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Dieser Artikel behandelt die historische Gesellschaftsschicht Zum Kleidungsstuck siehe Handwerkerehre Die Ehrbarkeit Ehrbarkeit bezeichnet eine Gesellschaftsschicht die sich im ausgehenden Mittelalter und der fruhen Neuzeit herausbildete Sie stellte die stadtische Oberschicht dar die sich durch berufsstandische Patrizier Grosskaufleute und Gelehrte besitzstandische Reichtum und geburtsstandische Adel Kriterien von den anderen sozialen Schichten abhob 1 Zu unterscheiden ist zwischen einer Ehrbarkeit der Familien und einer individuellen Ehrbarkeit die durch Bildung wirtschaftliche oder andere Verdienste erworben wurde Auch Ausburger Pfahlburger Ministeriale und selbst freie Bauern konnten ursprunglich zur Ehrbarkeit aufsteigen Faktoren fur die Erreichung der Ehrbarkeit waren der Grad des Reichtums die Stiftungsfreudigkeit gegenuber der Stadt Verdienste um die Stadt die Bekleidung bzw Berufung in ein Ehrenamt kaiserliche Wappenverleihung etc 2 Doch wahrend Sprosslinge aus Patrizier und Adelsgeschlechtern automatisch in die Ehrbarkeit hineingeboren wurden herrschte unter den Sohnen von Burgern welche die individuelle Ehrbarkeit erlangt hatten ein harter Konkurrenzkampf durch Bildung Beziehungen oder wirtschaftliche Leistung in diesen elitaren Kreis zu gelangen 3 Und auch unter den Ehrbaren gab es Hierarchien So waren nicht alle ehrbaren Burger ratsfahig 4 Wurttembergische Ehrbarkeit BearbeitenIn Wurttemberg bestand die Ehrbarkeit um 1500 aus rund 60 miteinander versippten Burgerfamilien von denen etwa die Halfte adelsgleich war Macht und Reichtum hatten sie erlangt durch Grundbesitz Weinbau und Weinhandel Sie genossen Privilegien wie Befreiung bzw Reduzierung von Steuern und Lasten Das Stadtgericht neben dem Rat eine der beiden Kammern des Magistrats in den altwurttembergischen Amtsstadten 5 bildete den Eingang zur Ehrbarkeit 6 Wer einen Sitz im amtsstadtischen Magistrat erlangen wollte musste einerseits uber das entsprechende familiare Geflecht verfugen sowie andererseits situiert genug sein 7 Die Amter als Verwaltungsbezirke wurden in der Regel aus einer Stadt der Amtsstadt und den umliegenden Ortschaften strukturiert Zwolf wohlhabende der Oberschicht zugehorige Manner bildeten das amtsstadtische Gericht Als sogenannte Gerichtsverwandte oder Richter ubten sie die Hochgerichtsbarkeit im gesamten Amt aus waren als Appellationsgericht fur die dem Amt eingegliederten Dorfgerichte zustandig und bildeten die Stadtregierung 6 Das anfanglich durch einen herzoglichen Vogt spater Amtmann nachfolgend Oberamtmann geleitete und beaufsichtigte Stadtgericht verfugte nach vorgegebenem Rahmen in Polizei sowie Verwaltungsangelegenheiten durchaus uber legislative Befugnisse 8 Die uberregionale Bedeutung der Ehrbarkeit in den Amtsstadten lag darin dass es in Altwurttemberg bis zur Mitte des 17 Jahrhunderts nahezu ein Privileg der Stadtmagistrate war die Landschaftsdeputierten der Amter zu kuren 9 Ehrbar als Titulierung verlor zu Anfang des 15 Jahrhunderts seine Wertigkeit und wurde seit dieser Zeit den Familien aber auch Sohne der Gerichts und Ratsverwandten als Pradikat beigelegt Unter der Ehrbarkeit wurde zu Anfang des 15 Jahrhunderts also die politische Fuhrungsschicht in den Stadten verstanden 10 Im ausgehenden 15 Jahrhundert verdrangte die Ehrbarkeit den Adel aus der Bezirksverwaltung bis auf das dem Adel vorbehaltene militarische Amt des Obervogts 11 Wurttemberg war um 1500 im Sog Habsburgs Dieter Mertens 12 Herzog Ulrich versuchte daraus auszubrechen Da der Schwabische Bund ein Instrument der habsburgischen Interessenvertretung war suchte Ulrich sich der Einbindung in dieses Militarbundnis zu entziehen Kaiser Maximilian I starkte 1514 durch den Tubinger Vertrag die Landstande gegen den Herzog Dieser kam zu der Uberzeugung dass er sich der Fuhrungsschicht der Ehrbarkeit entledigen musse um eine von Habsburg unabhangige Politik betreiben zu konnen 13 Mehrere prominente Personen der Ehrbarkeit liess er nach Hochverratsprozessen und unter Folter erpressten Gestandnissen hinrichten Als Ulrich 1519 die Reichsstadt Reutlingen eroberte und daraufhin vom Schwabischen Bund besiegt und vertrieben wurde kam Wurttemberg unter habsburgische Verwaltung Diese stutzte sich seit 1520 auf die durch Ulrich entmachtete Ehrbarkeit die Habsburg gegenuber loyal und zugleich in Politik und Verwaltung erfahren war Nach dem Bauernkrieg Schlacht bei Boblingen 12 Mai 1525 wurde der siegreiche Feldherr des Schwabischen Bundes Truchsess Georg von Waldburg neuer Statthalter Habsburgs in Wurttemberg Ihn und weniger den Erzherzog Ferdinand betrachtete die Ehrbarkeit als ihren Beschutzer gegen Herzog Ulrich und seine Anhanger im Lande 14 Die wurttembergische Ehrbarkeit besass eine besondere Qualitat da der Adel im Herzogtum Wurttemberg durch die Hinwendung zum Protestantismus von Herzog Ulrich anno 1534 praktisch verschwand da die ehemals landsassigen Adelsgeschlechter weitgehend katholisch geblieben waren sich dem Kaiser direkt unterstellt hatten und sich als Reichsritter nicht mehr dem wurttembergischen Herzog verpflichtet sahen An seine Stelle traten die in der wurttembergischen Landschaft Landtag vertretenen Angehorigen des Stadtburgertums und der protestantischen Geistlichkeit Die Ehrbarkeit stand in Divergenz zur absolutistischen Machtentfaltung der wurttembergischen Herzoge Sie soll sogar selbst einen zweiten Absolutismus geschaffen haben der neben dem des Landesherrn anstand 15 Von 1538 an bestand die Landschaft nur mehr aus evangelischen Mitgliedern Auf 70 bis 80 Landtagssitze belief sich die Grosse der Landschaft in Altwurttemberg vom 16 bis 18 Jahrhundert Mehr als 60 dieser Landtagsmandate befanden sich fest in stadtischer Hand 16 Nachdem sich die Mehrheit der katholischen Priester geweigert hatte zu konvertieren und das Land verlassen hatte war es nicht mehr moglich alle Pfarrstellen zu besetzen Daher wurde in Wurttemberg ein Bildungssystem ins Leben gerufen das auf den drei Stufen Lateinschule Klosterschule Evangelisches Stift Tubingen basierte und fur den Nachwuchs evangelisch lutherischer Geistlicher sorgte Das bestandene Landexamen das jeder wurttembergische Absolvent der Klosterschule ablegen durfte berechtigte nach erfolgreichem Abschluss zur Aufnahme und Weiterbildung ins Tubinger Stift zum Studium der evangelisch lutherischen Theologie Nach dem Abschluss des Theologiestudiums offnete sich fur die Theologen der Aufstieg in die Ehrbarkeit Jedoch reproduzierte sich der altwurttembergische Pfarrerstand selbst So waren die Sohne der Bauern oder Handwerker im 18 Jahrhundert aus den zur Theologenausbildung gehorenden Fordersystemen im Herzogtum Wurttemberg exkludiert Einem Handwerkersohn dem es gelang in den Genuss der staatlichen Ausbildungsforderung fur die geistliche Laufbahn zu kommen musste besonders begabt sein Hingegen waren es die Pfarrerssohne die von der staatlich finanzierten Pfarrerausbildung im Herzogtum profitierten 17 Aus dem geistlichen Stand waren jedoch lediglich die Pralaten worunter die Abte der wurttembergischen Kloster als Spitze der lutherischen Geistlichkeit im Herzogtum verstanden wurden landtagsfahig Die geistliche Bank der Landschaft umfasste 14 Sitze 16 Handwerkschirurgen Barbiere und Bader ubten ein im Mittelalter als unehrlich geltendes Handwerk aus wodurch sie keine offentlichen Amter bekleiden durften 18 Interessant ist die Tatsache dass die Trager dieser Gesundheitsberufe spater vielfach einen Sitz im amtsstadtischen Magistrat einnahmen und dadurch in die altwurttembergische Ehrbarkeit avancierten Ausserdem finden sich Chirurgen Barbiere sowie Bader mit ehrbaren Familien versippt oder bekleideten sogar die oberste und bedeutendste autonom durch den Magistrat besetzte stadtische Charge des Amtsburgermeisters 19 Weitere Bedeutungen BearbeitenMit der Entwicklung der neuzeitlichen Standeordnung erfuhr die Bezeichnung ehrbar eine Ausweitung und das patrizische Stadtburgertum bildeten bald eine eigene Gesellschaftsschicht zwischen dem gemeinen Stand und dem edlen oder adligen Stand Als Geldadel war sie noch im 19 Jahrhundert in den Hansestadten Hamburg Bremen und Lubeck vorhanden und wurde beispielsweise 1901 in Thomas Manns Familienroman Buddenbrooks Verfall einer Familie thematisiert Grundvoraussetzung fur Ehrbarkeit war die Freiheit der Familie sowie das Recht auf das Fuhren eines eigenen Wappens Von ihr ist auch die Ehrbarkeit als allgemeine ethisch moralische oder juristisch politische Eigenschaft einer Person oder Personengruppe abgeleitet Sprachlich erhalten hat sich die Eigenschaft ehrbar in der heute scherzhaften Aussage jemand sei ein ehrbarer Burger wobei aber der Hintergrund des ehemaligen eigenen Standes verloren ging Eine andere Form von Ehrbarkeit bezieht sich auf die Verhaltensnormen innerhalb der Gesellschaft oder innerhalb von Zunften wo sie im Gegensatz zu auf der Wanderschaft befindlichen Gesellen den Fremdgeschrieben steht In diesem Sinne meint Ehrbarkeit eigentlich die Wohlanstandigkeit Bei schweren Verstossen kam es in den Zunften zur Verhangung einer Ehrenstrafe Literatur BearbeitenOtto K Deutelmoser Die Ehrbarbeit und andere wurttembergischen Eliten Hohenheim Verlag Stuttgart Leipzig 2010 ISBN 978 3 89850 201 6 Gabriele Haug Moritz Die wurttembergische Ehrbarkeit Annaherungen an eine burgerliche Machtelite der fruhen Neuzeit Thorbecke Ostfildern 2009 ISBN 978 3 7995 5513 5 Berndt Hamm Lazarus Spengler 1479 1534 der Nurnberger Ratsschreiber im Spannungsfeld von Humanismus und Reformation Politik und Glaube Mohr Siebeck Tubingen 2004 ISBN 978 3 16 148249 6 S 8 17 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Hansmartin Decker Hauff Die Entstehung der altwurttembergischen Ehrbarkeit Dissertation Wien 1946Weblinks BearbeitenGert Egle Wurttemberg zur Zeit Carl Eugens 1728 1793 Furst und Land Der Dualismus von Herrschaft und Land in Wurttemberg In teachSam Bildungsserver Eigene Webseite 8 Juli 2012 abgerufen am 17 Februar 2014 Einzelnachweise Bearbeiten Vgl Hamm S 17 Vgl Hamm S 14 Werner Birkenmaier Mentalitat der Wurttemberger Die schwabische Ehrbarkeit Stuttgarter Zeitung 17 Marz 2016 S 1 f abgerufen am 3 September 2017 Vgl Hamm S 13 f Manfred Hettling Reform ohne Revolution Burgertum Burokratie und kommunale Selbstverwaltung in Wurttemberg von 1800 bis 1850 Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Band 086 1 Auflage Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1990 ISBN 978 3 525 35749 1 S 32 a b Walter Grube Stadt und Amt in Altwurttemberg In Stadt und Umland Protokoll der X Arbeitstagung des Arbeitskreises fur Sudwestdeutsche Stadtgeschichtsforschung Calw 12 14 November 1971 Veroffentlichungen der Kommission fur Geschichtliche Landeskunde in Baden Wurttemberg Reihe B Forschungen Band 82 Kohlhammer Verlag Stuttgart 1974 ISBN 3 17 002038 2 S 21 Gabriele Haug Moritz Die wurttembergische Ehrbarkeit Annaherungen an eine burgerliche Machtelite der Fruhen Neuzeit Tubinger Bausteine zur Landesgeschichte Band 13 Jan Thorbecke Verlag Ostfildern 2009 ISBN 978 3 7995 5513 5 S 56 Rudolf Seigel Gericht und Rat in Tubingen Von den Anfangen bis zur Einfuhrung der Gemeindeverfassung 1818 1822 Veroffentlichungen der Kommission fur Geschichtliche Landeskunde in Baden Wurttemberg Reihe B Forschungen Band 13 Kohlhammer Verlag Stuttgart 1960 OCLC 264399080 S 120 Rudolf Seigel Gericht und Rat in Tubingen Von den Anfangen bis zur Einfuhrung der Gemeindeverfassung 1818 1822 Veroffentlichungen der Kommission fur Geschichtliche Landeskunde in Baden Wurttemberg Reihe B Forschungen Band 13 Kohlhammer Verlag Stuttgart 1960 OCLC 264399080 S 134 Rudolf Seigel Gericht und Rat in Tubingen Von den Anfangen bis zur Einfuhrung der Gemeindeverfassung 1818 1822 Veroffentlichungen der Kommission fur Geschichtliche Landeskunde in Baden Wurttemberg Reihe B Forschungen Band 13 Kohlhammer Verlag Stuttgart 1960 OCLC 264399080 S 47 Dieter Mertens Wurttemberg In Die Territorien im Alten Reich Handbuch der baden wurttembergischen Geschichte Band 2 Klett Cotta Stuttgart 1995 S 1 163 hier S 89 Dieter Mertens Wurttemberg In Die Territorien im Alten Reich Handbuch der baden wurttembergischen Geschichte Band 2 Klett Cotta Stuttgart 1995 S 1 163 hier S 56 Kapiteluberschrift Dieter Mertens Wurttemberg In Die Territorien im Alten Reich Handbuch der baden wurttembergischen Geschichte Band 2 Klett Cotta Stuttgart 1995 S 1 163 hier S 73 Dieter Mertens Wurttemberg In Die Territorien im Alten Reich Handbuch der baden wurttembergischen Geschichte Band 2 Klett Cotta Stuttgart 1995 S 1 163 hier S 79 Rudolf Seigel Gericht und Rat in Tubingen Von den Anfangen bis zur Einfuhrung der Gemeindeverfassung 1818 1822 Veroffentlichungen der Kommission fur Geschichtliche Landeskunde in Baden Wurttemberg Reihe B Forschungen Band 13 Kohlhammer Verlag Stuttgart 1960 OCLC 264399080 S 48 a b Hartwig Brandt Parlamentarismus in Wurttemberg 1819 1870 Anatomie eines deutschen Landtags Droste Verlag Dusseldorf 1987 ISBN 3 7700 5142 4 S 20 Ulrike Gleixner Pietismus und Burgertum Eine historische Anthropologie der Frommigkeit Wurttemberg 17 19 Jahrhundert Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2005 ISBN 3 525 36841 0 S 312 Sabine Sander Handwerkschirurgen Sozialgeschichte einer verdrangten Berufsgruppe Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Band 83 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1989 ISBN 3 525 35745 1 S 111 Sabine Sander Handwerkschirurgen Sozialgeschichte einer verdrangten Berufsgruppe Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Band 83 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1989 ISBN 3 525 35745 1 S 126 127 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Ehrbarkeit amp oldid 237567169