitrage zur Rechtsgeschichte des 20 Jahrhunderts Bd 48 Mohr Siebeck Tubingen 2005 ISBN 3 16 148762 1 zugleich Gottingen Universitat Dissertation 2004 Sven Felix Kellerhoff Relikte des Kaiserreichs Die drei todlichen Fehler der Weimarer Verfassung Die Welt 11 August 2019 Weblinks Bearbeiten nbsp Wikisource Reichstagsbrandverordnung Quellen und Volltexte Rundfunkrede des Reichskanzlers von Schleicher vom 15 Dezember 1932 Verordnung des Reichsprasidenten zum Schutz von Volk und Staat Reichstagsbrandverordnung 28 Februar 1933 In 1000dokumente de Reichstagsbrandverordnung im LeMO DHM und HdG Siehe auch BearbeitenVerordnung des Reichsprasidenten zum Schutze des Deutschen Volkes vom 4 Februar 1933Einzelnachweise Bearbeiten vgl Zu den Grundrechten in der Weimarer Reichsverfassung Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Ausarbeitung vom 2 Juni 2008 RGBl 1933 I S 35 40 Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich Ermachtigungsgesetz Vom 24 Marz 1933 RGBl 1933 I S 141 Gunther Wieland Die normativen Grundlagen der Schutzhaft in Hitlerdeutschland In Jahrbuch fur Geschichte 1982 S 75 102 Handzettel von 1938 des Verlages Erich Wewel Auf Anordnung des Geheimen Staatspolizeiamtes Berlin und im Einvernehmen mit dem Herrn Reichsminister fur Volksaufklarung und Propaganda ist die Zeitschrift Der Prediger und Katechet auf Grund vom 1 der VO des Reichsprasidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28 Februar 1933 R G BI I S 83 verboten Heft 8 9 darf nicht ausgeliefert werden Heft 11 und 12 des laufenden Jahrgangs konnen auf Grund des Verbotes nicht erscheinen Der Verlag bittet weitere Benachrichtigen abzuwarten Im September 1938 88 Jahrgang Erich Wewel Verlag Krailling vor Munchen Archiv Meinolf Wewel Vorlaufiges Gesetz zur Gleichschaltung der Lander mit dem Reich Vom 31 Marz 1933 DokumentArchiv de abgerufen am 5 Februar 2023 RGBl 1933 I S 151 Rundfunkrede des Reichskanzlers von Schleicher vom 15 Dezember 1932 Regierungsprogramm Memento des Originals vom 8 Februar 2005 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www stmuk bayern de abgerufen am 6 Februar 2012 Verordnung des Reichsprasidenten auf Grund des Artikel 48 Abs 2 der Reichsverfassung betreffend die zur Wiederherstellung der offentlichen Sicherheit und Ordnung im Reichsgebiete mit Ausnahme von Bayern Sachsen Wurttemberg und Baden und der von ihnen umschlossenen Gebiete notigen Massnahmen vom 13 Januar 1920 ergangen aus Anlass des Blutbades vor dem Reichstag und aus Anlass des Kapp Putsches erganzt durch die Verordnung des Reichsprasidenten auf Grund des Art 48 Abs 2 der Reichsverfassung betreffend die zur Wiederherstellung der offentlichen Sicherheit und Ordnung im Bezirke des Reichswehrgruppenkommandos I notigen weiteren Massnahmen vom 19 Marz 1920 So mit der Verordnung des Reichsprasidenten auf Grund des Artikel 48 Abs 2 der Reichsverfassung betreffend die zur Wiederherstellung der offentlichen Sicherheit und Ordnung fur das Reichsgebiet notigen Massnahmen vom 26 September 1923 ergangen aus Anlass der Beendigung des Ruhrkampfes und bereits weitgehend identisch mit der Reichstagsbrandverordnung Verordnung des Reichsprasidenten betreffend die Wiederherstellung der offentlichen Sicherheit und Ordnung in Gross Berlin und Provinz Brandenburg vom 20 Juli 1932 Schneider in Josef Isensee Paul Kirchhof Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Band I Historische Grundlagen 3 Aufl 2003 5 Rn 55 Gerhard Anschutz Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11 August 1919 ein Kommentar fur Wissenschaft und Praxis 14 Aufl 1933 Art 48 Abs 2 Anm 8 Hans Boldt Der Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung Sein historischer Hintergrund und seine historische Funktion In Michael Sturmer Hrsg Die Weimarer Republik Belagerte Civitas 2 erw Auflage Athenaum Konigstein Ts 1985 1980 ISBN 3 7610 7254 6 S 288 309 hier S 290 und 297 Ernst Fraenkel Der Doppelstaat Recht und Justiz im Dritten Reich Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 1984 S 26 Runderlass des Reichssicherheitshauptamtes vom 15 Mai 1940 Thomas Raithel Irene Strenge Die Reichstagsbrandverordnung Grundlegung der Diktatur mit den Instrumenten des Weimarer Ausnahmezustandes Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte 2000 S 419 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Verordnung des Reichsprasidenten zum Schutz von Volk und Staat amp oldid 238011331