www.wikidata.de-de.nina.az
Transhumanz oder Wanderweidewirtschaft ist nach der deutschen und romanischen Literatur eine vorwiegend fur den Markt produzierende Form extensiver Fernweidewirtschaft unter der Obhut von halbsesshaften oder halbnomadischen Hirten mit einem klimabedingten saisonalen Wechsel der in verschiedenen Klimazonen oder Hohenstufen liegenden Weidegebiete weil diese jeweils nur wahrend einer Jahreszeit ausreichend Futter bieten In der kalten oder trockenen Jahreszeit weidet das Vieh zumeist nah am dauerhaften Wohnort der sesshaften Eigentumer wahrend es die ubrige Zeit auf entfernten Weiden in einer anderen Klimazone verbringt Vor allem wird der Begriff fur Wanderungen zwischen verschiedenen Hohenstufen der Gebirge verwendet Die Eigentumer selbst betreiben Ackerbau oder gehen anderen Berufen nach 1 2 3 4 Schaftrieb im Rahmen der Wanderweidewirtschaft im Hohen Atlas MarokkosWanderweidewirtschaft findet in jeder Periode grundsatzlich auf naturlich entstandenem zumeist nicht eingehegtem Weideland statt und ist eine Form der Landnutzung die Pastoralismus genannt wird Naturweidewirtschaft 5 Eine Stallhaltung im Winter wie bei der Almwirtschaft kommt bei den klassischen Formen nur selten vor und geschieht nicht aus klimabedingter Notwendigkeit 2 6 Da die Wanderweidewirtschaft auf historische Kulturen von Hirtenvolkern zuruckgeht und zum Teil auch zur Selbstversorgung Subsistenzwirtschaft praktiziert wird gehort sie zu den traditionellen Wirtschaftsformen Wenn die eigene Bedarfsproduktion im Vordergrund steht spricht man auch von transhumantem Agropastoralismus 7 Ethnologisch volkerkundlich betrachtet vereinen sich unter dem Begriff alle Ubergangsformen zwischen vollnomadischen beziehungsweise mobilen und sesshaften beziehungsweise stationaren Nutztierhaltern 6 Wanderweidewirtschaft ist nicht mit Nomadismus zu verwechseln auch wenn sie heute eine haufige Form der mobilen Tierhaltung ehemaliger Nomadenvolker ist Inhaltsverzeichnis 1 Weitere Kennzeichen 2 Etymologie 3 Untergliederung und Verbreitung der Transhumanz 3 1 Klassische Transhumanz 3 1 1 Yaylak Pastoralismus 3 1 2 Weitere Formen 3 2 Gegenwartige Formen 3 3 Falsche Zuordnungen 4 Siehe auch 5 Film 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseWeitere Kennzeichen Bearbeiten nbsp Otztaler Schaftrieb auf dem HochjochSofern die Eigentumer Ackerbau betreiben wird dieser in aller Regel weitgehend unabhangig von der Viehwirtschaft betrieben eine tiefgrundige Wechselwirkung besteht nicht Unter Umstanden weiden die Tiere auf den abgeernteten Feldern auf denen jedoch kaum oder gar kein Tierfutter angebaut wird Die Wanderungen bei denen sehr grosse Distanzen von einigen hundert Kilometern uberwunden werden fuhren in der Regel aufgrund von sommerlicher Trockenheit in den Niederungen in hohere Lagen und von dort zuruck wenn Schneefall die Beweidung unmoglich macht 8 Es gibt jedoch auch umgekehrte Formen Etymologie BearbeitenDas Wort Transhumanz bedeutet auf die Gebirgsweide fuhren und geht auf franzosisch transhumer bzw transhumar wandern bzw speziell wandern von Herden zuruck 8 Eine andere Deutung bezieht sich auf lateinisch trans und humus Erde und wird mit jenseits der bebauten Erde ubersetzt 3 Untergliederung und Verbreitung der Transhumanz BearbeitenKlassische Transhumanz Bearbeiten nbsp Ursprungliche Verbreitung der Transhumanz im Mittelmeergebiet anhand der ungefahren Verlaufe der Triftwege vereinfacht nach J Schultz Gemassigte Steppen Ozeanische Walder Kontinentale Walder Gemassigte Gebirge Subtropische Feuchtwalder Subtropische Trockenwalder Subtropische Steppen Subtropische Gebirge Heisse Wusten Triftwege nbsp Hinweisschild zum Transhumanz Themenweg Val Bavona im TessinDie transhumante Hutehaltung ursprunglich mit Ziegen und Schafen ist an Raume gebunden die eine Wanderung zwischen zwei klimatisch unterschiedlichen und nur saisonal nutzbaren steppenhaften Gras oder Strauchgebieten ermoglichen In aller Regel befindet sich eine Weide in der Ebene und eine im Gebirge Die klassische Transhumanz ist eine sinnvolle Art der Viehhaltung in der globalen Zone zwischen 50 nordlicher und sudlicher Breite sofern Gebirge und benachbarte trockene Ebenen vorhanden sind 1 Besonders haufig treten diese Bedingungen in den winterfeuchten und sommertrockenen Mittelmeerklimaten und den angrenzenden subtropischen Trockengebieten auf wo uber 300 bis maximal 400 mm Jahresniederschlage fallen 9 Das Hauptverbreitungsgebiet erstreckte sich bis weit ins 20 Jahrhundert uber die Gebirgslander des Mittelmeerraumes Atlas Gebirge in Nordwest Afrika Mittel u Sudspanien Sudfrankreich Sudschweiz Maggia und Verzascatal Italien Balkan Karpatenraum Turkei Kaukasien und Armenien Bei der klassischen Form wurden von den Eigentumern der Herde angestellte Hirten mit dem Viehtrieb und der Beaufsichtigung der Tiere betraut Die Eigentumer betrieben fruher zusatzlich Ackerbau und gehen heute z T anderen Berufen nach Die nomadisierenden Hirten bleiben wahrend der Sommersaison dauerhaft in der Nahe der Tiere Bisweilen wird diese Form auch als Lohnhirtentum bezeichnet 8 Diese ursprungliche Transhumanz wird heute sudlich der Alpen bis Nordafrika sowie im Nahen Osten nur noch selten betrieben da die klimatischen Bedingungen in den Ebenen bereits ertragreichere landwirtschaftliche Nutzungen zulassen In marginalen Raumen wird sie jedoch zum Teil als nachhaltige und umweltfreundliche Wirtschaftsform finanziell gefordert 10 Relativ haufig ist sie noch bei den Berberstammen des Atlasgebirges in Nordafrika 3 Im Zuge der europaischen Kolonisierung hat sie sich auch in anderen Erdteilen etabliert so etwa im Wilden Westen der USA in Sud und Ostafrika in Nord Kolumbien und im brasilianischen Bergland oder in Tasmanien 11 In einigen aussereuropaischen Landern werden zum Teil transhumante Wanderungen mit Rindern durchgefuhrt Ebenfalls finden sich dort verschiedene Ubergangsformen zur stationaren Viehhaltung Yaylak Pastoralismus Bearbeiten nbsp Sommerlager von Yaylak Pastoralisten in KirgisienZur klassischen Form wird haufig auch noch der sogenannte Yailak oder Dzhailoo Pastoralismus russisch kirgisisch Dzhajloo gerechnet der von der Turkei bis Mittelasien zu finden ist Hier wird das Vieh statt von Hirten von einem Teil der lokalen Gemeinschaft selbst auf die Bergweide Yayla getrieben die dort wahrenddessen nomadisch in Zelten leben Im Winter wird das Vieh in den Dorfern meist eingestallt 12 Der Yailak Pastoralismus ersetzt heute vielfach den Vollnomadismus so dass er auch zur mobilen Tierhaltung gezahlt wird s u Weitere Formen Bearbeiten In den geografischen Wissenschaften werden weitere Untergliederungen und Kennzeichnungen wie folgt vorgenommen Normale oder aufsteigende Transhumanz Ackerbau und Winterweide in der Ebene Sommerweide im Gebirge Weit verbreitet im Mittelmeerraum Invertierte oder absteigende Transhumanz Ackerbau und Sommerweide im Gebirge Winterweide in der Ebene Seltene Form z B in Nordwest Italien Hibernale oder tropikale Transhumanz Ackerbau im Gebirge oder der Ebene Sommerweide in der Ebene Winterweide im Gebirge Vor allem in aquatornahen Gebieten Sudamerikas oder Ostafrikas Kleine Transhumanz Ackerbau im Gebirge Sommer und Winterweide an klimatisch wechselnden Standorten im Gebirge Selten in den franzosischen Alpen und Pyrenaen Komplexe Transhumanz Mehr als zweimaliger Weidewechsel zumeist noch Fruhjahrs und Herbstweiden evtl Beifutterung und zeitweise Stallhaltung Sitz der Eigentumer bei einer der Ubergangsweiden Bekannt aus Spanien vor allem jedoch aus den westlichen USA als Erganzung zum Ranching Zentral Utah Sud Idaho 13 14 Gegenwartige Formen Bearbeiten nbsp Sichtbare Uberweidungsschaden mit Erosionsgefahr in SudindienBereits in den 1960er Jahren nahm die sogenannte gemischte Transhumanz uberall zu die durch winterliche Einstallung und Beifutterung aus Mangel an Weideland gekennzeichnet ist 13 Der Mangel entstand und entsteht durch die Ausweitung der modernen Landwirtschaft in den Ebenen so dass der Platz fur Weiden zuruckgeht Dennoch wird diese Form weiterhin der klassischen Wanderweidewirtschaft zugerechnet Weitaus haufiger als die traditionellen Formen ist heute jedoch eine auf saisonale Wanderungen reduzierte Hutehaltung der ehemals hirtennomadischen Volker vor allem in der West und Sud Sahara in Ostafrika Sudarabien und Zentralasien 15 Die Hutehaltung wird hier zumeist halbnomadisch betrieben und gleicht dem schon beschriebenen Yaylak Pastoralismus Allerdings wird damit ein Modell angewendet das nicht an Regionen mit Jahresniederschlagen von maximal 300 mm angepasst ist Diese Entwicklung hat uberall eine deutliche Bodendegradation und die Gefahr der Desertifikation Wustenbildung zur Folge Vor diesem Hintergrund sprechen einige Autoren lieber von mobiler Tierhaltung statt von Transhumanz 16 17 In den Alpen wird seit 2011 der Schaftrieb uber den Otztaler Alpenhauptkamm als Transhumanz gefordert Diese Form wurde 2011 als immaterielles Kulturerbe der UNESCO anerkannt und 2019 auf Antrag von Osterreich Italien und Griechenland in die Reprasentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen Falsche Zuordnungen Bearbeiten Obwohl die Almwirtschaft der Alpen wie auch die Seterwirtschaft norwegisch seter saeter schwedisch sater fabod im skandinavischen Gebirge viele Parallelen aufweisen und in der englischen Literatur dort einsortiert werden sind sie keine Transhumanz Im Gegensatz zur Wanderweidewirtschaft nutzen die Bauern die Bergweiden zusatzlich und nicht notgedrungen Eine Stallhaltung im Winter ist hingegen zwingend erforderlich und es findet ein regelmassiger Austausch zwischen Berg und Tal statt 6 Auch die islandische Hochweidewirtschaft ist trotz echter saisonaler Beweidung keine Transhumanz da die Tiere den Sommer ganz ohne Aufsicht verbringen 18 In Frankreich wird die Wanderung mit Bienenvolkern in besondere Trachtgebiete z B Edelkastanie oder Raps transhumance genannt weil eine neue Bienenweide angewandert wird Siehe auch BearbeitenVercors fur heutige Transhumanz typische Region in den franzosischen Alpen Triftwege in Spanien Viehwege fur transhumante Wirtschaft Agadir Speicherburg Film BearbeitenHirtenreise ins dritte Jahrtausend von Erich LangjahrLiteratur BearbeitenArnold Beuermann Fernweidewirtschaft in Sudosteuropa Ein Beitrag zur Kulturgeographie des ostlichen Mittelmeergebietes Westermann Munchen 1967 Thede Kahl Auswirkungen von neuen Grenzen auf die Fernweidewirtschaft In C Lienau Hrsg Grenzen und Grenzraume in Sudosteuropa Sudosteuropa Jahrbuch 32 Munchen S 245 272 Thede Kahl Hirten in Kontakt Sprach und Kulturwandel ehemaliger Wanderhirten in Epirus und Sudalbanien Balkanologie 3 LIT Munster Wien New York ISBN 978 3 8258 0944 7 Burkhard Hofmeister Die Transhumance in den westlichen Vereinigten Staaten von Amerika Reuter Gesellschaft Berlin 1958 Doktorarbeit an der FU Berlin Bernhard Hansel Die Steppe und der sudosteuropaische Subkontinent Nomadeneinfalle und Transhumanz In Civilisation Greque et Cultures Antiques Peripheriques Hommage a P Alexandrescu Bukarest 2000 S 31 43 Hans Haid Wege der Schafe Die jahrtausendalte Hirtenkultur zwischen Sudtirol und dem Otztal Tyrolia Innsbruck Wien und Verlagsanstalt Athesia Bozen 2008 ISBN 978 3 7022 2901 6 ISBN 978 88 8266 504 3 Tilman Welte Pastoralismus Okologie und Gesellschaft Handlungszwange und Handlungsstrategien transhumanter Rinderhalter in der Feuchtsavanne der VR Benin Sozialanthropologische Arbeitspapiere Band 24 Das Arabische Buch Berlin 1989 ISBN 3 923446 62 4 Dorothea Zobl Die Transhumanz Wanderschafhaltung der europaischen Mittelmeerlander im Mittelalter in historischer geographischer und volkskundlicher Sicht Berliner Geographische Studien Band 10 Berlin 1982 ISBN 3 7983 0809 8 Dorothea Zobl Die Transhumanz Zur Prozesshaftigkeit einer agrarischen Wirtschaftsform Historical Social Research Historische Sozialforschung Nr 36 Oktober 1985 Koln S 99 103 ISSN 0172 6404 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Transhumanz Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien nbsp Wiktionary Transhumanz Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Geschichte der Schaferei in Sudwestdeutschland Transhumanz in Spanien Extremadura Transhumanz uber den Alpenhauptkamm von Sudtirol nach Osterreich Einzelnachweise Bearbeiten a b Burkhard Hofmeister Wesen und Erscheinungsformen der Transhumance In Erdkunde Archive for Scientific Geography Nr 15 2 1961 S 131 a b Hermann Kreutzmann Hunza landliche Entwicklung im Karakorum In Abhandlungen Anthropogeographie Band 44 Berlin S 127 128 a b c Tobias Kuhr Traditionelle Ernahrungsweisen in Entwicklungslandern Typische Ernahrungsmangel und Ansatze zur Verbesserung der Ernahrungssituation am Beispiel Afrikas Diplomarbeit Universitat Jena Jena 2007 S 13 14 Sandra Calkins Stichwort Transhumanz in Annegret Nippa u Museum fur Volkerkunde Hamburg Hrsg Kleines abc des Nomadismus Publikation zur Ausstellung Brisante Begegnungen Nomaden in einer sesshaften Welt Hamburg 2011 S 216 FAO Pastoralism in the New Millennium In Animal Production and Health Paper Nr 150 2001 a b c Burkhard Hofmeister Wesen und Erscheinungsformen der Transhumance In Erdkunde Archive for Scientific Geography Nr 15 2 1961 S 122 Ulf Brunnbauer Gebirgsgesellschaften auf dem Balkan Wirtschaft und Familienstrukturen im Rhodopengebirge 19 20 Jahrhundert Bohlau Wien 2004 S 198 a b c Corina Knipper Die raumliche Organisation der linearbandkeramischen Rinderhaltung naturwissenschaftliche und archaologische Untersuchungen Geowissenschaftliche Fakultat der Eberhard Karls Universitat Tubingen 2009 S 103 Jurgen Schultz Die Okozonen der Erde Ulmer Stuttgart 2008 ISBN 978 3 8252 1514 9 S 281 Stiftung Europaisches Naturerbe Transhumanz Naturreichtum durch Tradition In Euronatur Nr 2 2007 S 12 13 Burkhard Hofmeister Wesen und Erscheinungsformen der Transhumance In Erdkunde Archive for Scientific Geography Nr 15 2 1961 S 134 Mirjam Blank Ruckkehr zur subsistenzorientierten Viehhaltung als Existenzsicherungsstrategie Hochweidewirtschaft in Sudkirgistan In Occasional Papers Geographie Zentrum fur Entwicklungslanderforschung ZELF am Institut fur Geographische Wissenschaften Freie Universitat Berlin Heft 34 2007 S 12 a b Burkhard Hofmeister Wesen und Erscheinungsformen der Transhumance In Erdkunde Archive for Scientific Geography Nr 15 2 1961 S 123 Wolfgang Utschig Uber die geographische Betrachtung der Fernweidewirtschaft in mediterranen Regionen besonders in Sudosteuropa vor allem anhand von Beispielen mit spezifischen Exkursen PDF 421 kB Lancelot Serien 2 auf Word 2003 umgearbeitete inhaltlich wenig veranderte Auflage 2009 der ersten von 2005 Atlas 93 152 Nittendorf Undorf bei Regensburg 2009 S 45 46 abgerufen am 24 April 2014 Werner Doppler Landwirtschaftliche Betriebssysteme in den Tropen und Subtropen Ulmer Verlag Stuttgart 1991 S 25 Tierhaltung und okologische Landwirtschaft eine komplizierte Beziehung PDF S 89 abgerufen am 26 April 2014 Ilse Kohler Rollefson Hirtenvolker Bewahrer der Vielfalt In Okologie amp Landbau 156 4 2010 S 16 18 Wolfgang Taubmann Islands Landwirtschaft In Erdkunde archive for scientific geography Band XXIII 1969 S 39 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Transhumanz amp oldid 237261783