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Das Widerstandsrecht ist allgemein ein naturrechtlich bzw durch ein positives Gesetz statuiertes Recht jedes Menschen sich unter bestimmten Bedingungen gegen staatliche Gesetze oder Massnahmen aufzulehnen bzw ihnen den Gehorsam zu verweigern Die Existenz eines uberpositiven naturrechtlich begrundeten Widerstandsrechts wurde und wird in der politischen Philosophie der Rechtsphilosophie und der Staatstheorie kontrovers diskutiert 1 In Deutschland garantiert Artikel 20 des Grundgesetzes Abs 4 das Recht eines jeden Deutschen gegen jeden Widerstand zu leisten der es unternimmt die dort in Abs 1 bis 3 niedergelegte Verfassungsordnung zu beseitigen wenn andere Abhilfe nicht moglich ist Inhaltsverzeichnis 1 Rechtliche Situation in Deutschland 2 Rechtliche Situation in anderen Staaten 3 Rechtsphilosophische Entwicklung und Einordnung 3 1 Einleitung 3 2 Das Widerstandsrecht in der philosophischen Diskussion der fruhen Neuzeit 3 2 1 Reformation 3 2 1 1 Martin Luther 1546 3 2 1 2 Huldrych Zwingli 1531 3 2 1 3 Johannes Calvin 1564 3 2 1 4 John Locke 1704 3 2 2 Immanuel Kant 1804 4 Siehe auch 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseRechtliche Situation in Deutschland BearbeitenDas in Art 20 Abs 4 GG gewahrte Recht zum Widerstand ist Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und gilt als grundrechtsgleiches Recht 2 Dieses Recht 1968 im Zuge der Notstands Gesetzgebung eingefugt lautet in seinem Verfassungstext Gegen jeden der es unternimmt diese Ordnung zu beseitigen haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand wenn andere Abhilfe nicht moglich ist Voraussetzung ist dass ein staatliches Organ oder auch ein Privater es unternimmt die in Art 20 Abs 1 bis 3 GG verankerte verfassungsrechtliche Ordnung zu beseitigen soweit diese Ordnung gemass Art 79 Abs 3 GG unabanderlich ist 3 Nach dieser Bestimmung ist eine Anderung des GG durch welche die Gliederung des Bundes in Lander die grundsatzliche Mitwirkung der Lander bei der Gesetzgebung oder die in den Art 1 und Art 20 GG niedergelegten Grundsatze beruhrt werden unzulassig Dazu gehoren die Grundelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wie insbesondere der Katalog der Menschen und Grundrechte vor allem der Menschenwurde und damit eng verbunden die personlichen Freiheitsrechte sowie das Gleichheitsprinzip das Rechtsstaatsprinzip das Demokratieprinzip die Volkssouveranitat die Gewaltenteilung die Verfassungs und Gesetzesbindung von Legislative Exekutive und Judikative das Bundesstaatsprinzip das Republikprinzip und das Sozialstaatsprinzip Das Recht zum Widerstand richtet sich vor allem gegen staatliche Organe selber die versuchen durch politische Entscheidungen Gesetze Massnahmen die gegebene Verfassungsordnung ausser Kraft zu setzen zu beseitigen oder umzusturzen diese Moglichkeit und Sorge war auch Anlass fur die Einfuhrung des Widerstandsrechts 1968 im Ubrigen im Zusammenhang mit den gleichzeitig erlaubten verfassungsrechtlichen Beschrankungen fur den Fall eines Notstands Dem liegt die Erkenntnis zugrunde dass staatliche Organe sich durchaus verfassungswidrig verhalten konnen selbst wenn sie durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes handeln wie es zum Beispiel die Nationalsozialisten zu Beginn ihrer faschistischen Gewaltherrschaft 1933 bei der Machtergreifung praktiziert hatten Das Widerstandsrecht steht am Ende einer langen historischen Entwicklung die auf absolutistischem oder rechtspositivistischem Hintergrund davon ausging dass staatliches Handeln nie Unrecht sein konne The King can do no wrong Es reicht bereits der Versuch aus diese Ordnung zu beseitigen Aus vereinzelten Verletzungen der ihr zugrundeliegenden Bestimmungen kann indessen kein Widerstandsrecht hergeleitet werden Das Widerstandsrecht besteht auch nicht gegen einzelne Art 20 GG verletzende Massnahmen staatlicher Organe 4 3 Vielmehr muss es sich um einen Angriff auf die grundlegende Ordnung als solche handeln um deren Verteidigung und Wiederherstellung es geht woraus sich der die Ordnung konservierende Charakter eines Widerstandsrechts herleitet 5 Das Widerstandsrecht setzt ausserdem voraus dass alle anderen legalen Moglichkeiten einer Gegenwehr ausgeschopft sind Subsidiaritat ultima ratio eine andere Abhilfe somit objektiv nicht moglich ist 6 Das Bundesverfassungsgericht hat sich bislang zur Frage eines Widerstandrechts nur in seiner Entscheidung vom 17 August 1956 zum KPD Verbot 5 also vor Aufnahme dieses Rechts in Art 20 GG ausfuhrlicher geaussert Danach stellt das Gericht grundsatzlich in Frage ob angesichts des grundgesetzlich gewahrleisteten Rechtsbehelfssystems uberhaupt noch Raum fur ein solches Recht sein kann 5 Ein Widerstandsrecht gegen Einzelmassnahmen schliesst es jedoch ausdrucklich aus wurde man gegen einzelne staatliche verfassungswidrige Massnahmen bereits ein solches Recht zulassen so ubersahe man den grundsatzlichen Unterschied zwischen einer intakten Ordnung in der im Einzelfalle auch Verfassungswidrigkeiten vorkommen mogen und einer Ordnung in der die Staatsorgane aus Nichtachtung von Gesetz und Recht die Verfassung das Volk und den Staat im ganzen verderben so dass auch die etwa in solcher Ordnung noch bestehenden Rechtsbehelfe nichts mehr nutzen 5 Damit stehen auch die strengen Voraussetzungen fur das Eingreifen eines Widerstandsrechts im Sinne des Art 20 Abs 4 GG in Ubereinstimmung Liegen die Voraussetzungen des Widerstandsrechts objektiv vor so sind beliebige Formen des Widerstands sei es individuell oder kollektiv moglich auch wenn sie geltendes Recht verletzen 7 Etwaige dabei begangene Straftaten und andere Rechtsverletzungen werden durch das Widerstandsrecht gerechtfertigt Der den Widerstand Leistende muss aber jeweils das mildeste Mittel einsetzen wenn ihm dies moglich ist 8 Das Recht zum Widerstand des Art 20 Abs 4 GG findet sich auch in einigen Landesverfassungen der Bundeslander wobei mit ihm zum Teil auch wie in Art 19 der Bremer Landesverfassung eine Pflicht zum Widerstand korrespondiert Rechtliche Situation in anderen Staaten BearbeitenWeltweit ist seine verfassungsrechtliche Regelung nicht sehr verbreitet In Portugal wurde es nach der Nelkenrevolution unter Art 7 Abs 2 in die Verfassung von 1976 aufgenommen 9 Rechtsphilosophische Entwicklung und Einordnung BearbeitenEinleitung Bearbeiten Die rechtsphilosophische Auseinandersetzung mit diesem Gedanken wird seit der Antike betrieben und hatte ihren Ausgangspunkt in dem Streit um die Legitimation des Tyrannenmordes Von da an wurde die Diskussion zusehends abstrahiert und es entwickelte sich der abstrakte Gedanke eines allgemeinen ubergesetzlichen Widerstandsrechts Eine wesentliche Rolle spielte dabei die Auseinandersetzung mit der Legitimation geschriebenen Rechts und die Frage nach einem allgemeinen ubergesetzlichen Prinzip dem sich alles geschriebene Recht unterzuordnen habe In der Antike erhoben die Sophisten bereits den Einwand geschriebenes Gesetz sei nur Ausgeburt der Macht und konne fur sich gesehen keine Legitimation beanspruchen nur weil es eben geschrieben stehe Demgegenuber bildete sich der Rechtspositivismus heraus der seinerseits die Legitimation von Gesetzen rein in ihrer Positivierung begriff und Legitimation auch nur aus geschriebenem Recht herleiten wollte Auf der Suche nach einem allgemeinen ubergesetzlichen Rechtsprinzip pragte Aristoteles den Begriff des Hochsten Guts von anderen z B der Stoa wurde das Naturrecht als Legitimationsquelle bemuht auch das gottliche Recht jus divina wurde herangezogen Das Postulat eines allgemeinen Widerstandsrechts ist eine Folge dieser Erkenntnisse Geschriebenes Recht und Gesetz muss sich an der Freiheit die nicht als blosse Abwesenheit von Zwang verstanden werden will messen lassen konnen Wer also die Freiheit beseitigen will beseitigt den allgemeinen Massstab nach dem nur Recht recht ens sein kann dieses Wortspiel ist in der Tat in der Rechtsphilosophie immer wieder bei der Frage quid sit iuris gespielt worden Im deutschen Verfassungsrecht wird diese Freiheit als freiheitliche demokratische Grundordnung beschrieben und fusst ihrerseits nach dem Grundgesetz auf den in den Art 1 und Art 20 GG niedergelegten eingangs genannten Grundsatzen So steht also jedem Deutschen das Widerstandsrecht ist eben nicht als Menschenrecht konzipiert sondern als Burgerrecht das Recht zu Widerstand in den genannten Formen zu leisten wenn diese Grundsatze beseitigt werden sollen und andere Abhilfe nicht moglich ist Von der Herleitung verschieden aber im Ergebnis gleich hat es auch andere philosophische Ansatze gegeben Montesquieu formulierte das 1721 in den Persischen Briefen so Wenn ein Furst weit davon entfernt seine Untertanen glucklich leben zu lassen sie unterdrucken und vernichten will so endet die Grundlage des Gehorsams nichts bindet sie mehr nichts knupft sie mehr an ihn und sie kehren wieder in ihre naturliche Freiheit zuruck 1776 wird in der Amerikanischen Unabhangigkeitserklarung die Loslosung von der britischen Krone mit dem Widerstandsrecht begrundet welches auf den Calvinismus 10 und den englischen Aufklarer John Locke zuruckgeht Das Widerstandsrecht in der philosophischen Diskussion der fruhen Neuzeit Bearbeiten Reformation Bearbeiten Mit seiner Kritik an der Kirche stellte Luther ab 1517 nicht nur die geistlichen Autoritaten in Frage sondern er loste auch eine Debatte uber die Grenzen des Gehorsams gegenuber weltlichen Obrigkeiten aus So beriefen sich die Aufstandischen im deutschen Bauernkrieg von 1525 auf die von Luther formulierte Freiheit eines Christenmenschen 11 Martin Luther 1546 Bearbeiten Nicht zuletzt unter dem Eindruck des Bauernkriegs betonte Luther immer starker die Gehorsamspflicht des Christen gegenuber der weltlichen Obrigkeit In seiner Zwei Reiche Lehre berief er sich auf Rom 13 11 Lutherische Theologen blieben auch in der Folge zuruckhaltend mit der Annahme eines Widerstandsrechts Huldrych Zwingli 1531 Bearbeiten Die reformierten Theologen bejahten starker als die lutheranischen ein Recht auf Widerstand wenn die Obrigkeit Gottes Gesetz missachte Dies gilt beispielsweise fur den Zurcher Reformator Zwingli 12 Johannes Calvin 1564 Bearbeiten Auch er sah ein Widerstandsrecht vor das er in seiner Institution Buch IV Kapitel 20 1536 1559 detailliert diskutierte Die Auseinandersetzung wurde nach der Bartholomausnacht 1572 durch die Monarchomachen weiter vertieft und pragnant durch Theodor Beza 1605 formuliert 13 John Locke 1704 Bearbeiten Ein entschiedener Verfechter des Widerstandsrechts war John Locke der sich der Thematik in seiner Zweiten Abhandlung uber die Regierung widmet 14 Fur Locke folgt das Widerstandsrecht aus seiner Theorie vom Gesellschaftsvertrag Die im Naturzustand freien und gleichen Menschen haben ein Recht auf Selbsterhaltung im Sinne eines Rechts auf Freiheit Leben und Eigentum Damit korrespondiert im Naturzustand ein Recht auf Selbstverteidigung gegen jene die Freiheit Leben und Eigentum angreifen und dadurch einen Kriegszustand zwischen Angreifer und Verteidiger herbeifuhren 15 Durch den Gesellschaftsvertrag verlassen die Menschen den Naturzustand und begrunden einen gesellschaftlichen bzw politischen Zustand Der Vertrag hat den Zweck den Schutz vor solchen Angriffen auf eine politische Korperschaft zu ubertragen zugleich ubertragt der einzelne mit ihm aber auch sein Selbstverteidigungsrecht auf den Staat als politische Korperschaft 16 Die durch den Gesellschaftsvertrag konstituierte Regierung soll also Freiheit Leben und Eigentum des Einzelnen schutzen Verkehrt eine Regierung diesen Vertragszweck durch rechtswidrige Angriffe auf Freiheit Leben und Eigentum des Volkes in sein Gegenteil liegt letztlich ein Bruch des Gesellschaftsvertrags vor durch den sich die Regierung dem Volk gegenuber in den Kriegszustand versetzt 17 Auf diese Weise erhalt das Volk sein Recht auf Selbstverteidigung zuruck Das Widerstandsrecht ist somit lediglich eine besondere Form des naturlichen Selbstverteidigungsrechts Seine Ausubung setzt allerdings voraus dass gegen die rechtswidrigen Angriffe der Regierung keine effektive Rechtsschutzinstanz zur Verfugung steht 18 Dem moglichen Einwand ein Widerstandsrecht verfuhre das Volk zu Rebellion und fuhre zu Unfrieden und Chaos begegnet Locke mit folgenden Argumenten Betreffen die rechtswidrigen Angriffe der Regierung nur wenige Burger so konnten diese der Regierung ohnehin kaum schaden wahrend das Volk als Ganzes nicht betroffen sei und deshalb in der Regel nicht Partei ergreifen werde Die wenigen Betroffenen hatten aber dennoch ein Selbstverteidigungsrecht 19 Sei hingegen das Volk als Ganzes betroffen so werde es zwar zur Rebellion kommen Allerdings hange das Volk sehr an bestehenden Gewohnheiten so dass erst bei Uberhandnehmen der Angriffe mit einer Ausubung des Widerstandsrechts zu rechnen sei Der hierdurch verursachte Kriegszustand sei dann jedoch nicht vom Volk sondern von der Regierung verschuldet Uberhaupt wurden politische Unruhen zumeist nicht vom Volk sondern von der Regierung ausgehen Warum eine Verteidigung zwar gegen Rauber und Piraten nicht aber gegen rechtswidrige Angriffe seitens der Obrigkeit zulassig sein soll sei nicht ersichtlich 20 Die Burger stunden ohne Widerstandsrecht schlechter als im Naturzustand da sie der rechtswidrigen Gewalt der Regierung ausgeliefert waren ohne sich hiergegen wehren zu konnen Auf die Frage wem die Letztentscheidung uber den Einsatz des Widerstandsrechts zukommen soll antwortet Locke Das Volk soll Richter sein 21 Denn die Regierung sei lediglich Beauftragte des Volkes und nicht die Entscheidung des Beauftragten sondern die des Auftraggebers musse massgeblich sein Immanuel Kant 1804 Bearbeiten Immanuel Kant lehnt in seinen veroffentlichten Werken ein Widerstandsrecht des Volkes und des Einzelnen auch gegen evident ungerechte Gesetze ab Er beschaftigt sich vor allem in zwei Veroffentlichungen explizit mit der Problematik des Widerstandsrechts In der Schrift Uber den Gemeinspruch Das mag in der Theorie richtig sein taugt aber nicht fur die Praxis 1793 und in seinem rechtsphilosophischen Hauptwerk Die Metaphysik der Sitten 1797 Kant begrundet seine Ablehnung des Widerstandsrechts mit Hilfe von drei Argumenten Dem logischen Argument dem Ruckfallargument und dem Gluckseligkeitsargument 22 Das Gluckseligkeitsargument benutzt Kant lediglich im Gemeinspruch geht jedoch im vier Jahre spater erschienenen rechtsphilosophischen Hauptwerk Die Metaphysik der Sitten nicht mehr darauf ein Kant wirft Widerstandlern in diesem Zusammenhang vor die eigene Gluckseligkeit auf Kosten der obersten Maximen eines Staates durchsetzen zu wollen Wahrend die eigene Gluckseligkeit auf die es die Widerstandler stets abgesehen hatten lediglich einen sehr unsicheren Massstab biete der sich im Lauf der Zeiten andern konne entspringe jede Rechtsnorm der reinen Vernunft und sei bereits aus diesem Grunde uneinschrankbar 23 Von zentraler Bedeutung ist das logische Argument Die Staatsmacht sei nicht teilbar Indem jeder der im Namen eines Widerstandsrechts auftrete sich die Stellung des Souverans anmasse entstehe ein logischer Widerspruch zum wirklichen Souveran Denn um zu demselben Anm dem Widerstand befugt zu sein musste ein offentliches Gesetz vorhanden sein welches den Widerstand des Volkes erlaubte d h die oberste Gesetzgebung enthielte eine Bestimmung in sich nicht die oberste zu sein welches sich widerspricht Immanuel Kant Die Metaphysik der Sitten 24 Das Ruckfallargument begrundet Kant mit dem unabdingbaren Vorrang eines Rechtszustandes unter offentlichen Gesetzen vor dem Naturzustand Jeder Widerstand bedeutet nach Kant einen Schritt zuruck in Richtung Naturzustand Lediglich in einem gesicherten rechtlichen Zustand konne jedem Menschen das Seine verlasslich zugeteilt werden 25 Daher gilt Kant zufolge jedes positive Gesetz als heilig und darf nicht angezweifelt werden Man musse es das Gesetz so betrachten als habe nicht irgendein Gesetzgeber sondern Gott selbst das Gesetz erlassen 26 Erlaubt ist Kant zufolge lediglich eine Form des Widerstandes namlich der Gebrauch der Feder das heisst die Freiheit seinen Gedanken uber die Gesetzgebung offentlich Ausdruck verleihen zu durfen 27 Jedoch lasst er auch diese Form des Widerstands nur eingeschrankt gelten Insbesondere gestattet er den Burgern nur solche Formen der Kritik die sich noch im Rahmen der geltenden Ordnung halten 28 Denn darin besteht eben das Ansehen der Regierung dass sie den Untertanen nicht die Freiheit lasst nach ihren eigenen Begriffen sondern nach Vorschrift der gesetzgebenden Gewalt uber Recht und Unrecht zu urteilen Immanuel Kant Der Streit der Fakultaten 29 Kant verwirft die Vorstellung eines Widerstandsrechtes gegen staatliche Normen kategorisch Er erkennt weder im Hinblick auf ungerechte Gesetze noch aus sonstigen Grunden Ausnahmen an Jede Rechtsordnung und sei sie auch aus nackter Gewalt entstanden verdiene unabhangig von ihren Inhalten den unbedingten Vorrang vor jeder Form des Naturzustandes 30 Diese Rigorositat unterscheidet Kant von Hobbes Hobbes zufolge schulden die Staatsburger dem Souveran gegenuber nur so lange Gehorsam wie dieser in der Lage ist ihnen ein Mindestmass an Sicherheit zu garantieren Bereits unmittelbar im Anschluss an die Veroffentlichung der Metaphysik der Sitten hatte der Rezensent Friedrich Ludewig Bouterweck Kant vorgeworfen eine paradoxe Position zu vertreten Kant fordere von seinen Lesern den paradoxesten aller paradoxen Satze anzuerkennen den Satz dass die blosse Idee der Oberherrschaft mich notigen soll jedem der sich zu meinem Herrn aufwirft als meinem Herrn zu gehorchen ohne zu fragen wer ihm das Recht gebe mir zu befehlen Friedrich Bouterweck Rezension von Kants Metaphysische Anfangsgrunde der Rechtslehre 31 In der Sekundarliteratur wird Kants kategorische Ablehnung des Widerstandsrechts daher uberwiegend als problematisch angesehen Kritisiert wird vor allem dass Kants diesbezugliche Konzeption nicht mit seinem kategorischen Imperativ und seiner aus diesem entspringenden Begrundung des allgemeinen Menschenrechts auf Freiheit ubereinstimme 32 Aus diesem Grunde ist immer wieder versucht worden diese Position Kants als inkonsistent darzustellen und zu zeigen dass die Anerkennung eines Widerstandsrechts mit seinem ubrigen philosophischen System durchaus vereinbar sei 33 Der italienische Philosoph Domenico Losurdo betont demgegenuber den konkreten historischen Kontext in dem Kant seine Ablehnung des Widerstandsrechts formuliert hat In seiner prinzipiellen Ubereinstimmung mit den revolutionaren Ereignissen in Frankreich habe er u a wegen moglicher Zensur in weniger deutlicher Sprache im Wesentlichen die Illegitimitat der partikularen Zielen nachgehenden katholischen Reaktion in Gestalt des Aufstands der Vendee hervorheben wollen Der vermeintliche Reaktionismus und Konservatismus Kants stelle sich so als sein Gegenteil heraus 34 Siehe auch BearbeitenPutsch Revolution Ubergesetzlicher Notstand Untergrundbewegung Streitbare Demokratie Widerstand gegen die Staatsgewalt Widerstand gegen VollstreckungsbeamteLiteratur BearbeitenKarl Friedrich Bertram Das Widerstandsrecht des Grundgesetzes 1970 ISBN 3 428 01800 1 Karl Friedrich Bertram Widerstand und Revolution Ein Beitrag zur Unterscheidung der Tatbestande und ihrer Rechtsfolgen 1964 ISBN 3 428 00109 5 Angela De Benedictis Karl Heinz Lingens Hrsg Wissen Gewissen und Wissenschaft im Widerstandsrecht 16 18 Jh Frankfurt am Main 2003 ISBN 3 465 03280 2 Robert von Friedeburg Hrsg Widerstandsrecht in der fruhen Neuzeit Ertrage und Perspektiven der Forschung im deutsch britischen Vergleich Darin u a ders Widerstandsrecht im Europa der Neuzeit Forschungsgegenstand und Forschungsperspektiven In Zeitschrift fur Historische Forschung Beiheft 26 Berlin 2001 ISBN 3 428 10629 6 S 11 59 Konrad Hesse Grundzuge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland 20 Auflage Heidelberg 1999 ISBN 3 8114 7499 5 Rn 757 ff Frauke Hontzsch Die klassische Lehre vom Widerstandsrecht In Birgit Enzmann Hrsg Handbuch Politische Gewalt Wiesbaden 2013 ISBN 978 3 531 18958 1 S 75 95 David Johst Begrenzung des Rechtsgehorsams Die Debatte um Widerstand und Widerstandsrecht in Westdeutschland 1945 1968 Tubingen 2016 ISBN 978 3 16 153102 6 Arthur Kaufmann Vom Ungehorsam gegen die Obrigkeit Aspekte des Widerstandsrechts von der antiken Tyrannis bis zum Unrechtsstaat unserer Zeit vom leidenden Gehorsam bis zum zivilen Ungehorsam im modernen Rechtsstaat 1991 ISBN 3 8226 1391 6 Fritz Kern Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im fruheren Mittelalter Zur Entwicklungsgeschichte der Monarchie 6 Auflage Darmstadt 1973 Bodo Missling Widerstand und Menschenrechte Das volkerrechtlich begrundete Individualwiderstandsrecht gegen Menschenrechtsverletzungen 1999 ISBN 3 932694 64 3 Klaus Peters Widerstandsrecht und humanitare Intervention Koln u a 2005 ISBN 3 452 26066 6 Klaus Roth Bernd Ladwig Recht auf Widerstand Ideengeschichtliche und philosophische Perspektiven Studien zu Grund und Menschenrechten 12 Universitats Verlag Potsdam 2006 ISBN 978 3 937786 84 1 Volltext Markus Tiedemann Lea Eisleb Recht auf Widerstand Zur Theorie politischer Verweigerung Kohlhammer Stuttgart 2018 ISBN 978 3 17 034355 9 Weblinks BearbeitenArtikel 20 des Grundgesetzes im Wortlaut Verfassungsbeschwerde von Karl Albrecht Schachtschneider PDF 1 7 MB Memento vom 3 Januar 2013 im Internet Archive Einzelnachweise Bearbeiten Vgl Marsavelski A 2013 The Crime of Terrorism and the Right of Revolution in International Law Connecticut Journal of International law Vol 28 S 266 285 Karl Peter Sommermann in von Mangoldt Klein Starck Das Bonner Grundgesetz 5 Aufl 2005 Art 20 Rn 340 a b Jarass Pieroth Grundgesetz fur die Bundesrepublik Deutschland Kommentar 10 Aufl Beck Munchen 2009 ISBN 978 3 406 58375 9 Art 20 Rn 129 Herzog in Maunz Durig Grundgesetz Kommentar Losblattausgabe Art 20 IX 45 a b c d BVerfG Urteil vom 17 August 1956 Az 1 BvB 2 51 BVerfGE 5 85 377 ff KPD Verbot Jarass Pieroth Grundgesetz fur die Bundesrepublik Deutschland Kommentar 10 Aufl Beck Munchen 2009 ISBN 978 3 406 58375 9 Art 20 Rn 130 Herzog in Maunz Durig Grundgesetz Kommentar Losblattausgabe Art 20 IX 56 Dolzer in Josef Isensee Paul Kirchhof Hrsg Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Bd VII 1992 171 Rn 40 Alexander Blankennagel Ingolf Pernice Helmuth Schulze Fielitz Verfassungen im Diskurs der Welt Mohr Siebeck Tubingen 2004 ISBN 3 16 148361 8 S 345 The Calvinist Connection Abgerufen am 27 Marz 2017 a b Franz Brendle Das konfessionelle Zeitalter Akademie Verlag Berlin 2010 ISBN 978 3 05 004554 2 S 37 Beat Hodler Das Widerstandsrecht bei Luther und Zwingli ein Vergleich in Zwingliana 16 5 1985 1 S 427 441 Nach Friedrich Wilhelm Graf Der Protestantismus Geschichte und Gegenwart 3 Auflage Beck Munchen 2017 ISBN 978 3 406 70824 4 C H Beck Wissen S 45 f Walter Euchner John Locke zur Einfuhrung Hamburg 2 Aufl 2004 S 119 John Locke Zwei Abhandlungen uber die Regierung Herausgegeben und eingeleitet von Walter Euchner Frankfurt am Main 1 Aufl 1977 S 203 ff 211 John Locke Zwei Abhandlungen uber die Regierung Herausgegeben und eingeleitet von Walter Euchner Frankfurt am Main 1 Aufl 1977 S 212 253 John Locke Zwei Abhandlungen uber die Regierung Herausgegeben und eingeleitet von Walter Euchner Frankfurt am Main 1 Aufl 1977 S 327 John Locke Zwei Abhandlungen uber die Regierung Herausgegeben und eingeleitet von Walter Euchner Frankfurt am Main 1 Aufl 1977 S 329 f John Locke Zwei Abhandlungen uber die Regierung Herausgegeben und eingeleitet von Walter Euchner Frankfurt am Main 1 Aufl 1977 S 330 f John Locke Zwei Abhandlungen uber die Regierung Herausgegeben und eingeleitet von Walter Euchner Frankfurt am Main 1 Aufl 1977 S 343 ff John Locke Zwei Abhandlungen uber die Regierung Herausgegeben und eingeleitet von Walter Euchner Frankfurt am Main 1 Aufl 1977 S 345 Peter Unruh Die Herrschaft der Vernunft Zur Staatsphilosophie Immanuel Kants Baden Baden 1995 S 199 Immanuel Kant Uber den Gemeinspruch Das mag in der Theorie richtig sein taugt aber nichts fur die Praxis in Kants Werke hrsgg von der Koniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften Berlin Bd VIII 1908 S 273 313 Immanuel Kant Die Metaphysik der Sitten in Kants Werke hrsgg von der Koniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften Berlin Bd VI 1902 ff S 203 372 Vgl Peter Unruh Die Herrschaft der Vernunft Zur Staatsphilosophie Immanuel Kants Baden Baden 1995 S 200 Immanuel Kant Die Metaphysik der Sitten in Kants Werke hrsgg von der Koniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften Berlin Bd VI 1902 ff S 203 372 319 Vgl Immanuel Kant Die Metaphysik der Sitten in Kants Werke hrsgg von der Koniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften Berlin Bd VI 1902 ff S 203 372 319 Wolfgang Kersting Wohlgeordnete Freiheit Immanuel Kants Rechts und Staatsphilosophie Frankfurt a M 1993 S 471 Immanuel Kant Der Streit der Fakultaten in Kants Werke hrsgg von der Koniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften Berlin Bd VII 1902 ff S 1 116 S 25 Vgl Immanuel Kant Die Metaphysik der Sitten in Kants Werke hrsgg von der Koniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften Berlin Bd VI 1902 ff S 203 372 318 Bouterweks Rezension im Volltext auf den Seiten der Universitat Bonn Vgl statt vieler Bernd Ludwig Kommentar zum Staatsrecht II in Otfried Hoffe Hg Immanuel Kant Metaphysische Anfangsgrunde der Rechtslehre Reihe Klassiker Auslegen Bd 19 Berlin 1999 S 173 194 189 f Vgl nur Werner Haensel Kants Lehre vom Widerstandsrecht Ein Beitrag zur Systematik der Kantischen Rechtsphilosophie Berlin 1926 Vgl Domenico Losurdo Immanuel Kant Freiheit Recht und Revolution Koln 1987 S 34 44 Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Normdaten Sachbegriff GND 4189815 1 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Widerstandsrecht amp oldid 229531329