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Junggrammatiker nennt man eine Gruppierung von Linguisten der so genannten Leipziger Schule die sich Ende der 1870er Jahre in Leipzig um August Leskien 1840 1916 Karl Brugmann 1849 1919 und Hermann Osthoff 1847 1909 gebildet hatte Mit ihrer Hypothese der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze versuchten sie die bis dahin als Geisteswissenschaft deklarierte Sprachwissenschaft innerhalb rein naturwissenschaftlicher Rahmenbedingungen neu zu begrunden Diese Entwicklung resultierte aus dem zunehmenden Wettbewerb der Geisteswissenschaften mit den Naturwissenschaften Die Bezeichnung Junggrammatiker die als junge Sprachwissenschaftler zu verstehen ist soll ursprunglich vom Germanisten Friedrich Zarncke stammen einem Mitglied der alteren Generation der sie in Anlehnung an die Bezeichnung anderer junger oder revolutionarer Bewegungen pragte wie z B Junges Deutschland oder Junghegelianer Zarncke verwies damit anlasslich einer Promotion in ironischer Weise auf die Unerfahrenheit und das militante Verhalten der jungen Generation Die Bezeichnung wurde aber spater von dieser jungen Generation wiederaufgenommen Inhaltsverzeichnis 1 Hauptvertreter 2 Grundannahmen 2 1 Untersuchungsgegenstand 2 2 Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze 3 Publikationen und Entdeckungen 4 Gegner der Junggrammatiker 5 Die Uberwindung der Junggrammatiker 6 Literatur 7 Quellen 8 WeblinksHauptvertreter Bearbeiten nbsp August Leskien 1913 Die wichtigsten Vertreter der Junggrammatiker waren August Leskien 1840 1916 Berthold Delbruck 1842 1922 Hermann Paul 1846 1921 Hermann Osthoff 1847 1909 Karl Brugmann 1849 1919 Wilhelm Braune 1850 1926 Eduard Sievers 1850 1932 Grundannahmen BearbeitenDie Junggrammatiker vertraten in der indogermanischen und allgemeinen Sprachwissenschaft eine positivistische Richtung und folgten der Doktrin des Physiologen Emil Heinrich du Bois Reymond 1818 1896 von der Ausnahmslosigkeit der Naturgesetze Ihrer Auffassung nach finden Sprachveranderungen ausnahmslos auf der Grundlage naturgegebener Lautgesetze statt Sprachwissenschaftliche Erkenntnisse sollten ausschliesslich auf beobachtbaren Tatsachen und nicht auf Abstraktionen beruhen Untersuchungsgegenstand Bearbeiten Die Junggrammatiker machten es sich in der Sprachwissenschaft hauptsachlich zur Aufgabe die geschichtliche Entwicklung der Sprache zu untersuchen Dieses diachronische Interesse steht im Kontrast zur spateren Betonung einer synchronischen weil system und strukturbezogenen Betrachtungsweise im Strukturalismus Fur die Junggrammatiker war im Gegensatz zum spateren Strukturalismus nicht das Sprachsystem sondern allein die individuelle unmittelbar beobachtbare Sprache Idiolekt Untersuchungsgegenstand der Sprachwissenschaft Die Lautebene ist fur die Junggrammatiker die wichtigste Beschreibungsebene welche gegenuber der Syntax und Semantik als absolut autonom aufgefasst wird Ausserdem wurde ein starkeres Interesse fur die Dialektologie und die Sprache der Kinder entwickelt da die Entwicklung der Sprache hier am unmittelbarsten sichtbar wurde Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze Bearbeiten Nach ihrem Lehrsatz von der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze war die Psychophysik des Sprechaktes in ihrer augenblicklichen und historischen Dimension Hauptgegenstand der Sprachwissenschaft Dies fuhrte zu genaueren und umfassenderen Feldforschungen und Entdeckungen auf dem Gebiet der Lautverschiebung Auf der Suche nach allgemeinen Gesetzen trafen die Junggrammatiker immer wieder auf Ausnahmen und Sonderfalle die man sich als nicht erkannte Regeln erklarte Solche Grenzen versuchte man auch durch Analogie zu erklaren Publikationen und Entdeckungen BearbeitenIm gesegneten Jahr 1 1876 brachten die Junggrammatiker folgende bedeutende Arbeiten hervor August Leskien 1840 1916 Deklination im Slawisch Litauischen und Germanischen Eduard Sievers 1850 1932 Grundzuge der LautphysiologieDieses Werk beruht auf umfassenden eigenen Untersuchungen von Sievers der nicht mehr bloss den Einzellaut sondern den Laut in seiner Umgebung betrachtet Hermann Osthoff 1847 1909 Entdeckung der liquida sonans im IndogermanischenDurch die unterschiedliche Entwicklung der liquida sonans in den Einzelsprachen erklarte Osthoff eine Fulle von auffallenden Besonderheiten im Vokalismus Karl Brugmann 1849 1919 Aufsatz uber Nasalis sonans in der indogermanischen UrspracheDie aus diesem wissenschaftlichen Erfolg resultierende Aufbruchsstimmung beschreibt der Sprachwissenschaftler Hans Arens mit folgenden Worten Uberblickt man die hier aufgezahlten hauptsachlichen Leistungen eines einzigen Jahres die samtlich Ergebnisse der Bemuhungen um die lautliche Seite der Sprache jedoch auf keinem Sektor Zufallsentdeckungen oder geniale Apercus vielmehr alle der systematischen Erforschung einer Masse von ungeklarten Besonderheiten in der Lautentwicklung zu verdanken sind und alle Gesetzmassigkeit an Stelle fruherer Regellosigkeit nachweisen dann muss man sagen dass wenn irgendwann zu diesem Zeitpunkt die Verkundigung der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze berechtigt und logisch erscheinen musste Sie war kein beweisbarer Lehrsatz und kein Axiom sie war ein Postulat und ein Glaube in dem eine Generation von Wissenschaftlern sich vereinigte und erkannte Und wie jeder Glaube war er vielen ein Argernis und trug seinen Anhangern Anfechtungen ein Aber auch einen gemeinsamen Namen der zunachst spasshaft gemeint von ihnen ernsthaft adoptiert wurde und noch zu ihrer Zusammenfassung dient Junggrammatiker diese wunderliche Ideenverbindung eines wissenschaftlichen Jung Siegfried 1 Gegner der Junggrammatiker BearbeitenZu den Gegnern der Junggrammatiker zahlen Georg Curtius 1820 1885 Nikolai Kruszewski 1851 1887 Hugo Schuchardt 1842 1927 Graziadio Isaia Ascoli 1829 1907 Johannes Schmidt 1843 1901 Ferdinand de Saussure 1857 1913 Im Jahr 1885 wurde den Junggrammatikern der Kampf angesagt In Georg Curtius 1820 1885 eines Vertreters der alteren Generation von Sprachwissenschaftlern Schrift Zur Kritik der neuesten Sprachforschung 1885 sah sich der Verfasser in seinen jahrzehntelangen Forschungsmethoden angegriffen Da die Junggrammatiker ausser ihrem Axiom von der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze Abstraktionen ablehnten die nicht durch beobachtbare Fakten allseitig belegt werden konnten setzten sie sich der Kritik aus sich in Einzelheiten zu verlieren Sprichwortlich heisst das Sie sahen den Wald vor lauter Baumen nicht 2 Damit waren sie aus heutiger Sicht hinter August Schleicher 1821 1868 zuruckgefallen der sich zwar auch von der Philologie losen wollte und die Linguistik als Teil der Naturwissenschaften sah jedoch in der Evolutionstheorie eine insgesamt tragfahigere Grundlage zur Erforschung der Sprachveranderungen gefunden hatte Die Hypothese von der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze gab damals Anlass zu einer Kontroverse unter anderem mit dem Romanisten und vergleichenden Sprachforscher Hugo Schuchardt 1842 1927 der mit Uber die Lautgesetze Gegen die Junggrammatiker die bedeutendste Gegenschrift verfasste Auch Graziadio Isaia Ascoli 1829 1907 der Begrunder der italienischen Sprachwissenschaft wies in Dei neogrammatici die junggrammatischen Anspruche zuruck Die Ausnahmslosigkeit hat sich als Gesetz als falsch erwiesen Sie berucksichtigte nicht den gesellschaftlichen Charakter der Sprache und damit die kulturellen Aspekte der Sprachveranderungen Wohl aber ist der Begriff Lautgesetz bei der Rekonstruktion und dem Studium des Sprachwandels eine sinnvolle Arbeitshypothese denn Lautwandel erfolgt zwar nicht nach ausnahmslosen Gesetzen aber ebenso wenig willkurlich und regellos Jede Ausnahme von einem Lautgesetz gilt es zu erklaren Dieses Problem war den Junggrammatikern zum Teil klar und fuhrte gerade zu einer verstarkten Beschaftigung mit Sprachentwicklung und Dialektologie Der linguistische Strukturalismus begrundet von Ferdinand de Saussure 1857 1913 lehnte die Junggrammatiker ab und begrundete damit die moderne Sprachwissenschaft die Linguistik Die Uberwindung der Junggrammatiker BearbeitenEine entscheidende Wende in den Ansichten der Leipziger Schule brachte die Mundartenforschung welche zur Zeit der Junggrammatiker daran arbeitete fruhere Sprachzustande zu ergrunden Dabei entwickelte Georg Wenker 1870 den Sprachatlas des Deutschen Reiches welcher ein Schlusselwerk der Mundartkunde bildete Durch die geographische und historische Einteilung der Mundarten entstand eine regelrechte Dialektgeographie womit Wenker eigentlich beabsichtigte Bestatigung fur die Annahme der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze zu finden Im Laufe seiner Arbeit musste er allerdings das Gegenteil feststellen und hielt fest dass es keine ausnahmslos wirkenden Gesetze und nicht einmal scharf umrissene Mundartgebiete gibt Somit wurden Lautgesetze durch die Dialektgeographie aus ihrer bislang naturwissenschaftlichen Isolierung losgelost und auf Lautregeln relativiert Abgesehen von den dialektgeographischen Arbeiten begann man auch ein Wissen uber die Kulturgeschichte anhand der Mundarten zu gewinnen Somit bewegte man sich von der naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise weg sprachliche Elemente isoliert zu untersuchen und gelangte somit an den Punkt Sprache im Kontext von Raum und Zeit sowie auch im Zusammenhang mit Bedeutung zu betrachten Literatur BearbeitenHans Arens Sprachwissenschaft Der Gang ihrer Entwicklung von der Antike bis zur Gegenwart Band 1 Athenaum Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 1969 ISBN 3 8072 2077 1 Helmut Gluck Hrsg Metzler Lexikon Sprache Metzler Stuttgart 2005 Hermann Paul Prinzipien der Sprachgeschichte Erste Auflage 1880 Karl Brugmann und Berthold Delbruck Grundriss der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen Zweite Auflage funf Bande 1897 1916 Hugo Schuchardt Uber die Lautgesetze Gegen die Junggrammatiker In Hugo Schuchardt Brevier ein Vademekum der allgemeinen Sprachwissenschaft herausgegeben von Leo Spitzer Halle Saale 1922 Oliver Jungen und Horst Lohnstein Einfuhrung in die Grammatiktheorie Munchen 2006 S 68 ff Harald Wiese Eine Zeitreise zu den Ursprungen unserer Sprache Wie die Indogermanistik unsere Worter erklart Zweite Auflage Logos Verlag Berlin 2010 Eveline Einhauser Die Junggrammatiker ein Problem fur die Sprachwissenschaftsgeschichtsschreibung Wissenschaftlicher Verlag Trier 1989 Hadumod Bussmann Hrsg Lexikon der Sprachwissenschaft Dritte aktualisierte und erweiterte Auflage Kroner Stuttgart 2002 ISBN 3 520 45203 0 Gerhard Helbig Geschichte der neueren Sprachwissenschaft Unter dem besonderen Aspekt der Grammatik Theorie VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1973 S 27 ff Brigitte Bartschat Methoden der Sprachwissenschaft Von Hermann Paul bis Noam Chomsky Erich Schmidt Berlin 1996 S 13 ff Quellen Bearbeiten a b Hans Arens Sprachwissenschaft Der Gang ihrer Entwicklung von der Antike bis zur Gegenwart Band 1 Athenaum Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 1969 Hadumod Bussmann Hrsg Lexikon der Sprachwissenschaft 3 aktualisierte und erweiterte Auflage Kroner Stuttgart 2002 ISBN 3 520 45203 0 Junggrammatiker Beschreibung atomistischer Einzelvorgange statt systemhafter Zusammenhange Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Junggrammatiker Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Junggrammatiker Universitat Potsdam Normdaten Sachbegriff GND 4226007 3 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Junggrammatiker amp oldid 237415144