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Als traditionelles Wissen bisweilen auch als indigenes Wissen bezeichnet wird im Zuge der Fortentwicklung des internationalen Systems zum Schutz des geistigen Eigentums solches Wissen bezeichnet das in lokalen Gemeinschaften entstanden ist und von diesen Gruppen beziehungsweise bestimmten ethnischen Experten zumeist mundlich bewahrt und weitergegeben wird Eine genaue Definition wurde noch nicht vereinbart und ist derzeit Gegenstand eines Arbeitsausschusses der Weltorganisation fur geistiges Eigentum WIPO Beim aktuellen Stand der Verhandlungen liegt der Entwurf eines vertragsahnlichen Textes vor in dem sowohl die Definition des traditionellen Wissens als auch die daraus folgenden rechtlichen Positionen geregelt werden sollen 1 Inhaltsverzeichnis 1 Definitionsfindung 2 Hintergrunde 3 Moderner Nutzen 4 Kontroverse um Patenterteilungen 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseDefinitionsfindung Bearbeiten nbsp Rosafarbene Catharanthe traditionelle Pflanzenmedizin und potentielles Krebsmittel nbsp Marcos Terena indigener Vertreter des Instituts fur traditionelles geistiges Eigentum in Brasilien beklagt das Fehlen eines ethischen Codes zum Schutz vor Biopiraterie Wir Indigenen haben keine Moglichkeit unser traditionelles Wissen patentieren zu lassen 2 Trotz der noch ausstehenden juristischen Definition lassen sich folgende Charakteristika von traditionellem Wissen bestimmen Wissen uber die Heilwirkung von Pflanzen Botanische und medizinische Kenntnisse Wissen uber Nahrungspflanzen Eigenschaften der Boden umweltschonende bzw effiziente Anbaustrategien und biologische Schadlingsbekampfung Die Ursprunge der Wissensinhalte liegen in ferner Vergangenheit und konnen nicht mehr zuruckverfolgt werden Ein Grossteil des Wissens entsteht durch Beobachtung und Erfahrung und wird nicht hinterfragt oder analytisch verstanden Ein kleinerer Teil ist die Folge planvoller traditioneller Wissenschaft Das Wissen unterliegt aufgrund der sich verandernden Umweltbedingungen einer standigen Anpassung und Weiterentwicklung traditionell darf demnach nicht als unveranderbar verstanden werden In der Regel mundliche Uberlieferung der Wissensinhalte und haufige Verknupfung mit ethnisch religiosen Vorstellungen 3 Insbesondere nicht industrialisierte naturnah lebende Kulturen sind Trager traditionellen Wissens In viel geringerem Masse auch Bevolkerungsteile der Industriegesellschaft z B Schweizer Almbauern Friesische Fischer Gefahrdung des Wissens durch destruktiven Kulturwandel insbesondere Zerstorung der traditionellen Sozialstrukturen Ersatz traditioneller Heiler und Verlust der indigenen Sprachen Das osterreichische Lebensministerium beschreibt das Traditionelle Wissen vereinfacht wie folgt 4 Wissen das in einem traditionellen Zusammenhang geschaffen bewahrt und an die nachfolgenden Generationen weitergegeben wird verbunden mit einer lokalen Gemeinschaft die sich mit der traditionellen Kultur identifiziert und von der Gemeinschaft als Traditionelles Wissen gesehen wird Hintergrunde BearbeitenNach den Ethnologen Roy Rappaport und Gerardo Reichel Dolmatoff beruht traditionelles Wissen auf magischen Erkenntnismodellen die nicht wertneutral detailliert und logisch beschreiben wie die moderne Wissenschaft sondern die als Mythen verpackt zielgerichtet das Verhalten der Menschen beeinflussen um eine moglichst effiziente Anpassung an die Umwelt zu erreichen und die Stabilitat der Gesellschaft zu bewahren 5 6 siehe auch Kalte und heisse Kulturen oder Kulturelemente Reichel Dolmatoff schreibt zum Beispiel uber das Wissen der Tucano Indianer Solche Phanomene wie Parasitismus Symbiose Kommensalismus und andere Beziehungen zwischen Arten sind von ihnen gut beobachtet worden und werden als mogliche Methoden der Anpassung herausgestellt 6 Wahrend Kenntnisse uber Hausmittel Nutzpflanzen und Anbaumethoden in der Regel allen Mitgliedern lokaler Gemeinschaften bekannt sind verfugt nur ein begrenzter Personenkreis von Spezialisten z B Schamanen Heiler Hebammen uber weitergehendes medizinisches Wissen Traditionelles Wissen ist eng verbunden mit Jahrtausende alten Wirtschaftsformen Moderner Nutzen BearbeitenFur die globale Marktwirtschaft ist traditionelles Wissen eine wichtige Quelle fur Innovationen z B in der Pharmazeutik Seit Beginn der 1990er Jahre gibt es verschiedene Bestrebungen traditionelles Wissen einerseits verfugbar zu machen und andererseits die oftmals indigenen Besitzer dieser Kenntnisse okonomisch an der Gewinn orientierten Nutzung dieses Wissens zu beteiligen Kontroverse um Patenterteilungen BearbeitenDie Erteilung von Patenten auf Merkmale denen traditionelles Wissen zugrunde liegt sowie der Schutz von Verfahren und Produkten die daraus resultieren fuhren immer wieder zu Debatten um das Verwerten und dabei vor allem um die Patentfahigkeit beziehungsweise die Patentierbarkeit von traditionellem Wissen Die Patentfahigkeit betrifft die technische Seite eines Patents namlich ob ein Merkmal neu ist erfinderische Hohe aufweist und gewerblich anwendbar ist Dies ist bei Merkmalen aus dem traditionellen Wissensschatz meist nicht der Fall insbesondere wenn der Wissensschatz dokumentiert und somit im Sinne des Gesetzes nicht mehr neu ist Der dokumentierte Wissensschatz ist im Patentrecht der Stand der Technik Allerdings hat sich gezeigt dass auf besonderen technischen Gebieten namlich der Medizin und der Pharmazie die Lage ganz anders ist weil dort ein grosses Wissenspool von noch nicht schriftlich fixiertem Wissen existiert dass ausschliesslich mundlich oder in sonstiger nicht schriftlicher Form uberliefert worden ist Die Patentierbarkeit betrifft vor allem nicht technische rechtliche Fragen der Patentfahigkeit Dies sind zum einen Voraussetzungen nach Art und Beschaffenheit und zum anderen die nach moralischen Gesichtspunkten Im deutschen Patentgesetz sind diese in 1 Absatz 2 und 3 sowie in den 1a 2 und 2a bestimmt Beschaffenheit betrifft unter anderem biologisches Material wie beispielsweise menschliches oder tierisches Gewebe und Substanzen Daneben ist die Art der Erfindung fur die Patentierbarkeit wesentlich namlich ob es sich um Entdeckungen wissenschaftliche Theorien mathematische Methoden asthetische Formschopfungen Plane Regeln und Verfahren fur gedankliche Tatigkeiten fur Spiele oder fur geschaftliche Tatigkeiten sowie Programme fur Datenverarbeitungsanlagen oder die Wiedergabe von Informationen handelt fur die ein Patent nicht erteilt wird Die moralischen Eigenschaften betreffen Erfindungen deren gewerbliche Verwertung gegen die offentliche Ordnung oder die guten Sitten verstossen wurde wobei ein solcher Verstoss nicht allein aus der Tatsache hergeleitet werden kann dass die Verwertung durch Gesetz oder Verwaltungsvorschrift verboten ist Auch hierfur gibt es keine Patente Vor diesem Hintergrund wird seit einiger Zeit auf der einen Seite die Diskrepanz zwischen Stand der Technik und traditionellem Wissensschatz diskutiert also ob Patentfahigkeit Neuheit erfinderische Hohe und gewerbliche Anwendbarkeit fur Merkmale aus traditionellem Wissen existiert oder nicht Die Fragen sind ob ein Naturprodukt ein traditionelles Verfahren oder ein traditioneller Wirkstoff patentfahig sein konnen wenn deren Merkmale in bestimmten Teilen der Welt beispielsweise bei indigenen Volkern bereits zum traditionellen Wissensschatz gehoren Sind sie patentrechtlich gesehen neu wenn sie nichtdokumentiert uberliefert worden sind jedoch im Rest der Welt im Sinne von nationalem sowie internationalem Patentrecht weder dem Fachmann bekannt oder naheliegend gewesen sind Und wer wird bei der Definition des Fachmannes herangezogen Die derzeitige Definition des Fachmannes im patentrechtlichen Sinne der fur die Bestimmung der erfinderischen Hohe herangezogen wird ist ein im institutionalisierten Bildungssystem Ausgebildeter mit dem im Ubrigen dokumentierten Stand der Technik vertrauter Mensch Somit diskriminiert das Patentrecht der Staaten welche ein Patentrecht ausgebildet haben die Besitzer von Wissen welches auf nicht institutionalisierter Wissensvermittlung beruht Auf der anderen Seite wird die moralische Frage diskutiert namlich ob bestimmte Verwertungen von traditionellem Wissen ein Verstoss gegen die guten Sitten waren beispielsweise die Zucht einer Labormaus fur bestimmte Testzwecke wobei die Verfahren allseits bekannt sind und lediglich der Zweck eine Neuheit darstellt Hier wird traditionelles Wissen patentiert das nicht indigenen Ursprungs ist Patenterteilungen auf technische Merkmale denen solches traditionelles Wissen zugrunde liegt haben die Folge dass diejenigen aus deren Wissensschatz sich die Patentanmelder bedient haben an der Nutzung in den Patentlandern ausgeschlossen bleiben Die WIPO World Intellectual Property Organisation hat dieses Problem mit seinem Programm Traditional Knowledge 7 aufgenommen und eine Datenbank der Online Databases and Registries of Traditional Knowledge and Genetic Resources 8 eingerichtet die Informationen sammelt uber nationale wissenschaftliche oder private Sammlungen von traditionellem Wissen Diesen Sammlungen liegt die Aufgabe zugrunde das traditionelle Wissen zu dokumentieren Dabei wird von den Betreiber der Sammlungen gewunscht dieses Wissen einerseits allen nutzbar zu machen sowie andererseits zu verhindern dass lang bekanntes Wissen durch Patente zu Privateigentum von Wenigen wird Literatur BearbeitenAnja von Hahn Traditionelles Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften zwischen geistigen Eigentumsrechten und der public domain Traditional knowledge of indigenous and local communities between intellectual property rights and the public domain Beitrage zum auslandischen offentlichen Recht und Volkerrecht Bd 170 Springer Berlin u a 2004 ISBN 3 540 22319 3 Zugleich Heidelberg Universitat Dissertation 2002 2003 Weblinks BearbeitenWIPO Traditional Knowledge Datei Https www wipo int tk en 7Cmini 7CTraditional Knowledge Traditional knowledge TK is a living body of knowledge passed on from generation to generation within a community It often forms part of a people s cultural and spiritual identity WIPO s program on TK also addresses traditional cultural expressions TCEs and genetic resources GRs Website der WIPO englisch Abgerufen am 21 Januar 2021 WIPO Online Databases and Registries of Traditional Knowledge and Genetic Resources 3 Website der WIPO englisch Abgerufen am 21 Januar 2021 Wipo Intergovernmental Committee on Intellectual Property and Genetic Resources Traditional Knowledge and Folklore DRAFT ARTICLES ON THE PROTECTION OF TRADITIONAL KNOWLEDGE PREPARED AT IWG 2 PDF Datei 539 kB englisch Entwurf eines vertragsahnlichen Textes zu traditionellem Wissen Mai 2011 Abgerufen am 13 Mai 2011 Einzelnachweise Bearbeiten Draft Articles on the Protection of Traditional Knowledge WIPO Dokument WIPO GRTKF IC 18 7 Caroline Ausserer Heinrich Boll Stiftung Brasilien Biotechnologie Unter dem Zeichen der Verantwortung Website docstoc com Abgerufen am 29 November 2013 Hendrik Neubauer Hrsg The Survivors Vom Ureinwohner zum Weltburger Tandem Potsdam 2008 ISBN 978 3 8331 4627 5 S 300 301 Was ist Traditionelles Wissen Memento des Originals vom 11 November 2012 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www lebensministerium at vom 18 Oktober 2012 abgerufen am 14 Februar 2013 Roy A Rappaport Ecology Meaning and Religion North Atlantic Books Richmond CA 1979 ISBN 0 913028 54 1 a b Gerardo Reichel Dolmatoff Rainforest Shamans Essays on the Tukano Indians of the Northwest Amazon Themis Books Dartington 1997 ISBN 0 9527302 4 3 Traditional Knowledge WIPO Program on traditional Knowledge englisch Abgerufen am 21 Januar 2021 1 Online Databases and Registries of Traditional Knowledge and Genetic Resources WIPO resources englisch Abgerufen am 21 Januar 2021 2 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Traditionelles Wissen amp oldid 224297832