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Pastoralismus von lat pastor Hirte auch Naturweidewirtschaft oder pastorale Tierhaltung auf Naturweiden ist eine Form der Landnutzung mit extensiver Weidewirtschaft auf naturlich gewachsenem Busch und Grasland dessen anderweitige Nutzung wegen der klimatischen Bedingungen seiner kargen Vegetation oder seiner Abgelegenheit nicht attraktiv oder nicht sinnvoll ist Beim Pastoralismus wird eine mobile und eine sesshafte Form unterschieden Wenn die Subsistenzstrategie einer lokalen Gemeinschaft auf Pastoralismus und Feldwirtschaft beruht spricht man von Agropastoralismus 1 Urgrasland trockene Steppenlandschaften wie die abgebildete in der Mongolei sowie Tundren trockene Savannen Halbwusten und Wusten eignen sich in aller Regel nur fur die extensive Viehwirtschaft Etwa 25 der globalen Landflache werden pastoral bewirtschaftet 1 2 Die Herden bestehen aus Kameliden Rinderartigen oder kleinen Wiederkauern wie Schafen oder Ziegen Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrund 2 Mobiler Pastoralismus 2 1 Nomadismus 2 2 Rentier Pastoralismus 2 3 Transhumanz 2 4 Mobile Tierhaltung 2 5 Alm Seter und Hochweide 3 Stationarer Pastoralismus 4 Siehe auch 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseHintergrund BearbeitenIn der Regel gehorten grosse Herden weidender Huftiere seit jeher zum Inventar aller naturlichen Offenlandschaften In vielen Fallen ersetzten die domestizierten Arten die okologische Nische der vormaligen Wildtiere Daraus folgt dass pastorale Viehhaltung vom Grundsatz her eine okologisch angepasste Strategie darstellt Dies gilt insbesondere fur die seit Jahrhunderten angepassten Rassen im Trockengurtel der Alten Welt die den Wildtieren gleichgesetzt werden konnen Pastoralismus ist vielerorts von grosser wirtschaftlicher Bedeutung So werden beispielsweise in Burkina Faso uber 70 Prozent der Tiere in Weidewirtschaft gehalten in Niger und im Tschad sind es uber 80 Prozent im Sudan in Tansania und Somalia uber 90 Prozent In Indien wird uber die Halfte der Milch und werden mehr als 70 Prozent des Fleisches von Hirten erwirtschaftet Nach Angaben der Ernahrungs und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen werden etwa eine Milliarde Tiere in Formen von Weidewirtschaft gehalten In Gebieten Afrikas und Asiens die sehr trocken oder die von Trockenzeiten gepragt sind sowie in anderen kargen Lebensraumen wie den Anden und der Arktis ist die Weidewirtschaft fur Ernahrung und Auskommen vieler Menschen von hoher Bedeutung 3 Neuere Untersuchungen belegen dass die Aufgabe der Weidenutzung overrest 4 in Trockenraumen nicht selten negativere Folgen fur die Okosysteme hat als die Uberweidung 5 6 Das in langeren Abstanden wiederholte kurzzeitige intensive Abweiden mit Viehtritt und Dung der Tiere sind ausgesprochen positive Aspekte der Dynamik von Trockenbiomen denn sie fordern einerseits den Wachstumsimpuls das Wurzelwachstum und die Widerstandskraft der Pflanzen andererseits die Humusbildung Bodenfruchtbarkeit und Wasseraufnahme und speicherfahigkeit 7 8 9 Je nach Biomtyp gelten in grober Verallgemeinerung 5 bis 16 im Extrem lt 1 bzw bis 50 Grossvieheinheiten beispielsweise ein Rind pro 100 ha Flache als extensiver Tierbesatz Neuere Untersuchungen belegen dass ultradichte Bestockung in Trockenraumen mit 2000 bis 5000 Grossvieheinheit pro ha welche das naturliche Herdenverhalten der wilden Herbivoren z B Gnuherden imitieren und alle paar Stunden weiterbewegt werden zu besserer Bodenfruchtbarkeit Wasseraufnahme und speicherung CO2 Sequestrierung durch Wurzelbildung im Boden und Begrunung der Landschaft fuhren 6 Entscheidend fur die Vegetation der Trockengebiete und damit fur die Tragfahigkeit der Naturweiden ist die Bodenfeuchte Damit lassen sich die Formen des Pastoralismus uber die Menge der jahrlichen Niederschlage abgrenzen 9 Mobiler Pastoralismus Bearbeiten nbsp Eine besondere Form des mobilen Pastoralismus ist die Hochweidewirtschaft Islands bei der die Pferde und Schafe den Sommer uber ohne Aufsicht im Hochland verbringen Hauptartikel Fernweidewirtschaft Der mobile Pastoralismus umfasst die traditionellen Formen der Fernweidewirtschaft synonymer Begriff auf zumeist nicht eingehegten Weiden bei denen mehrmals im Jahr die Futtergrunde gewechselt werden die zudem in der Regel nicht an dem dauerhaften Wohnsitz des Eigentumers liegen Mobiler Pastoralismus ist in Gebieten mit starken Klimaschwankungen ublich vor allem semiarides Klima In Nordafrika und Zentralasien ist er am weitesten verbreitet Die Weiden sind dabei meist in kommunalem Besitz Allmendegut Nomadismus Bearbeiten In den heissen und kalten Wusten und Halbwusten in gemassigten Trockensteppen und tropischen Dornsavannen mit einem Jahresniederschlag von unter 100 bis 250 maximal bis 600 mm 10 wird heute vor allem ganzjahrige mobile Tierhaltung mit Kamelen und Ziegen betrieben Etwa bis zur Mitte des 20 Jahrhunderts lebten noch ganze Volker von einem hirtennomadischen Pastoralismus auf der Grundlage einer weitreichenden Subsistenzwirtschaft Selbstversorgung Der Fachbegriff fur diese Wirtschaftsweise und die zugehorige traditionelle Kulturform ist Nomadismus Heute gibt es nur noch sehr wenige Vollnomaden Rentier Pastoralismus Bearbeiten nbsp In Lappland werden die Rentiere zweimal im Jahr zusammengetrieben um die Kalber zu markieren oder die schlachtreifen Tiere auszulesenEine Sonderform des nomadischen Pastoralismus bei der man den naturlichen Wanderungen der Tiere folgt ist der Rentier Pastoralismus Nordeurasiens Da die Tiere in den meisten Regionen Eurasiens im Hochsommer in der Tundra und im Winter im Wald relativ stationar sind leben die modernen Rentierhirten heute wahrend dieser Zeit grundsatzlich in festen Wohnsitzen Man sollte demnach eher von einem halbnomadischen Pastoralismus sprechen obgleich die Begriffe haufig nicht differenziert verwendet werden 11 12 13 14 Der Lebensraum der Rentierhirtenvolker der sich von den lapplandischen Fjellbergen uber die nordrussischen Tundren und Waldtundren bis zur Tschuktschen Halbinsel erstreckt wird in der Ethnologie bisweilen als Kulturareal Sibirien bezeichnet Die Rentierhaltung ist heute subsistenz und marktorientiert Man kann sagen dass der fur den Markt produzierte Anteil von Nordeuropa ostwarts kontinuierlich abnimmt Transhumanz Bearbeiten In subtropischen Gebirgen mit Trockensteppen und in den trockensten Gebieten der mediterranen Hartlaubvegetation zwischen unter 300 bis 550 maximal bis 900 mm Niederschlag 10 liegt das Hauptverbreitungsgebiet der klassischen Transhumanz der saisonalen Wanderweidewirtschaft mit Ziegen und Schafen auch Yaylak Pastoralismus genannt Sie wurde ursprunglich von angestellten Hirten durchgefuhrt wahrend die Eigentumer der Herden sesshaften Ackerbau betrieben Im Winter beaufsichtigten die Hirten die Tiere auf Weiden nahe den Wohngebieten um sie im Fruhjahr wenn das Futterangebot zuruckging auf die Hochweiden zu treiben die nunmehr ausreichend Futter fur den Sommer boten 15 Diese ursprungliche Transhumanz wird heute in den Mittelmeerlandern und im Nahen Osten nur noch selten betrieben da die klimatischen Bedingungen in den Ebenen bereits ertragreichere landwirtschaftliche Nutzungen zulassen In marginalen Raumen wird sie jedoch zum Teil als nachhaltige und umweltfreundliche Wirtschaftsform und aus Naturschutzgrunden finanziell gefordert 16 Transhumanz ist grundsatzlich bereits ein starker marktorientiertes Wirtschaftssystem 1 Mobile Tierhaltung Bearbeiten nbsp Die Mongolei gehort zu den sehr wenigen Landern wo man versucht den subsistenzbasierten Nomadismus in eine moderne Form der mobilen Tierhaltung zu verwandeln die genug Raum fur die alten Traditionen lasstHeute sind viele ehemalige Nomaden aufgrund eines dramatischen Kulturwandels ihrer Lebensweise mit einer zunehmenden Marktorientierung zu degradierten Formen der Pastoralwirtschaft ubergegangen die zum Teil dem Yaylak Pastoralismus ahneln Das ist jedoch nicht nachhaltig da langfristig ungeeignete Regionen mit maximal 300 mm Jahresniederschlag betroffen sind Diese Form wird hier zumeist halbnomadisch betrieben indem ein Teil einer lokalen Tierhaltergemeinschaft saisonal mit den Herden wandert wahrend der andere sesshaft ist und anderen Berufen nachgeht Solcherart modernisierter Wanderweidewirtschaft und andere postnomadischen Formen werden heute mobile Tierhaltung genannt Anmerkung Mobile Tierhaltung ist demnachauch mobiler Pastoralismus jedoch mobiler Pastoralismus istnicht nur moderne mobile Tierhaltung Alm Seter und Hochweide Bearbeiten Die Almwirtschaft der Alpen hat zwar pastorale Wurzeln wird jedoch heute mehrheitlich auf anthropogenem Grunland betrieben Hingegen kann die sehr ahnliche Seterwirtschaft Skandinaviens noch zur Naturweidewirtschaft gerechnet werden Eine echte Form des mobilen Pastoralismus stellt auch die islandische Hochweidewirtschaft mit Schafen und Pferden dar bei der eine Winterweide bzw Stallungen im Tiefland und eine naturbelassene Sommerweide im Hochland genutzt werden Die Tiere streifen wahrend dieser Zeit frei umher Im Herbst werden sie zu Pferd zusammengesucht und zuruckgetrieben 17 Alle diese Weidewirtschaftsformen produzieren weitgehend marktorientiert Stationarer Pastoralismus Bearbeiten nbsp Insbesondere im sogenannten Cattle Complex vom Sud Sudan Bild bis nach Sudafrika hat die sesshafte Viehzucht eine lange TraditionIn naturbelassenen Offenlandschaften mit mehr als 450 mm besser uber 600 mm Jahresniederschlag 10 Kurzgrassteppen Hartlaub Buschland oder Trockensavannen die aus verschiedenen Grunden nicht ackerbaulich genutzt werden konnen einerseits bereits deutlich mehr Tiere auf den Flachen gehalten werden und andererseits sind nur relativ kurze Brachezeiten notwendig bis sich die Weiden wieder erholt haben Daher konnte sich in diesen Gebieten ein stationarer Pastoralismus entwickeln bei dem die Eigentumer einige Jahre lang sesshaft sind und das Vieh die meiste Zeit relativ nah am Wohnort gehalten werden kann Solche traditionellen und vorwiegend subsistenzorientierten Formen vorwiegend aus Afrika bekannt sind allerdings fast immer mit Feldbau verbunden und zahlen daher zum Agropastoralismus In der Regel werden nicht mehr als 10 der Produkte auf lokalen Markten angeboten 1 Der ausschliesslich marktorientierte stationare Pastoralismus hat sich in den Trockenraumen ehemaliger Kolonialgebiete entwickelt wie im Westen der USA in Australien oder Neuseeland Im Zentrum des Weidelands stehen dabei die sogenannten Ranches daher spricht man bei dieser Form von Ranching Uberdies werden in Australien die Begriffe Sheep stations oder Cattle stations benutzt Dieser Pastoralismus ist in marktwirtschaftliche Strukturen integriert d h das Weideland ist in Privatbesitz Dies kann u a die Bereitschaft zu Investitionen fur Bewasserung oder Melioration des Weidelands vergrossern Dabei gibt es auch gemeinschaftliche Massnahmen von Pastoralisten wie den Dingozaun in Sudaustralien Die entscheidenden Unterschiede zu den mobilen Formen der Viehhaltung sind das Weidemanagement grossraumige Einzaunungen und Beifutterung im Winter oder in Trockenzeiten Solche Massnahmen sind zwingend erforderlich wenn die modernen stationaren Formen auch in trockeneren Gebieten angewendet werden die unter 400 mm Jahresniederschlag aufweisen Siehe auch BearbeitenPastoral GatheringLiteratur BearbeitenRyan R J McAllister Nick Abel Chris J Stokes Iain J Gordon Australian pastoralists in time and space the evolution of a complex adaptive system In Ecology and Society Bd 11 Nr 2 2006 Artikel 41 Online Weblinks BearbeitenTierarzte ohne Grenzen e V KONFLIKTPOTENTIAL PASTORALISMUS PDF 89 kB Tierarzte ohne Grenzen e V Positionspapier zum Pastoralismus Hat der Pastoralismus eine Zukunft Standpunkt von Tierarzte ohne Grenzen e V zur pastoralen Tierhaltung in Ostafrika 2011 Einzelnachweise Bearbeiten a b c d Tobias Kuhr Traditionelle Ernahrungsweisen in Entwicklungslandern typische Ernahrungsmangel und Ansatze zur Verbesserung der Ernahrungssituation am Beispiel Afrikas Diplomarbeit zur Erlangung des Grades eines Diplom Ernahrungswissenschaftlers Friedrich Schiller Universitat Jena Jena 2007 S 10 13 Erle C Ellis Navin Ramankutty Putting people in the map anthropogenic biomes of the world In Frontiers in Ecology and the Environment Bd 6 2008 S 439 447 doi 10 1890 070062 Digitalisat PDF 3 92 MB Fleischatlas 2021 PDF 4 9 MB hrsg von Heinrich Boll Stiftung Bund fur Umwelt und Naturschutz Deutschland und Le Monde Diplomatique ISBN 978 3 86928 224 4 dort S 20 George Wuerthner Allan Savory Holistic Management in Grassland Management August Publications 8 Juli 2013 Abgerufen am 27 November 2015 Allan Savory Sam Bingham Jody Butterfield Holistic management handbook healthy land healthy profits Online Ausg Auflage Island Press Washington u a Island Press 2006 ISBN 978 1 55963 885 2 S 70 133 240 google com abgerufen am 27 November 2015 a b Allan Savory Jody Butterfield Holistic management a new framework for decision making 2 ed Island Press Washington u a Island Press 1999 ISBN 1 55963 488 X S 243 396 ff google com abgerufen am 27 November 2015 Jody Butterfield Sam Bingham Allan Savory Holistic Management Handbook Healthy Land Healthy Profits Revised edition Island Press Washington DC u a 2006 ISBN 1 55963 885 0 Fred Scholz Nomadismus ist tot In Geographische Rundschau Heft 5 1999 S 248 255 a b Jurgen Schultz Die Okozonen der Erde UTB 1514 4 vollig neu bearbeitete Auflage Ulmer Stuttgart 2008 ISBN 978 3 8001 2894 5 S 280 281 a b c Christian Lauk Sozial Okologische Charakteristika von Agrarsystemen Ein globaler Uberblick und Vergleich In Social Ecology Working Paper 78 Institute of Social Ecology Wien 2005 ISSN 1726 3816 S 41 Rolf Kjellstrom Samernas liv 2 utokade upplagan Carlsson Bokforlag Stockholm 2003 ISBN 91 7203 562 5 Elena Mis kova Bievanie als Lebenshaltung Transformationsprobleme im Sibirien des 20 Jahrhunderts In Stefan Bauer Stefan Donecker Aline Ehrenfried Markus Hirnsperger Hrsg Bruchlinien im Eis Ethnologie des zirkumpolaren Nordens Beitrage zum zirkumpolaren Norden Bd 1 Lit Verlag Wien 2005 ISBN 3 8258 8270 5 S 87 102 hier S 92 100 Stephan Dudeck Der Tag des Rentierzuchters Reprasentation indigener Lebensstile zwischen Taigawohnplatz und Erdolstadt in Westsibirien Kulturstiftung Sibirien Furstenberg Havel 2013 ISBN 978 3 942883 17 7 Zugleich Leipzig Universitat Dissertation 2011 Digitalisat PDF 3 44 MB Abgerufen am 25 Mai 2015 Russische Indigene durch Ausbeutung von Rohstoffvorkommen bedroht Gesellschaft fur bedrohte Volker 26 Juli 2010 abgerufen am 9 August 2021 Burkhard Hofmeister Wesen und Erscheinungsformen der Transhumance Zur Diskussion um einen agrargeographischen Begriff In Erdkunde Archive for scientific geography Bd 15 Nr 2 1961 S 121 135 doi 10 3112 erdkunde 1961 02 04 Stiftung Europaisches Naturerbe Transhumanz Naturreichtum durch Tradition In Euronatur Nr 2 2007 S 12 13 Wolfgang Taubmann Islands Landwirtschaft Grundzuge und neuere Wandlungen In Erdkunde Archive for scientific geography Bd 23 Nr 1 1969 S 30 47 hier S 39 doi 10 3112 erdkunde 1969 01 04 Normdaten Sachbegriff GND 4135837 5 lobid OGND AKS Anmerkung Ansetzungsform GND Weidewirtschaft Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Pastoralismus amp oldid 231040569