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Die Antisemitenliga war eine der ersten Vereinigungen zur Sammlung von Judengegnern im Deutschen Kaiserreich und die erste die das Schlagwort Antisemitismus zum politischen Programm erhob Sie wurde am 26 September 1879 von dem Journalisten Wilhelm Marr in Berlin gegrundet und bestand bis Ende 1880 Statuten der Antisemiten Liga Inhaltsverzeichnis 1 Ideologie 2 Grosse Struktur Ziel 3 Zielgruppe 4 Historischer Kontext 5 Siehe auch 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseIdeologie BearbeitenMarr hatte das Schlagwort Antisemitismus 1879 mit seinem Buch Der Sieg des Judenthums uber das Germanenthum in die politische Debatte eingefuhrt Dieses erlebte im selben Jahr zwolf Auflagen 1 Angeregt durch diesen Erfolg wollte Marr Antisemitismus nun mithilfe seiner Liga als politisch wirksame Ideologie verbreiten In seinem Bestseller stellte Marr als erster politischer Autor der Kaiserzeit die Juden nicht den Christen sondern den Germanen gegenuber Er behauptete es gebe seit 1800 Jahren einen kulturellen Krieg zwischen beiden Rassen Dieser sei mit der Judenemanzipation zugunsten der Juden entschieden worden Die Deutschen selber hatten den Juden mit der Marzrevolution von 1848 zu ihrem Sieg verholfen indem sie deren liberale und demokratische Ideen ubernommen hatten Deutschlands Konkurrenten in Europa Frankreich und das Vereinigte Konigreich von Grossbritannien und Irland wurden von Juden beherrscht Er schloss mit einer kulturpessimistischen Aussicht Den Juden gehore die Zukunft das Germanentum sei zum Aussterben verurteilt Finis Germaniae Vae victis Marr war schon seit 1862 als Judengegner hervorgetreten als er eine offentliche Auseinandersetzung mit dem judischen Liberalen Gabriel Riesser um die Judenemanzipation hatte In seiner damals erschienenen Schmahschrift Der Judenspiegel argumentierte er bereits rassistisch um angebliche soziale und ethnische Mangel des Judentums zu beweisen aus denen er dessen Geschichte und Tradition erklaren wollte 1873 schrieb er zudem Artikel in denen er ahnlich wie der Antisemit Otto Glagau in der popularen Zeitschrift Die Gartenlaube versuchte den Juden die Schuld am Grunderkrach jenes Jahres zu geben 1879 vertrat er in seinem Bestseller eine Verschworungstheorie die seitdem zum Standardrepertoire von Antisemiten gehort Dem Semitismus gehort die Weltherrschaft Die Juden hatten Deutschland schon erobert dazu hatten die Deutschen selbst ihnen verholfen 2 Ihr wahlt die Fremdherrschaften in Eure Parlamente Ihr macht sie zu Gesetzgebern und Richtern Ihr macht sie zu Diktatoren der Staatsfinanzsysteme Ihr habt Ihnen die Presse uberantwortet was wollt Ihr denn eigentlich Das judische Volk wuchert mit seinen Talenten und Ihr seid geschlagen wie das ganz in der Ordnung ist und wie Ihr es tausendfach verdient habt Damit pragte Marr die Idee eines alle Staaten Europas durchdringenden und zersetzenden angeblichen Weltjudentums Gegen diese fixe Idee sollte seine Liga abwehrbreite Krafte sammeln Als Sprachrohr der Liga gab er bis Marz 1880 die Zeitschrift Die deutsche Wacht heraus Grosse Struktur Ziel BearbeitenDie Liga soll etwa 600 Mitglieder gehabt haben Laut Statuten durften ihr nur nichtjudische Manner angehoren Ihr Zweck war die nichtjudischen Deutschen aller Konfessionen aller Parteien aller Lebensstellungen zu einem gemeinsamen innigen Verband zu bringen der mit Hintansetzung aller Sonderinteressen aller politischen Differenzen mit aller Energie mit allem Ernst und Fleiss dem einen Ziele zustrebt unser deutsches Vaterland vor der vollstandigen Verjudung zu retten und den Nachkommen der Urbewohner den Aufenthalt in demselben ertraglich zu machen Dieses Ziel sollte durch Zuruckdrangung der Semiten in ihrer numerischen Starke auf streng gesetzlichem Wege aber mit allen erlaubten Mitteln erreicht werden Die Verdrangung der Juden aus allen offentlichen Amtern sollte den Kindern der Germanen ihr volles Recht zu Amtern und Wurden sichern 3 Die Liga teilte ihre Mitglieder in zwei Klassen ein Nach einem halben Jahr Mitgliedschaft als Berufener gehorte man zu den Erwahlten bei besonderem judenfeindlichen Engagement wurde diese Beforderung vorgezogen Daruber entschied Marr selbst Die Liga war also bereits hierarchisch und nach einem Fuhrerprinzip organisiert eine Kombination die spater besonders fur faschistische und antisemitische Parteien typisch wurde Zielgruppe BearbeitenAls uberkonfessioneller Verein zog Marrs Liga vor allem religionsferne und zugleich parteipolitisch nicht fest gebundene Burger an Denn die ebenfalls areligiosen Arbeiter fanden ihre politische Heimat meist in der Sozialdemokratie die staatsloyalen Eliten in der Nationalliberalen Partei Preussens Konfessionelle Judengegner waren von Marrs rassistischer und latent christentumsfeindlicher Argumentation eher abgestossen Liberale pflegten die religiose Toleranz so dass bei ihnen eine Judenfeindschaft aus vermeintlich christlichen Motiven nicht verfing Bei der volkischen Bewegung und den Nationalisten aller Couleur die sich nicht vollig mit der Politik Otto von Bismarcks identifizierten konnte eine rassistische Beweisfuhrung auf offene Ohren stossen Es waren vor allem mittlere und kleinere Gewerbetreibende selbststandige Handwerker Lehrer Anwalte Beamte und Angestellte Handler und Geschaftsleute die sich von einer judischen Konkurrenz betroffen fuhlten und ihre Lage auf angeblich ubermachtigen Einfluss von Juden in der Gesellschaft zuruckfuhrten Bei diesen Angehorigen mittlerer Gesellschaftsschichten stiess Marr in eine bis dahin unbesetzte parteipolitische Lucke vor Historischer Kontext BearbeitenDie Grundung erfolgte nur wenige Wochen nachdem der populare Berliner Hofprediger Adolf Stocker im September eine Rede mit antisemitischen Forderungen gehalten hatte Damit positionierte er seine 1878 gegrundete Christlich soziale Partei antisemitisch Diese sollte anfangs die Arbeiter von der Sozialdemokratie abwerben und fur Monarchie und Christentum zuruckgewinnen indem sie die soziale Frage thematisierte Damit hatte Stocker jedoch wenig Erfolg doch als Vertreter des deutschnationalen Protestantismus der traditionell die privilegierte Konfession in Preussen war hatte er nicht zuletzt wegen seines gemassigten Antisemitismus grossen Einfluss auf kleinburgerliche Schichten Demgegenuber vertrat Marr eine uberkonfessionelle rassistische Position Er grenzte diese ausdrucklich vom Christentum ab und verband sie mit radikaleren Forderungen nach Vertreibung aller Juden aus Deutschland nicht nur Zuzugsbegrenzung fur judische Einwanderer Damit erhielt die Liga besonders in Berlin anfanglich rasch Zulauf bei mehrheitlich nicht kirchlich gebundenen Kleinburgern und Handwerkern die die Wirtschaftskrise von 1873 am starksten getroffen hatte Anders als Stocker war Marr aber kein Volkstribun der grosse Mengen Zuhorer ansprechen und begeistern konnte Er wirkte vorwiegend publizistisch Trotz vieler Auflagen seiner antisemitischen Schriften erlangte seine Liga keine parteipolitische Bedeutung Ein Grund dafur war auch der Berliner Antisemitismusstreit den der anerkannte Historiker Heinrich von Treitschke fast zeitgleich im Oktober 1879 ausloste Treitschke der hohes Ansehen im konservativen Burgertum genoss grenzte sich gegen Marrs Radauantisemitismus ab bestatigte aber zugleich Stockers Forderung nach Ausschluss von Juden aus allen Staatsamtern Dieser nutzte seine Popularitat um 1880 die Berliner Bewegung als Sammlungsbecken aller Antisemiten ins Leben zu rufen Er initiierte zusammen mit Bernhard Forster Max Liebermann von Sonnenberg und Ernst Henrici eine Antisemitenpetition die auch Marrs Liga unterstutzte Obwohl Stocker dieses Bundnis billigte und aktiv dafur warb verlagerte sich das Hauptfeld der Agitation gegen angeblich ubermassigen judischen Einfluss auf die Gesellschaft nun an die Universitaten Dort hatte Marrs Liga kaum Ruckhalt weil sie im Ruf stand vom Pobel getragen zu sein Damit war sein Experiment Antisemitismus abseits von bestehenden Parteien zu einem eigenen politischen Programm und seine Liga zur Dachorganisation fur alle Antisemiten zu machen zunachst gescheitert Durch den weitaus starker in den Medien beachteten Antisemitismusstreit erreichte Treitschke was Marr nicht erreichte die Akzeptanz eines scheinwissenschaftlichen Rassismus als Ablosung oder Erganzung der konfessionellen Judenfeindschaft auch jenseits von parteipolitischen Erfolgen Siehe auch BearbeitenAntisemitismusforschungLiteratur BearbeitenStatuten des Vereins Antisemiten Liga Hentze Berlin 1879 slub dresden de Freimann Sammlung Universitatsbibliothek FrankfurtWeblinks BearbeitenAntisemitische Parteien Haus der Geschichte Wilhelm Marr Tabellarischer Lebenslauf im LeMO DHM und HdG Einzelnachweise Bearbeiten Wilhelm Marr Der Sieg des Judenthums uber das Germanenthum Vom nicht confessionellen Standpunkt aus betrachtet Vae Victis PDF 1 7 MB Preussenchronik 1879 zitiert nach Peter Pulzer Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Osterreich 1867 1914 S 107Normdaten Korperschaft GND 5286494 7 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Antisemitenliga amp oldid 216141819