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Karl Mannheim 27 Marz 1893 in Budapest Osterreich Ungarn 9 Januar 1947 in London war ein Soziologe und Philosoph osterreichisch ungarischer Herkunft judischer Religion deutscher und britischer Staatsburgerschaft Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Wissenschaftliches Werk 3 Kritik 4 Schriften Auswahl 5 Sekundarliteratur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseLeben BearbeitenKaroly Mannheim war ein Sohn des Textilhandlers Gusztav Mannheim und der Hausfrau Rosa Eylenburg Er besuchte das Ferenc Kolcsey Gymnasium und studierte Philosophie und Soziologie in Budapest Freiburg Berlin wo er 1914 Georg Simmel horte Paris und Heidelberg Zusammen mit Arnold Hauser und Erwin Szabo ist Mannheim der Begrunder der Budapester Freien Schule fur Geisteswissenschaften an der auch Georg Lukacs Vorlesungen hielt 1 Im Jahr 1918 wurde er zum Dr phil promoviert Ein Jahr spater kehrte er seiner Heimat Ungarn den Rucken und emigrierte in der Folge nach Deutschland Von 1922 bis 1925 habilitierte er sich bei dem Kultursoziologen Alfred Weber dem Bruder Max Webers wurde 1926 Privatdozent in Heidelberg und durch die Initiative von Adolf Grimme 1930 ordentlicher Professor fur Soziologie an der Universitat Frankfurt 2 dort stand ihm Norbert Elias als Assistent zur Seite 1933 wurde Mannheim auf Grund seiner judischen Abstammung entlassen Er emigrierte nach England wobei ihn seine Sekretarin Greta Lorke unterstutzte 3 Dort wurde er durch Vermittlung von Harold Laski und Morris Ginsberg Dozent fur Soziologie an der London School of Economics and Political Science und spater Professor of Education an der Universitat London Mannheim war mit der Psychoanalytikerin Julia Lang 1893 1955 4 verheiratet Im Alter von 53 Jahren starb Mannheim in London an einem angeboren schwachen Herzen Er wurde im Golders Green Crematorium in London eingeaschert wo sich auch seine Asche befindet Wissenschaftliches Werk BearbeitenBeeinflusst insbesondere von Georg Lukacs Oszkar Jaszi Wilhelm Dilthey Georg Simmel Max Scheler Max Weber 5 und Alfred Weber gelangte Mannheim von einer philosophischen Analyse der Erkenntnistheorie zur Entwicklung der Wissenssoziologie So hob er hervor dass menschliches Denken und Erkennen nicht in rein theoretischem Rahmen ablaufen sondern von gesellschaftlichen und geschichtlichen Lebenszusammenhangen gepragt werden Lebensphilosophie Daraus entwickelte er ein Modell des epistemischen Relationismus der konstatiert dass Weltsichten sich je nach Position in der Gesellschaft andern und uberwand damit das von ihm entschieden kritisierte substanzialistische Denken 6 Ideologien bedeuten nichts anderes als die Verabsolutierung von partikularen Weltsichten die von Parteien immer wieder benutzt und auch missbraucht werden Ideologieverdacht Mit der Konzeption des totalen Ideologiebegriffs nahm Mannheim eine radikale wissenssoziologische Position ein die relativistisch argumentierte und von Gegnern als nihilistisch bezeichnet wurde Er selbst bezeichnet seinen Ansatz dagegen als Dynamischen Relationismus Im Gegensatz zu Karl Marx postulierte Mannheim einen Ideologiebegriff der jedes Denken auch das eigene als weltanschaulich bedingt d h ideologisch betrachtete und zwar deshalb weil es notwendigerweise perspektivisch ist Er hat dies detailliert v a fur das konservative das liberale und das sozialistische Denken gezeigt Mannheim beschaftigte sich mit politischen Krisenerscheinungen in der Massendemokratie Im Gegensatz zur einseitig geleiteten Gesinnung und zur laissez faire liberalistischen Demokratie welche die Gefahr des Umschlagens in eine totalitare Diktatur einschliesse empfahl Mannheim als dritten Weg die geplante Demokratie mit einer Planung fur Freiheit wobei Planung als rationale Beherrschung der irrationalen Krafte verstanden wird Die Gesellschaft der geplanten Freiheit setzt die Umformung des Menschen voraus Karl Mannheim der den religiosen Sozialisten um Paul Tillich und der christlichen Gruppe Moot um T S Eliot nahestand betont dass dafur eine Zusammenarbeit von Soziologen und Theologen von Bedeutung ist Seine Bearbeitung von Alfred Webers Begriff der freischwebenden Intelligenz gehort zu Mannheims einflussreicher Soziologie der Intelligenz Ebenso gilt er als Pionier der Jugendsoziologie In seinem Text Das Problem der Generationen pragte er den Generationsbegriff neu um damit Kohorten Geburtsjahrgange zusammenzufassen die ein einschneidendes Jugenderlebnis z B den Ersten Weltkrieg geteilt haben und so vor identischen Aufgaben standen Lebens oder Generationszusammenhange diese aber je nach Klassenlage unterschiedlich losten konjunktiver Erfahrungsraum 7 Von besonderer Bedeutung fur eine praxeologische Wissenssoziologie Bohnsack 2007 2008 und die in diesem Kontext entwickelte dokumentarische Methode wurde die Mannheim sche Differenzierung zwischen kommunikativem und konjunktivem Wissen 8 Letzteres versteht Mannheim als atheoretisches und implizites Erfahrungswissen das anders als das explizierbare und reflexiv verfugbare kommunikative Wissen im Sinne des Common Sense die tagliche Alltagspraxis weitgehend unbemerkt anleitet im Sinne des spater von Bourdieu entwickelten Habitus Die dokumentarische Methode widmet sich als Fortentwicklung der Wissenssoziologie Mannheims der Erforschung dieser Form eines impliziten Wissens nbsp Karl Mannheims letzte Ruhestatte im Golders Green Crematorium in LondonKritik BearbeitenDie Bedeutung von Mannheims Ideologie und Utopie 1929 9 sowie der erweiterten englischen Ubersetzung ist zu ersehen aus der breiten Debatte die beide hervorgerufen haben In Deutschland erschienen Rezensionen von Hannah Arendt 10 Max Horkheimer 11 Herbert Marcuse Paul Tillich Gunther Stern Anders 12 Karl A Wittfogel und anderen In den USA waren die Rezensenten u a Hans Speier Robert King Merton Kenneth Burke und Charles Wright Mills Seine englischen Schriften wurden von John Dewey und anderen begrusst aber von Karl Popper heftig angegriffen Mannheims Vorschlag einer geplanten Demokratie und Planung fur die Freiheit wurde von Friedrich August von Hayek in dessen Buch Der Weg zur Knechtschaft scharf angegriffen Hayek argumentierte dass selbst zunachst von Demokratien beschlossene planwirtschaftliche Massnahmen unvermeidlich mit Individualrechten in Konflikt geraten und damit wenn auch nicht unbedingt beabsichtigt gerade den Weg zu totalitaren Systemen ebnen wurden Diese wurden dann die Umformung des Menschen mittels Gewalt betreiben Dementsprechend sei in Mannheims Werk bereits eine Tendenz zur Einschrankung des rechtsstaatlichen Prinzips zu Gunsten angeblich hoherer Ideale erkennbar Nicholas Abercrombie entwickelte aus der Arbeit Mannheims eine Kritik die er gemeinsam mit Stephen Hill und Bryan S Turner 1980 unter dem Titel The Dominant Ideology Thesis veroffentlichte Schriften Auswahl BearbeitenDie Strukturanalyse der Erkenntnistheorie Berlin 1922 Ideologie und Utopie Bonn 1929 Die Gegenwartsaufgaben der Soziologie Tubingen 1932 Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus Leiden 1935 Teilweise verandert und stark erweitert als Man and Society in an Age of Reconstruction London 1940 deutsche Ubersetzung Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus Darmstadt 1958 Diagnosis of our Time London 1943 deutsch 1951 Freedom Power and Democratic Planning London 1951 deutsch 1970 Wissenssoziologie Auswahl aus dem Werk Hrsg von Kurt H Wolff Luchterhand Neuwied Berlin 1964 Strukturen des Denkens Hrsg von David Kettler Volker Meja und Nico Stehr Suhrkamp Frankfurt am Main 1980 Konservatismus Hrsg von David Kettler Volker Meja und Nico Stehr Suhrkamp Frankfurt am Main 1984 Soziologie der Intellektuellen Schriften zur Kultursoziologie Herausgegeben und mit einem Nachwort von Oliver Neun Suhrkamp Berlin 2022 Sekundarliteratur BearbeitenTheodor W Adorno Das Bewusstsein der Wissenssoziologie In Prismen Kulturkritik und Gesellschaft Suhrkamp Frankfurt am Main 1955 Gregory Baum Truth Beyond Relativism Karl Mannheim s Sociology of Knowledge The Marquette Lecture Marquette University Press 1977 ISBN 0 87462 509 2 Reinhard Blomert Intellektuelle im Aufbruch Karl Mannheim Alfred Weber Norbert Elias und die Heidelberger Sozialwissenschaften der Zwischenkriegszeit Carl Hanser Verlag Munchen 1999 Ralf Bohnsack Dokumentarische Methode und praxeologische Wissenssoziologie In R Schutzeichel Hrsg Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung UVK Verlagsgesellschaft Konstanz 2007 S 180 190 Ralf Bohnsack Rekonstruktive Sozialforschung Einfuhrung in qualitative Methoden Barbara Budrich Opladen Farmington Hills 2008 Balint Balla Karl Mannheim Reinhold Kramer Hamburg 2007 Michael Corsten Karl Mannheims Kultursoziologie Campus Frankfurt am Main ISBN 3 593 39156 2 Dirk Hoeges Kontroverse am Abgrund Ernst Robert Curtius und Karl Mannheim Intellektuelle und freischwebende Intelligenz in der Weimarer Republik Fischer Frankfurt am Main 1994 ISBN 3 596 10967 1 Wilhelm Hofmann Karl Mannheim zur Einfuhrung Junius Hamburg 1996 ISBN 3 88506 938 5 Thomas Jung Die Seinsgebundenheit des Denkens Karl Mannheim und die Grundlegung einer Denksoziologie Bielefeld 2007 Dirk Kaesler Mannheim Karl In Neue Deutsche Biographie NDB Band 16 Duncker amp Humblot Berlin 1990 ISBN 3 428 00197 4 S 67 69 Digitalisat David Kettler Marxismus und Kultur Mannheim und Lukacs in der ungarischen Revolutionen 1918 1919 Aus dem amerikan Englisch von Erich Weck Tobias Rulcker Luchterhand Neuwied Berlin 1967 Soziologische Essays David Kettler Volker Meja Karl Mannheim and the Crisis of Liberalism Transaction Publishers New Brunswick London 1995 David Kettler Volker Meja Nico Stehr Politisches Wissen Studien zu Karl Mannheim Suhrkamp Frankfurt am Main 1989 ISBN 3 518 28249 2 Reinhard Laube Karl Mannheim und die Krise des Historismus Historismus als wissenssoziologischer Perspektivismus Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2004 ISBN 3 525 35194 1 Volker Meja Nico Stehr Der Streit um die Wissenssoziologie 2 Bande Suhrkamp Frankfurt am Main 1982 ISBN 3 518 07961 1 Stephan Moebius Soziologie in der Zwischenkriegszeit in Deutschland In Karl Acham Stephan Moebius Hrsg Soziologie der Zwischenkriegszeit Ihre Hauptstromungen und zentralen Themen im deutschen Sprachraum Springer VS Wiesbaden 2021 ISBN 978 3 658 31398 2 S 31 176 Arnhelm Neususs Utopisches Bewusstsein und freischwebende Intelligenz Zur Wissenssoziologie Karl Mannheims Meisenheim am Glan 1968 Weblinks BearbeitenLiteratur von und uber Karl Mannheim im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Werke von und uber Karl Mannheim in der Deutschen Digitalen Bibliothek Biografie Karl Mannheim beim Internetlexikon 50 Klassiker der Soziologie Karl Mannheim Das Problem der Generationen 1928 In 1000dokumente de Mannheim Karl Hessische Biografie Stand 14 Februar 2020 In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Mannheim Karl im Frankfurter PersonenlexikonEinzelnachweise Bearbeiten Fritz J Raddatz Lukacs Reinbek bei Hamburg 1972 S 37 Geschichte des Instituts fur Sozialforschung Die Vorkriegszeit in Frankfurt Memento vom 24 Mai 2012 im Internet Archive In ifs uni frankfurt de Greta Kuckhoff Vom Rosenkranz zur Roten Kapelle Ein Lebensbericht Neues Leben Berlin 1976 Eva Karadi Erzsebet Vezer Hrsg Georg Lukacs Karl Mannheim und der Sonntagskreis Sendler Frankfurt am Main 1985 S 314 Wolfgang Schluchter Die Entstehung des modernen Rationalismus Eine Analyse von Max Webers Entwicklungsgeschichte des Okzidents 1 Auflage Frankfurt am Main 1988 ISBN 3 518 28947 0 S 87 Anm 39 Manche Gedanken von Mannheim lassen sich fur eine Explikation der Weberschen Werttheorie benutzen Dies ist nicht zufallig wenn man bedenkt dass auch Mannheim von der Rickert Laskschen Philosophie und einer Kritik daran seinen Ausgang nahm Vgl Reinhard Blomert Intellektuelle im Aufbruch Karl Mannheim Alfred Weber Norbert Elias und die Heidelberger Sozialwissenschaften der Zwischenkriegszeit Hanser Munchen 1999 S 192 ff Karl Mannheim Das Problem der Generationen In Kolner Vierteljahreshefte fur Soziologie Nr 7 1928 S 157 185 309 330 Vgl Mannheim 1980 S 155 ff Karl Mannheim Ideologie und Utopie Vittorio Klostermann 1995 ISBN 3 465 02822 8 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Hannah Arendt Philosophie und Soziologie Rezension In Die Gesellschaft 1930 S 163 ff Max Horkheimer Ein neuer Ideologiebegriff In Max Horkheimer Gesammelte Schriften Bd 2 Philosophische Fruhschriften 1922 1932 Fischer Frankfurt am Main 1987 Gunther Stern Anders Uber die sog Seinsverbundenheit des Bewusstseins Anlasslich Karl Mannheim Ideologie und Utopie In Archiv fur Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 64 Bd 1930 S 492 509 Normdaten Person GND 118577190 lobid OGND AKS LCCN n80070412 NDL 00448711 VIAF 17291505 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Mannheim KarlKURZBESCHREIBUNG ungarisch deutscher Philosoph und SoziologeGEBURTSDATUM 27 Marz 1893GEBURTSORT BudapestSTERBEDATUM 9 Januar 1947STERBEORT London Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Karl Mannheim amp oldid 237192828