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Die Berliner Bewegung war eine antisemitische Sammlungsbewegung die in den 1880er Jahren im Deutschen Kaiserreich aktiv war Inhaltsverzeichnis 1 Aufstieg und Zeit des Erfolges 2 Der Berliner Antisemitismusstreit 3 Niedergang und Nachwirkungen 4 Bedeutung 5 Literatur 6 EinzelnachweiseAufstieg und Zeit des Erfolges Bearbeiten nbsp Adolf Stoecker nbsp Zentrale Personen der Berliner Bewegung In der Mitte Otto Glagau darum im Uhrzeigersinn Adolf Konig Bernhard Forster Max Liebermann von Sonnenberg Theodor Fritsch Paul Forster und Otto Bockel nbsp Wie Berolina die Sechs siebte Am 27 Oktober 1881 erhalten bei den Reichstagswahlen die Kandidaten der Fortschrittspartei Rudolf Virchow Eugen Richter Albert Trager Kurt von Saucken Tarputschen Ludwig Loewe und Moritz Klotz im ersten Wahlgang die meisten Stimmen in allen sechs Berliner Wahlkreisen Die Kandidaten der antisemitischen Berliner Bewegung fallen durch das Sieb 1 Die Berliner Bewegung entstand aus dem erstarkenden deutschen Antisemitismus Ende der 1870er Jahre Dabei handelt es sich nicht um eine Partei oder einen Verein sondern um eine Sammelbezeichnung fur eine Vielzahl von Gruppierungen und Personen deren gemeinsamer Nenner die Judenfeindschaft war Hauptbezugspunkte fur die antisemitische Ideologie der Berliner Bewegung waren ein diffuser Antiliberalismus und Antikapitalismus als Nachwirkungen des Grunderkrachs von 1873 die Furcht vor einem Anwachsen der Sozialdemokratie und der Aufstieg eines ethnisch rassischen Nationsverstandnisses im Bildungsburgertum Besonders pointiert verliehen die Schriften des Publizisten Otto Glagau diesem Gedankengut Ausdruck Bestarkt sah sich die Berliner Bewegung durch Bismarcks konservative Wende von 1878 79 in der er mit dem Liberalismus brach und eine sozialkonservative Innenpolitik einleitete Sozialistengesetz Sozialgesetzgebung Ende des Kulturkampfs Bismarck instrumentalisierte die Berliner Bewegung gezielt zur Schwachung des Liberalismus wahrscheinlich finanzierte er sie sogar aus dem Welfenfonds Der Reichskanzler liess sie aber aufgrund ihrer Radikalitat und mangelnden politischen Erfolgs bereits Anfang der 1880er Jahre wieder fallen Adolf Stoeckers Rede Unsere Forderungen an das moderne Judenthum im Jahre 1879 gilt in der Forschungsliteratur mitunter als Beginn des modernen Antisemitismus Adolf Stoecker und seine Christlich soziale Partei bildeten zunachst den Kern der Berliner Bewegung Sie umfasste eine Vielzahl antisemitischer antiliberaler konservativer und pseudo antikapitalistischer Gruppierungen und Einzelpersonen die sich hauptsachlich aus Berliner Handwerkern und Ladenbesitzern sowie Teilen der Intelligenz Hochschulangehorige Offiziere etc rekrutierten In ihren Anfangsjahren wurde die Berliner Bewegung von den Deutschkonservativen unterstutzt die sich so eine Massenbasis verschaffen wollten Sie profitierte ausserdem von der weit verbreiteten antijudischen und antiliberalen Stimmung in Deutschland sowie von der einsetzenden offentlichen Diskussion um die Verantwortung des Staates fur soziale Belange 1880 81 initiierte die Berliner Bewegung die sogenannte Antisemitenpetition mit dem Ziel die rechtliche Gleichstellung der Juden stark einzuschranken Die Petition fand eine Viertelmillion Unterzeichner Mittlerweile hatten sich in Berlin kleine volkische Vereine und Parteien gebildet wie Wilhelm Marrs Antisemitenliga Ernst Henricis Soziale Reichspartei und Liebermann von Sonnenbergs Deutscher Volksverein Anders als die christlich sozialen vertraten sie einen erklartermassen rassistischen Antisemitismus und erzeugten durch ihre Agitation eine weit verbreitete judenfeindliche Stimmung die sich auch in Gewalttaten entlud Neujahrskrawalle in Berlin Kantorowicz Affare Neustettiner Synagogenbrand Dies hielt die Deutschkonservativen nicht davon ab im Konservativen Central Comitee auch mit den ultraradikalen Antisemiten zu kooperieren Ziel war es die Vorherrschaft von Liberalen und SPD in Berlin zu brechen Bei den Reichstagswahlen von 1881 kandidierten in den Berliner Wahlkreisen Antisemiten der Berliner Bewegung fur die Konservativen Trotz Stimmengewinnen konnten sie keinen Wahlkreis erobern woraufhin die Zusammenarbeit im Konservativen Central Comitee aufgegeben wurde Der Berliner Antisemitismusstreit BearbeitenIhren Hohepunkt erlebte die Berliner Bewegung in den Jahren 1880 und 1881 Attackiert wurde sie von der Deutschen Fortschrittspartei die die Antisemitenpetition am 20 und 22 November 1880 bei der Interpellation Hanel vor den preussischen Landtag brachte Als die Deutsche Fortschrittspartei unter Rudolf Virchow und Eugen Richter bei den Reichstagswahlen am 27 Oktober 1881 der Berliner Bewegung eine vernichtende Niederlage zufugte und alle sechs Berliner Wahlkreise mit grossem Abstand gewann distanzierte sich auch Otto von Bismarck von den Antisemiten der sich ihnen gegenuber bis dahin wohlwollend neutral verhalten hatte Da ein Erfolg in Berlin unmoglich schien konzentrierte sich die antisemitische Bewegung in den Folgejahren auf die Provinzen oder suchte uber informelle Kanale Einfluss zu gewinnen Adolf Stoecker war ein gefragter Redner Prinz Wilhelm der spatere Kaiser Wilhelm II war Anhanger der Christlich Sozialen und selbst der Kaiser gewahrte seinem Hofprediger Stoecker und einigen seiner Anhanger eine Audienz Neben dem Hofprediger Adolf Stoecker war es vor allem der Historiker Heinrich von Treitschke der im Rahmen des Berliner Antisemitismusstreits die Positionen der Berliner Bewegung hoffahig machte Er hatte in mehreren Artikeln der Preussischen Jahrbucher 1879 80 Verstandnis fur die Argumente und Ziele des Antisemitismus geaussert und davor gewarnt wenn die Juden sich nicht anderten werde die Parole Die Juden sind unser Ungluck erschallen Er traf damit vor allem unter Studenten auf grossen Zuspruch wahrend viele seiner Professorenkollegen in einer Notabeln Erklarung den Antisemitismus scharf verurteilten Der deutsche Kronprinz und spatere Kaiser Friedrich verurteilte die antisemitische Bewegung als Schmach fur Deutschland Der Siegeszug des Antisemitismus in der Studentenschaft war allerdings nicht mehr aufzuhalten Er wurde fortan nicht nur von den Vereinen deutscher Studenten vertreten die sich zur Verbreitung der Antisemitenpetition gebildet hatten sondern auch von vielen Burschenschaften und einigen Corps ubernommen Niedergang und Nachwirkungen BearbeitenDurch das Wahlbundnis der Kartellparteien vor der Reichstagswahl 1887 gerieten Stoecker und seine Anhanger in eine Misere Sie konnten einerseits nicht ihre standig proklamierte Regierungstreue aufgeben andererseits konnten sie aber auch nicht die jetzt an der Regierung beteiligten Nationalliberalen die ihnen als Judenpartei galten unterstutzen Bevor sich die Christlich Sozialen zwischen Autoritat und Antisemitismus entschieden hatten liess Bismarck Stoecker fallen und die Konservativen gingen auf Distanz Der Untergang der Berliner Bewegung liess sich nun nicht mehr aufhalten Mit der Wahlniederlage der Antisemiten von 1887 war der Hohepunkt der Berliner Bewegung bereits uberschritten Die Mitgliederzahlen der Vereine und Parteien ging zuruck die Zahl der Versammlungen nahm ab und viele Zeitungs und Zeitschriftengrundungen gingen ein Einige der radikalsten Agitatoren Bernhard Forster Ernst Henrici hatten enttauscht uber mangelnde Resonanz Deutschland verlassen Andere Antisemiten wie Max Liebermann von Sonnenberg Oswald Zimmermann und Otto Bockel verlagerten ihre Tatigkeit Ende der 1880er Jahre in die Provinz wo insbesondere in Hessen und Sachsen antisemitische Vereins und Parteigrundungen auf erhebliche Resonanz stiessen und in den 1890er Jahren Wahlerfolge erzielen konnten Langfristig betrachtet blieben diese Grundungen ahnlich wie Stoeckers Christlichsoziale Partei Splitterparteien innerhalb des nationalen Lagers Bedeutung BearbeitenDie Berliner Bewegung ist als Gesamtphanomen noch kaum erforscht Haufig wird sie unzutreffender Weise mit der Wirksamkeit Adolf Stoeckers identifiziert der jedoch nur eine Personlichkeit unter vielen anderen war Die historische Bedeutsamkeit der Berliner Bewegung liegt darin begrundet dass sie dem modernen Antisemitismus in Deutschland zum ersten Mal ein Massenpublikum verschaffte und vor allem im Kleinburgertum nachhaltige Politisierungseffekte erzielte Uber die Berliner Bewegung schreibt John C G Rohl 1997 dass ihre Bedeutung fur die politische und kulturelle Entwicklung Deutschlands kaum unterschatzt werden kann da sie zum einen breite Bevolkerungsschichten politisierte und zum anderen starke Unterstutzung im akademischen Milieu im preussischen Offizierskorps und am Hof fand Literatur BearbeitenMax Schon Die Geschichte der Berliner Bewegung Oberdorffer Leipzig 1889 Wanda Kampmann Adolf Stoecker und die Berliner Bewegung In Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Jg 13 1962 S 558 579 Auch als Sonderdr 1962 Gunter Brakelmann Martin Greschat Werner Jochmann Protestantismus und Politik Werk und Wirkung Adolf Stoeckers Christians Hamburg 1982 Hamburger Beitrage zur Sozial und Zeitgeschichte Bd 17 ISBN 3 7672 0725 7 Hans Engelmann Kirche am Abgrund Adolf Stoecker und seine antijudische Bewegung Selbstverlag Institut Kirche und Judentum Berlin 1984 Studien zu judischem Volk und christlicher Gemeinde Bd 5 ISBN 3 923095 55 4 John C G Rohl Kaiser Wilhelm II und der deutsche Antisemitismus In Wolfgang Benz Werner Bergmann Hgg Vorurteil und Volkermord Entwicklungslinien des Antisemitismus Bundeszentrale fur politische Bildung Bonn 1997 S 252 285 ISBN 3 89331 274 9 Einzelnachweise Bearbeiten Berliner Wespen 14 Jahrgang Nr 43 2 November 1881 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Berliner Bewegung amp oldid 236263886