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Die Kurhessische Verfassung von 1831 gilt als eine der aussergewohnlichsten weil relativ liberalen Verfassungen des deutschen Konstitutionalismus Bereits von den Zeitgenossen erfuhr sie grosse Anerkennung Karl Marx lobte sie 1859 als das liberalste Grundgesetz das je in Europa verkundet wurde 1 Das Standehaus in Kassel 1832 36 von Julius Eugen Ruhl Inhaltsverzeichnis 1 Entstehungsgeschichte 1 1 Altstandische Verfassung 1 2 Verfassungsbewegung der Revolution von 1831 1 3 Verhandlung uber die Verfassung 2 Inhalt 2 1 Regierung 2 2 Wahlrecht 2 3 Landstande 2 4 Grundrechte 3 Bewertung 4 Praxis 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseEntstehungsgeschichte BearbeitenAltstandische Verfassung Bearbeiten Nachdem in den Jahren 1815 16 die Verhandlungen zwischen Kurfurst Wilhelm I und den althessischen Landstanden uber eine moderne Verfassung gescheitert waren verzichtete der Kurfurst entgegen den Vorgaben des Artikel XIII 2 der Deutschen Bundesakte aus dem Jahr 1815 auf eine Verfassung und regierte formal nach der altstandischen Verfassung weiter faktisch allerdings absolutistisch ohne die Landstande da er sie nicht einberief Auch der Thronwechsel 1821 zu Kurfurst Wilhelm II brachte trotz einiger Reformansatze in der Anfangszeit seiner Regierung keine Anderung dieser Politik Verfassungsbewegung der Revolution von 1831 Bearbeiten nbsp Brugerdeputation am 15 September 1830 Verfassungsbild von Ludwig Emil GrimmErst die franzosische Julirevolution von 1830 ausgelost durch die aufgestauten politischen wirtschaftlichen und sozialen Probleme erzeugte den notigen Druck damit auch dem Kurfurstentum Hessen eine kodifizierte moderne Verfassung erhielt Am Anfang standen am 6 September Unruhen in Kassel die sich auf andere kurhessische Stadte und landliche Regionen ausweiteten Kurfurst Wilhelm II empfing unter dem massiven Druck der Strasse am 15 September eine Burgerdeputation unter dem Kasseler Burgermeister Karl Schomburg und sicherte ihr die Einberufung der Landstande und die Ausarbeitung einer Verfassung zu Die Einberufung erfolgte am 19 September 1830 3 Die Landstande waren in ihrer Zusammensetzung dabei noch die der uberkommen der altstandischen Verfassung Alt Hessens was auch bedeutete dass ein Teil der Deputierten durch den Kurfursten berufen wurde Am 21 September 1830 traf eine Delegation aus Hanau ein die forderte dass auch die Landesteile in den Landstanden reprasentiert sein sollten die bisher dort nicht vertreten waren so auch die Grafschaft Hanau die erst 1736 an die damalige Landgrafschaft Hessen gelangt war Die Zusage dass auch die Landesteile in den Landstanden vertreten sein sollten die bisher dort nicht reprasentiert waren gab der Kurfurst Die Zolle die Hanau besonders belasteten und die aufzuheben die Delegation ebenfalls gefordert hatte aber hob er nicht auf Als die Delegation am 24 September mit diesem Ergebnis nach Hanau zuruckkehrte brach auch hier die Revolution aus Dabei wurden zwei Zollamter Hanau und Mainkur und das Geschaft eines Verkaufers von Stempelpapieren zerstort Verhandlung uber die Verfassung Bearbeiten Der Landtag trat am 16 Oktober zusammen Fur die Verhandlungen uber die Verfassung ernannte der Kurfurst zwei Landtagskommissare Otto von Porbeck und Karl Michael Eggena als Verbindungsbeamte zwischen Regierung und Landstanden Anfang Oktober 1830 legten sie den Landstanden einen ersten Entwurf vor die so genannte Landesherrliche Proposition Diese lehnte sich stark an den Entwurf von 1816 an Zu der seitens der Regierung erhofften schnellen Annahme der Proposition kam es aber nicht Vielmehr wollten die Landstande daruber beraten Bei den Diskussionen hatte die kurfurstliche Partei innerhalb der Stande keine Fursprecher wurde dort aber durch die zwei Landtagskommissare vertreten Der Adel vier Standesherren und die Ritterschaft entsandten zwar insgesamt sieben Vertreter in den Landtag konnten ihre Standes Interessen aber nur sehr begrenzt in der Verfassung verankern da ihre Privilegien von allen anderen Beteiligten abgelehnt wurden Nicht einmal die sonst zu dieser Zeit ubliche im Wesentlichen fur den Adel reservierte zweite Kammer konnten sie durchsetzen Die Vertreter der Bauern waren aufgrund des Wahlrechtes vor allem Grossbauern und nicht adelige Gutsbesitzer Deren Interessen stimmten weitgehend mit denen des Burgertums uberein So konnte das Burgertum den Inhalt der Verfassung wesentlichen bestimmen Dessen Vertreter waren zu einem erheblichen Teil Juristen 4 Sylvester Jordan Staatsrechtslehrer an der Universitat Marburg wurde Vorsitzender des Verfassungsausschusses der Landstande und bestimmte mit seiner liberalen Einstellung ganz wesentlich den Inhalt der Verfassung Ergebnis des Ausschusses waren die Gutachtlichen Bemerkungen uber die von den Landstanden nun diskutiert wurde Hier allerdings waren die Landtagskommissare wieder beteiligt Beide Seiten drangten auf einen Verhandlungsabschluss der Kurfurst weil er glaubte dann seine Matresse die Grafin Emilie von Reichenbach wieder nach Kassel holen zu konnen das burgerliche Lager weil die unteren gesellschaftlichen Schichten weiterhin Unruhen auslosten und beide Seiten weil sie eine Bundesexekution furchteten So kam ein Kompromiss zustande Im Dezember beriet das Gesamtstaatsministerium uber den vom Landtag eingereichten Entwurf der Anfang Januar vom Geheimen Kabinettsrat Carl Rivalier von Meysenbug redaktionell bearbeitet wurde Am 5 Januar 1831 unterzeichnete der Kurfurst die Verfassungsurkunde die am 8 Januar 1831 feierlich verkundet wurde Der Bundestag des Deutschen Bundes sah sich nicht in der Lage einen Beschluss zu der kurhessischen Verfassung herbeizufuhren Furst Metternich und der badische Gesandte Blittersdorf waren strikt dagegen Preussen befurwortete die Verfassung aus Opposition gegen Osterreich und die deutschen Mittelstaaten waren mehrheitlich dafur um ihre eigenen Verfassungen vor Eingriffen des Deutschen Bundes zu schutzen Ohne ein Veto des Deutschen Bundes galt eine entsprechende Landesverfassung 5 Inhalt BearbeitenDie Verfassung umfasste 160 Paragraphen Regierung Bearbeiten Formal hielt die Verfassung am monarchischen Prinzip fest wenn auch uberdurchschnittlich umfangreich Beteiligungsrechte der Landstande verankert wurden Die Exekutive insbesondere in Heer Diplomatie und Verwaltung blieben weitgehend in der Hand des Fursten Wahlrecht Bearbeiten Das Wahlrecht wurde als Zensuswahlrecht uber ein Wahlgesetz festgeschrieben das gemass 72 der Verfassung einen Teil von ihr darstellte Damit sicherte sich das Burgertum gegen die unteren sozialen Schichten ab Landstande Bearbeiten Landstandisch parlamentarische Mitwirkung war bei der Verabschiedung des Etats insbesondere bei der Bewilligung von Steuern erforderlich Das bewegte sich im Rahmen des damals Ublichen Daruber hinaus ging allerdings das Recht der Landstande auf Gesetzesinitiative Zwischen den Sitzungsperioden bestand ein Standiger Ausschuss des Landtages der aber zu wenig Rechte hatte um die Landstande in dieser Zeit wirklich zu ersetzen Der Kurfurst alleine besass das Recht die Landstande einzuberufen und aufzulosen Er war allerdings verpflichtet nach einer Auflosung der Landstande neu wahlen zu lassen und die Landstande dann einzuberufen Grundrechte Bearbeiten Zahlreiche Grundrechte waren in der Verfassung festgeschrieben Gleichheit vor dem Gesetz 26 Religionsfreiheit 29 30 Freiheit der Person und Eigentumsgarantie 31 32 Berufsfreiheit 36 Briefgeheimnis 38 Petitionsrecht 99 Rechtsweggarantie und das Verbot von Ausnahmegerichten 112ff Die Meinungsfreiheit und Pressefreiheit 37 39 wurden zwar garantiert standen aber unter Gesetzesvorbehalt und wurden bis 1848 nicht in die Praxis umgesetzt Bewertung BearbeitenUnter den Verfassungen der damaligen Zeit war sie eine der fortschrittlichsten weil sie in einigen Punkten uber die bis dahin in anderen Staaten den Landstanden gewahrten Rechte hinausging Die Kurhessische Standeversammlung war ein Einkammerlandtag Sie besass das Recht zu Gesetzesinitiative und hatte die Pflicht zur Ministeranklage wenn ein Regierungsmitglied gegen Bestimmungen der Verfassung verstiess Die Eidesleistungen des Landesherrn der Beamten Offiziere 46 60 und Abgeordneten erfolgte auf die Verfassung Insbesondere im Hinblick auf die Offiziere war das sensationell und sollte 1850 dem Landesherrn noch erhebliche Probleme bereiten Im Gegensatz zur spatantiken Verfassung des Corpus iuris civilis und des preussischen ALR sah die kurhessische Verfassung festgeschriebene Prajudizien vor Dem Richter wurde somit nicht diktiert er habe allein das bestehende Gesetz anzuwenden und hochst beschrankte Auslegungsspielraume Deshalb wurden bedeutsame Entscheidungen des OAG Cassel verbindlich in die Verfassung geschrieben das verfolgte Anliegen war die Erzielung von Rechtssicherheit und die Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes 6 Damit war die Kurhessische Verfassung von 1831 zu ihrem Entstehungszeitpunkt wohl die liberalste in Deutschland Ubertroffen wurde sie nur durch die nahezu zeitgleich entstandene Verfassung des Konigreichs Belgien von 1831 die allerdings aufgrund der kurz zuvor erfolgten Sezession Belgiens vom Konigreich der Niederlande ohne jede obrigkeitliche Einwirkung zustande kommen konnte Praxis BearbeitenIn der Praxis funktionierte das in der Kurhessischen Verfassung von 1831 Niedergelegte nur begrenzt Die Verfassung traf in Friedrich Wilhelm Prinzregent von 1831 bis 1847 dann Kurfurst auf einen extrem ruckwarts gewandten uneinsichtigen und politisch unfahigen Landesherren Dieser versuchte sofort alles um die Verfassung auszuhebeln Das spiegelt sich in einer entsprechenden Personalpolitik wie etwa der Berufung des ultra konservativen Ludwig Hassenpflug zum leitenden Minister der die anti konstitutionelle Politik anleitete wider Er uberstand vier Ministeranklagen des Landtags Dies belegte im Nachhinein die Unbrauchbarkeit der Ministeranklage als Instrument die Regierung zu kontrollieren Der Landtag wurde nun durch den Kurfursten immer aufgelost wenn Beschlusse drohten die unangenehm waren Auch wurde die Zusammensetzung des Landtages bei Neuwahlen manipuliert Kurfurst Friedrich Wilhelm schreckte auch nicht vor Rechtsbruch zuruck was zum Kurhessischen Verfassungskonflikt 1850 fuhrte und dem anschliessenden Einsatz auslandischen Militars der sogenannten Strafbayern 1852 wurde die Verfassung seitens des Kurfursten einseitig geandert Nach folgenden langen Auseinandersetzungen wurde die Verfassung von 1831 im Jahr 1860 teilweise und 1862 vollstandig wiederhergestellt Die sich hier widerspiegelnden Konflikte zwischen Kurfurst und Burgertum fuhrten dazu dass das Konigreich Preussen nach dem Krieg von 1866 das Kurfurstentum problemlos annektieren konnte weil das Burgertum froh war den ungeliebten Landesherrn loszuwerden und in eine wirtschaftlich viel leistungsfahigere grossere Einheit integriert zu sein Literatur BearbeitenAkten und Briefe aus den Anfangen der kurhessischen Verfassungszeit 1830 1837 hrsg v Hellmut Seier Elwert Marburg 1992 Veroffentlichungen der Historischen Kommission fur Hessen 48 4 Vorgeschichte und Geschichte des Parlamentarismus in Hessen 8 Reinhard Dietrich und Wolfgang Birkenstock Die kurhessische Verfassung von 1831 In Hanauer Geschichtsblatter 29 1985 S 431 462 Horst Dippel Die kurhessische Verfassung von 1831 im internationalen Vergleich In Historische Zeitschrift 282 2006 S 619 644 Ewald Grothe Verfassungsgebung und Verfassungskonflikt Das Kurfurstentum Hessen in der ersten Ara Hassenpflug 1830 1837 Duncker amp Humblot Berlin 1996 ISBN 3 428 08509 4 Schriften zur Verfassungsgeschichte 48 Ewald Grothe Monarchisches oder parlamentarisches Prinzip Die Entstehung der kurhessischen Verfassung des Jahres 1831 In Roland Gehrke Hrsg Aufbruche in die Moderne Fruhparlamentarismus zwischen altstandischer Ordnung und monarchischem Konstitutionalismus 1750 1850 Schlesien Deutschland Mitteleuropa Bohlau Koln Weimar Wien 2005 Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 12 S 103 118 Philipp Losch Die Geschichte des Kurfurstentums Hessen Elwert Marburg 1922 Roger Mann Die Garantie der Pressefreiheit unter der Kurhessischen Verfassung von 1831 P Lang Frankfurt am Main 1993 ISBN 3 631 46458 4 Friedrich Murhard Grundlage des jetzigen Staatsrechts des Kurfurstenthums Hessen Dargestellt nach Massgabe der einzelnen Paragraphen der Verfassungs Urkunde vom 5 Januar 1831 Bohne Kassel 1835 Hellmut Seier Zur Entstehung und Bedeutung der kurhessischen Verfassung von 1831 In Walter Heinemeyer Hrsg Der Verfassungsstaat als Burge des Rechtsfriedens Reden im hessischen Landtag zur 150 Jahr Feier der kurhessischen Verfassung Historische Kommission fur Hessen Marburg 1982 S 5 71 Christian Starck Die kurhessische Verfassung von 1831 im Rahmen des deutschen Konstitutionalismus kassel university press Kassel 2007 ISBN 978 3 89958 255 0 Weblinks BearbeitenVerfassungsurkunde fur das Kurfurstentum Hessen 5 Januar 1831Einzelnachweise Bearbeiten Karl Marx Unruhe in Deutschland In Ders Friedrich Engels Werke Bd 13 Berlin 1961 S 535 539 hier S 536 Er fugte hinzu Es gibt keine andere Verfassung die die Befugnisse der Exekutive in so engen Grenzen halt die Verwaltung so abhangig macht von der Legislative und der Justiz eine so weitgehende Kontrolle anvertraut Der in Paris verfasste Artikel erschien zuerst am 2 Dezember 1859 in der New York Daily Tribune In allen Bundesstaaten wird eine landstandische Verfassung stattfinden Philipp Losch Die Geschichte des Kurfurstentums Hessen Marburg 1922 S 151 f Reinhard Dietrich und Wolfgang Birkenstock Die kurhessische Verfassung von 1831 In Hanauer Geschichtsblatter 29 1985 S 431 462 hier S 442 Reinhard Dietrich und Wolfgang Birkenstock Die kurhessische Verfassung von 1831 In Hanauer Geschichtsblatter 29 1985 S 431 462 hier S 450 Mehrdad Payandeh Judikative Rechtserzeugung Theorie Dogmatik und Methodik der Wirkungen von Prajudizien Mohr Siebeck Tubingen 2017 ISBN 978 3 16 155034 8 S 78 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kurhessische Verfassung von 1831 amp oldid 230626232