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Die Geschichte der Sprachwissenschaft also die Geschichte der systematischen Beschaftigung mit der menschlichen Sprache erstreckt sich uber beinahe die gesamte schriftlich fixierte und damit nachvollziehbare Menschheitsgeschichte Verschiedene fruhe Hochkulturen haben voneinander unabhangig oder zumindest weitgehend unabhangig Systeme zur Beschreibung von Sprache entwickelt Insbesondere aus der griechischen Tradition ist mit einigen Bruchen und Neubesinnungen die Sprachwissenschaft in ihrer heutigen modernen Form erwachsen Inhaltsverzeichnis 1 Indien 1 1 Sakatayana 1 2 Yaska 1 3 Panini 2 Griechenland 2 1 Platons Kratylos 2 2 Dionysios Thrax und Apollonios Dyskolos 2 3 Stoa 3 Rom 4 Mittelalter 4 1 Arabien 4 2 Der Erste Grammatiker 4 3 Grammatica speculativa und Modismus 5 Neuzeit 5 1 Grammatik von Port Royal 5 2 18 und fruhes 19 Jahrhundert 6 Etablierung der historisch vergleichenden Sprachwissenschaft 7 De Saussure der Strukturalismus und die synchrone Sprachwissenschaft 8 Die anthropologische Tradition Boas und Sapir 9 Chomsky und die Generative Grammatik 10 Diversifikation nach 1950 11 Siehe auch 12 Weblinks 13 Literatur 14 EinzelnachweiseIndien BearbeitenSakatayana Bearbeiten Die alteste reflektierende Auseinandersetzung mit Sprache sowohl in Indien als auch uberhaupt stammt aus dem 8 vorchristlichen Jahrhundert Es handelt sich um das Werk eines gewissen Sakatayana das allerdings verloren ist und nur durch Zitate bei spateren Autoren belegt ist Yaska Bearbeiten Aus dem Nirukta das dem Sakaṭayana unmittelbar folgenden Grammatiker Yaska zugeschrieben wird ist z B ersichtlich dass Sakaṭayana die Ansicht vertreten haben muss dass sich nominale Ausdrucke etymologisch auf Verbalwurzeln zuruckfuhren lassen Yaskas Nirukta beschaftigt sich auch uberwiegend mit Etymologie insbesondere unklarer Worte in den Veden Ziel der Abhandlung ist es zu erklaren wie besonders wichtige Worter der Veden zu ihrer Bedeutung kommen Das Nirukta ist auch Teil der sogenannten Vedangas einer Sammlung von sechs Hilfswissenschaften zum Verstandnis und zur korrekten Uberlieferung der Veden Wichtig fur die Entwicklung der Sprachwissenschaft ist das weil dadurch deutlich wird dass sie zunachst kein Selbstzweck sondern einem anderen aus religiosen Grunden wichtigen Ziel untergeordnet und zweckgebunden ist Panini Bearbeiten Das gilt auch noch fur die Grammatik des wohl bekanntesten altindischen Grammatikers Panini der vermutlich im 5 Jhd v Chr gelebt hat obwohl diese bereits erheblich weit entwickelt war Paninis Grammatik die unter dem Namen Ashtadhyayi bekannt war weist einen extrem hohen Grad an Komplexitat auf Implizit setzt sie den Phonembegriff den Morphembegriff und ein Konzept von einer Wortwurzel voraus die erst wesentlich spater von der modernen Linguistik entwickelt worden sind Die Grammatik weist daruber hinaus generative Zuge auf und beschreibt die morphologischen Eigenschaften des Sanskrit vollstandig und ruckhaltslos Neben einem kurzen einleitenden Abschnitt uber die von ihm unterschiedenen Phoneme den Shiva Sutras besteht der Hauptteil der Grammatik aus 3 959 einzelnen in weitere Unterabschnitte gegliederten Regeln den Sutras zur Generierung grammatikalisch korrekter Strukturen des Sanskrit Keine der Jahrhunderte spater in Griechenland und Rom entwickelten Ansatze siehe unten kann es an Komplexitat und Adaquatheit der Beschreibungen mit Paninis Werk aufnehmen Griechenland BearbeitenEs gibt innerhalb der griechischen Beschaftigung mit Sprache zwei verschiedene Stromungen eine philosophisch orientierte die v a durch Platon reprasentiert wird und eine spatere stark alexandrinisch gepragte philologische Ausrichtung Platons Kratylos Bearbeiten nbsp PlatonEin wichtiges fruhes Zeugnis fur die Beschaftigung mit Themen welche die Sprache betreffen ist der platonische Dialog Kratylos Dieser wurde in Griechenland geschrieben und wird ungefahr auf das Jahr 360 v Chr datiert Die Frage des Dialogs ist ob die Bezeichnungen fur die Dinge der Welt diesen von Natur aus fysei oder durch arbitrare Setzung 8esei zukomme Der Dialog endet in einer Aporie die in die platonische Ideenlehre mundet Im Kratylos zeigt sich ausserdem ein weiteres Kernthema antiker Sprachwissenschaft die Etymologie Weite Teile des Dialogs bestehen namlich was etwas weniger bekannt ist daraus dass Sokrates fur eine Vielzahl von griechischen Wortern Etymologien vorschlagt die darauf hindeuten sollen dass die Beziehung zwischen Wort und Gegenstand zumindest in einem fruheren Sprachzustand einmal naturgegeben gewesen sein musste Diese Etymologien sind nach heutigem Kenntnisstand beinahe ausnahmslos falsch wichtig ist aber zunachst allein die Frage nach der Herkunft der Worter Dionysios Thrax und Apollonios Dyskolos Bearbeiten Eine andere Tradition reprasentiert der Grammatiker Dionysios Thrax der im 2 vorchristlichen Jahrhundert in Alexandria wirkte Wie auch in der indischen Tradition ist Sprachwissenschaft kein Selbstzweck sondern dient hier als Vorbereitung zum Studium der Literatur Thrax verfasste die erste bekannte Grammatik des Griechischen die texnh grammatikh techne grammatike grammatische Wissenschaft Der Fokus liegt dabei vor allem auf der Klassifikation von Wortarten Die Grammatik behandelt aber auch die griechische Morphologie ausfuhrlich wobei von morphosyntaktischen Kategorien wie Kasus Tempus Diathese usw als Begleiterscheinungen des Nomens bzw des Verbs gesprochen wird Ausserdem werden metrische Fragestellungen behandelt Thrax beschaftigte sich nicht mit Syntax Der im 2 Jahrhundert lebende Apollonios Dyskolos befasste sich neben der Wortartenthematik auch intensiv mit syntaktischen Fragen Thrax Dyskolos sowie dessen Sohn Ailios Herodianos werden gewohnlich als die wichtigsten griechischsprachigen Grammatiker der Antike angesehen Stoa Bearbeiten Ferner haben sich die Stoiker mit Sprache vor allem hinsichtlich aussagenlogischer Fragestellungen beschaftigt und ein Kalkul zur Aussagenlogik entwickelt Insbesondere richtungsweisend war dabei der Stoiker Chrysipp der fragmentarisch durch Sextus Empiricus uberliefert ist Rom BearbeitenDie romische sprachwissenschaftliche Tradition knupft nahtlos an die Griechische an und fuhrt diese fort teilweise uberschneiden sie sich sogar zeitlich ohne sie allerdings wesentlich weiterzuentwickeln Die romischen Grammatiker wie Marcus Terentius Varro Hauptwerk zur Sprache De lingua latina libri XXV 25 Bucher uber die lateinische Sprache sind hauptsachlich damit beschaftigt die von Dionysios Thrax fur das Griechische getroffenen Aussagen auf die lateinische Sprache zu ubertragen Einen spaten Hohepunkt erfahrt die romische Sprachwissenschaft im 4 und 5 Jhd n Chr durch Aelius Donatus Ars grammatica und Priscians Institutiones grammaticae die umfangreichsten Darstellungen der lateinischen Grammatik aus der Antike Auch diese Werke sind aber stark an der thraxschen griechischen Tradition orientiert und ahmen deren Aufbau nach wie Priscian im Vorwort selbst zu Protokoll gibt Die Rezeptionsgeschichte der beiden Werke ist aber immens sie waren die Standardwerke zur Sprachbeschreibung im europaischen Mittelalter und bilden die Grundlage fur die allermeiste Beschaftigung mit Sprache wahrend dieser Epoche Mittelalter BearbeitenArabien Bearbeiten Mit der generellen kulturellen Blute der arabischen Welt ab ca dem 8 Jahrhundert entwickelt sich auch eine sprachwissenschaftliche Tradition die in der Arbeit des persischen Linguisten Sibawayhi ca 760 793 n Chr kulminiert dessen Werk al kitab fi al nahw Buch uber die Grammatik eine detaillierte Beschreibung der Arabischen Sprache darstellt in deren Rahmen u a bereits zwischen Phonetik und Phonologie unterschieden wird Der Erste Grammatiker Bearbeiten Der sogenannte Erste Grammatische Traktat ist eine um das Jahr 1150 verfasste Darstellung der Phonologie der altislandischen Sprache Der Traktat heisst so weil er die erste von vier die Sprache betreffenden Abhandlungen ist die zusammen im Codex Wormianus erschienen der namentlich unbekannte Autor wird deshalb als Erster Grammatiker bezeichnet Die Arbeit des Ersten Grammatikers ist deswegen bemerkenswert weil er nach der Interpretation von Einar Haugen Phoneme durch Minimalpaaranalyse etabliert haben und so die Methode des modernen Strukturalismus vorweggenommen haben soll 1 Grammatica speculativa und Modismus Bearbeiten Petrus Helie verfasste im Jahr 1150 einen Prisciankommentar in dem er versuchte Priscians Analyse zu den lateinischen Wortarten auf die Basis der aristotelischen Organon Schriften Kategorien und De Interpretatione zu stellen Damit versuchte er grammatischen Kategorien vor allem eben die Wortarten philosophisch zu begrunden Mit diesem Ansatz war Petrus Helie ein Vorbereiter der spekulativen Grammatik lateinisch grammatica speculativa und des Modismus Die Bezeichnung grammatica speculativa leitet sich vom lateinischen Wort speculum Spiegel Abbild her Fruhe Autoren dieser Tradition wie Roger Bacon mit seiner summa grammaticae oder Robert Kilwardby waren der Uberzeugung dass sich die Struktur des Seins vgl Ontologie in der Struktur der Sprache widerspiegele und zwar in allen Sprachen auf dieselbe Art und Weise Insofern vertreten diese Philosophen eine fruhe Form eines universalistischen Grammatikkonzepts Durch die Widerspiegelung der Realitat in der Sprache wird diese ihnen auch zum eigentlichen Schlussel zur Metaphysik Die Vertreter dieser philosophischen Richtung werden auch Modisten lateinisch modistae genannt weil nach ihrer Auffassung die Sprache die Realitat in verschiedenen modi significandi spiegelt Ein Modus significandi ist die Art und Weise wie ein sprachliches Zeichen auf Dinge Bezug nimmt vgl Semiotik Dabei kann es sich um eine morphologische Kategorie oder eine Wortart handeln oder auch um eine bestimmte diskursive Operation wie die Pradikation Die modistische Tradition ist in gewissem Sinn eine Synthese der philologisch orientierten griechisch romischen auf Dionysios Thrax zuruckgehenden Tradition mit zunachst unabhangigen philosophischen Stromungen des Mittelalters vor allem der Scholastik Wichtige Modisten waren Thomas von Erfurt und Johannes de Dacia Die modistische Tradition ist vor allem innerhalb der Philosophie rezipiert worden und geriet ausserhalb dieser bis ins 19 Jahrhundert weitestgehend in Vergessenheit 2 Neuzeit BearbeitenGrammatik von Port Royal Bearbeiten Von den Autoren Antoine Arnauld und Claude Lancelot eigentlich grammaire generale et raisonnee betitelt spiegelt das unter dem Namen Grammatik von Port Royal bekanntere und 1660 erschienene Werk den Niederschlag des Rationalismus vgl Descartes in das Studium der Sprache wider Auf Basis der Sprachen Griechisch Latein und Franzosisch versucht die Grammatik von Port Royal der Logik gehorchende allgemeingultige Strukturen aller Sprachen zu entwickeln Die Grammatik erhebt also einen universalistischen Anspruch Wo die untersuchten naturlichen Sprachen vom logischen regelmassigen Aufbau abweichen werden sie kritisiert Ausserdem bietet die Grammatik eine ansatzweise Unterscheidung zwischen Oberflachen und Tiefenstruktur die an die Unterscheidung in der Generativen Grammatik erinnern Die Tiefenstruktur ist dabei mit den oben angesprochenen der Logik gehorchenden allgemeingultigen sprachlichen Gesetzen zu identifizieren Noam Chomsky selbst zitiert die Grammatik von Port Royal als Vorlaufer und fruhen Verwandten seiner eigenen Theorien 18 und fruhes 19 Jahrhundert Bearbeiten nbsp Wilhelm von HumboldtIm 18 Jahrhundert verstarkte sich mehr und mehr das Interesse an der Frage nach dem Ursprung der Sprache Es gibt aus dieser Zeit zahlreiche Veroffentlichungen zu diesem Thema wobei die beruhmteste Uber den Ursprung der Sprache von Johann Gottfried Herder sein durfte Ein Typologe des fruhen 19 Jahrhunderts war Wilhelm von Humboldt der auch sprachvergleichende Studien auf Basis einer Vielzahl auch exotischer Sprachen durchfuhrte z B Uber den Dualis Ausserdem ist Humboldt Autor eines bekannten sprachphilosophischen Essays Uber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts der sehr unterschiedliche Interpretationen erfahren hat Das liegt daran dass Humboldt seine Begriffe nicht genau definiert So meinte z B Chomsky auch in Humboldt einen verwandten Geist gefunden zu haben wobei er sich vor allem auf Humboldts Aussage stutzt Sprache sei ein System das mit endlichen Mitteln Worter Grammatik unendlich viele Ausserungen zulasse Andere Autoren interpretieren Humboldts in diesem Essay entwickelten Begriff der Inneren Sprachform eher in Richtung linguistischen Relativismus Etablierung der historisch vergleichenden Sprachwissenschaft Bearbeiten1786 entdeckte Sir William Jones ein in Indien tatiger britischer Richter und Sanskritgelehrter die Verwandtschaft des Sanskrit mit den klassischen Sprachen Griechisch und Latein und publizierte diese Entdeckung Den antiken Grammatikern war die aus heutiger Sicht offensichtliche Verwandtschaft von Griechisch und Latein nicht aufgefallen Mit dieser Entdeckung bereitete Jones den Boden fur die zukunftige Etablierung der wissenschaftlichen Beschaftigung mit der indogermanischen Sprachfamilie in historisch vergleichender Perspektive 1816 weist der Deutsche Franz Bopp in seiner Abhandlung Uber das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen lateinischen persischen und germanischen Sprache erstmals die Verwandtschaft ebendieser Sprachen mit einer wissenschaftlichen Methodik nach und etabliert damit die wissenschaftliche Disziplin im eigentlichen Sinn Die wissenschaftlich methodologisch begrundete moderne Sprachwissenschaft ist also auffalligerweise zunachst historisch diachron angelegt Im Folgenden erweiterten zahlreiche zunachst europaische Forscher unter ihnen der Dane Rasmus Rask die Kenntnisse uber die Verwandtschaft der untersuchten Sprachen Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der historischen Sprachwissenschaft ist die Etablierung der Stammbaumtheorie durch August Schleicher Schleicher konzeptualisierte Sprache analog zu den Entdeckungen Darwins in der Biologie als einen Organismus der einer Evolution unterliegt so dass sich die Verwandtschaftsbeziehungen unter Sprachen wie zwischen Spezies als ein Stammbaum darstellen lasst 3 Ausserdem setzte Schleicher als Erster rekonstruierte nicht belegte nur erschlossene Formen und setzte nicht wie bis dahin ublich die altindischen Formen als alteste an Die Junggrammatiker sind eine bekannte Gruppe von Leipziger Indogermanisten die an Schleichers an den Naturwissenschaften angelehntes Sprachkonzept anknupfen Zu ihnen zahlten u a Berthold Delbruck Hermann Osthoff Karl Brugmann und Hermann Paul dessen Werk Prinzipien der Sprachgeschichte einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt hat Junggrammatiker heissen sie wegen ihrer neuartigen Thesen in Abgrenzung zur bis dahin herrschenden Lehrmeinung Inhaltlich sind die Junggrammatiker bedingt durch ihre naturwissenschaftliche Haltung vor allem durch ihre Hypothese von der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze gepragt Die Junggrammatiker postulieren dass es in der Entwicklung der Sprachen Gesetze analog zu den Naturgesetzen der Naturwissenschaften gibt De Saussure der Strukturalismus und die synchrone Sprachwissenschaft Bearbeiten nbsp Ferdinand de SaussureDie synchrone Sprachwissenschaft d h die Untersuchung einer Sprache nicht unter historischen Gesichtspunkten wie in der Indogermanistik sondern als zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebenen Systems wird erst 1916 durch den Cours de linguistique generale des Schweizers Ferdinand de Saussure etabliert Inwiefern die Gedanken in diesem grundlegenden Werk allerdings tatsachlich dem saussureschen Denken zugeordnet werden mussen ist nicht hundertprozentig zu klaren weil kritische Untersuchungen gezeigt haben dass Teile des Cours in Wirklichkeit von Saussures Schulern Charles Bally und Albert Sechehaye verfasst worden sind Saussure war zunachst auch Indogermanist da dies das einzige zu diesem Zeitpunkt universitar vertretene sprachwissenschaftliche Fach war und hat zu diesem Feld auch die Laryngaltheorie beigetragen Daruber hinaus entwickelte Saussure im Cours aber auch eine Perspektive auf Sprache als System von Zeichen in der Synchronie unter Ausschluss jeglicher aussersprachlicher Gesichtspunkte Zentraler Gesichtspunkt ist dabei wie sich diese sprachlichen Zeichen zueinander verhalten und dadurch die Struktur der Sprache konstituieren Wichtige von Saussure gepragte Begriffe sind dabei insbesondere die des Syntagmas und des Paradigmas die die Relationen der Zeichen zueinander ausmachen Saussures Ansatz ist also strukturalistisch und wegweisend fur dessen Entwicklung in anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen Weitere wichtige saussuresche Konzepte sind die Arbitraritat des sprachlichen Zeichens sowie die konsequente Unterscheidung zwischen langue Sprache als ebendieses zusammenhangende Zeichensystem und parole der konkreten Sprachverwendung wobei Saussures Fokus eindeutig der langue zukommt Saussure etablierte mit seiner strukturalistischen Sprachbeschreibung ausserdem die sog Genfer Schule ein weiterer wichtiger Vertreter war Antoine Meillet Spater entwickelten sich in Europa zwei weitere strukturalistische Schulen die Kopenhagener Schule mit dem Hauptvertreter Louis Hjelmslev zentrales Konzept Glossematik und die Prager Schule mit den Hauptvertretern Roman Jakobson und Nikolai Sergejewitsch Trubetzkoy die sich vor allem auf phonologische Fragestellungen konzentrierte Jakobson befasste sich zusatzlich aus sprachwissenschaftlicher Perspektive mit Literatur Im amerikanischen Raum ist der Strukturalismus vor allem durch Leonard Bloomfield reprasentiert Bloomfield war Behaviorist und kritisierte die bisherige Beschaftigung mit der Bedeutung sprachlicher Einheiten als unzureichend Er leugnete Bedeutung nicht sah aber keine exakte Moglichkeit sie zu erklaren Die anthropologische Tradition Boas und Sapir BearbeitenEine andere Tradition in der amerikanischen Linguistik ist eher anthropologisch orientiert Diese Stromung geht auf den Ethnologen Franz Boas zuruck der Feldforschung bei den indigenen Volkern Nordamerikas durchfuhrte und dabei auch deren Sprachen untersuchte Dabei traf er auf Strukturen z B Polysynthese die strukturell so radikal anders waren als die bekannten europaischen Sprachen dass er seine Schuler lehrte eine zu beschreibende Sprache ohne Vorurteile oder irgendwie geartete vorgefertigte Meinungen anzugehen wie Sprache funktioniere Boas Ansatz war insofern partikularistisch Jede Sprache kann nur aus sich selber heraus beschrieben werden Der bekannteste Schuler Boas war Edward Sapir der ebenfalls auch als Anthropologe tatig war und viel auf dem Gebiet der amerikanischen Sprachen geleistet hat Sapir hat sich ausserdem eingehend mit Sprachtypologie beschaftigt und in seinem Werk Language von 1921 ein im Vergleich zu Humboldt verfeinertes System typologischer Parameter zur Klassifikation von Sprachen entwickelt Sapir wird daruber hinaus mit der Vorstellung von linguistischer Relativitat in Verbindung gebracht Chomsky und die Generative Grammatik Bearbeiten nbsp Chomsky 2004 Mit Noam Chomskys 1956 veroffentlichten Syntactic Structures und dem 1965 folgenden Aspects of the theory of syntax wird die Generative Grammatik begrundet Diese stellt in vielerlei Hinsicht eine radikale Abkehr von der bis dahin ublichen Sprachbeschreibung dar Von primarem Interesse ist nicht mehr die Beschreibung von Sprache als System sondern vielmehr die zugrundeliegenden kognitiv verankerten Bildungsregeln die grammatikalisch korrekte Satze einer Sprache erzeugen generieren Die eigentlich empirisch zu beobachtende Sprache Performanz erscheint in dieser Tradition nunmehr als ein Epiphanomen ebendieses Spracherzeugungsmechanismus Einer der auslosenden Faktoren zu dieser Neubesinnung war der Gedanke dass eine Sprache es ihrem Sprecher ermoglicht durch Rekursion eine unendliche Zahl von Satzen zu erzeugen und zwar mit endlichen grammatischen Mitteln Die Regeln die diese Fahigkeit ermoglichen zu ermitteln ist das Ziel der generativen Grammatik Damit einher geht ein starker Fokus auf Formalismus und dabei speziell auf die Syntax Chomskys Ansatz hat stark vereinfacht dargestellt zu einer bis heute andauernden Spaltung der modernen Sprachwissenschaft in generative Grammatiker einerseits und im Strukturalismus verwurzelten sog Funktionalisten andererseits gefuhrt Beide Gruppen sind aber alles andere als homogen im Rahmen der generativen Grammatik hat es seit Chomskys ersten Publikationen namlich eine Vielzahl von abgewandelten Formalismen und veranderter Modelle gefuhrt die z T von Chomsky selbst herbeigefuhrt wurden z B die Revidierte Erweiterte Standardtheorie REST das Government amp Binding Modell GB die Generalized Phrase Structure Grammar GPSG oder das Prinzipien amp Parameter Modell P amp P Jungste Vertreter generativer Theorien sind das Minimalistische Programm und insbesondere in der Phonologie die Optimalitatstheorie Diversifikation nach 1950 BearbeitenAuch ausserhalb der generativen Grammatik gibt es seit etwa 1950 eine zunehmende Tendenz zur Diversifikation der Sprachwissenschaft in eine Reihe von Subdisziplinen Aus der Dialektologie des 19 Jahrhunderts und der Sprachatlantenbewegung beispielsweise entwickelten sich ab den 1950er Jahren die Sprachkontaktforschung und die Soziolinguistik als sprachwissenschaftliche Disziplinen die im Gegensatz zur generativen Grammatik die soziale Dimension von Sprache betonen Die Sprachkontaktforschung hat ihre Ursprunge in der Erforschung der Pidgin und Kreolsprachen unter anderem durch Hugo Schuchardt 1842 1927 Der eigentliche Anfang der Sprachkontaktforschung kann auf die Veroffentlichung von Uriel Weinreichs Languages in Contact 1953 datiert werden 4 5 Die Soziolinguistik als sprachwissenschaftliche Subdisziplin tritt ernsthaft mit der Grundung des Committees on Sociolinguistics 1963 und der neuen Sektion Soziolinguistik beim internationalen Kongress der Soziologie 1974 in Toronto in Erscheinung Fuhrend bei der Etablierung der Soziolinguistik waren vor allem Basil Bernstein und William Labov Eine Studie die zentral dazu beitrug dass soziale Aspekte als Forschungsthema in der Sprachwissenschaft in den Fokus ruckten war William Labovs Arbeit The Social Stratification of English in New York City 1966 Labov beschrieb hier die Aussprache des in der Lower East Side Manhattans gesprochenen amerikanischen Englisch und fuhrte sprachliche Variation wie etwa die Aussprache des r vor allem auf sozialen Status und Kontext formell vs informell zuruck Basil Bernsteins mittlerweile teilweise uberholten Hypothese eines Zusammenhangs zwischen sozialer Schicht und sprachlichen Defiziten losten ein starkes Interesse in der Linguistik aus den Zusammenhang zwischen Sprache und sozialer Herkunft genauer zu erforschen 6 Eine radikale Umorientierung und Gegenposition zur formal orientierten generativen Grammatik Chomskys ist die Kognitive Linguistik die ihren Anfang unter anderem mit der Publikation Metaphors we live by 1980 durch den Linguisten George Lakoff und den Philosophen Mark Johnson nimmt 7 Die Kognitive Linguistik versteht sich als ein Teilbereich einer interdisziplinar angelegten Kognitionswissenschaft die sich mit kognitiven Aspekten des Sprachverstandnisses der Sprachproduktion und des Spracherwerbs beschaftigt Zu den Themen mit denen sich die Kognitive Linguistik befasst zahlen unter anderem Prototypen Polysemie Metaphern die Schnittstelle zwischen Syntax und Semantik die Grundlegung der Sprache in Erfahrung und Wahrnehmung sowie das Verhaltnis zwischen Sprache und Denken 8 Im 20 Jahrhundert entstanden ferner eine Reihe von Subdisziplinen der angewandten Linguistik d h Forschung die sich an der Schnittstelle zwischen Linguistik einerseits und benachbarten Fachern wie etwa Psychologie Biologie und Neurologie andererseits bewegt 9 Seit etwa 1960 gibt es die Psycholinguistik als Forschungsfeld die vor allem nach den psychologischen Grundlagen der menschlichen Sprachwahrnehmung und Sprachproduktion fragt In diesen Rahmen fallt auch die Forschung zum kindlichen Spracherwerb 10 Die Neurolinguistik wiederum beschaftigt sich damit wie Sprache im Gehirn reprasentiert ist Dabei kombiniert die Neurolinguistik Erkenntnisse aus der Neurologie insbesondere wie das Gehirn strukturiert ist und wie es arbeitet mit Erkenntnissen aus der Linguistik insbesondere wie Sprache strukturiert ist und wie sie funktioniert Ein wichtiger Schwerpunkt der Neurolinguistik ist die Erforschung von Sprachstorungen Aphasien 11 Erkenntnisse aus der Biologie insbesondere der Genetik sind in der Biolinguistik eingeflossen um Fragen nach der genetischen Veranlagung des Menschen zur Sprachfahigkeit zu beantworten Ergebnisse aus der Genetik zur Zusammensetzung und den Migrationsbewegungen europaischer Bevolkerungen haben zur Debatte um genetische Sprachverwandtschaften beigetragen und die Diskussion um den menschlichen Sprachursprung wieder aufleben lassen 12 Neben der Psycho Bio und Neurolinguistik gibt es weitere Richtungen der angewandten Linguistik jungeren Datums z B die feministische Linguistik Forschungen zur interkulturellen Kommunikation die Okolinguistik oder die Politolinguistik die z T nur massig etabliert sind Inzwischen etablierte neuere Teildisziplinen der theoretischen Sprachwissenschaft sind die Textlinguistik die den Text als dem Satz ubergeordnete Struktureinheit untersucht 13 die Pragmatik die sich mit der Beziehung zwischen Sprache Sprechern und Kommunikationssituationen beschaftigt und die Konversationsanalyse die sich damit befasst wie Kommunikation organisiert ist nach welchen unbewussten Regeln Gesprache ablaufen und wie gestorte Kommunikation verbessert werden kann 14 15 Technischer Fortschritt hat auch Einfluss auf die Methodik und Fragestellungen der Sprachwissenschaft gehabt und zur Entstehung weiterer Teilbereiche der Sprachwissenschaft gefuhrt So konnen beispielsweise seit den 1990er Jahren mit funktioneller Magnetresonanztomographie fMRT Sprachverarbeitungsprozesse genauer untersucht werden 16 Fortschritte in der Computertechnik sorgten dafur dass Sprachdaten im grossen Stil gesammelt und analysiert werden konnen etwa in der Korpuslinguistik die Erkenntnisse aus der Arbeit mit grossen Mengen sprachlicher Daten gewinnen will 17 Die Computerlinguistik ist eine Schnittstelle zwischen Sprachwissenschaft und Informatik die untersucht wie naturliche Sprache in Form von Text oder Sprachdaten mit Hilfe des Computers verarbeitet werden kann Sie ist seit den 1960er Jahren bereits etabliert und hat mit ihren Themen bereits Eingang in sprachwissenschaftliche Einfuhrungen gefunden 18 Mit der Entwicklung und weit verbreiteten Nutzung des Internets und sozialer Medien entstanden seit den 2000er Jahren ferner Forschungsgebiete wie die Internetlinguistik die sich mit Sprache und neuen Medien befassen 19 20 Siehe auch BearbeitenGeschichte der Sprachphilosophie Historische LinguistikWeblinks BearbeitenGeschichte der Sprachwissenschaft Lehrmaterial von Christian Lehmann deutsch Dionysios Thrax texnh grammatikh auf altgriechisch Edward Sapirs Language Einfuhrung in die Geschichte der SprachwissenschaftLiteratur BearbeitenSylvain Auroux E F K Koerner amp Hans Josef Niederehe Hrsg History of the Language Sciences Geschichte der Sprachwissenschaften Histoire des sciences du langage Ein internationales Handbuch zur Entwicklung der Sprachforschung von den Anfangen bis zur Gegenwart 3 Bde Berlin New York Mouton de Gruyter 2006 Hans Arens Sprachwissenschaft Der Gang ihrer Entwicklung von der Antike bis zur Gegenwart 2 Bde 2 Aufl Fischer Athenaum Taschenbucher 2077f Athenaum Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt 1974 ISBN 3 8072 2077 1 Brigitte Bartschat Methoden der Sprachwissenschaft Von Hermann Paul bis Noam Chomsky 1 Aufl Erich Schmidt Verlag Berlin 1996 ISBN 3 503 03740 3 Herbert Ernst Brekle Einfuhrung in die Geschichte der Sprachwissenschaft Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1985 Sverker Johansson Origins of language Constraints on hypotheses Converging evidence in language and communication research John Benjamins Pub Amsterdam 2005 ISBN 90 272 3891 X englisch R H Robins A Short History of Linguistics 3 Auflage Longman 1990 Peter Schmitter Historiographie und Narration Metahistoriographische Aspekte der Wissenschaftsgeschichtsschreibung der Linguistik Narr Tubingen 2003 Wolfgang Wildgen Die Sprachwissenschaft des 20 Jahrhunderts de Gruyter Berlin New York 2011 ISBN 978 3 11 022850 2 Einzelnachweise Bearbeiten Vgl Konrad Koerner Einar Haugen as a Historian of Linguistics In American Journal of Germanic Languages and Literatures 9 2 1997 S 221 238 Korner interpretiert den Grammatischen Traktat anders als Haugen als orthographische Abhandlung Dieser Absatz basiert weitgehend auf 1 PDF 201 kB Vgl Konrad Korner Linguistics and evolution theory Three essays by August Schleicher Ernst Haeckel and Wilhelm Bleek John Benjamins Amsterdam Philadelphia 1983 Wolfgang Wildgen Die Sprachwissenschaft des 20 Jahrhunderts de Gruyter Berlin New York 2011 S 120 Uriel Weinrich Languages in Contact Findings and Problems Publ of the Linguistic Circle of New York New York 1953 Wolfgang Wildgen Die Sprachwissenschaft des 20 Jahrhunderts de Gruyter Berlin New York 2011 S 120 121 129 130 Wolfgang Wildgen Die Sprachwissenschaft des 20 Jahrhunderts de Gruyter Berlin New York 2011 S 120 121 146 147 Dirk Geeraerts Hubert Cuyckens Introducing Cognitive Linguistics In Dirk Geeraerts Hrsg Handbook of Cognitive Linguistics Oxford University Press Oxford 2010 ISBN 978 0 19 973863 2 S 4 Wolfgang Wildgen Die Sprachwissenschaft des 20 Jahrhunderts de Gruyter Berlin New York 2011 S 160 Horst M Muller Psycholinguistik Neurolinguistik Die Verarbeitung von Sprache im Gehirn UTB Paderborn 2013 ISBN 978 3 8252 3647 2 S 16 Elisabeth Ahlsen Introduction to 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Wolf Parprotte Korpuslinguistik In Horst M Muller Hrsg Arbeitsbuch Linguistik Eine Einfuhrung in die Sprachwissenschaft 2 uberarb u aktualis Auflage Schoningh Paderborn 2009 ISBN 978 3 506 97007 7 S 364 381 hier S 364 Beispielsweise Horst M Muller Hrsg Arbeitsbuch Linguistik Eine Einfuhrung in die Sprachwissenschaft 2 uberarb u aktualis Auflage Schoningh Paderborn 2009 ISBN 978 3 506 97007 7 Teil VI Computerlinguistik Umsetzung linguistischer Theorien S 425 460 David Crystal Language and the Internet Cambridge University Press Cambridge 2006 ISBN 0 521 86859 9 K Marx G Weidacher Internetlinguistik Ein Lehr und Arbeitsbuch Narr Verlag Tubingen 2014 ISBN 978 3 8233 6809 0 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Geschichte der Sprachwissenschaft amp oldid 239208544