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Nomadismus ist im deutschen Sprachraum ein Uberbegriff fur die traditionelle Wirtschafts und Gesellschaftsform der Hirtenvolker trockener und kalter Wusten Steppen und Tundren in denen dauerhafter Bodenbau keine Perspektive hat Hirtenvolker betreiben Fernweidewirtschaft auf naturlichem Weideland mobiler Pastoralismus und verlegen je nach Zustand der Weiden ihren Wohnort Nomadische bzw halbnomadische Reitervolker spielten vor allem in der eurasischen Steppe eine wichtige Rolle Nomadencamp auf dem tibetischen Hochplateau Fur alle Hirtennomaden spielen die Reit und Zugtiere Pferde Kamele Rentiere eine besondere Rolle Wichtige gemeinsame Kulturelemente von Hirtenvolkern sind transportable oder leicht zu errichtende Behausungen zumeist Zelte ahnliche materielle Kultur und allgemein geringer Besitz 1 2 3 4 Uberdies haben Tierarten die als Reit oder Zugtiere genutzt werden einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert Sie werden umsorgt und verehrt 5 Als Nomaden werden jedoch nicht nur die Angehorigen der hier behandelten Hirtenvolker bezeichnet sondern alle Menschen die haufiger ihren Wohnplatz wechseln Nomade In dieser weiter gefassten Bedeutung wird Nomadismus im Sinne von Nomadentum in vielen europaischen Sprachen verwendet Zur deutlicheren Unterscheidung werden im Deutschen bisweilen die Begriffe Hirtennomadismus oder Pastoralnomadismus verwendet Die ganzjahrige nicht motorisierte Wanderung einer vollstandigen sich weitgehend selbst versorgenden Hirten Gemeinschaft mit ihrem Vieh ist heute ausserst selten Die Verwendung des Begriffes fur heutige Hirtennomaden ist deshalb umstritten Gleichwohl ist die okologisch nachhaltigste am besten angepasste und nach wie vor haufigste Bewirtschaftungsform der kargen Trockenraume die Fernweidewirtschaft 6 Daher wird in der Fachliteratur eine Trennung der Bezeichnungen in eine kulturwissenschaftliche historische und eine wirtschaftliche Begrifflichkeit gefordert 1 Insofern werden die modernisierten heute mehr oder weniger marktorientierten Formen der postnomadischen Extensivhaltung von Weidevieh haufig unter dem Begriff Mobile Tierhaltung zusammengefasst Inhaltsverzeichnis 1 Versuche einer Neudefinition 2 Klassischer Hirtennomadismus 2 1 Gesellschaftsstrukturen 2 2 Glaubensvorstellungen 3 Verbreitung 4 Geschichte und kulturhistorischer Beitrag 5 Formen des Nomadismus 5 1 Unterscheidung nach Voll und Halbnomadismus 5 2 Unterscheidung nach Art der Wanderung 5 3 Unterscheidung nach Behausung 5 4 Unterscheidung nach Art der Herdentiere 5 5 Unterscheidung nach der Hutemethode 6 Die heutige Situation des Nomadismus 6 1 Wandel vom Nomadismus zur nachhaltigen mobilen Tierhaltung 6 2 Rezente Gemeinschaften mit uberwiegend traditionellem Vollnomadismus 6 2 1 Europa 6 2 2 Afrika 6 2 3 Asien 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseVersuche einer Neudefinition Bearbeiten nbsp Junge Ziegenhirten in AfghanistanHeute existiert bei den mobilen Tierhaltern eine Vielzahl verschiedener Lebensweisen Von bezahlten angestellten Hirten bis hin zu allen denkbaren Formen eines raumlichen zeitlichen oder sozialen Teilzeitnomadismus Daher pladieren einige Wissenschaftler fur eine Definition des Begriffs die sich auf die heutige Fernweidewirtschaft bezieht Zwei kontrare Beispiele Vorschlag zur Einengung des Begriffes auf die Mobile Tierhaltung Nomadismus sollte als zeitlich ungebundener ubergreifender Rahmenterminus fur eine mobile auf Wanderviehwirtschaft basierende Lebens und Wirtschaftsweise verstanden werden Fred Scholz 7 Vorschlag zur Erweiterung des Begriffes auf alle nomadischen Lebensmodelle Nomadisch sind Organisationsformen von Arbeit und Leben die in Person Arbeitsmitteln Arbeitsplatz und Wohnungen beweglich sind die es erlauben geo oder sozialklimatischen Unbilden auszuweichen Andreas Gruschke 8 Klassischer Hirtennomadismus Bearbeiten nbsp Kamelmarkt im Sudan nbsp Chanten Madchen sammeln Beeren fruher nur zum eigenen Verzehr heute auch zum direkten Verkauf nbsp Milch Wolle Felle und andere Produkte stehen bei den meisten Hirtenvolkern weit vor dem Fleisch der HerdentiereDie Basis des Lebensunterhaltes Subsistenz aller Wanderhirten bilden Viehherden die fast immer mehrere Tierarten umfassen Die Tiere dienen in erster Linie als Lieferanten fur Milch und Kleidung zur Selbstversorgung und zum Tausch gegen pflanzliche Produkte und nur final als Fleischlieferanten 9 Bereits proto nomadische Volker domestizierten im Laufe der Geschichte eine Vielzahl von Tierrassen wie Rinder Ziegen und Schafe Yaks Pferde Kamele und in der neuen Welt verschiedene Lama Arten In den subpolaren und borealen Gebieten der Alten Welt basiert der Nomadismus auf der Haltung von halbwilden Rentierherden Saisonale Schwankungen bzw die geringen Mengen des Futterangebotes aufgrund der extremen klimatischen Bedingungen in den trockenen und kalten Offenlandschaften sind die wesentlichen Ursachen fur die mobile Lebensweise Dabei sind die Grosse der Herde ihre Zusammensetzung Anzahl der Jungtiere u a die produzierte Menge tierischer Produkte die Nahe zu Wasserstellen und festen Siedlungen bezuglich Handel Absatzmarkten Gesundheitsvorsorge und nicht zuletzt das erforderliche Arbeitspensum von Bedeutung Daruber hinaus spielten von jeher auch Beziehungen zu anderen auch sesshaften Volkern eine wesentliche Rolle Dies erfordert flexible wirtschaftliche Strategien die ggf Jahr fur Jahr aufs Neue den veranderten Umweltbedingungen angepasst werden mussten Abgesehen von den Rentiernomaden die sich weitgehend an die Wanderungen der Tiere angepasst haben planen nomadische Familien ihre Wanderungen daher sorgsam Mitunter kann die Viehzucht vorubergehend nachrangig werden Daher gehort zeitweiliger Feldbau Jagen und Sammeln Handel und der Austausch mit benachbarten ackerbautreibenden Gruppen oder urbanen Zentren ebenfalls zum Nomadismus So schlagen beispielsweise die traditionellen Tuareg Hirten in Nordnigeria ihr Lager regelmassig bei sesshaften Bauern auf um den als Brennmaterial begehrten Kameldung gegen Hirse Holz und Wasser zu tauschen Die Kontakte sind je nach Lage Zeit und Umstanden friedlich oder konfliktreich 10 Im Mittelalter waren viele Reiternomaden zudem intensiv als Menschenhandler tatig die die damaligen Reiche Afrikas Asiens und Osteuropas mit Sklaven versorgten 11 12 Im Unterschied zur klassischen Transhumanz saisonale Fernweidewirtschaft durch bezahlte Wanderhirten und den modernen Formen mobiler Tierhaltung begleiten klassische Hirtennomaden als Eigentumer der Herden das Vieh im geschlossenen Familienverband mitsamt dem Hausrat auf ihren Wanderungen zu frischen Weiden 13 14 Gesellschaftsstrukturen Bearbeiten Die Basis der Sozialstruktur ist die Verwandtschaft Hirtennomaden haben vielfaltige Gesellschaftsformen hervorgebracht 1 Zum Schutz der Herden und zur Koordination der komplexen Weidezyklen kooperieren mehrere Familien die ein Nomadenlager bilden Diese kleinsten Sozialgruppen sind zumeist akephal herrscherlos und egalitar soziale Gleichheit 15 16 Die meisten Ethnien sind daruber hinaus in segmentaren Gesellschaften 17 oder auch in Stammen organisiert die sich in Krisenzeiten zum Teil zu Stammesverbanden zusammenschliessen Dies hat haufig zur Herausbildung von Fuhrungspersonlichkeiten gefuhrt Einige Hirtenvolker West und Zentralafrikas z B Fulbe Tutsi Hima lebten in vorkolonialen Staaten 12 Wohlstand Macht Prestige und sozialer Status einer Gemeinschaft beruhen auf der Grosse der Herden In den meisten hirtennomadischen Kulturen bestehen demnach deutliche soziale Unterschiede Das Verhaltnis der Geschlechter und der verschiedenen Altersgruppen ist zumeist durch klare Aufgabentrennung und Regeln gekennzeichnet 12 Nomadische Hirtenkulturen sind fast ausnahmslos patriarchalisch organisiert Beispiele Mongolen Massai Nenzen Das Eigentum an Land war fruher unbekannt man ubte lediglich Zugangs und Nutzungsrechte aus die allerdings nicht selten auch mit Gewalt verteidigt wurden 18 Glaubensvorstellungen Bearbeiten nbsp Buddhistische Gebetsfahnen in der mongolischen SteppeViele Nomaden haben zum Teil heute noch mundlich uberlieferte animistische Weltbilder d h die Natur wurde als beseelt und bedeutungsvoll erachtet und verehrt Daruber hinaus kam es zu Kontakten mit anderen Religionen die mitunter in die eigenen Glaubensvorstellungen integriert wurden Einige Gruppen praktizieren einen Ahnenkult der ansonsten eher bei Bauern zu finden ist 18 und insbesondere in Afrika 19 und auf der Arabischen Halbinsel kam spater der Glaube an einen monotheistischen Hochgott vor Neben dem nach wie vor existierenden Schamanismus in Sibirien und Innerasien oder Amerika spielen heute in den hirtennomadisch gepragten Gesellschaften Afrikas und Eurasiens der Islam sowie vorwiegend im ostlichen Bereich der Buddhismus zumeist in Form des Lamaismus eine wesentliche Rolle 20 Verbreitung Bearbeiten nbsp Mit den Spaniern kamen im 16 Jahrhundert auch Schafe nach Amerika so dass sich u a bei den Navajo Indianern ein Hirtennomadismus entwickelte der bis zur Mitte des 20 Jahrhunderts Bestand hatte Hauptverbreitungsgebiet des Nomadismus ist der altweltliche Trockengurtel die Halbwusten Steppen und Trockensavannen Nordafrikas Osteuropas Vorder und Zentralasiens sowie die Tundren Nordeurasiens sowie die Bergregionen vieler Kontinente In bescheidenerem Umfang hatte sich auch in Sudamerika ein Pastoralnomadismus mit Lamas entwickelt der besonders bei der Wari Kultur zum Ausdruck kam Diese Kulturform erlosch jedoch bereits vor der Ankunft der Europaer mit der Unterwerfung durch die Inkas 21 Uberdies entstanden bei einigen Indianerstammen der subtropischen Trockengebiete Nord und Mittelamerikas mit der Einfuhrung von Schafen aus Europa lokale Formen einer hirtennomadischen Lebensweise Geschichte und kulturhistorischer Beitrag Bearbeiten nbsp Kunstlerische Darstellung berittener nomadischer Krieger Innerasiens nbsp Nomaden die noch unmotorisiert und ungebunden durch die Steppe ziehen wie diese Tibeter 2007 sind heute extrem seltenJungere volkerkundliche und kulturgeographische Forschungen haben nachgewiesen dass der Nomadismus entgegen fruheren Ansichten zeitgleich oder bereits vor dem sesshaften Bauerntum vor 13 000 v Chr als Anpassung an die besonderen Bedingungen der Trockenraume entstanden ist So stammen die altesten Spuren des Nomadismus in Nordmesopotamien aus dem 5 Jahrtausends v Chr Meist setzt er mit der sogenannten sogenannten Sekundarprodukterevolution 22 im 4 Jahrtausend v Chr ein als die sekundaren Produkte der Tiere zu Lebzeiten Milch Blut Dunger Haare Transport und andere Arbeitsleistungen wichtiger wurden als ihre primaren Produkte Fleisch Fell Knochen nach dem Tod Diese Entwicklung ging einher mit einer komplexen wechselseitigen Anpassung von Tier und Mensch insbesondere mit der Zucht von Tieren mit besonderen Eigentschaften Zu den altesten domestizierten Tieren neben dem bereits von Wildbeutern gezahmten Hund gehoren das Hausschaf ovis orientalis aries das vermutlich um 8000 v Chr in Anatolien domestiziert wurde und die Hausziege capra hircus welche im Zagros Gebirge um etwa 8000 v Chr aus der persischen Wildziege oder Bezoar Ziege capra aegagrus gezuchtet worden ist Doch blieb das Hirtennomadentum meist verbunden mit anderen Wirtschaftsweisen wie dem Jagen Sammeln Fischen oder Ackerbau 23 worauf der gleichzeitig mit der Domestikation von Tieren einsetzende Domestikation von Wildpflanzen in den gleichen Regionen verweist Auch besassen viele Nomaden Kenntnisse der Metallverarbeitung z B auf dem Sinai Die Vorstellung das Nomadentum sei eine primitivere Gesellschaftsform als die des sesshaften Bauerntums gilt als uberholt 24 Manche Nomaden haben sich im Laufe der Geschichte auf Handel spezialisiert Sie fuhrten Karawanen uber Entfernungen von mehr als 1000 km Bekannte historische nomadische Reitervolker Eurasiens die erheblichen Einfluss auf die Weltgeschichte und auf die Kriegstechnik Verreiterung der westlich angrenzenden Volker hatten sind die Skythen Hyksos Xiongnu Hunnen wovon die sogenannten iranischen Hunnen zu trennen sind Kok Turken Mongolen Mandschuren und Magyaren die historischen Ungarn Das beruhmteste Beispiel fur eine Grenzbefestigung gegen die Ubergriffe kriegerischer Nomadenstamme ist die Chinesische Mauer Wahrend Hirtennomaden in der vorkolonialen Zeit eine zentrale und anerkannte Rolle beim interkontinentalen Fernhandel spielten z B Seidenstrasse Weihrauchstrasse wurden sie spater aufgrund ihrer grenzuberschreitenden Mobilitat in jeder nur erdenklichen Weise bekampft Die unvermeidlichen Konflikte zwischen Sesshaften und Nomaden sind so alt wie die Geschichte des Ackerbaus So greift bereits die alttestamentarische Erzahlung von der Ermordung des Hirten Abel durch den Ackerbauern Kain den Konflikt auf Unter sesshaften Volkern hatten und haben Wanderhirten daher zum Teil bis heute unter Vorurteilen Misstrauen und Diskriminierung zu leiden Ihre Produktionsweise ihr kommunaler Landbesitz ihre schwer erfassbare Zahl und ihre dauernde Unerreichbarkeit sind vielen Staaten ein Dorn im Auge 17 25 In Zentralasien war der Nomadismus seit der Zarenzeit durch die Bauernkolonisation gefahrdet sein volliger Niedergang in den ehemaligen Sowjetrepubliken wurde durch die sozialistische Zwangskollektivierung und die erzwungene Sesshaftmachung unter Stalin bewirkt Die Nomadengesellschaften wurden enteignet die Herden den Kolchosen zugeschlagen und die Menschen zu abhangigen Hirten gemacht Nach dem Zerfall der Sowjetunion kam es bei manchen lokalen Gemeinschaften zu einer Ruckbesinnung auf nomadische Werte Dies trifft in besonderem Masse auf die Rentiernomaden Ostsibiriens zu Eine ahnliche Entwicklung erfolgte in der Mongolei Die sogenannte Renomadisierung war dort staatlich geplant und deutlich erfolgreicher als in Mittelasien denn das Verstandnis fur die okologischen Zusammenhange auf den Steppen hatte die sozialistische Zeit uberdauert Doch auch in der Mongolei kann nur noch bei wenigen Familien einzelner Ethnien von Nomadismus gesprochen werden Es handelt sich hier ebenfalls um eine modernisierte Form der ursprunglichen Lebensweise denn heute wird z B Heu fur den Winter produziert und es existieren feste Zentren sog Som Zentren mit Einrichtungen fur die Hirten wie Schulen Kliniken und Altenheimen Der entscheidende Unterschied zu anderen Landern ist die grosse Akzeptanz der Traditionen und die Bemuhungen viele uberlieferte Kulturelemente zu erhalten In China war die Entwicklung ambivalent In den 1950er Jahren verdrangten Han Chinesen in der Inneren Mongolei die Nomaden in entlegene Gebiete Ende der 1970er Jahre verbesserten sich ihre Lebensbedingungen wieder Sie erhielten Tiere und Weideland weil die chinesischen Behorden erkannt hatten dass die Weidegebiete sonst brach liegen wurden 26 Seit Ende des 20 Jahrhunderts fuhrt China in weiten Teilen der Inneren Mongolei und in Tibet wieder Zwangsumsiedlungen durch um die Nomaden sesshaft zu machen Es wurden riesige Schutzgebiete eingerichtet in denen es verboten ist Vieh weiden zu lassen Diese Massnahme wird von der Weltgemeinschaft vielfach als Vorwand betrachtet da es erwiesen ist dass mobile Tierhaltung in ihrer klassischen Form keine okologischen Schaden anrichtet sondern sogar sinnvoll ist 27 28 Auch in vielen anderen Landern Asiens und Afrikas wurde aus staatspolitischen Grunden die Sesshaftmachung der Hirtenvolker angestrebt und oftmals gleichzeitig der mobilen Viehwirtschaft ein Ende gesetzt Die Wissenschaft betrachtet den Nomadismus heute nicht mehr als quasi isolierte Sonderform menschlicher Gesellschaften sondern als wesentlichen Teil ubergreifender Gefuge die entscheidende Aspekte der benachbarten sesshaften Kulturen mitgepragt haben 29 Nicht nur die mongolische oder tibetische Kultur sondern auch die abendlandisch christliche und islamische Kultur sind davon beeinflusst Die Religionsstifter der drei grossen monotheistischen Religionen stammen aus Nomadenvolkern Judentum Christentum und Islam nennt man nicht von ungefahr die Wustenreligionen Abraham aram Av ha am Vater der Volker Isaak und Jakob die Erzvater des Judentums waren Nomaden Formen des Nomadismus Bearbeiten nbsp Die halbnomadisch lebenden Chanten die noch Rentierzucht in der Taiga betreiben unternehmen weit kurzere Wanderungen als ihre Nachbarn in der TundraIn der Ethnologie des 20 Jahrhunderts wurden verschiedene Formen des Nomadismus unterschieden Nach Art der Wanderung Behausungsform Tierarten oder Hutemethode Heute hat diese Gliederung ihre Bedeutung weitgehend verloren da man erkannt hat dass die tatsachlichen Verhaltnisse sehr haufig gemischte Varianten waren und sind So ist bereits eine statische Unterscheidung in Voll und Halbnomadismus irrefuhrend da die Notwendigkeiten von den Hirtengemeinschaften von Jahr zu Jahr neu definiert werden 30 Unterscheidung nach Voll und Halbnomadismus Bearbeiten Vollnomadisch sind Gruppen die neben der Hutetatigkeit keinen dauerhaften Feldbau betreiben und oder bei denen die gesamte Familiengruppe regelmassig ihren Wohnsitz verlegt Halbnomadisch sind Gesellschaften bei der nur ein Teil der Familie wandert wahrend die anderen Feldbau betreiben oder anderen sesshaften Tatigkeiten nachgehen Agropastoralismus Rentierhirten werden aufgrund ihrer saisonalen Wanderschaft mit einem Wohnsitz bei den Sommer und einem bei den Winterweiden ebenfalls haufiger als Halbnomaden bezeichnet 31 Unterscheidung nach Art der Wanderung Bearbeiten nbsp Mongolische Hirten legen in allen Jahreszeiten sehr weite Wege mit ihren Herden zuruckDie Art der Wanderung kann auf zwei verschiedene Arten differenziert werden Horizontale Wanderung bzw Flachennomadismus sehr weite Wanderungen innerhalb einer Vegetationszone Dromedare Trampeltiere Schafe und Ziegen Vertikaler Nomadismus bzw Bergnomadismus Wanderung vom Winterquartier in der Steppe oder im Wald zum Sommerlager ins Gebirge fast ausschliesslich Schafe und Ziegen 9 bzw Fernwandernder Nomadismus Im Laufe eines Jahres werden mehrere hundert Kilometer zuruckgelegt Nahwandernder Nomadismus Zwischen Sommer und Winterweidegebieten liegen nur wenige Dutzend KilometerDiese Unterscheidungen uberschneiden sich oft So sind die Kirgisen des Pamir nahwandernde Gebirgsnomaden die Mongolen meist fernwandernde Flachennomaden Unterscheidung nach Behausung Bearbeiten nbsp Nomaden im Ost Iran vor weissem LeinenzeltSchwarzzelte aus Ziegenhaar in Nordafrika Arabien und Teilen der Turkei des Irans und Afghanistans Kegelzelte aus Hauten oder Stoff Lavvu in Lappland Tschum in West und Nordsibirien Jurten aus Filz mit Holzkonstruktion in Zentralasien oder mit Fellen Jaranga bei den Tschuktschen in NordostsibirienUnterscheidung nach Art der Herdentiere Bearbeiten Die Art der Herdentiere wird von der Geomorphologie der Landschaft dem Klima und der Vegetation bestimmt Die Unterscheidung erfolgt nach der wirtschaftlichen Bedeutung oder der Wertschatzung der Tiere Man unterscheidet beispielsweise Rindernomaden Kleinviehnomaden Kamelnomaden oder Rentiernomaden Unterscheidung nach der Hutemethode Bearbeiten Herdentreibender Nomadismus In den Trockengebiete treiben die Hirten ihre Herden und ubernehmen selbst das Management der Weiden Herdenfolgender Nomadismus Rentiere sind kaum domestizierte Wildtiere die nach ihrem Instinkt wandern so dass der Mensch ihnen nur folgen mussDie heutige Situation des Nomadismus Bearbeiten nbsp Motorrad im Besitz lapplandischer SamiEinige Autoren sind der Ansicht dass der Niedergang des Nomadismus nicht mehr aufzuhalten sei Der Nomadismus Forscher Fred Scholz wird in diesem Zusammenhang immer wieder zitiert 2 In der Tat kann man eine Vielzahl von Ursachen konstatieren die seit der Mitte des 20 Jahrhunderts in sehr vielen Fallen aus vormals unabhangigen und eigenstandigen Kulturen abhangige marginalisierte und zum Teil erheblich verarmte und hungerleidende Bevolkerungsgruppen gemacht hat Die folgenden Punkte stellen in etwa eine kausalhistorische Kette dar deren Faktoren sich jedoch auch ruckwirkend verstarken 1 32 33 Behinderung der Fernwanderungen durch Staatsgrenzen Landprivatisierung oder infrastrukturelle Grossprojekte Ersatz des Karawanenhandels durch modernere Verkehrsformen Okkupation Einzaunung und Umnutzung des vormals freien Weidelandes Staatliche Programme zu oftmals erzwungener Sesshaftmachung mit Ackerbau auf vollig ungeeigneten Flachen Schwindende Bereitschaft der sesshaften Ackerbauern zum traditionellen Tauschhandel Ubergang von der Subsistenzwirtschaft zu marktorientierter Produktion mit Intensivierung der mobilen Tierhaltung Uberweidung und Bodendegradation durch kurzere Wanderungen und grossere Tierbestande Einerseits hohere Konsumanspruche der Nomaden andererseits wirtschaftliche Probleme Vermarktung Preisruckgang fur Tierprodukte Bevolkerungsanstieg Abwanderung in Bergbau Industrie und Stadte Klimatische Entwicklung im Zuge des Klimawandels Oftmals abwertende pejorative Ansichten uber das Nomadentum das nach den Theorien einer soziokulturellen Evolution angeblich eine sehr niedrige Kulturstufe darstellt In der Wissenschaft ist diese Sichtweise langst uberholt halt sich jedoch in vielen Landern hartnackig In einigen Landern werden die vorhandenen nomadischen Ethnien gezielt gefordert z B das Volk der Samen in Norwegen was bis zu eigenen Hauptansiedlungen z B Kautokeino zu einem eigenen Parlament und eigenen Schul und Rundfunkanstalten fuhren kann Erschwert wird solche Forderung dadurch dass die erwahnten Ethnien sich oft auf verschiedene Staaten aufteilen z B die Samen auf norwegisches schwedisches finnisches oder russisches Gebiet Daher gibt es Autoren die lokal durchaus auch positive Entwicklungen konstatieren und den Nomadismus als Lebensform weiterhin existent sehen denn Gruppen mit Wanderweidewirtschaft und mobilen Behausungen sowie verschiedenen nomadischen Merkmalen gibt es nach wie vor So stellt Anja Fischer bei den Tuareg Algeriens einen Trend zuruck zu einer nomadischen Viehwirtschaft fest 34 In den allermeisten Fallen sind es allerdings nur noch kleine Teile der Volker die traditionell am primar subsistenzorientierten nomadischen Leben festhalten 2 35 Solche Retraditionalisierungen kommen auch in anderen entlegenen Weltgegenden vor insbesondere wenn die Marktteilnahme zu sehr mit Problemen behaftet ist Ferner haben Ethnologen festgestellt dass die gesellschaftlichen Strukturen langlebig fortbestehen auch wenn die mobile Tierhaltung komplett aufgegeben wurde 29 Wandel vom Nomadismus zur nachhaltigen mobilen Tierhaltung Bearbeiten Die meisten Autoren sind sich einig dass eine mobile Weidewirtschaft in den kargen Offenlandschaften auch zukunftig die einzige Moglichkeit fur eine dauerhafte Existenzsicherung ist Zu Beginn des 21 Jahrhunderts besteht die zunehmende Gefahr dass das uberlieferte Wissen der ehemaligen Nomaden verlorengeht Scholz pladiert daher fur eine rasche und intelligente Modernisierung der mobilen Tierhaltung vor allem durch die beteiligten Staaten um die traditionellen und modernen Erkenntnisse und Arbeitsweisen so zu kombinieren dass sich eine sozial okonomisch und okologisch nachhaltige Wirtschaftsform etablieren kann Bislang sieht er jedoch mit vorsichtiger Ausnahme der Mongolei nirgends einen erfolgversprechenden Ansatz allenfalls Debatten uber eine effektivere und okologisch angepasstere mobile Tierhaltung 1 Rezente Gemeinschaften mit uberwiegend traditionellem Vollnomadismus Bearbeiten Europa Bearbeiten Nord Norwegen Nord Schweden Nord Finnland Nordwest Russland Die Samen siehe dort Afrika Bearbeiten Mauretanien 7 in 2008 vor allem Fulbe 36 Algerien Einige lokale Gruppen der Tuareg 34 Niger 2 Wodaabe 37 Nigeria Fulbe im Zamfara Gebiet 38 Tschad Tubbu im Tibesti Gebirge Kenia und Tansania Massai 39 Somalia Ein grosser Teil der Somali lebt nomadisch Die vollnomadische Viehwirtschaft dominiert in Zentral und Ostsomalia 40 Asien Bearbeiten Dieser Artikel oder Abschnitt bedarf einer grundsatzlichen Uberarbeitung Naheres sollte auf der Diskussionsseite angegeben sein Bitte hilf mit ihn zu verbessern und entferne anschliessend diese Markierung Iranisches Hochland Kaschgai Kirgisistan Kirgisen im Norden Afghanistan Kutschi Kirgisen Pakistan Cholistan Mongolei Dorvot Dsachtschin Kasachen Todsha Tsaatan Nord Mandschurei Ewenken Orotschen Tibetisches Hochland tibetische Nomaden im abgelegenen ostlichen Hochland Changpa Nordrussland Nenzen Ewenen TschuktschenWeitere Ethnien deren Lebensweise sich zu einem Post Nomadismus gewandelt hat sind im Artikel Mobile Tierhaltung aufgefuhrt Literatur BearbeitenAnnegret Nippa u Museum fur Volkerkunde Hamburg Hrsg Kleines abc des Nomadismus Publikation zur Ausstellung Brisante Begegnungen Nomaden in einer sesshaften Welt Hamburg 2011 Fred Scholz Nomadismus ist tot In Geographische Rundschau Heft 5 1999 S 248 255 Zoritza Kiresiewa Derzeitiger Stellenwert von nationalen und internationalen Projekten im Bereich Nomadismus Mobile Tierhaltung im Altweltlichen Trockengurtel Institut fur Geowissenschaften an der Freien Universitat Berlin 2009 Robert C Schmid u Oswald Bendl Die letzten Nomaden Vom Leben und Uberleben der letzten Hirtenvolker Asiens Styria Verlag Graz Wien Koln 1997 FAO Pastoralism in the new millennium in Animal production and health paper Nr 150 2001 Ernst E Vardiman Nomaden Schopfer einer neuen Kultur im Vorderen Orient Munchen 1990 Thomas Staubli Das Image der Nomaden im alten Israel und in der Ikonographie seiner sesshaften Nachbarn Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1991 A M Khazanov Nomads and the Outside World Cambridge 1984 Fokus liegt auf den Interaktionen zwischen den nomadischen und den sesshaften Kulturen Weblinks BearbeitenLiga fur Hirtenvolker und nachhaltige Viehwirtschaft e V englisch Differenz und Integration Sonderforschungsbereich an den Universitaten Halle Wittenberg und Leipzig der sich mit den Beziehungen zwischen Nomaden und Sesshaften in Geschichte und Gegenwart befasst Einzelnachweise Bearbeiten a b c d e Fred Scholz Nomadismus ist tot Siehe Literatur a b c Zoritza Kiresiewa Derzeitiger Stellenwert von nationalen und internationalen Projekten im Bereich Nomadismus Mobile Tierhaltung im Altweltlichen Trockengurtel Siehe Literatur Dawn Chatty Hrsg Nomadic Societies in the Middle East and North Africa Facing the 21st Century Koninklijke Brill NV Leiden NL 2006 Philip Carl Salzman Pastoralists Equality Hierarchy and the State Westview Press Boulder Colorado USA 2004 Lit Kleines abc des Nomadismus S 146 A Rosati A Tewolde C Mosconi World Association for Animal Production Hrsg Animal Production and Animal Science Worldwide Wageningen Academic Pub 2005 Fred Scholz zitiert in Jorg Gertel Globalisierung Entankerung und Mobilitat Analytische Perspektiven einer gegenwartsbezogenen geographischen Nomadismusforschung In Stefan Leder Bernhard Streck Hrsg Nomadismus aus der Perspektive der Begrifflichkeit Beitrage der 1 Tagung am 11 Juli 2001 Orientwissenschaftliche Hefte 3 Mitteilungen des SFB Differenz und Integration 1 Halle 2002 Nomaden ohne Weide Artikel im Eurasischen Online Magazin vom 30 Mai 2006 a b Nils Wiemann Infoblatt Nomadismus Definition Formen Verbreitung und aktuelle Probleme Geographie Infothek Klett Leipzig 2012 Kleines abc des Nomadismus S 24 242 243 Michael Zeuske Handbuch Geschichte der Sklaverei Eine Globalgeschichte von den Anfangen bis zur Gegenwart Walter de Gruyter Berlin Boston 2013 ISBN 978 3 11 027880 4 S 5 126 insbes 272 277 314 315 539 a b c Dieter Haller Text Bernd Rodekohr Illustrationen Dtv Atlas Ethnologie 2 Auflage dtv Munchen 2010 S 165 167 Hermann Kreutzmann Hunza landliche Entwicklung im Karakorum In Abhandlungen Anthropogeographie Bd 44 Berlin S 127 Anne Hegge Agropastoralismus Phanomen und Beschreibung afrikanischer Beispiele Hausarbeit zur Vorlesung Agrargeographie mit besonderer Berucksichtigung Nordafrikas Lehrstuhl fur Stadtgeographie und Geographie des landlichen Raumes Universitat Bayreuth 2003 S 1 22 Johannes Moser Einfuhrung in die Wirtschaftsanthropologie Institut fur Volkskunde Europaische Ethnologie Ludwig Maximilians Universitat Munchen 2008 S 56 Thomas Schweizer Margarete Schweizer Waltraud Kokott Ulla Johansen Hrsg Handbuch der Ethnologie D Reimer Berlin 1993 ISBN 3 496 00446 0 S 545 546 a b Walter Hirschberg Hrsg Worterbuch der Volkerkunde Neuausgabe 2 Auflage Reimer Berlin 2005 S 175 a b Johannes Moser Einfuhrung in die Wirtschaftsanthropologie Institut fur Volkskunde Europaische Ethnologie Ludwig Maximilians Universitat Munchen 2008 Manfred Kemme Das Afrikabild in deutschen Religionsbuchern eine Untersuchung katholischer Religionsbucher fur die Sekundarstufe I LIT Verlag Munster 2004 S 111 f Lit Kleines abc des Nomadismus S 180 181 Christiane Bethke Pastoral Nomadismus in den Anden Universitat zu Koln Institut fur Volkerkunde 1999 ISBN 978 3 638 11667 1 Siehe Forschungsprojekt Anthropogene Okologie auf Max Planck Institut fur Geoanthropologie Thomas Staubli Nomandentum In Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet 2020 Online Marvin Harris Kulturanthropologie Ein Lehrbuch Aus dem Amerikanischen von Sylvia M Schomburg Scherff Campus Frankfurt New York 1989 ISBN 3 593 33976 5 S 437 438 440 441 Lit Kleines abc des Nomadismus S 140 141 Michael Martin Der Mensch in der Wuste Memento vom 21 Mai 2014 im Webarchiv archive today Website von Michael Martin Abgerufen am 6 Marz 2014 Ashi Hunger Die tibetischen Nomaden aus Brennpunkt Heft 3 2011 der Tibet Initiative Deutschland Dossier Mongolen auf der Webseite der Gesellschaft fur bedrohte Volker a b Lit Kleines abc des Nomadismus S 56 58 Lit Kleines abc des Nomadismus S 120 122 138 141 242 Stefan Bauer Hrsg Bruchlinien im Eis Ethnologie des zirkumpolaren Nordens Lit Verlag Wien 2005 Lit Kleines abc des Nomadismus S 56 58 82 120 122 126 127 140 141 164 165 196 198 212 218 232 Ilse Kohler Rollefson Hirtenvolker Bewahrer der Vielfalt In Okologie amp Landbau 156 4 2010 S 16 18 a b Anja Fischer Nomaden der Sahara Handeln in Extremen Reimer Verlag 2008 Claudia Kijora u Helmut Schafft Studienprojekt Wandel der Tierproduktionssysteme in Zentral Asien am Beispiel Kirgisiens Humboldt Universitat zu Berlin Landwirtschaftlich Gartnerische Fakultat 2003 Karl P Kirsch Jung u Winfried von Urff Nutzungsrechte fur Viehzuchter und Fischer Vereinbarungen nach traditionellem und modernem Recht Anregungen aus Mauretanien In Nachhaltigkeit hat viele Gesichter Nr 6 Deutsche Gesellschaft fur Technische Zusammenarbeit GTZ GmbH Kasparek Verlag Heidelberg 2008 Tanja Kleibl Die Wodaabe in Niger Memento vom 23 Mai 2014 im Internet Archive Gesellschaft fur bedrohte Volker abgerufen am 23 Mai 2014 Detlef Kreimer Biologie Okologie und Kontrolle von Senna obtusifolia L Irwin amp Barneby im Zamfara Weidegebiet in der Sudansavanne Nordwest Nigerias 1 Auflage VVB Laufersweiler Verlag Giessen 2007 S 18 u 186 Desertifikation und Nachhaltigkeit in Ostafrika Jorg Janzen Struktur der Wanderweidewirtschaft und Hintergrunde aktueller Entwicklungsprobleme im nomadischen Lebensraum ein Uberblick In Africa Spectrum Bd 19 Nr 2 1984 S 149 171 hier S 150f bei JSTOR Normdaten Sachbegriff GND 4140286 8 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Nomadismus amp oldid 238402524