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Ein Reliquiar ist ein Gefass oder eine Fassung worin Reliquien aufbewahrt und verehrt werden Mit einer Prunkrustung geschmuckte Reliquie des Katakombenheiligen Pankratius im schweizerischen Wil Inhaltsverzeichnis 1 Ursprung und Bedeutung 2 Formen des Reliquiars 2 1 Reliquienschrein 2 2 Lipsanothek 2 3 Staurothek 2 4 Reliquienkreuz Kreuzreliquiar 2 5 Sprechende Reliquiare 2 6 Ostensorium 2 7 Osculatorium 2 8 Bursa 2 9 Phylakterion 2 10 Reliquienpyramide 3 Liturgie und Brauchtum 4 Reliquiensammlungen und Heiltumskammern 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseUrsprung und Bedeutung Bearbeiten Hauptartikel Reliquie Reliquien irdische Uberreste der Korper oder Korperteile von Heiligen oder Uberbleibsel des jeweiligen personlichen Besitzes finden sich in allen Weltreligionen vor allem aber im Christentum Auch Gegenstande die mit den Korpern oder Grabern von Heiligen oder auch mit verehrten Bildern in Beruhrung gekommen sind konnen als Reliquien gelten und verehrt werden 1 nbsp Reliquienbehalter aus aufgelassenen Altaren des Ostchores im Essener Munster datiert auf 1054 Solche Reliquienbehalter stellen die Urform der Reliquiare dar Im Christentum entwickelte sich fruh eine besondere Verehrung der Martyrer Die Reliquienverehrung ist die alteste Form der Heiligenverehrung und seit dem 2 Jahrhundert nachweisbar In der Spatantike und im Fruhmittelalter nahm die Verehrung von Reliquien erheblich zu 2 Veranlasst durch Wunderberichte wurde seit dem Fruhmittelalter den Reliquien der Martyrer heilsame Wirkung zugeschrieben 3 Ursprunglich wurden die Reliquien von Personen die im Rufe besonderer Heiligkeit und Gottesnahe standen unter den Altaren der ersten christlichen Kirchen beigesetzt Daraus entwickelte sich im Laufe der Zeit die bis heute gultige katholische Tradition bei der Weihe einer neu errichteten Kirche eine Reliquie des jeweiligen Namenspatrons in die Mensa des Hauptaltars einzumauern und in grosseren Kirchen verschiedenen Heiligen eigene mit Reliquien ausgestattete Altare zu errichten Die grossen Kathedralen des Mittelalters verdanken ihre Entstehung und ihren Ruhm vor allem hochverehrten Reliquien etwa der Heiligen Drei Konige im Kolner Dom oder der Reliquien der heiligen Ursula von Koln und ihrer Gefahrtinnen in St Ursula in Koln Ahnliche Bedeutung wie die Reliquien von Heiligen haben Gegenstande die mit dem neutestamentlichen Heilsgeschehen insbesondere mit Jesus Christus und der Mutter Gottes aber auch mit Johannes dem Taufer in direkte Verbindung gebracht werden Dazu zahlen vor allem die Kreuzreliquien kleine Holzsplitter vom Kreuz Christi von denen viele tausende uber die ganze Welt verteilt in katholischen und orthodoxen Kirchen verehrt werden Um die gewachsene Bedeutung der Reliquien fur die Kirche in der sie sich befanden zu unterstreichen begann man mit der Anfertigung spezieller meist kunstlerisch und materiell sehr kostbar ausgefuhrter Schreine und Behaltnisse zur Aufbewahrung der Reliquien Diese Behalter werden zusammenfassend als Reliquiare bezeichnet Die folgenden Abbildungen stammen aus dem Werk Lucas Cranach des Alteren Dye zeigung des hochlobwirdigen hailigthums der stifftkirche aller hailigen zu wittenberg aus dem Jahre 1509 in dem er alle Reliquien der Stiftskirche in Wittenberg abgebildet hat Die kleine Auswahl gibt einen Uberblick uber die Bandbreite der Aufbewahrungsmoglichkeiten von Reliquien nbsp Brustbild des Heiligen Paulus mit Reliquien des Paulus und anderer Heiliger nbsp Silberne Kreuzreliquie mit Stucken vom Tischtuch des letzten Abendmahls nbsp Goldenes Kleinod mit Abbildung Marias und Partikeln des Heiligen Kreuzes nbsp Brustbild des Heiligen Sigismunds mit einem merglich gross partickel von dem hauptFormen des Reliquiars BearbeitenReliquienschrein Bearbeiten nbsp Reliquienschrein in Form einer Basilika Koln 1 Halfte 13 Jahrhundert Hauptartikel Reliquienschrein Die alteste Form des Reliquiars ist der Reliquienschrein Dabei handelt es sich um einen meist reich geschmuckten dem Sarkophag des Heiligen entsprechenden Kasten in Originalgrosse oder miniaturisierter Ausfuhrung Beruhmte Reliquienschreine des hohen Mittelalters sind der Dreikonigenschrein im Kolner Dom der Karlsschrein und der Marienschrein im Aachener Dom der Marburger Elisabethschrein und der Eibinger Hildegardisschrein sowie der St Maurus Schrein der sich seit 1888 auf der westbohmischen Burg Becov Petschau befindet Lipsanothek Bearbeiten Zur Beisetzung der Reliquien im Altar dienten rechteckige oder runde Kapseln oder Ampullen aus Metall Stein Elfenbein Holz oder Glas Lipsanotheken genannt Sie konnten mit figurlichen Darstellungen oder Inschriften versehen sein 4 Staurothek Bearbeiten nbsp Vierpassformiges Kapselreliquiar Kusstafel Enkolpion Niedersachsen wohl Hildesheim 2 Halfte 12 Jahrhundert Domschatz Halberstadt nbsp Vierpassformiges Kapselreliquiar Kusstafel Enkolpion Blick ins Innere mit Reliquien Niedersachsen wohl Hildesheim 2 Halfte 12 Jahrhundert Domschatz Halberstadt Hauptartikel Staurothek Erste vom Typus des Schreins abweichende Formen des Reliquiars entwickelten sich vor allem in der Ostkirche darunter die Staurothek eine flache goldene Lade zur Unterbringung grosser Kreuzreliquien ein bekanntes Exemplar aus Byzanz die Limburger Staurothek befindet sich heute im Limburger Domschatz und das Enkolpion eine meist kreuzformige Reliquienkapsel die vom Priester an einer Kette um den Hals getragen wurde Reliquienkreuz Kreuzreliquiar Bearbeiten nbsp Meister des Reliquienkreuzes von Cosenza mit Darstellung des thronenden Christus und der vier Evangelisten aus dem 12 Jahrhundert Kathedrale von Cosenza Im Westen ubernahm man im Verlauf des Mittelalters zunachst die ostkirchlichen Reliquiartypen von denen als diplomatische Geschenke sowie besonders infolge der Plunderung Konstantinopels durch venezianische Truppen im Jahr 1204 zahlreiche Exemplare nach Mitteleuropa gelangten Daneben traten Behaltnis Variationen wie Reliquienkreuze auf Bedeutende Beispiele sind hier das Adelheid Kreuz grosstes erhaltenes deutsches Reliquienkreuz des Hochmittelalters 5 das Borghorster Stiftskreuz das Kaiser Heinrich Kreuz Fritzlar das Kreuz von Caravaca das als Gemmenkreuz gearbeitete Reichskreuz in den romisch deutschen Reichskleinodien oder das Reliquienkreuz London Weitere Reliquiare fur Kreuzreliquien sind etwa der Talisman Karls des Grossen oder das Essener Kreuznagel Reliquiar Sprechende Reliquiare Bearbeiten nbsp Armreliquiar des hl Nikolaus um 1225 30 Domschatz Halberstadt Eines von sechs noch im dortigen Domschatz erhaltenen Armreliquiaren Unter den Pilgern des beginnenden Spatmittelalters wuchs der Wunsch danach die Reliquien auf ihren Wallfahrten unmittelbarer in Augenschein nehmen zu konnen Vielfach stellte sich gegenuber den geschlossenen Reliquienkasten ein gewisses Misstrauen ein zumal Reliquienfalschungen Uberhand nahmen Daher wurde zunachst der Typus des sprechenden Reliquiars entwickelt dabei handelt es sich um Behaltnisse die in ihrer ausseren Form dem Korperteil nachempfunden sind dessen Uberreste sich darin befinden 6 Reliquiare fur Armknochen wurden als goldene Arme gestaltet Bekannte Armreliquiare sind Armreliquiar Karls des Grossen eines aus dem 12 das andere 15 Jh Armreliquiar des hl Nikolaus von Myra um 1225 30 Domschatz Halberstadt Armreliquiar des hl Stephanus 1205 1208 Domschatz Halberstadt Armreliquiar des hl Quintin Armreliquiar der hl Elisabeth Elisabeth von Thuringen Sayn Martini Armreliquiar Emmerich Basilius Armreliquiar Essen Armreliquiar der Beatrix von Holte Armreliquiar des hl Simon Zelotes Abtei SaynHandreliquiare haben die Form einer Hand etwa in der Kirche Saint Quentin Fussreliquiare gestaltete man als goldene Beine Schadel bzw Kopfreliquiare teils als Reliquienbusten Wichtige Beispiele fur letztere sind die Karlsbuste im Aachener Domschatz und die Schadelreliquiare der Apostel Petrus und Paulus in der Lateranbasilika in Rom sowie der Pauluskopf in Munster Die besondere Form des Sitzreliquiars findet sich im Reliquiar der Fides von Conques Daruber hinaus ahmen Reliquiare die Gestalt von Gegenstanden nach Derart geformte Reliquiare sind Stab Petrusstab Stuhl Cathedra Petri Kunstwerk Truhe Heiligengrabtruhe fur Grabchristus bzw Kruzifix in der Osterliturgie Becherreliquiar Hedwigsglas der heiligen Hedwig in dem Wasser zu Wein geworden war Mindener Domschatz nbsp Kopfreliquiar der hl Ludmilla von Bohmen im Prager Agneskloster nbsp Armreliquiar Karls des Grossen nbsp Handreliquie des heiligen Quentin in St QuentinOstensorium Bearbeiten Hauptartikel Ostensorium nbsp Reliquiar als Ostensorium mit einem Stuck vom Tischtuch des letzten Abendmahls Tuchreliquien Reichskleinodien Hans Krug d J Nurnberg um 1485 Kremnitz 1528 Weltliche Schatzkammer WienIm Spatmittelalter ging man dazu uber aufwendig gefasste glaserne Behalter zu schaffen in denen die Reliquien fur den Betrachter sichtbar waren Ein solches Schaugefass wird je nach Ausfuhrung als Reliquienmonstranz oder Ostensorium bezeichnet Kleine Reliquiensplitter werden seit dem spaten Mittelalter von kirchlichen Stellen in spezielle verglaste Kapseln von meist ovaler Form eingeschlossen und anschliessend versiegelt oder verplombt um die Echtheit der enthaltenen Reliquie zu dokumentieren und zu verhindern dass kleine Reliquien verloren gehen konnen Eine solche Kapsel wird als Theca bezeichnet meist befindet sich in ihr neben der Reliquie ein Zettelchen mit erklarender Beschriftung die sogenannte Cedula Osculatorium Bearbeiten Eine Sonderform des Reliquiars ist das Osculatorium auch Paxtafel Kusstafel oder Pacificale genannt Dabei handelt es sich um eine flache Metallplatte mit eingesetzter Reliquienkapsel die ruckseitig mit einem Griff oder Henkel versehen ist In der tridentinischen Messe wurde das Osculatorium vor der Kommunion als Friedenszeichen durch die Bankreihen gereicht und von jedem Gottesdienstbesucher symbolisch gekusst Ein bekanntes erhaltenes Exemplar ist die Eberbacher Kusstafel Bursa Bearbeiten Als Bursa wird eine seit dem Fruhmittelalter zur Aufnahme von Reliquien bestimmte Stofftasche Reliquienhulle bezeichnet wie sie beispielsweise fur die einzelnen bis zum heutigen Tage bei der Aachener Heiligtumsfahrt gezeigten Tuchreliquien verwendet wird Auch die sogenannten Pilgertaschen die besonders im Mittelalter breite Verwendung fanden werden als Bursen bezeichnet Eine ganz besonders wertvolle Reliquientasche stellt die in der Wiener Schatzkammer aufbewahrte Stephansbursa dar Phylakterion Bearbeiten Kleine Kapseln mit Reliquien die um den Hals oder vor der Brust getragen wurden werden Phylakterion altgriechisch fylakthrion phylakterion Schutzmittel Amulett genannt Ihnen wurde apotropaische Wirkung Schutz vor Unheil und Gefahr zugeschrieben 4 Reliquienpyramide Bearbeiten Reliquien von mehreren Heiligen werden mitunter in sogenannten Reliquienpyramiden aufbewahrt 7 Liturgie und Brauchtum BearbeitenAm Gedenktag eines Heiligen oder zum Patrozinium einer Kirche wird in der Liturgie des Heiligen oder des Festgeheimnisses besonders gedacht Mancherorts werden dabei den Glaubigen die Reliquiare mit Reliquien zur Verehrung zuganglich gemacht Der Priester kann dabei auch einen besonderen Segen mit dem Reliquiar erteilen Eine besonders herausragende Form der Reliquienverehrung in der katholischen Kirche ist die Reliquienprozession Hierbei werden die Reliquien von Heiligen in ihren Schreinen oder Reliquiaren uber einen meist traditionell festgelegten Prozessionsweg getragen Eine wichtige bis heute gepflegte Feier dieser Art ist die Reliquienprozession der heiligen Hildegard von Bingen die jahrlich am 17 September in Eibingen stattfindet Bei der alle sieben Jahre stattfindenden Aachener Heiligtumsfahrt werden die Aachener Heiligtumer aus dem Marienschrein des Aachener Dom geholt und gezeigt Reliquiensammlungen und Heiltumskammern BearbeitenHauptsachlich im Mittelalter war es verbreitet bedeutenden Personlichkeiten Reliquien zu schenken Schon Karl der Grosse in Aachen und spater Karl IV in Prag hauften Reliquiensammlungen an Am Vorabend der Reformation liess Kurfurst Friedrich der Weise von Sachsen in seiner Residenz Wittenberg einen der grossten Reliquienschatze seiner Zeit zeigen Der von der heiligen Hildegard von Bingen bereits im 12 Jahrhundert zusammengetragene Eibinger Reliquienschatz wird noch heute in der Pfarrkirche Eibingen aufbewahrt Kostbare Umhullungen oder Gefasse aus Gold und Silber gaben den unansehnlichen Uberbleibseln auratischen Glanz Die Dome von Aachen Bamberg Braunschweig Essen Freising Halberstadt Koln Minden Munster Osnabruck und Trier besassen und besitzen haufig heute noch ihre in Schatz oder Heiltumskammern gezeigten Bestande Bedeutende kirchliche Schatzkammern befinden sich auch in Augsburg Essen Werden Schwabisch Gmund Xanten Im Mittelalter in katholischen Zentren auch spater noch wurden den wallfahrenden Glaubigen bei Prozessionen und sogenannten Heiltumsweisungen die Reliquienschatze von einer Galerie einer Empore oder einem Heiltumstuhl Wien aus prasentiert oder wie in Trier der Heilige Rock anlasslich der Wallfahrten dorthin periodisch ausgestellt Literatur BearbeitenKlaus Gereon Beuckers Dorothee Kemper Hg Typen mittelalterlicher Reliquiare zwischen Innovation und Tradition Objekte und Eliten in Hildesheim 1130 bis 1250 Bd 2 Regensburg 2017 Joseph Braun Die Reliquiare des christlichen Kultes und ihre Entwicklung Herder Freiburg i Br 1940 Thomas Richter Reliquiar In Walter Kasper Hrsg Lexikon fur Theologie und Kirche 3 Auflage Band 8 Herder Freiburg im Breisgau 1999 Sp 1088 1091 Weblinks BearbeitenDigitalisierte Heiltumsbucher aus den Bestanden der Staatsbibliothek BambergEinzelnachweise Bearbeiten Verlautbarungen des Heiligen Stuhls Nr 160 Kongregation fur den Gottesdienst und die Sakramentenordnung Hrsg Direktorium uber die Volksfrommigkeit und die Liturgie 2001 Dazu ausfuhrlich Martina Hartl Leichen Asche und Gebeine Der fruhchristliche Umgang mit dem toten Korper und die Anfange des Reliquienkults Handbuch zur Geschichte des Todes im fruhen Christentum und seiner Umwelt Band 3 Schnell amp Steiner Regensburg 2018 ISBN 978 3 7954 3258 4 Nancy G Siraisi Medieval amp Early Renaissance Medicine An Introduction to Knowledge and Practice Chicago 1990 S 11 a b Thomas Richter Reliquiar In Walter Kasper Hrsg Lexikon fur Theologie und Kirche 3 Auflage Band 8 Herder Freiburg im Breisgau 1999 Sp 1088 Badische Zeitung Das Augustinermuseum zeigt den Schatz des Klosters St Blasien Kultur Badische Zeitung Abgerufen am 15 Marz 2021 Arnold Angenendt Geschichte der Religiositat im Mittelalter Primus Verlag Darmstadt 2 uberarb Aufl 2000 ISBN 3 89678 172 3 S 693 Vgl etwa Christine Demel u a Leinach Geschichte Sagen Gegenwart Selbstverlag Gemeinde Leinach Leinach 1999 S 320 322 Die Reliquienpyramiden der Peterskapelle in Leinach Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Reliquiar amp oldid 237672950