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Bei den Polenausweisungen wurden ab 1885 etwa 35 000 Polen russische und osterreichische Staatsangehorige aus dem Konigreich Preussen ausgewiesen von denen etwa 10 000 polnische und russische Juden waren Die Politik wurde von Otto von Bismarck initiiert und vom preussischen Innenminister Robert Viktor von Puttkamer umgesetzt Die vor allem antipolnisch motivierten Ausweisungen wurden von der Opposition scharf kritisiert was am 16 Januar 1886 zu einer Verurteilung im Reichstag fuhrte Wojciech Kossak Rugi pruskie Polenausweisungen 1909 Inhaltsverzeichnis 1 Kontext 1 1 Lage der Polen 1 2 Antisemitische Bewegung 1 3 Ergebnisse der Reichstagswahl von 1884 1 4 Auslaufen des Kulturkampfs 2 Ablauf 2 1 Vorgeschichte 2 2 Beginn der Ausweisungen 2 3 Reichstagsresolution vom 16 Januar 1886 3 Auswirkungen 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseKontext BearbeitenLage der Polen Bearbeiten Durch die dritte Teilung Polens waren etwa drei Millionen Polen Untertanen Preussens und spater mittelbar des Deutschen Kaiserreiches geworden Bei weitgehender Freizugigkeit kamen Einwanderer aus dem Russischen Kaiserreich und aus Osterreich Ungarn hinzu in der Zeit allgemein als Uberlaufer bezeichnet die oftmals schon seit Jahrzehnten in Preussen lebten mit Deutschen verheiratet waren ja sogar in der preussischen Armee gedient und an den Kriegen auf Seiten Preussens teilgenommen hatten Die Grunde fur die Einwanderung waren wirtschaftlicher aber auch politischer Natur wozu oft der Wunsch kam dem harten und langen Dienst in der Kaiserlich Russischen Armee auszuweichen Die Polen deutscher Staatsangehorigkeit genossen grundsatzlich die gleichen Rechte wie die deutschen Staatsburger Es gab aber schon fruhzeitig zumeist auf administrativem Wege Massnahmen die auf eine Germanisierung abzielten wie etwa eine starke Einschrankung von Polnisch als Unterrichtssprache in den ostlichen Provinzen Antisemitische Bewegung Bearbeiten In den Jahren 1880 81 wurde die so genannte Antisemitenpetition in grosser Auflage zur Sammlung von Unterschriften verbreitet Zwei der vier Punkte betrafen die Einwanderung von Juden Zum einen sollte eine amtliche Statistik mit Unterscheidung nach Konfessionen eingefuhrt werden Zum anderen sollte die Zuwanderung von Juden unterbunden werden Die Antisemiten begrundeten dabei den letzten Punkt mit einer massenhaften Einwanderung von Juden aus Russland und Osterreich Ungarn Das entsprach nicht der Realitat Wie der Statistiker Salomon Neumann bereits 1880 in seiner Schrift Die Fabel von der judischen Masseneinwanderung nachwies gab es netto eine Abwanderung von Juden aus Deutschland und die Zuwanderung war marginal Bei der folgenden Volkszahlung wurde tatsachlich die geforderte Aufgliederung nach Konfessionen von der preussischen Regierung eingefuhrt wobei die Zuwanderung von Juden dramatisch hervorgehoben wurde Anstatt den geringen Anteil der Einwanderer an der Gesamtbevolkerung aufzulisten wurden diese ins Verhaltnis zur judischen Bevolkerung gesetzt Dies kritisierte Salomon Neumann in seinem Buch Zur Statistik der Juden in Preussen von 1816 bis 1880 und bestatigte seine Ergebnisse aus dem Jahr 1880 dass es weiterhin netto zu einer Abwanderung von Juden aus Deutschland kam Ergebnisse der Reichstagswahl von 1884 Bearbeiten Auch die Reichstagswahl 1884 brachte fur Otto von Bismarck keine stabile Mehrheit fur seine Regierungspolitik Zwar konnten die ihn unterstutzenden Konservativen Freikonservativen und Nationalliberalen Mandate hinzugewinnen blieben aber mit zusammen nur 39 7 der Stimmen im ersten Wahlgang und 39 5 der Mandate klar in der Minderheit Auf keinen Ruckhalt konnte er auf der Linken bei den Deutsch Freisinnigen und der mit ihnen verbundeten Deutschen Volkspartei hoffen mit zusammen 19 3 der Stimmen im ersten Wahlgang und 18 7 der Mandate ebenso wenig wie bei den Sozialdemokraten 9 7 der Stimmen und 6 0 der Mandate oder bei den Vertretern der Minderheiten Danen Elsass Lothringer und Polen mit 6 8 der Stimmen und 8 0 der Mandate etwa die Halfte davon fur die Polen Interessant fur Otto von Bismarck war die Stellung der katholischen Zentrumspartei zu seiner Regierung die mit den verbundeten Deutsch Hannoveranern 24 3 der Stimmen im ersten Wahlgang und 27 0 der Mandate auf sich vereinigen konnte Allerdings stand die Zentrumspartei aus religiosen Grunden den Polen und Elsass Lothringern recht nah Auslaufen des Kulturkampfs Bearbeiten Die Zentrumspartei betrachtete Otto von Bismarck skeptisch der fur die antikatholische Gesetzgebung des Kulturkampfes verantwortlich gewesen war Fur den Kanzler aber war eine Annaherung nicht nur zur Beschaffung einer Mehrheit interessant Er hatte in dem Fall auch die Moglichkeit gehabt Zentrum und Nationalliberale gegeneinander auszuspielen wie er dies schon einmal in den 1870er Jahren getan hatte Hierzu bot es sich an das katholische Lager aus Zentrum Deutsch Hannoveranern und der polnischen Fraktion entlang nationaler Linien zu spalten und so uber eine Polarisierung zwischen Reichsfreunden und Reichsfeinden die Zentrumspartei der Regierung anzunahern In diesem Sinne erklarte Otto von Bismarck am 3 Dezember 1884 im Reichstag uber den Kulturkampf Ich bin in den ganzen Kampf nur durch die polnische Seite hineingezogen worden Und am 12 April 1886 kritisierte er das Zentrum im Preussischen Landtag Ich halte den Papst fur deutschfreundlicher als das Zentrum Offensiv suchte der Kanzler in dieser Zeit eine Aussohnung mit dem Papst den er beispielsweise im Oktober 1886 beim Streit mit Spanien uber die Karolineninseln als Schiedsrichter anrief Papst Leo XIII erklarte dann im Mai 1887 den Kulturkampf auch fur beendet Ablauf BearbeitenVorgeschichte Bearbeiten Ab Oktober 1883 wurde von der preussischen Regierung eine erste Erhebung uber polnische Uberlaufer Einwanderer begonnen Bereits im Jahre 1884 verscharfte sich dann die Politik gegen judische Einwanderer So wurden im Juli 1884 einige hundert russischer Juden aus Berlin ausgewiesen von Oktober 1883 bis Oktober 1884 insgesamt 677 Personen 1 Im September 1884 wurde der Zuzug von Rabbinern und Synagogenbeamten vom preussischen Innenminister Robert Viktor von Puttkamer beschrankt 2 Zunachst wurde durch Circular Reskript vom 30 Sept 1884 M Bl S 236 bestimmt dass die Genehmigung zur Annahme auslandischer Juden als Rabbiner und Synagogenbeamte von den Bezirksregierungen nicht ohne vorherige Einholung der Zustimmung des Ministers des Innern ertheilt werde wahrend bis dahin durch Cirk Erl vom 30 Jan 1851 die Regierungen ermachtigt waren diese Genehmigung an der Stelle des Ministers ohne weiteres zu ertheilen Zugleich wurde in dem Reskript vom 30 Sept 1884 ausgesprochen dass im Allgemeinen die Annahme der gedachten Personen als Kultusbeamte nicht wunschenswerth sei und dass falls doch eine derartige Annahme genehmigt wird der angenommene Rabbiner oder Synagogenbeamte wenn er sich lastig macht gleich anderen Auslandern auszuweisen sei Als Nachstes wurde dann gegen geltendes Recht die Einburgerung Naturalisation judischer Einwanderer unterbunden 3 Einige Zeit spater wurden vom Minister des Innern die Regierungen angewiesen bei Naturalisationsgesuchen judischer Auslander vor der Ertheilung der Naturalisation seine Genehmigung einzuholen Ferner sprach der Minister das Prinzip aus dass judischen Einwanderern aus Russisch Polen und aus Galizien die Naturalisation in Preussen grundsatzlich zu versagen sei Mit dieser Versagung werde es sehr genau genommen der Minister lehnte ausnahmslos in jedem ihm von den Bezirksregierungen eingereichten Fall die Aufnahme in den Preussischen Staatsverband ab Publizistisch sekundierte im Januar 1885 der Philosoph Eduard von Hartmann mit dem Aufsatz Der Ruckgang des Deutschtums in der Gegenwart in dem er fur die Ausweisung von Polen und eine Germanisierung der ostlichen Provinzen pladierte Von polnischer Seite wurde dabei besonders der Begriff Ausrotten gerugt der im Folgenden auch in polnischsprachigen Publikationen im deutschen Original verwendet wurde Am 24 Januar 1885 wandte sich der polnische Abgeordnete Florian von Stablewski gegen die gottlosen Theorien Eduard von Hartmanns Am 28 Februar und 17 Marz 1885 wurden im Preussischen Landtag die Schulverhaltnisse in Westpreussen debattiert wo angeblich durch die Mitbeschulung von Uberlauferkindern unhaltbare Zustande entstanden seien Am 20 Marz 1885 schloss Deutschland einen Auslieferungsvertrag mit Russland ab Beginn der Ausweisungen Bearbeiten Die Ausweisungen begannen am 26 Marz 1885 mit dem ersten Ausweisungserlass durch Robert Viktor von Puttkamer Die Massnahme wurde am folgenden Tag in der offiziosen Norddeutschen Allgemeinen Zeitung publik gemacht Bereits am 6 Mai 1885 kam es zu einer grossen Anfrage durch den Abgeordneten Borowski im Preussischen Landtag Vom 27 Juni bis 2 Juli 1885 kamen die Oberprasidialbehorden in Konigsberg Danzig Posen und Breslau zu Beratungen uber die Ausweisungen zusammen um ihre Vorgehensweise abzustimmen Im Verlauf des Julis bildeten sich dann von polnischer Seite Hilfsausschusse fur die Ausgewiesenen in Krakau Posen und Lemberg Robert Viktor von Puttkamer erliess am 26 Juli 1885 einen zweiten Ausweisungserlass ab dem dann die Ausweisungen im zweiten Halbjahr 1885 ihren Hohepunkt erreichten Insgesamt wurden etwa 35 000 Personen des Landes verwiesen davon etwa 10 000 Juden Zuerst konzentrierte man sich auf Zuwanderer aus Russland Die russischen Behorden bestritten aber wegen oft fehlender Papiere die russische Staatsangehorigkeit sodass die Ausgewiesen teilweise fur langere Zeit im Grenzgebiet festsassen Schrittweise wurden die Massnahmen auch auf Staatsangehorige Osterreich Ungarns ausgedehnt Staatsangehorige anderer Staaten waren nur in Ausnahmefallen betroffen Die Ausweisungen erregten Emporung im In und Ausland Am 17 Oktober 1885 kam es zur grossen Anfrage Grocholskis im osterreichischen Abgeordnetenhaus und am 10 November 1885 zur grossen Anfrage Hausner und Czerkawski im osterreichischen Reichsrat Auch im bayrischen Landtag wurde das Thema am 12 November 1885 kurz erortert Da die Massnahmen von der preussischen Regierung erlassen und ausgefuhrt wurden betrafen sie nur Preussen Einwanderer in andere deutsche Bundesstaaten waren zunachst nicht betroffen bis die preussische Regierung hier Druck ausubte Reichstagsresolution vom 16 Januar 1886 Bearbeiten Am 1 Dezember 1885 kam die Interpellation des polnischen Abgeordneten Jazdzewski im Reichstag zur Verhandlung Otto von Bismarck suchte eine Debatte mit einer von ihm verfassten Kaiserlichen Botschaft zu unterbinden und bestritt die Zustandigkeit des Reichstags weil es sich um die Zustandigkeit eines Einzelstaates handele Davon uberrumpelt trat der Fuhrer der Zentrumspartei Ludwig Windthorst fur eine Vertagung der Debatte ein Ihm widersprach ohne Erfolg der Fuhrer der Deutsch Freisinnigen Eugen Richter 4 Ich mochte es doch fur richtiger halten wenn man die Aeusserungen die Verlesung die hier stattgefunden hat heute nicht ohne Beleuchtung ins Land hinausgehen liesse Es wird ja nachher unbenommen sein in irgend einem Stadium der Debatte die weitere Fortsetzung derselben auf morgen oder einen anderen Tag zu vertagen Ich mochte mich daher dafur aussprechen dass wir in die ordnungsmassige Verhandlung uber die Interpellation sogleich eintreten Sehr richtig links Am selben Tag brach dann allerdings der Konflikt bei einem anderen Gegenstand der Tagesordnung wieder auf bei dem sich Vertreter der Parteien uber die Frage auseinandersetzten ob der Reichstag in der Frage der Ausweisungen zustandig sei Nachdem Kaiser Wilhelm I am 14 Januar 1886 in seiner Thronrede im Preussischen Landtag Massnahmen zum Schutz des Deutschtums in den Ostprovinzen angekundigt hatte kam es am 15 und 16 Januar 1886 dann zu der vertagten Debatte Neben den Polen brachten das Zentrum die Deutsch Freisinnigen und die Sozialdemokraten eigene Resolutionen ein in denen die Ausweisungen missbilligt wurden Bei der Abstimmung konnte sich die gemassigte Resolution des Zentrums mit Zustimmung der Polen Deutsch Freisinnigen der Deutschen Volkspartei und der Sozialdemokraten durchsetzen Von Seiten der Regierung und der offiziosen Presse wurde dies als Sieg der Reichsfeinde kritisiert Am 23 Januar 1886 lehnte der Bundesrat eine Beratung des Reichstagsbeschlusses ab In der folgenden Woche ergriff dann Otto von Bismarck im Preussischen Landtag das Wort und rechtfertigte die Ausweisungen Am 30 Januar 1886 wurde mit den Stimmen der Konservativen und Nationalliberalen der Antrag Achenbach im Preussischen Landtag zur Forderung des Deutschtums in Posen und Westpreussen angenommen und die Reichstagsresolution vom 16 Januar 1886 missbilligt Am 9 Februar 1886 folgte eine weitere Debatte uber die Ausweisungen im Preussischen Landtag Auswirkungen BearbeitenIm In und Ausland kam es zu Verstimmungen wegen der Ausweisungen Auch wenn Russland um die Zeit selbst seine Russifizierungspolitik gegenuber den Polen verscharfte und sich wenig um die Ausgewiesenen kummerte kam es in der Presse zu antideutschen Ausserungen und auch zu Schikanen gegen die in Russland lebenden Deutschen In Osterreich Ungarn waren die Proteste starker Die Regierung sah sich veranlasst fur ihre ausgewiesenen Burger in Preussen einzutreten wollte dabei allerdings keine Gefahrdung der guten Beziehungen riskieren Fur die Polen lauteten die Ausweisungen weitere Massnahmen ein die auf eine Germanisierung der ostlichen Provinzen Preussens gerichtet waren wie etwa das im April 1886 erlassene Ansiedlungsgesetz bei dem ein systematisches Aufkaufen polnischer Guter angestrebt wurde oder im selben Monat ein Verbot polnischer Studentenvereine an deutschen Universitaten Literatur BearbeitenSalomon Neumann Die Fabel von der judischen Masseneinwanderung Ein Kapitel aus der preussischen Statistik Berlin 1880 Salomon Neumann Zur Statistik der Juden in Preussen von 1816 bis 1880 Zweiter Beitr aus d amtlichen Veroffentlichungen Gerschel Berlin 1884 ub uni frankfurt de Heinrich Rickert ohne Namensnennung Antisemiten Spiegel Verlag und Druck von A W Kafemann Danzig 1890 ub uni frankfurt de Leopold Auerbach Das Judenthum und seine Bekenner Verlag von Sigmar Mehring Berlin 1890 ub uni frankfurt de Polengesetze In Eugen Richter Politisches ABC Buch 9 Auflage Verlag Fortschritt Aktiengesellschaft Berlin 1898 S 278 ff Helmut Neubach Die Ausweisungen von Polen und Juden aus Preussen 1885 86 Otto Harrassowitz Wiesbaden 1967 Helmut Neubach Rezension zu Arno Herzig Geschichte Schlesiens Vom Mittelalter bis zur Gegenwart C H Beck Munchen 2015 ISBN 978 3 406 67665 9 In Medizinhistorische Mitteilungen Zeitschrift fur Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung Band 34 2015 S 300 306 hier S 303 Weblinks BearbeitenDeutsche und Polen Einzelnachweise Bearbeiten Helmut Neubach Die Ausweisungen von Polen und Juden aus Preussen 1885 86 S 21 Leopold Auerbach Das Judenthum und seine Bekenner Seite 117 118 Leopold Auerbach Das Judenthum und seine Bekenner Seite 118 Stenographische Berichte des Reichstags 6 Legislaturperiode 1885 1886 1 8 Sitzung Seite 132 133 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Polenausweisungen amp oldid 234021845