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Legitimation bezeichnet in der Politikwissenschaft im engeren Sinne die Rechtfertigung eines Staates fur sein hoheitliches oder nichthoheitliches Handeln bzw dessen Ergebnis Sie stellt die Legitimitat solchen Handelns seiner Ergebnisse oder der Herrschaft her 1 2 Legitimitat erfordert Legitimation Der Begriff wird jedoch auch auf supranationale Organisationen und transnationale Akteure angewandt 3 Inhaltsverzeichnis 1 Normatives Legitimationsverstandnis 2 Soziologisches Legitimationsverstandnis 3 Input Output Legitimation 4 Kritik 5 Siehe auch 6 Literatur 7 EinzelnachweiseNormatives Legitimationsverstandnis BearbeitenDie Existenz von Staaten wird ublicherweise normativ legitimiert durch die Staatszwecke Die Einschrankungen die ein Staat fur seine Staatsangehorigen immer mit sich bringt sind demnach in erster Linie gerechtfertigt weil er eine Friedensordnung gewahrleistet in der sie vor der Selbstsucht und der Aggressivitat ihrer Mitmenschen innerhalb und ausserhalb geschutzt werden Ausserdem sichert er eine gerechte Gemeinschaftsordnung in der sie ihre Personlichkeit frei entfalten konnen 4 In der politischen Philosophie wird seit der Fruhen Neuzeit daraus der Schluss gezogen dass die Legitimation der Herrschenden erlischt sobald sie diese Zwecke nicht erreichen also ungerecht regieren Die Beherrschten haben in diesem Fall ein Widerstandsrecht 5 Die demokratische Rechtfertigung des Staates fugt keine weiteren Staatszwecke hinzu Im pluralistisch verstandenen demokratischen Rechtsstaat durfen sich die Burger ihre jeweils eigenen Zwecke setzen und in grosstmoglicher Freiheit zu erreichen suchen Gleichzeitig sollen sie aber an der Staatsgewalt partizipieren In einer Demokratie ist der Staat also dann legitimiert wenn er seine Ordnungs und Ausgleichsfunktion unter grosstmoglicher Zustimmung und Mitbestimmung aller zu erfullen sucht 4 In den westlichen Demokratien setzte sich die Auffassung durch dass sie sowohl durch die Kombination von bestimmten Wertuberzeugungen wie die Menschenrechte konstitutiven Verfahren zur Partizipation Entscheidungsbildung und Kontrolle von Herrschaft sowie das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit legitimiert sind 6 In der neomarxistischen Theorie vom Spatkapitalismus wird dies als nur scheinhafte Massenlegitimation abgetan Indem falsche Bedurfnisse erzeugt und wohlfahrtsstaatlich befriedigt wurden werde vom weiterhin bestehenden Hauptwiderspruch des Kapitalismus abgelenkt 7 Soziologisches Legitimationsverstandnis BearbeitenDie Soziologie arbeitet demgegenuber mit einem empirischen Legitimationsbegriff Sie schreibt nicht vor wann Herrschaft legitim ist sondern wann sie nachweislich dafur gehalten wird Der deutsche Soziologe Max Weber 1864 1920 beschrieb idealtypisch drei Formen legitimer Herrschaft Die traditionale die charismatische und die legale Herrschaft Die traditionale Herrschaft beruht auf dem Glauben an die Heiligkeit der Traditionen die seit jeher galten Zu ihr gehort etwa das Gottesgnadentum in dem der Monarch durch Geburt legitimiert ist Die charismatische Herrschaft ist legitim weil dem Herrscher ausseralltagliche Fahigkeiten und gewissermassen Heldenkraft zugeschrieben werden Sie basiert auf der affektiven Hingabe der Unterworfenen an den Propheten oder Fuhrer Die legale oder rationale Herrschaft ist legitim weil sie auf formal korrekt gesatzten Ordnungen beruht Basis ist nicht die Dynastie oder die Person des Herrschers sondern das Verfahren mit dem er ausgesucht wurde 8 1969 entwickelte der deutsche Soziologie Niklas Luhmann 1927 1998 in seinem Werk Legitimation durch Verfahren die systemtheoretische Vorstellung dass Institutionen ihre Legitimitat nicht durch das absichtsvolle Handeln der daran beteiligten Menschen erhalten sondern sie mittels des sozialen Mechanismus des Verfahrens autopoietisch selber produzieren Die individuellen Intentionen der beteiligten Parteien wurden dabei kaum eine Rolle spielen Diese These wurde intensiv diskutiert Empirische Untersuchungen zeigten dass nicht allein das blosse Verfahren Legitimitat erzeugt sondern die Uberzeugung es sei fair 9 Input Output Legitimation Bearbeiten Schaubild Input Legitimation Schaubild Throughput Legitimation Schaubild Output LegitimationAm Beispiel der Europaischen Union entwarf der deutsche Politikwissenschaftler Fritz W Scharpf 1999 eine Unterscheidung die sich am Konzept Politischer Input und politischer Output orientiert Dabei ging er von der Gettysburg Address aus in der der amerikanische Prasident Abraham Lincoln 1863 Demokratie definierte als government by the people of the people for the people 10 Die Input Legitimation beruht auf dem normativen Prinzip der Zustimmung der Beherrschten government by the people Sie ist die in der Rechtswissenschaft vorherrschende Kategorie von Legitimation Zu der die Input Legitimation betreffenden Kritik siehe Legitimationskettentheorie Beispiel Die Entscheidung eines demokratisch gewahlten Parlaments Fahrzeugfuhrern in Zukunft die Pflicht aufzuerlegen alle zwei Jahre einen Erste Hilfe Kurs zu absolvieren ist vom Volk dadurch legitimiert dass es die Parlamentarier die nun diese Entscheidung getroffen haben vorher gewahlt hat Die Output Legitimation beruht auf dem funktionalen Prinzip der Nutzlichkeit government for the people Die Akteure die die nutzlichen Leistungen erzeugen mussen nicht unbedingt demokratisch gewahlt sein oder einer anerkannten Regierung angehoren Beispiel Eine von den Vereinten Nationen als Rebellengruppe bezeichnete Organisation baut Strassen Krankenhauser und Schulen in einer von ihr kontrollierten Region in der die offizielle Regierung diese Leistungen nicht erbringt Wegen dieser Handlungen empfinden die von den Rebellen beherrschten Ortsansassigen die Herrschaft der Rebellen als legitim Die Politikwissenschaftlerin Vivien Schmidt fugte 2010 noch eine weitere Dimension hinzu Die Throughput Legitimation beruht auf der efficacy accountability transparency and inclusiveness 11 und mithin die Partizipation der Beherrschten beim politischen Prozess Ansatze in diese Richtung sind die Formen direkter Demokratie wie Volksinitiativen oder Volksabstimmungen Eine solche Beteiligung setzt immer auch die Moglichkeit des Zugangs der Partizipanten zu Informationen mithin Verwaltungstransparenz bzw Informationsfreiheit voraus Beispiel Nach der Reformierung der Rechtschreibung spricht sich das Volk durch Volksentscheid fur die Revidierung der Rechtschreibreform aus Die daraufhin durchgefuhrte Revidierung der Rechtschreibreform ist vom Volk mit legitimiert Solch ein System gibt es derzeit nur in der Schweiz Kritik BearbeitenDer Kritische Rationalismus lehnt die politische Legitimationstheorie mit ahnlichen Argumenten ab wie er das bei der erkenntnistheoretischen Verallgemeinerung tut Die Legitimationstheorie behaupte eine Regierung habe das Recht zu herrschen wenn sie legitim sei d h gemass den Regeln gewahlt sei Jedoch sei auch das Ermachtigungsgesetz vom 24 Marz 1933 in diesem Sinne legitim zustande gekommen Daher reiche das Legitimitatsprinzip nicht hin Es sei eine Antwort auf die Frage Wer soll herrschen Diese Frage sei falsch gestellt Sie musse ersetzt werden durch die Frage wie die Verfassung gestaltet werden konne so dass man die Regierung ohne Blutvergiessen loswerden konne Nicht auf die Art der Einsetzung der Regierung komme es an sondern die Moglichkeit ihrer Absetzung 12 Siehe auch BearbeitenRechtsgeltungLiteratur BearbeitenRalf Dahrendorf Anfechtungen liberaler Demokratien Festvortrag zum zehnjahrigen Bestehen der Stiftung Bundesprasident Theodor Heuss Haus Stiftung Bundesprasident Theodor Heuss Haus Kleine Reihe 19 Stuttgart 2007 Quirin Weber Parlament Ort der politischen Entscheidung Legitimationsprobleme des modernen Parlamentarismus dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland Basel 2011 ISBN 978 3 7190 3123 7 Bettina Westle Legitimation In Everhard Holtmann Hrsg Politik Lexikon 3 Auflage Oldenbourg Munchen 2000 ISBN 3 486 79886 3 S 341 346 Franz Reiner Erkens Sakralitat von Herrschaft Herrschaftslegitimierung im Wandel der Zeiten und Raume Walter de Gruyter Berlin 2002 Reprint 2015 ISBN 3 05 003660 5 Einzelnachweise Bearbeiten Gernot Sydow Verwaltungskooperation in der Europaischen Union Jus publicum Beitrage zum offentlichen Recht Band 118 Mohr Siebeck Tubingen 2004 ISBN 3 16 148553 X Dritter Teil Legitimation von Kooperationsverfahren S 235 Fn 1 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche abgerufen am 2 Mai 2019 Habilitationsschrift Univ Freiburg Legitimation ist ein Prozess Legitimitat sein Resultat Helge Marten Voigts Die Subjektivierung von Gemeinwohlinteressen als Demokratisierung der Verwaltung Studien zum Verwaltungs und Verwaltungsprozessrecht Band 2 Lit Verlag Munster 2016 ISBN 978 3 643 13352 6 S 136 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Dissertation Gernot Sydow Verwaltungskooperation in der Europaischen Union Mohr Siebeck Tubingen 2004 Dritter Teil Legitimation von Kooperationsverfahren S 235 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche abgerufen am 2 Mai 2019 Verwaltungsverfahren und Verwaltungsentscheidungen bedurfen der demokratischen und rechtsstaatlichen Legitimation nicht nur im einzelstaatlichen Rahmen sondern auch innerhalb trans und supranationaler Kooperationsstrukturen a b Reinhold Zippelius Allgemeine Staatslehre Politikwissenschaft Ein Studienbuch 16 Auflage C H Beck Munchen 2010 S 95 Alexander Schwan Politische Theorien des Rationalismus und der Aufklarung In Hans Joachim Lieber Hrsg Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart Bundeszentrale fur politische Bildung Bonn 1993 S 157 258 hier S 193 Bettina Westle Legitimation In Everhard Holtmann Hrsg Politik Lexikon 3 Auflage Oldenbourg Munchen 2000 S 342 Bettina Westle Legitimation In Everhard Holtmann Hrsg Politik Lexikon 3 Auflage Oldenbourg Munchen 2000 S 342 Martin Endress Soziologische Theorien kompakt 2 aktualisierte Auflage Oldenbourg Munchen 2013 ISBN 978 3 486 73508 6 S 53 66 Stefan Machura Legitimation durch Verfahren was bleibt In Soziale Systeme 22 2020 Heft 1 2 S 331 354 Fritz W Scharpf Regieren in Europa Effektiv und demokratisch Campus Frankfurt am Main New York 1999 auch zum Folgenden Vivien A Schmidt Democracy and Legitimacy in the European Union In Erik Jones Anand Menon und Stephen Weatherill The Oxford Handbook of the European Union Oxford University Press Oxford New York 2012 S 665 672 Vivien Schmidt The Eurozone s Crisis of Democratic Legitimacy Can the EU Rebuild Public Trust and Support for European Economic Integration PDF In European Economy Discussion Papers No 15 European Commission September 2015 S 8 abgerufen am 7 April 2021 englisch Karl Popper Freiheit und intellektuelle Verantwortung 1989 in ders Alles Leben ist Problemlosen Uber Erkenntnis Geschichte und Politik 14 Auflage Munchen 2010 S 239 254 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Legitimation Politikwissenschaft amp oldid 229262906