www.wikidata.de-de.nina.az
Otto Bockel zeitgenossisch meist Otto Boeckel 1 2 Juli 1859 in Frankfurt am Main 17 September 1923 in Michendorf Kreis Zauch Belzig war ein deutscher Volkskundler insbesondere Volksliedforscher Publizist und Politiker Als Interessenvertreter des hessischen Kleinbauerntums hessischer Bauernkonig wandte er sich gegen adelige Grossgrundbesitzer und Kapitalismus insbesondere aber gegen angebliche Wucherjuden denen er die Schuld fur wirtschaftliche Probleme gab 2 Er verwendete auch das Pseudonym Dr Capistrano Bockel war ein fuhrender Vertreter des politischen Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich Er grundete 1890 die Antisemitische Volkspartei aus der 1893 die gleichfalls antisemitische Deutsche Reformpartei hervorging Als Abgeordneter des Wahlkreises Marburg Frankenberg war er von 1887 bis 1903 Mitglied des Reichstages Otto Bockel um 1880 Inhaltsverzeichnis 1 Leben 1 1 Der Weg in die Politik 1 2 Der hessische Bauernkonig 1 3 Politischer Niedergang 1 4 Nachwirkungen 2 Werke Auswahl 2 1 Volkskundliche Schriften 2 2 Antisemitische Schriften 3 Literatur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseLeben BearbeitenOtto Bockel wurde als Sohn des Steinmetzen Gustav Bockel und seiner Gattin Anna geb Schaffner in Frankfurt am Main geboren Er studierte ab 1878 Rechtswissenschaften und Nationalokonomie in Giessen und Heidelberg danach neuere Sprachen in Marburg und Giessen In Giessen wurde er 1879 Mitglied der Burschenschaft Germania 3 1882 promovierte er in Marburg bei dem Romanisten Edmund Stengel und nahm eine Stelle an der Universitatsbibliothek an Bockel widmete sich fortan volkskundlichen Studien insbesondere der Volksliedforschung und der bauerlichen Alltagskultur in Hessen Seine von Agrarromantik und Antisemitismus durchzogene Verklarung des kleinbauerlichen Lebens war stark an Wilhelm Heinrich Riehl angelehnt trug aber auch antikonservative und antiautoritare Zuge Seine judenfeindlichen Verschworungstheorien entnahm Bockel wahrscheinlich den Werken der franzosischen Antisemiten Alphonse de Toussenel und Edouard Drumont Der Weg in die Politik Bearbeiten nbsp Berliner Bewegung Otto Glagau Mitte im Uhrzeigersinn Adolf Konig Bernhard Forster Max Liebermann von Sonnenberg Theodor Fritsch Paul Forster und Otto Bockel ca 1880Otto Bockel sah sich zeitlebens als Kampfer fur die von der Agrarkrise bedrohte kleinbauerliche Lebenswelt seiner kurhessischen Heimat Die Schuldigen fur den Niedergang des Bauerntums sah er in judischen Viehhandlern und Kreditgebern welche die Bauern angeblich durch Wuchergeschafte schadigten ihren Besitz zwangsversteigerten Guterschlachterei um mit ihm Bodenspekulation zu betreiben Die Berechtigung dieser seit dem Mittelalter kursierenden Vorwurfe ist extrem zweifelhaft Sie wurden damals aber von vielen Zeitgenossen bereitwillig akzeptiert da sie von der okonomischen Inkompetenz der verschuldeten Bauern und von uberindividuellen Strukturveranderungen in der Landwirtschaft im heraufziehenden Industriezeitalter ablenkten so u a Preisverfall durch die Globalisierung der Agrarmarkte veraltete Produktionsmethoden Zersplitterung des Besitzes Arbeitskraftemangel durch Landflucht Ein spektakulares Gerichtsverfahren gegen Conrad Hedderich der seine judischen Glaubiger ermordet hatte allerdings mangels Beweisen freigesprochen wurde motivierte Bockel politisch tatig zu werden Der hessische Bauernkonig Bearbeiten nbsp 1891 illustrierte das sozialdemokratische Witzblatt Der Wahre Jacob zustimmend die von Otto Bockel ausgegebene Parole Gegen Junker und Juden Fortan zog Bockel mit einigen Gesinnungsgenossen als antisemitischer Agitator uber die hessischen Dorfer und fand unter den Kleinbauern landlichen und kleinstadtischen Unterschichten und unter den Marburger Studenten begeisterte Anhanger die ihn als hessischen Bauernkonig feierten 1886 hielt er auch eine Rede in der Berliner Bockbrauerei die die antisemitische Bewegung mitfinanzierte Kern seiner Agitation war u a die Parole Deutschland den Deutschen die 1919 zur Losung des Deutschvolkischen Schutz und Trutzbundes wurde 4 Unterstutzt wurde seine Agitation durch die Zeitungen Die Wucherpille Reichsgeldmonopol und Reichsherold die Bockel herausgab oder fur die er schrieb z T unter dem Pseudonym Dr Capistrano eine Bezugnahme auf den mittelalterlichen Inquisitor Johannes Capistranus der sich auf Judenverfolgung spezialisiert hatte Der hessische Bauernkonig zahlte sich selbst nicht zum rechten politischen Spektrum Mit seiner Parole gegen Junker und Juden verknupfte er antikonservatives und antisemitisches Gedankengut Bei der Reichstagswahl 1887 wurde er fur den Reichstagswahlkreis Regierungsbezirk Kassel 5 Marburg Kirchhain als erster unabhangiger Antisemit in den Reichstag gewahlt Bockel betrieb einen Selbsthilfe Antisemitismus der die Bauern unabhangig vom judischen Kapital machen sollte Er grundete den Kurhessischen Bauernbund der sich unter seinem Vorsitzenden Alfred Winkler aber nicht der antisemitischen Bewegung anschloss Daraufhin rief Bockel 1890 den Mitteldeutschen Bauernverein ins Leben Er forderte landwirtschaftliche Kooperativen Rechtsberatung fur verschuldete Bauern und veranstaltete judenfreie Viehmarkte 1890 grundete Bockel die Antisemitische Volkspartei die sich 1893 in Deutsche Reformpartei umbenannte Sein eigentliches politisches Einflussgebiet blieb aber auf Kurhessen begrenzt 1890 1893 und 1898 wurde Bockel in Marburg wiedergewahlt obwohl er von allen anderen Parteien bekampft wurde Die Behorden furchteten dass Bockels aggressive Wahlkampffeldzuge der sozialdemokratischen Landagitation Vorschub leisten wurden Deshalb forderten sie die Grundung von der Bockel Bewegung unabhangiger Selbsthilfe Organisationen nach dem Raiffeisen Prinzip Politischer Niedergang Bearbeiten Ein Skandal um ein uneheliches Kind und die Zweckentfremdung von Geldern des Mitteldeutschen Bauernvereins fur Wahlkampfagitation fuhrten dazu dass Bockel 1894 Marburg verlassen musste Als sein Versuch die Vereinigung seiner Deutschen Reformpartei mit der Deutschsozialen Partei zu verhindern scheiterte trat Bockel aus Partei und Fraktion aus Er kritisierte die Nahe der neuen Deutschsozialen Reformpartei zu den Konservativen und zum Bund der Landwirte welche er in Hessen als politische Gegner bekampft hatte Die Wiederbelebung der Antisemitischen Volkspartei gemeinsam mit Hermann Ahlwardt scheiterte klaglich 1903 verlor Bockel seinen Marburger Wahlkreis ausgerechnet an den Linksliberalen und ehemaligen Antisemiten Hellmut von Gerlach Die antisemitische Bewegung in Hessen war mittlerweile aufgrund der Erfolge der Raiffeisen Bewegung abgeflaut und vom Bund der Landwirte absorbiert worden fur den schliesslich auch Bockel von 1897 bis 1899 als Agitator tatig wurde Alle Versuche Bockels in der antisemitischen Bewegung wieder Fuss zu fassen scheiterten Der gemeinsam mit Paul Forster und Hans von Mosch gegrundete Deutsche Volksbund blieb bedeutungslos und ein Comeback in seinem Marburger Wahlkreis bei der Reichstagswahl von 1912 scheiterte klaglich Nachwirkungen Bearbeiten Otto Bockel starb im Alter von 64 Jahren in Michendorf Die Nationalsozialisten stilisierten ihn zu einem Wegbereiter ihres Gedankenguts Fuhrende hessische Nationalsozialisten wie der spatere Staatsprasident Ferdinand Werner waren in ihrer Jugend in der Bockel Bewegung tatig Fred H Richards hat 1967 die Nachwirkungen von Bockels Antisemitismus im Parteiprogramm der NSDAP und der NPD tabellarisch dargestellt 5 Werke Auswahl BearbeitenVolkskundliche Schriften Bearbeiten Deutsche Volkslieder aus Oberhessen 1885 Der deutsche Wald im deutschen Lied 1899 Dorfbilder aus Hessen und der Mark 1908 Psychologie der Volksdichtung 1913 Seelenland Bilder aus deutscher Heldenzeit 1913 Das deutsche Volkslied 1917Antisemitische Schriften Bearbeiten Die Juden Die Konige unserer Zeit 1887 wieder 1901 Die Quintessenz der Judenfrage 1889 Nochmals Die Juden die Konige unserer Zeit 1901Literatur BearbeitenHelge Dvorak Biografisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft Band I Politiker Teilband 1 A E Heidelberg 1996 S 109 110 Thomas Grafe Die Juden Die Konige unserer Zeit Otto Bockel 1887 In Wolfgang Benz Hrsg Handbuch des Antisemitismus Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart Bd 6 Publikationen De Gruyter Berlin 2013 S 316 318 Mathilde Hain Bockel Otto G K In Neue Deutsche Biographie NDB Band 2 Duncker amp Humblot Berlin 1955 ISBN 3 428 00183 4 S 365 Digitalisat Thomas Klein Der preussisch deutsche Konservatismus und die Entstehung des politischen Antisemitismus in Hessen Kassel 1866 1893 Ein Beitrag zur hessischen Parteiengeschichte Veroffentlichungen der Historischen Kommission fur Hessen 59 Elwert Marburg 1995 ISBN 3 7708 1057 0 Rudiger Mack Otto Bockel und die antisemitische Bauernbewegung in Hessen 1887 1894 In Wetterauer Geschichtsblatter 16 1967 ISSN 0508 6213 S 113 147 George L Mosse Ein Volk ein Reich ein Fuhrer Die volkischen Ursprunge des Nationalsozialismus Athenaum Konigstein Taunus 1979 ISBN 3 7610 8056 5 passim 8 Nennungen David Peal Anti Semitism and Rural Transformation in Kurhessen The Rise and Fall of the Bockel Movement University Microfilms International Ann Arbor MI 1985 New York NY Columbia Univ Diss 1985 David Peal Jewish Reactions to German Antisemitism The case of the Bockel Movement 1887 1894 In Jewish Social Studies 48 1986 ISSN 0021 6704 S 269 282 David Peal Antisemitism by other means The Rural Cooperative Movement in late 19th century Germany In Herbert A Strauss Hrsg Hostages of Modernization Studies on Modern Antisemitism 1870 1933 39 Band 1 3 1 Germany Great Britain France de Gruyter Berlin u a 1993 ISBN 3 11 010776 7 S 128 149 Armin Pfahl Traughber Antisemitismus Populismus und Sozialprotest Eine Fallstudie zur Agitation von Otto Bockel dem ersten Antisemiten im Deutschen Reichstag In Aschkenas Zeitschrift fur Geschichte und Kultur der Juden 10 2000 ISSN 1016 4987 S 389 415 Eugen Schmahl Entwicklung der volkischen Bewegung Die antisemitische Bauernbewegung in Hessen von der Bockelzeit bis zum Nationalsozialismus Roth Giessen 1933 Peter Strassheim Die Reichstagswahlen im 1 Kurhessischen Reichstagswahlkreis Rinteln Hofgeismar Wolfhagen von 1866 bis 1914 Eine Wahlanalyse Europaische Hochschulschriften Reihe 3 Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 897 Lang Frankfurt am Main u a 2001 ISBN 3 631 37757 6 Zugleich Berlin Freie Univ Diss 2000 Arne Sudhoff Agitation und Mobilisierung landlicher Bevolkerung im ausgehenden 19 Jahrhundert Die kurhessische Zeitung Reichsherold im Schnittpunkt von Antisemitismus und Agrargesellschaft In Aschkenas Zeitschrift fur Geschichte und Kultur der Juden 11 2001 S 87 120 Jacob Toury Antisemitismus auf dem Lande Der Fall Hessen 1881 1895 In Monika Richarz Reinhard Rurup Hrsg Judisches Leben auf dem Lande Studien zur deutsch judischen Geschichte Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts 56 Mohr Siebeck Tubingen 1997 ISBN 3 16 146842 2 S 173 188 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Otto Bockel Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Literatur von und uber Otto Bockel im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Werke von und uber Otto Bockel in der Deutschen Digitalen Bibliothek Otto Bockel in der Datenbank der Reichstagsabgeordneten Biografie von Otto Boeckel In Heinrich Best Datenbank der Abgeordneten der Reichstage des Kaiserreichs 1867 71 bis 1918 Biorab Kaiserreich Gabriel Eikenberg Otto Bockel Tabellarischer Lebenslauf im LeMO DHM und HdG Boeckel Georg Karl Otto Hessische Biografie Stand 2 Februar 2023 In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Einzelnachweise Bearbeiten zur Schreibweise Boeckel siehe Mosse Volk passim Roland Demme Vom Pfarrhaus in die antisemitische Politik Agitation durch Friedrich Bindewald und sein Vorbild Dr Otto Bockel gegen die judische Bevolkerung in der Wilhelminischen Epoche und ihre Auswirkungen bis heute Kassel University Press Kassel 2015 S 125 Helge Dvorak Biografisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft Band I Politiker Teilband 1 A E Heidelberg 1996 S 109 Ulrich Sieg Deutschlands Prophet Paul de Lagarde und die Ursprunge des modernen Antisemitismus Munchen 2007 S 258 327 Fred H Richards Die NPD Alternative oder Wiederkehr Geschichte und Staat 121 Olzog Munchen 1967 S 151 158 Abgeordnete des Reichstagswahlkreises Regierungsbezirk Kassel 5 Wilhelm Jungermann 1867 Friedrich Nebelthau 1867 1871 Karl Grimm 1871 1874 Gottfried Fenner 1874 1877 August von Ende 1877 1881 Wilhelm Christoph Friedrich Arnold 1881 1884 Karl Grimm 1884 1887 Otto Bockel 1887 1903 Hellmut von Gerlach 1903 1907 Karl Bohme 1907 1912 Johann Rupp 1912 1918 Normdaten Person GND 118852337 lobid OGND AKS LCCN n84055867 VIAF 57412036 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Bockel OttoALTERNATIVNAMEN Boeckel Otto Capistrano Dr Pseudonym KURZBESCHREIBUNG deutscher Bibliothekar Volksliedforscher und PolitikerGEBURTSDATUM 2 Juli 1859GEBURTSORT Frankfurt am MainSTERBEDATUM 17 September 1923STERBEORT Michendorf Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Otto Bockel amp oldid 237229153