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Der Berliner Antisemitismusstreit war eine offentliche Debatte von 1879 bis 1881 im Kaiserreich uber den Einfluss des Judentums die Judenfrage Er wurde damals als Treitschkestreit oder Treitschkiade bezeichnet und erhielt erst durch eine Dokumentensammlung von Walter Boehlich aus dem Jahr 1965 seinen heute ublichen Namen 1 Ausloser war ein Aufsatz des konservativ preussischen Historikers und Reichstagsabgeordneten Heinrich von Treitschke zu dem verschiedene Politiker und Intellektuelle Stellung bezogen darunter 1880 auch der Althistoriker Theodor Mommsen Der Streit machte das Schlagwort Antisemitismus das Moritz Steinschneider 1860 gepragt und der Journalist Wilhelm Marr 1879 in Umlauf gebracht hatte landesweit publik und trug die Diskussion daruber in das deutsche Bildungsburgertum und die Universitaten hinein Er gab den Forderungen der Berliner Bewegung um Adolf Stoecker nach Begrenzung der Judenemanzipation ein Forum Die im August 1880 gestartete Antisemitenpetition die Juden von allen hohen Staatsamtern ausschliessen und eine angebliche judische Einwanderung stoppen wollte erhielt so Aufmerksamkeit und Zustimmung Inhaltsverzeichnis 1 Politischer Kontext 2 Der Ausloser 3 Judische christliche und liberale Reaktionen 4 Fortgang der Debatte 5 Antisemitische Reaktionen 6 Theodor Mommsens Eingreifen 7 Folgen 8 Damalige Streitschriften 9 Literatur 10 Weblinks 11 BelegePolitischer Kontext BearbeitenNach dem Grunderkrach von 1873 befand sich das Deutsche Reich in der Grossen Depression Zur industriellen Krise kam eine Agrarkrise hinzu die in der Konkurrenz des billigeren uberseeischen Getreides ihre Ursache hatte Schwerindustrielle und Grossgrundbesitzer forderten gemeinsam Schutzzolle und gewannen uber ihre Verbande zunehmend politischen Einfluss Ihr Ziel war Reichskanzler Bismarck von den Liberalen zu trennen die weiterhin am Freihandel festhielten und den weiteren Abbau der Zollschranken forderten Bismarck dessen Finanzberater Gerson von Bleichroder Jude war hatte ein Jahrzehnt lang Freihandelspolitik verfochten und war von den judischen Fuhrern der Liberalen im Reichstag Eduard Lasker und Ludwig Bamberger gestutzt worden Er vollzog 1878 1879 eine politische Wende wandte sich den konservativen Parteien und dem katholischen Zentrum zu und fuhrte wieder Zolle auf Getreide und Eisen ein Damit zog er auch den liberalen Mittelstand der durch die Wirtschaftskrise hart getroffen worden war an sich Die Sozialistengesetze waren verabschiedet worden und hielten die Sozialdemokratie in Schach Diese konservative Wende war ein politischer Erdrutsch und bedeutete das Ende des Liberalismus der politischen Heimat der meisten deutschen Juden als politisch beherrschender Kraft in der nationalen Politik Wegen der Zustimmung der Nationalliberalen Partei zu den Sozialistengesetzen verscharften sich ihre Flugelkampfe bis in die Nahe einer Parteispaltung Den liberalen Kurs den Ludwig Bamberger und Eduard Lasker befurworteten stutzten weiterhin die Vertreter von Banken und Handel Der rechte Flugel der Nationalliberalen wurde weniger liberal er suchte die Nahe zur Macht Zugleich wurde im Herbst die antisemitische Agitation im Kaiserreich verstarkt Adolf Stoecker hatte nach Misserfolgen seiner 1878 gegrundeten Christlich sozialen Partei am 16 September 1879 mit einer Rede Unsere Forderungen an das Judentum gestellt um damit unzufriedene Kleinburger und Handwerker aber auch konservative Grossburger als neue Wahler zu gewinnen Das kulturpessimistische und rassistische Buch von Wilhelm Marr Der Sieg des Judenthums uber das Germanenthum fand damals reissenden Absatz Die Antisemiten die bisher als Vereinigung der Verlierer des neuen Deutschen Reiches wenig Zulauf gefunden hatten profitierten von Bismarcks Wende Es fanden sich politische Fuhrer die seinen Bruch mit dem Liberalismus begrussten und den Antisemitismus benutzten um den nationalen Geist zu verstarken von dem das deutsche Reich noch zu wenig zu haben schien Heinrich von Treitschke Abgeordneter der Nationalliberalen Partei im Reichstag vertrat wie viele Bildungsburger den nationalen und konservativen Kurs der die neue Politik des Reichskanzlers unterstutzte Der Ausloser Bearbeiten nbsp Heinrich von TreitschkeAm 15 November 1879 veroffentlichte Treitschke in den von ihm herausgegebenen Preussischen Jahrbuchern einen Aufsatz mit dem Titel Unsere Aussichten 2 Gut zwei Drittel bestanden aus einem Jahresruckblick auf die Aussen und Innenpolitik des Deutschen Reiches Er begrusste Bismarcks Verhalten auf dem Berliner Kongress vom Juli des Jahres als Ausdruck nationalen Selbstbewusstseins das sich auf weltanschauliche und kulturelle Homogenitat stutze Der Vollendung der ausseren Einheit musse die innere Reichsgrundung namlich ein gekraftigtes Nationalgefuhl folgen Das constitutionelle Konigthum sei gegen innere Reichsfeinde offensiv zu verteidigen Auf den letzten funf Seiten thematisierte Treitschke Gefahren die er fur die nationale Einheit zu erkennen glaubte Er sah sie durch die weichliche Philanthropie unseres Zeitalters und eine nationale Sonderexistenz der deutschen Juden bedroht und behauptete sie seien Gegner der nationalen Einigung Deutschlands und nicht willens zur gesellschaftlichen Assimilation Gleichwohl seien sie Deutschland fur die Emanzipation Dank schuldig denn die Theilnahme an der Leitung des Staats ist keineswegs ein naturliches Recht aller Einwohner sondern jeder Staat entscheidet daruber nach seinem freien Ermessen Daher mussten die Juden sich den Sitten und Gedanken ihrer christlichen Mitburger annahern und Pietat zeigen gegen den Glauben die Sitten und Gefuhle des deutschen Volks das alte Unbill langst gesuhnt und ihnen die Rechte des Menschen und des Burgers geschenkt hat indem sie nun auch innerlich Deutsche werden Er entrustete sich uber ihren vermeintlichen Undank und Egoismus Kaum war die Emancipation errungen so bestand man dreist auf seinem Schein man forderte die buchstabliche Paritat in Allem und Jedem und wollte nicht mehr sehen dass wir Deutschen denn doch ein christliches Volk sind Dagegen sei mit Recht eine naturliche Reaktion des germanischen Volksgefuhls gegen ein fremdes Element entstanden der Instinkt der Massen hat in der That eine schwere Gefahr einen hochbedenklichen Schaden des neuen deutschen Lebens richtig erkannt es ist keine leere Redensart wenn man heute von einer deutschen Judenfrage spricht Wie schon Ernst Moritz Arndt 1821 beschwor er einen angeblichen Zustrom judischer Einwanderer aus den polnischen Gebieten des Russischen Reiches bzw Osterreich Ungarns Uber unsere Ostgrenze aber dringt Jahr fur Jahr aus der unerschopflichen polnischen Wiege eine Schaar strebsamer hosenverkaufender Junglinge herein deren Kinder und Kindeskinder dereinst Deutschlands Borsen und Zeitungen beherrschen sollen die Einwanderung wachst zusehends und immer ernster wird die Frage wie wir dies fremde Volksthum mit dem unseren verschmelzen konnen Der Jude sitze bereits in tausenden deutscher Dorfer wo er seine Nachbarn wuchernd ausverkaufe Die Diskussion dieser Frage werde nur durch die Tabuisierung judischer Schwache in der Presse gehemmt Dieses Tabu gelte es zu brechen Treitschke verlangte wie Stoecker Juden sollten ihre angebliche Uberheblichkeit zurucknehmen Sie seien Deutsch redende Orientalen die auf ihren traditionellen Unterschieden beharrten daher musse von ihnen Bescheidenheit Demut Toleranz gegenuber den Deutschen verlangt werden Er forderte unsere israelitischen Mitburger auf Sie sollen Deutsche werden sich schlicht und recht als Deutsche fuhlen unbeschadet ihres Glaubens und ihrer alten heiligen Erinnerungen die uns allen ehrwurdig sind denn wir wollen nicht dass auf die Jahrtausende germanischer Gesittung ein Zeitalter deutsch judischer Mischcultur folge Das gesellschaftliche Klima jener Zeit fasste er mit dem Satz zusammen Bis in die Kreise der hochsten Bildung hinauf unter Mannern die jeden Gedanken kirchlicher Unduldsamkeit oder nationalen Hochmuths mit Abscheu von sich weisen wurden ertont es heute wie aus einem Munde die Juden sind unser Ungluck 3 Treitschke verstand die Gleichberechtigung der Juden nicht als Element unverausserlicher Menschenrechte die der Nationalstaat zu schutzen habe sondern als Geschenk der preussischen Monarchie die daher Anspruche an die Beschenkten stellen konne Der Fuhrungsanspruch einer als Leitkultur aufgefassten Synthese von Deutschtum und Christentum stand fur ihn ausser Frage Auf dieser Basis griff er fremdenfeindliche Stereotypen auf die vorher nur von antisemitischen Agitatoren zu horen waren Er beschwor die nationale Einheit gegen eine angeblich unzuverlassige und fremdartige Minderheit berief sich auf Volkes Stimme schurte Uberfremdungsangste und die Verschworungstheorie eines angeblichen judischen Vormachtstrebens zeigte Verachtung fur Zuwanderer ihre Berufe und ihre Kultur aber auch fur die Liberalen die der vermeintlichen Gefahr einer Mischcultur nicht entgegentreten wollten Er vertrat dies bewusst als Tabubruch eines bis dahin gultigen liberalen Meinungskonsenses und bot zuletzt eine einpragsame Parole an Dabei nahm der angesehene Historiker scheinbar die Rolle des objektiven Beobachters von Zeiterscheinungen ein und grenzte sich vom Radau Antisemitismus ab Dessen Ursache sah er bei den Juden die er als Nichtdeutsche fremden Ursprungs beschrieb So gab er sich im weiteren Verlauf sogar als Kampfer gegen antisemitische Umtriebe aus Damit trug er den Antisemitismus in das intellektuelle und akademische Burgertum hinein Judische christliche und liberale Reaktionen BearbeitenBis zum Sommer 1880 reagierten fast nur politische Gegner und judische Akademiker auf Treitschkes Angriffe Die Offentlichkeit nahm den Streit daher zunachst als Kontroverse zwischen einem angesehenen deutschen Professor und einigen betroffenen Juden wahr die seine Angriffe abzuwehren versuchten Am 9 Dezember 1879 wies die von Ludwig Philippson redigierte Allgemeine Zeitung des Judenthums mit einem Leitartikel auf die fehlenden Belege hin die man von einem Kenner der deutschen Geschichte eigentlich erwarten konnte und stellte Treitschkes Aussagen uber judische Borsenjobber Zeitungsmagnaten und Hosenverkaufer in eine Linie mit mittelalterlicher Pogromhetze 4 Es sind dies nichts anderes als die alten Beschuldigungen der Brunnenvergiftung der Hostienentweihung der Schuld am Schwarzen Tod usw in neuer Gestalt um sie die Juden dem Volke verachtlich und verhasst zu machen Und dazu giebt sich auch ein Herr von Treitschke her Als erster Akademiker reagierte der Breslauer Rabbiner und Philosoph Manuel Joel 1826 1890 im Dezember 1879 mit einem offenen Brief in dem er Treitschke vorwarf die Juden zu Unrecht allein fur Missstande im Land verantwortlich zu machen und damit erst recht als Sonderkorper im nationalen Organismus zu isolieren Treitschke ubertreibe die angebliche Masseneinwanderung aus Polen Judischer und germanischer Geist seien miteinander vertraglich da das Christentum judischen Ursprungs sei Der zum Protestantismus konvertierte Paulus Stephanus Cassel veroffentlichte ebenfalls noch im Dezember seine Schrift Wider Heinrich von Treitschke Fur die Juden Er war zunachst der einzige Christ der den Angriffen offentlich entgegentrat Von Ludwig Bamberger erschien im Januar 1880 in der Zeitschrift Unsere Zeit Deutsche Revue der Gegenwart der lange Aufsatz Deutschtum und Judentum der historische und politische Unzulanglichkeiten Treitschkes ironisch aufdeckte und das Selbstverstandnis deutscher Juden erklarte Er stellte abschliessend fest 5 Darin hat Herr von Treitschke den Juden einen Dienst geleistet dass er viele die unter dem Eindruck der letzten Jahrzehnte sich Illusionen hingegeben auf das wahre Sachverhaltnis wieder aufmerksam machte Es ist besser die Juden kennen das Gefuhl des Widerstrebens welches unter dem Zwange der ausseren Hoflichkeit sich verbirgt Der judische Historiker Heinrich Graetz 1817 1891 Autor einer bis heute beruhmten Geschichte der Juden versuchte Treitschkes Vorwurfe als unhaltbar zu widerlegen Er wollte nicht als judischer Nationalist betrachtet werden betonte aber im letzten Band seines Werks dass die Eigenart des judischen Volksstamms in der Nachwirkung und Erinnerung seiner biblischen Berufung am Berg Sinai bestehe Ohne Kenntnis dieses Ursprungs bleibe das Gemeinschaftsgefuhl heutiger Juden unverstandlich 6 Fortgang der Debatte BearbeitenTreitschke griff Graetz mit einem zweiten Aufsatz personlich an und stellte ihn als Beispiel fur judischen Todhass gegen bedeutende Vertreter deutscher Kultur hin Er warf ihm vor die Uberlegenheit der judischen Rasse zu propagieren und die Anerkennung des Judentums als einer Nation in und neben der deutschen zu fordern Die Uberheblichkeit der Juden die die Emanzipation nur zum eigenen Vorteil genutzt hatten ohne sich zum Dank dafur anzupassen habe die antijudische Erregung des Volkes hervorgerufen Er versuchte die ubermassige Einwanderung der Ostjuden und den ubergrossen Einfluss von Juden in Presse Wirtschaft und Bankwesen mit Zahlen zu belegen und behauptete dass die Juden in Deutschland machtiger sind als in irgendeinem Lande Westeuropas 7 Wurden die Juden ihre Eigenart nicht vollstandig aufgeben so sei ihre Auswanderung in einen eigens zu begrundenden Staat die einzige Losung 8 Graetz wies Treitschkes personliche Angriffe zuruck und zog sich aus der offentlichen Debatte zuruck Er stand anfangs fast allein damit die ihm unterstellte Konstruktion eines judischen Staates im Staate zu widerlegen Nur der Theologe Paulus Stephanus Cassel und der Frankfurter Gymnasialprofessor Karl Fischer unterstutzten ihn offentlich Der Berliner Mediavist Harry Bresslau 1848 1926 wies in einem Brief an Treitschke den Ausspruch Die Juden sind unser Ungluck zuruck Dies sei nur geeignet den Abstand zwischen Juden und Deutschen zu vergrossern Juden seien bis auf wenige Ausnahmen sehr wohl Deutsche Ihre Bemuhung sich anzupassen sei auf jeden Fall erkennbar Er ubernahm also die Annahme dass Juden ursprunglich keine echten Deutschen seien und sich daher zum Dank fur die rechtliche Gleichstellung zu assimilieren hatten Der Volkerpsychologe Moritz Lazarus 1824 1903 stellte in einem Vortrag zum Thema Was ist national die Nationalfahigkeit des Judentums gleichwertig neben die beiden christlichen Konfessionen Ein Nationalgefuhl sei auch ohne die von Treitschke geforderte kulturelle Homogenitat moglich Diese Erkenntnis falle jedoch bei der uberwiegenden Mehrheit sowohl der Deutschen als auch der Juden bisher auf unfruchtbaren Boden Treitschke antwortete auf beide mit seiner Schrift Noch einige Bemerkungen zur Judenfrage Darin bezeichnete er Bresslaus Kritik als Beispiel einer ubergrossen Empfindlichkeit der Juden und betonte dass deren rechtliche Gleichstellung in Preussen 1869 keineswegs aus naturrechtlichen sondern aus staatspolitischen Grunden erfolgt sei Die Deutschen hatten dafur Blutvermischung in Kauf genommen Seither seien Ubertritte zum Christentum zuruckgegangen Das Judentum durfe nicht gleichwertig neben die evangelische und katholische Konfession treten Denn in einem national selbstbewussten Staat konne dauerhaft nur eine Religion bestehen sonst komme es immer zu Konflikten Es sei nicht moglich die christliche Religion zu relativieren schon die Kinder musse man das christliche Weltbild lehren Dieses beinhalte auch dass Christus von den Juden unschuldig gekreuzigt wurde siehe Gottesmord Juden seien nicht assimilierbar so lange sie sich vermehrten nur wenn sie eine verschwindende Minderheit blieben oder sich taufen liessen sei ihre Ausweisung dauerhaft zu verhindern 9 Weitere offentliche Reaktionen verfassten der Marburger Philosoph Hermann Cohen 1842 1918 und Treitschkes innerparteilicher Gegner Heinrich Bernhard Oppenheim 1819 1880 Der Berliner Stadtverordnete und Statistiker Salomon Neumann 1819 1908 publizierte im Sommer 1880 die demographische Studie Die Fabel von der judischen Masseneinwanderung die anhand offizieller preussischer Statistiken nachwies dass es keine nennenswerte judische Einwanderung sondern nur eine Binnenwanderung gab 10 Antisemitische Reaktionen BearbeitenVon den konservativen Zeitungen hatte anfangs nur die der katholischen Zentrumspartei nahestehende Germania schon am 28 November 1879 Stellung bezogen Sie druckte Treitschkes ersten Aufsatz teilweise ab und wies ihre Leser darauf hin dass dieser ihre judenfeindliche Agitation seit 1873 bestatigt habe Wilhelm Marr und andere Antisemiten begrussten Treitschke emphatisch als Bundesgenossen der ihre Position mit seiner wissenschaftlichen Autoritat aufwerte Ab Januar bis April 1880 nahmen antisemitische Stimmen in der Presse wie auch unter Akademikern zu So erschien im Reichsboten ein Artikel uber Treitschkes Bedeutung fur die antisemitische Bewegung Auch die von Wilhelm Marr gegrundete damals bereits aber nicht mehr von ihm redigierte Deutsche Wacht begrusste Treitschkes Forderungen als Zustimmung zu ihrer Agitation Der ansonsten unbekannte Wilhelm Endner beantwortete im Januar 1880 Bresslaus Schrift 11 Treitschkes Antwort darauf sei zu milde gewesen Von den Juden die das Land aussaugten musse verlangt werden endlich korperlich zu arbeiten Sie sollten ihre Auffassung von koscheren Lebensmitteln fallen lassen und die judischen Feiertage aufgeben Christen und Juden konnten sich sonst nie annahern und zusammenleben Eine Verschmelzung sei unmoglich da dann auch die Deutschen die Endner mit den Christen gleichsetzte einen Teil ihrer Identitat opfern mussten Das Eigentumliche des Juden sei dem naturlichen Gefuhl des Deutschen eben unsympathisch unangenehm zum Teil selbst widerlich 12 Von den Juden musse mehr Toleranz und Bescheidenheit nach Endners Meinung besondere deutsche Charaktereigenschaften gefordert werden Heinrich G Nordmann veroffentlichte im April 1880 den Aufsatz Professoren uber Israel von Treitschke und Bresslau in dem er die judische Religion scharf kritisierte 1883 liess er unter seinem Pseudonym H Naudh sein 1861 erstmals veroffentlichtes Pamphlet Die Juden und der deutsche Staat folgen Es erlebte 13 Auflagen bis 1920 und wurde ab 1885 von Theodor Fritsch herausgegeben Darin hiess es 13 Ein Staat darf nicht den sittlichen Inhalt einer fremden besonderen Religion ignorieren und auch nicht eine fremde Rasse wie die judische Jude sein heisst der ganzen ubrigen Welt feindselig entgegenzustellen Jedes Volk muss sich daher vor den Juden huten Sie bilden eine Aristokratie des schmutzigen Materialismus Es gibt nur deutsch redende Juden nicht aber judische Deutsche Durch das Hereinziehen der Juden in das deutsche Staatswesen wird das Nationalgefuhl der Deutschen verletzt und die sittliche Gemeinschaft untergraben In der Hand des Juden verwandelt sich jede Frage in eine Geldfrage Nur blodsinnige Ideologen konnten auf das deutsche Staatswesen die Juden loslassen Ahnlich ausserte sich auch der Bismarckreferent Julius Hermann Moritz Busch 1821 1899 Theodor Mommsens Eingreifen Bearbeiten nbsp Theodor Mommsen 1881Theodor Mommsen der damals in Deutschland als Historiker vergleichbares Ansehen genoss wie Treitschke griff in die Debatte erst ein Jahr nach ihrem Beginn ein nicht unter parteipolitischem Aspekt sondern mit fundamentaler Kritik Treitschkes auslosenden Aufsatz hatte er jedoch sofort fur das Entsetzlichste oder Scheusslichste erklart was je geschrieben ward Dies berichtete ein Brief des Historikers Karl Wilhelm Nitzsch vom 19 Dezember 1879 Auch Treitschke selbst berichtete Ende Januar 1880 er habe von heftigen Ausserungen Mommsens im Hause des liberalen Historikers Wattenbach gehort 14 Mommsen war vorgestern bei Wattenbachs geradezu toll und sprach wie Bamberger oder Cassel allerdings hatte er vorher Wein getrunken Am 18 Marz 1880 hielt Mommsen eine Akademierede vor den versammelten Honoratioren der Berliner Friedrich Wilhelms Universitat Darin spielte er erkennbar auf Treitschke an ohne ihn aber namentlich zu erwahnen 15 Regt man nicht in den socialen und den wirtschaftlichen Fragen das Element des Egoismus der Interessen wie des nationalen Egoismus in einer Weise auf dass die Humanitat als ein uberwundener Standpunkt erscheint Der Kampf des Neides und der Missgunst ist nach allen Seiten hin entbrannt Wirft man uns doch die Fackel in unsere eigenen Kreise und der Spalt klafft bereits in dem wissenschaftlichen Adel der Nation Dies erregte Aufsehen und wurde in der liberalen Presse als besonders mutig gewurdigt Im August 1880 initiierten die Lehrer Bernhard Forster und Ernst Henrici sowie der Politiker Max Liebermann von Sonnenberg die Antisemitenpetition Sie forderte auslandischen Juden die Einwanderung zu verbieten alle nach Deutschland eingewanderten polnischen Juden auszuweisen Juden aus dem gehobenen Staatsdienst zu entlassen keine weiteren judischen Volksschullehrer einzustellen und eine so genannte Judenstatistik wieder einzufuhren um eine Sondersteuer fur sie erheben zu konnen Dies lief auf die schrittweise Rucknahme der Emanzipationsgesetze hinaus In der Version einer Studentenpetition wurden die Forderungen ab Oktober 1880 in Hunderttausenden Flugblattern an den deutschen Universitaten verteilt Treitschke stand diesem Bemuhen nach brieflichen Aussagen von Paul Dulon dem Berliner Organisator des Komitees zur Verbreitung der Petition unter der Studentenschaft positiv gegenuber und wurde deshalb von den Berliner Studenten als Werbetrager und Vorbild zitiert 16 Daraufhin gab Mommsen seine bisherige Zuruckhaltung auf und entschloss sich zum direkten offentlichen Widerspruch Auch andere Berliner Honoratioren verstanden die Petition als Angriff auf die erreichte Liberalitat dem entgegenzutreten sei Daher veroffentlichten 75 angesehene Berliner Burger am 14 November 1880 eine so genannte Notabeln Erklarung gegen den Antisemitismus in der Nationalzeitung Berlin Darin hiess es In unerwarteter und tief beschamender Weise wird jetzt und an verschiedenen Orten zumal in den grossten Stadten des Reiches der Rassenhass und der Fanatismus des Mittelalters wieder ins Leben gerufen und gegen unsere judischen Mitburger gerichtet gebrochen wird die Vorschrift des Gesetzes wie die Vorschrift der Ehre dass alle Deutschen in Rechten und Pflichten gleich sind Schon hort man den Ruf nach Ausnahmegesetzen und Ausschliessung der Juden von diesem oder jenem Beruf oder Erwerb von Auszeichnungen und Vertrauensstellungen Wie lange noch wird es wahren bis der Haufe auch in diesen einstimmt Noch ist es Zeit der Verwirrung entgegenzutreten und nationale Schmach abzuwenden noch kann die kunstlich angefachte Leidenschaft der Menge gebrochen werden durch den Widerstand besonnener Manner Verteidigt in offentlicher Erklarung und ruhiger Belehrung den Boden unseres gemeinsamen Lebens Achtung jedes Bekenntnisses gleiches Recht gleiche Sonne im Wettkampf gleiche Anerkennung tuchtigen Strebens fur Christen und Juden Erstunterzeichner waren u a die Professoren Johann Gustav Droysen Rudolf von Gneist Rudolf Virchow und Theodor Mommsen Dieser hatte den Entwurf des Berliner Stadtschulrats Bertram mit einigen aufruttelnden Satzen verscharft Von ihm stammte z B der Satz vom Gesetzes und Ehrbruch sowie von Mannern die von der Kanzel und vom Katheder an Gotthold Ephraim Lessings Erbe ruttelten Dass dies auf Stocker und Treitschke gemunzt war verstand das Berliner Publikum Es folgte ein direkter Schlagabtausch zwischen Treitschke und Mommsen in Leserbriefen an verschiedene Berliner Tageszeitungen Treitschke unterstrich am 17 November in der konservativen Post 17 Was ich als Publizist vor Jahresfrist uber die gegenwartige Stellung des Judenthums geschrieben habe halte ich aufrecht bis man mich durch Grunde eines Bessern belehrt haben wird Volltonende Worte pathetischer Entrustung betrachte ich nicht als Widerlegung Darauf bestatigte Mommsen in einem Brief vom 19 November an die Nationalzeitung dass sich seine Kritik auf Treitschke personlich bezogen habe Dieser habe seine offentlichen Rollen als Publizist und akademischer Lehrer durch seine Kontakte mit antisemitischen Aktivisten unter den Studenten auf ungebuhrliche Weise vermischt und seine Autoritat fur Politik missbraucht Treitschke reagierte am 21 November ebenfalls in der Nationalzeitung indem er Satze aus Mommsens Romischer Geschichte 18 ohne Kontext zitierte um diesen als unglaubwurdig hinzustellen 19 Ich theile nicht die pessimistische Ansicht meines Kollegen Mommsen dass uberall in der Welt das Judentum ein wirksames Ferment des Kosmopolitismus und der nationalen Decomposition bilde RG III 550 sondern ich lebe der Hoffnung es werde der vollzogenen Emancipation im Laufe der Jahre auch die innere Verschmelzung und Versohnung folgen Er stellte Mommsen also als den eigentlichen Antisemiten hin dem gegenuber er die nationale Versohnung mit den Juden anstrebe Dies veranlasste Mommsen am 10 Dezember 1880 zu dem Aufsatz Auch ein Wort uber unser Judentum Darin verurteilte er das antisemitische Ressentiment als ethisch verwerflich betonte die positiven Seiten des Judentums und die Notwendigkeit einer kulturellen Vielfalt und Vermischung 20 Ein gewisses Abschleifen der Stamme aneinander die Herstellung einer deutschen Nationalitat welche keiner bestimmten Landsmannschaft entspricht ist durch die Verhaltnisse unbedingt geboten Dass die Juden in dieser Richtung seit Generationen wirksam eingreifen halte ich keineswegs fur ein Ungluck und ich bin uberhaupt der Ansicht dass die Vorsehung weit besser als Herr Stocker begriffen hat warum dem germanischen Metall fur seine Ausgestaltung einige Prozent Israel beizusetzen waren Damit nahm er nun vollends die Rolle des Gegenparts zu den antisemitischen Agitatoren Berlins ein ubernahm aber inhaltlich die Annahme es gabe einen judischen Volkscharakter der deutsches Wesen gravierend verandere nur dass er dies positiv beurteilte Deshalb zitierten Antisemiten diesen Satz oft als Beleg fur eine von Juden angeblich ausgehende Zersetzung der Nation Am 15 Dezember 1880 dementierte Treitschke auf Mommsens Drangen hin dass er die Studentenpetition unterstutzt habe wurde aber deshalb von deren Hauptorganisator Paul Dulon in einem Privatbrief der Falschdarstellung bezichtigt Folgen BearbeitenIndem nunmehr die beiden bekanntesten Historiker Deutschlands offentlich gegeneinander polemisierten erreichte der Streit in den Medien einen Hohepunkt und spaltete die Nation in Befurworter und Gegner Treitschkes Mommsen erreichte dass nun die liberale Presse gegen den Antisemitismus Stellung bezog auch die meisten Professoren an der Friedrich Wilhelms Universitat und alte Studienfreunde wie Levin Goldschmidt grenzten sich von Treitschke ab Nur drei seiner Universitatskollegen der Jurist Heinrich Brunner der Historiker Karl Wilhelm Nitzsch und Herman Grimm stellten sich ausdrucklich hinter ihn Ausser Mommsen wiesen weiterhin kaum Nichtjuden unter den Akademikern offentlich Treitschkes antijudische Vorwurfe zuruck Da dieser jedoch auf Mommsens Replik nicht mehr antwortete schien er den Streit fur die offentliche Wahrnehmung verloren zu haben so dass die mediale Beachtung danach abnahm Doch seine Sicht war von nun an nicht mehr aus dem gesellschaftlichen Diskurs zu verbannen sondern blieb im gehobenen Burgertum attraktiv breitete sich weiter aus und konnte in Krisenzeiten neu hervorbrechen Treitschkes ressentimentgeladene nicht wissenschaftlich begrundete Ausgrenzung der judischen Minderheit versuchte die gerade erst gewonnene und noch sehr labile nationale Einheit kunstlich auf Kosten der Juden zu forcieren Die meisten Reaktionen darauf waren apologetisch und defensiv viele teilten die Grundannahmen einer ethnischen oder rassischen Besonderheit der Juden die ihnen verstarkte Anpassungsleistungen abverlangte Treitschke sah sich selbst nicht als Rasse Antisemiten er dachte eher nationalistisch Gerade deshalb trugen seine Parolen weitaus mehr zur Verbreitung des Antisemitismus im Burgertum bei als diejenigen Grunder und Vertreter offen antisemitischer Gruppen und Parteien die sich programmatisch auf die Ausgrenzung oder Vertreibung der Juden festlegten Der zwei Jahre lang intensiv publizierte und kommentierte Streit etablierte auch scheinbar gemassigte Formen der Judenablehnung als kulturellen Code 21 und schwachte damit die gesellschaftlichen Abwehrkrafte gegen Diskriminierung von Minderheiten Er beendete die Hoffnungen eines Teils der judischen Intellektuellen auf Anerkennung im Kaiserreich und verstarkte die Hinwendung zum Zionismus Der Streit fand im Zusammenhang der dritten antisemitischen Welle in Deutschland nach 1819 und 1873 statt und wurde von Ausschreitungen begleitet Der Berliner Korrespondent der The New York Times schrieb dazu am 18 November 1880 22 Seit einiger Zeit findet eine einzelne gewaltsame antijudische Agitation uberall in Deutschland prominente Unterstutzer Die selbsternannten Vertreter des Teutonismus oder Germanismus brachten die Klage auf dass die Wohltaten der schwerverdienten nationalen Einheit von Mitgenossen fremder und semitischer Rasse monopolisiert wurden und die groben ungebildeten Klassen griffen den Ruf als Echo auf Wahrend der letzten Monate haben Zeitungen Beleidigungen und Gewalttaten an Menschen judischen Blutes in ganz Deutschland registriert die in einigen Fallen mit mittelalterlichen Entwurdigungen vergleichbar sind Am 20 und 22 November 1880 23 brachten die Abgeordneten der Deutschen Fortschrittspartei die antisemitische Bewegung und insbesondere die Antisemitenpetition vor den preussischen Landtag Sie fragten in der Interpellation Hanel an wie die Regierung zu der Bewegung stehe und ob Beschrankungen der Rechte der Juden beabsichtigt seien Von Regierungsseite wurde nur bestatigt dass eine Anderung des Rechtszustandes nicht beabsichtigt sei aber keine Position zur antisemitischen Bewegung bezogen In der zweitagigen Debatte vertraten Abgeordnete der Konservativen und des Zentrums antisemitische Argumente Dem widersprachen die Abgeordneten der Deutschen Fortschrittspartei und der Liberalen Vereinigung Der fortschrittliche Eugen Richter wies in dieser Debatte auf die letzten Konsequenzen der antisemitischen Bewegung hin 24 Meine Herren die ganze Bewegung hat einen durchaus ahnlichen Charakter in Bezug auf das letzte Ziel in Bezug auf die Methode wie die sozialistische Zuruf Das ist es worauf es ankommt Die kleinen graduellen Unterschiede treten vollstandig zuruck das ist gerade das besonders perfide an der ganzen Bewegung dass wahrend die Sozialisten sich bloss kehren gegen die wirthschaftlich Besitzenden hier der Racenhass genahrt wird also etwas was der einzelne nicht andern kann und was nur damit beendigt werden kann dass er entweder todtgeschlagen oder uber die Grenze geschafft wird Eugen Richter Rede im preussischen Abgeordnetenhaus 22 November 1880 Als Reaktion auf eine antisemitische Veranstaltung am 17 Dezember 1880 in den Reichshallen in Berlin auf der Ernst Henrici gegen die Juden gehetzt hatte luden Vertreter der Deutschen Fortschrittspartei die Wahlmanner aller Parteien fur den 12 Januar 1881 ebenfalls in die Reichshallen zu einer Versammlung ein um zu demonstrieren dass die Burger von Berlin keineswegs auf Seiten der antisemitische Bewegung standen sondern diese verurteilten 25 Vor den 2500 Teilnehmern hielten der Fortschrittliche Rudolf Virchow der Nationalliberale Albrecht Weber und Eugen Richter die Reden Dann wurde eine Resolution angenommen die die antisemitische Bewegung scharf zuruckwies 26 In seiner von haufigem Beifall unterbrochenen Rede geisselte Richter die besonders unter Studenten grassierende antisemitische Bewegung die sich der Argumente Treitschkes bediente 27 1870 schlugen sich die Deutschen tapfer gegen den Feind heute glaubt man ein tapferer Deutscher zu sein wenn man erst die Juden hinaushaut und dann unter sich in Versammlungen allerlei Klatschgeschichten uber sie erzahlt die nicht nur keines deutschen Mannes sondern uberhaupt keines erwachsenen Mannes wurdig sind Allseitiger Beifall Heute sieht man es als eine Heldenthat an wenn man mehr trinkt wie die Juden und tadelt es als gebildete Nation dass die Juden so viel Kinder auf hohere Schulen schicken und wenn man dann alle diese wackeren Thaten verrichtet hat dann singt man Deutschland Deutschland uber Alles Sturmische Heiterkeit Wahrlich Unseren Freund Hoffmann von Fallersleben hat ein gutiges Geschick davor bewahrt diesen Missbrauch seines prachtvollen Liedes mit erleben zu mussen denn das gestehe ich offen wenn das deutsch wenn das christlich sein soll dann mochte ich lieber uberall in der Welt sein als im christlichen Deutschland Lebhafter Beifall Eugen Richter Verurtheilung der antisemitischen Bewegung durch die Wahlmanner von Berlin 12 Januar 1881 Ferner bezog sich Richter auf die Worte des Kronprinzen und spateren Kaisers Friedrich der schon im Februar 1880 die antisemitische Bewegung als eine Schmach fur Deutschland bezeichnet hatte Der Kronprinz bestatigte am 14 Januar 1881 seine Worte noch einmal die dann am folgenden Tag in der National Zeitung abgedruckt wurden Insbesondere bezog er sich auf von Treitschke mit den Worten Was sein Gefuhl dabei am meisten verletze sei die Hineintragung dieser Tendenzen in die Schule und die Horsale in die Pflanzstatten des Edlen und Guten sei dieses bose Samenkorn hineingeworfen worden Hoffentlich werde es nicht zur Reife gelangen Er vermoge es nicht zu fassen wie Manner die auf geistiger Hohe stehen oder ihrem Berufe nach stehen sollten sich hier zu Tragern und Hilfsmitteln einer in ihren Voraussetzungen und Zielen gleichmassig verwerflichen Bewegung hergeben konnten Heinrich Rickert ohne Namensnennung Antisemiten Spiegel Verlag und Druck von A W Kafemann Danzig 1890 Seite 26 27 nbsp Wie Berolina die Sechs siebte Am 27 Oktober 1881 erhalten bei den Reichstagswahlen die Kandidaten der Fortschrittspartei Rudolf Virchow Eugen Richter Albert Trager Kurt von Saucken Tarputschen Ludwig Loewe und Moritz Klotz im ersten Wahlgang die meisten Stimmen in allen sechs Berliner Wahlkreisen Die Kandidaten der antisemitischen Berliner Bewegung fallen durch das Sieb 28 Nach Hetzreden Henricis vom 14 Februar kam es am 18 Februar 1881 zum unaufgeklarten Synagogenbrand von Neustettin dem 1883 ein Prozess gegen ortliche Juden als vermeintliche Brandstifter folgte 29 Die im April 1881 ubergebene Antisemitenpetition beantwortete Bismarck nicht Ihre Forderungen wurden im Kaiserreich teilweise auf administrativem Wege umgesetzt So wurde ab dem Jahre 1884 die Politik gegen judische Einwanderer verscharft wobei es im Juli 1884 zur Ausweisung einiger hundert russischer Juden aus Berlin kam von Oktober 1883 bis Oktober 1884 insgesamt 677 Personen 30 Im September 1884 wurde der Zuzug von Rabbinern und Synagogenbeamten vom preussischen Innenminister Robert von Puttkamer beschrankt 31 Zunachst wurde durch Circular Reskript vom 30 Sept 1884 M Bl S 236 bestimmt dass die Genehmigung zur Annahme auslandischer Juden als Rabbiner und Synagogenbeamte von den Bezirksregierungen nicht ohne vorherige Einholung der Zustimmung des Ministers des Innern ertheilt werde wahrend bis dahin durch Cirk Erl vom 30 Jan 1851 die Regierungen ermachtigt waren diese Genehmigung an der Stelle des Ministers ohne weiteres zu ertheilen Zugleich wurde in dem Reskript vom 30 Sept 1884 ausgesprochen dass im Allgemeinen die Annahme der gedachten Personen als Kultusbeamte nicht wunschenswerth sei und dass falls doch eine derartige Annahme genehmigt wird der angenommene Rabbiner oder Synagogenbeamte wenn er sich lastig macht gleich anderen Auslandern auszuweisen sei Als Nachstes wurde dann gegen geltendes Recht die Einburgerung Naturalisation judischer Einwanderer unterbunden 32 Einige Zeit spater wurden vom Minister des Innern die Regierungen angewiesen bei Naturalisationsgesuchen judischer Auslander vor der Ertheilung der Naturalisation seine Genehmigung einzuholen Ferner sprach der Minister das Princip aus dass judischen Einwanderern aus Russisch Polen und aus Galizien die Naturalisation in Preussen grundsatzlich zu versagen sei Mit dieser Versagung werde es sehr genau genommen der Minister lehnte ausnahmslos in jedem ihm von den Bezirksregierungen eingereichten Fall die Aufnahme in den Preussischen Staatsverband ab Im Zuge der Polenausweisungen aus dem Konigreich Preussen wurden 1885 etwa 35 000 Personen des Landes verwiesen Darunter waren Juden mit ungefahr 10 000 besonders stark vertreten Mit der nachsten Volkszahlung wurde auch die in der Antisemitenpetition geforderte Aufgliederung nach Religionsgruppen von der preussischen Regierung umgesetzt Politisch scheiterte die antisemitische Berliner Bewegung bei den Reichstagswahlen von 1881 mit ihrem Ziel die Deutsche Fortschrittspartei aus der Hauptstadt zu verdrangen Stattdessen bereitete ihnen die Deutsche Fortschrittspartei eine umfassende Niederlage als sie alle sechs Sitze fur Berlin mit teils grosser Mehrheit errang Bei diesen und den folgenden Reichstagswahlen gewannen die liberalen Parteien allgemein wieder an Stimmen Die Unterzeichner der Notabeln Erklarung grundeten 1890 auf Initiative Mommsens den linksliberalen Verein zur Abwehr des Antisemitismus Dieser bezeichnete als sein Ziel einen vollkommenen Verschmelzungsprozess der deutschen Juden mit ihrer nichtjudischen Umwelt 33 nbsp Die Juden sind unser Ungluck und andere antisemitische Parolen auf einem Werbekasten der Zeitschrift Der Sturmer davor Manner mit Hakenkreuz Armbinden 1935 Die langfristigen Folgen des nunmehr etablierten Antisemitismus waren fur die Juden in Deutschland einschneidend So urteilt Karsten Krieger 34 Wahrscheinlich pragte Treitschke wie kein zweiter das Identitatsbewusstsein sowohl der Fuhrungseliten als auch der Mittelschichten im Deutschen Kaiserreich Die durch ihn beforderte und in ein nationales Weltbild integrierte scheinbare Domestizierung der Judenfeindschaft hat vermutlich massgeblich dazu beigetragen dass der Antisemitismus einen integralen Bestandteil des eigenen Weltverstandnisses bildete dessen zerstorerisches Potenzial sich allerdings erst seit dem Ersten Weltkrieg offenbarte Ein der Notabeln Erklarung vergleichbarer Protest der akademischen Elite gegen grassierende Judenhetze blieb in der Weimarer Republik aus Treitschkes Satz Die Juden sind unser Ungluck wirkte fort und wurde in den 1930er Jahren zur Titelzeile des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Sturmer Damalige Streitschriften BearbeitenHeinrich von Treitschke Unsere Aussichten In Preussische Jahrbucher Bd 44 1879 ISSN 0934 0688 S 559 576 online PDF 1 18 MB Herr Graetz und sein Judenthum In Preussische Jahrbucher Bd 44 1879 S 660 670 online PDF 650 kB Noch einige Bemerkungen zur Judenfrage In Preussische Jahrbucher Bd 45 1880 S 85 95 online PDF 723 kB Ein Wort uber unser Judenthum Sonderabdruck aus Preussische Jahrbucher Bd 44 und 45 1879 und 1880 es erschienen vier Auflagen Zur inneren Lage am Jahresschlusse In Preussische Jahrbucher Bd 46 1880 S 639 645 Unterstutzer Wilhelm Endner Zur Judenfrage Offene Antwort auf das offene Sendschreiben des Herrn Dr Harry Bresslau an Herrn von Treitschke Hahne Berlin 1880 online PDF 11 68 MB Gegner Heinrich Graetz Erwiderung an Herrn von Treitschke In Schlesische Presse Nr 859 7 Dezember 1879 ZDB ID 2070070 2 Heinrich Graetz Mein letztes Wort an Professor von Treitschke In Schlesische Presse Nr 907 28 Dezember 1879 Theodor Mommsen Brief an die Redaktion der Nationalzeitung In Nationalzeitung Nr 545 20 November 1880 ZDB ID 984287 1 Theodor Mommsen Auch ein Wort uber unser Judenthum Weidmann Berlin 1880 Online Literatur BearbeitenWalter Boehlich Hrsg Der Berliner Antisemitismusstreit Sammlung Insel Bd 6 Insel Verlag Frankfurt am Main 1965 Auch Insel Taschenbuch 1098 ebenda 1988 ISBN 3 458 32798 3 Der Berliner Antisemitismusstreit Eine Textsammlung von Walter Boehlich Neu herausgegeben und eingeleitet von Nicolas Berg Judischer Verlag Berlin 2023 ISBN 978 3 633 54311 3 mit zusatzlichen Texten von Berthold Auerbach Levin Goldschmidt und Moritz Lazarus sowie ausfuhrlichen Kommentaren zu den Quellen Karsten Krieger Bearb Der Berliner Antisemitismusstreit 1879 1881 Eine Kontroverse um die Zugehorigkeit der deutschen Juden zur Nation Kommentierte Quellenedition 2 Bande Saur Munchen 2003 ISBN 3 598 11622 5 Rezension bei H Soz u Kult Jurgen Malitz Auch ein Wort uber unser Judenthum Theodor Mommsen und der Berliner Antisemitismusstreit In Josef Wiesehofer Henning Borm Hrsg Theodor Mommsen Gelehrter Politiker und Literat Franz Steiner Stuttgart 2005 ISBN 3 515 08719 2 S 137 164 online als PDF 230 kB Moshe Zimmermann Nicolas Berg Berliner Antisemitismusstreit In Dan Diner Hrsg Enzyklopadie judischer Geschichte und Kultur EJGK Band 1 A Cl Metzler Stuttgart Weimar 2011 ISBN 978 3 476 02501 2 S 277 282 Thomas Gerhards Heinrich von Treitschke Wirkung und Wahrnehmung eines Historikers im 19 und 20 Jahrhundert Schoningh Paderborn u a 2013 ISBN 978 3 506 77747 8 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Berliner Antisemitismusstreit Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Historische Darstellungen Georg Geismann Der Berliner Antisemitismusstreit und die Abdankung der rechtlich praktischen Vernunft 1993 PDF Datei 37 kB Hans Joachim Hahn Der Berliner Antisemitismusstreit mp3 Audiodateien Tobias Jaecker Judenemanzipation und Antisemitismus im 19 Jahrhundert Kurzuberblick Deutsches Haus der Geschichte Berliner Antisemitismusstreit Uffa Jensen Getrennt streiten getrennt leben In WerkstattGeschichte 38 Essen 2004 Julius H Schoeps Das Evangelium der Intoleranz Theodor Mommsen gegen Heinrich von Treitschke In Die Zeit 30 Oktober 2003 Bibliographie Antisemitismus im deutschen Kaiserreich PDF 489 kB Aktualitat Michael Brenner Sie sind unser Ungluck Der neue alte Antisemitismusstreit In Suddeutsche Zeitung 21 Dezember 1998 Belege Bearbeiten Julius H Schoeps Das Evangelium der Intoleranz 2003 S 2 Heinrich von Treitschke Unsere Aussichten PDF 1 2 MB in Preussische Jahrbucher Band 44 1879 S 559 576 Auszug auch abgedruckt in Walter Boehlich Hrsg Der Berliner Antisemitismusstreit 1965 S 5 12 Treitschke Unsere Aussichten PDF 1 2 MB dort S 575 Antwort an Professor Dr v Treitschke Bonn 9 December In Allgemeine Zeitung des Judenthums Bd 43 H 50 1879 S 785 787 Zitate S 787 online Karl Heinrich Rengstorf Siegfried von Kortzfleisch Hrsg Kirche und Synagoge Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden Darstellung mit Quellen dtv dtv Klett Cotta 4478 Band 2 Klett Cotta im Deutschen Taschenbuch Verlag Munchen 1988 ISBN 3 12 906730 2 S 677 Karl Heinrich Rengstorf Siegfried von Kortzfleisch Hrsg Kirche und Synagoge Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden Darstellung mit Quellen dtv dtv Klett Cotta 4478 Band 2 Klett Cotta im Deutschen Taschenbuch Verlag Munchen 1988 ISBN 3 12 906730 2 S 678 Walter Boehlich Hrsg Der Berliner Antisemitismusstreit 1965 S 35 Walter Boehlich Hrsg Der Berliner Antisemitismusstreit 1965 S 44 Kai Hanstein Der Berliner Antisemitismusstreit Memento vom 16 Januar 2008 im Internet Archive Gunter Regneri Salomon Neumann s Statistical Challenge to Treitschke The Forgotten Episode that Marked the End of the Berliner Antisemitismusstreit In Leo Baeck Institute Yearbook Bd 43 Nr 1 1998 S 129 153 doi 10 1093 leobaeck 43 1 129 Walter Boehlich Hrsg Der Berliner Antisemitismusstreit 1965 S 244 Walter Boehlich Hrsg Der Berliner Antisemitismusstreit 1965 S 107 zitiert nach dem Antisemitenkatechismus von Theodor Fritsch Memento vom 30 September 2007 im Internet Archive zitiert nach Jurgen Malitz Auch ein Wort uber unser Judenthum Theodor Mommsen und der Berliner Antisemitismusstreit 2005 S 137 164 hier S 11 pdf 235 kB zitiert nach Jurgen Malitz Auch ein Wort uber unser Judenthum Theodor Mommsen und der Berliner Antisemitismusstreit 2005 S 137 164 hier S 12 pdf 235 kB Norbert Kampe Studenten und Judenfrage im Deutschen Kaiserreich Die Entstehung einer akademischen Tragerschicht des Antisemitismus Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Bd 76 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1988 ISBN 3 525 35738 9 S 23 ff Zugleich Berlin Technische Universitat Dissertation 1983 Matthias Brosch Rezension von Karsten Krieger Der Berliner Antisemitismusstreit 1879 1881 Walter Boehlich Hrsg Der Berliner Antisemitismusstreit 1965 S 205 Jurgen Malitz Mommsen Caesar und die Juden In Hubert Cancik Hermann Lichtenberger Peter Schafer Hrsg Geschichte Tradition Reflexion Festschrift fur Martin Hengel zum 70 Geburtstag Band 2 Griechische und Romische Religion Mohr Tubingen 1996 ISBN 3 16 146676 4 S 371 387 Walter Boehlich Hrsg Der Berliner Antisemitismusstreit 1965 S 209 f Walter Boehlich Hrsg Der Berliner Antisemitismusstreit 1965 S 218 Shulamit Volkov Antisemitismus als kultureller Code In Shulamit Volkov Judisches Leben und Antisemitismus im 19 und 20 Jahrhundert 10 Essays Beck Munchen 1990 ISBN 3 406 34761 4 S 13 36 Wilfried Enderle Rezension von Karsten Kriegers Berliner Antisemitismusstreit 1879 1881 2004 pdf Antisemitenpetition 1880 1881 In Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern Website des Deutschen Historischen 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Bekenner Verlag von Sigmar Mehring Berlin 1890 S 118 Margit Szollosi Janze Fritz Haber 1868 1934 Eine Biographie C H Beck Munchen 1998 ISBN 3 406 43548 3 S 60 Textauszug online Karsten Krieger Der Berliner Antisemitismusstreit 1879 1881 2003 S 31 nbsp Dieser Artikel wurde am 28 September 2006 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen Normdaten Sachbegriff GND 4201689 7 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Berliner Antisemitismusstreit amp oldid 237012941