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Selektion lateinisch selectio Auswahl Auslese ist ein grundlegender Begriff der Evolutions theorie Sie besteht als naturliche Selektion fruher auch naturliche Auslese 1 in der Reduzierung des Fortpflanzungserfolgs bestimmter Individuen einer Population 2 mit der Folge dass andere Individuen die im Ruckblick als uberlebenstuchtiger erkennbar sind sich starker vermehren Die entscheidenden Einflusse uben aussere Faktoren aus die Umweltfaktoren als Selektionsfaktoren Uberlebenstuchtigkeit Fitness bedeutet nicht das Uberleben der Starksten Sie kann auch Kooperation und Altruismus einschliessen Entscheidend ist dass die Erbanlagen von Individuen nicht mit der gleichen Wahrscheinlichkeit weitergegeben werden als sexuelle Selektion in der Auswahl von Individuen durch die Sexualpartner Entscheidend ist dass Erbanlagen fur diejenigen Merkmale weitergegeben werden die von den Sexualpartnern bevorzugt werden als kunstliche Selektion in einer vom Menschen gesteuerten Zuchtwahl Diese steigert den Fortpflanzungserfolg derjenigen Individuen die die von den Zuchtern gewunschten Merkmale aufweisen 3 Die Bezeichnung naturliche Selektion wurde von Charles Darwin gepragt Die Selektion mittels Selektionsdruck ist ein Aspekt von Darwins Evolutionstheorie und wurde als wesentlicher Teil der Synthetischen Evolutionstheorie in die moderne Evolutionsbiologie ubernommen Selektion ist einer der Evolutionsfaktoren Inhaltsverzeichnis 1 Naturliche Selektion 2 Sexuelle Selektion 3 Kunstliche Selektion 3 1 Zucht 3 2 Naturliche Selektion unter dem Einfluss des Menschen 4 Die Ebene der Selektion 5 Gruppenselektion Verwandtenselektion und Mutualismus 5 1 Klassische Gruppenselektion 5 2 Verwandtenselektion 5 3 Reziprozitat 5 4 Neue Gruppenselektion und Multilevel Selektion 5 5 Okologischer Ansatz 6 Wirkungsweise der Selektion 6 1 Stabilisierende Selektion 6 2 Transformierende oder direktionale Selektion 6 3 Disruptive Selektion 7 Selektion auf Genebene 7 1 Auswirkungen anderer Variationen auf Genebene 8 Selektion messen 9 Selektion in nicht lebenden Systemen 10 Siehe auch 11 Literatur 12 Weblinks 13 EinzelnachweiseNaturliche Selektion BearbeitenGrundlage der naturlichen Selektion ist die jeweilige Wahrscheinlichkeit mit der Individuen ihre Erbanlagen an die Folgegeneration weitergeben Falls die Individuen einer Population in einem oder mehreren Merkmalen variieren das ist in naturlichen Populationen in der Regel der Fall bewirkt die Selektion einen unterschiedlichen Fortpflanzungserfolg indem einige Individuen langer uberleben mehr Nachkommen produzieren konnen Feinden besser entkommen oder widerstehen konnen resistenter gegen Krankheiten sind usw Man sagt dazu die Individuen mit hoherem Fortpflanzungserfolg besitzen eine hohere Fitness Die selektierten Merkmale die die hohere Fitness bewirken konnen genetisch bedingt erblich sein oder es kann sich um umweltbedingte Varianten oder Modifikationen handeln Evolutionar wirksam ist nur die Selektion erblicher Merkmale Die Erbanlagen der fitteren Individuen sind dann in der Folgegeneration mit einem grosseren Anteil vertreten als in der Parentalgeneration das bedeutet zwangslaufig gleichzeitig dass Individuen mit in ihrer aktuellen Umwelt ungunstigeren Merkmalen in der Folgegeneration mit geringerer Haufigkeit vertreten sind Die unterschiedlichen Individuen besitzen nur in seltenen Ausnahmefallen vollkommen unterschiedliche Gene In der Regel ist es so dass die vererbten Unterschiede auf geringfugige Varianten desselben Gens Allele zuruckzufuhren sind Die meisten dieser Unterschiede betreffen sogar nur ein einzelnes Basenpaar SNPs Fur die Populationsgenetik bedeutet Selektion deshalb dasselbe wie gerichtete d h nicht zufallige Verschiebung der Allelfrequenz in der Population Gegenstand der Selektion sind alle erblichen Merkmale die zu einem Unterschied in der Fortpflanzungsrate fuhren konnen Neben dem Tod des Individuums sind auch z B solche Individuen selektiv benachteiligt die eine geringere naturliche Reproduktionsrate besitzen oder die gegenuber Artgenossen bzw Individuen anderer Arten in der Konkurrenz benachteiligt sind Entscheidend ist dabei nicht die Fortpflanzungsrate als solche sondern ausschliesslich der Anteil der erfolgreichen Nachkommen d h derjenigen die selbst Nachkommen hinterlassen Sexuelle Selektion Bearbeiten Hauptartikel Sexuelle Selektion Die sexuelle Selektion ist ein Sonderfall der naturlichen Selektion Sie ergibt sich aus der Konkurrenz der Geschlechter um Fortpflanzungspartner des anderen Geschlechts innerhalb einer Art Zahlreiche Merkmale von Arten die mit der naturlichen Selektion zunachst nicht erklarbar sind weil sie mit einem Uberlebensnachteil fur ihren Trager verbunden sind lassen sich dadurch erklaren dass sie die Wahrscheinlichkeit ihres Tragers erhohen sich erfolgreich zu paaren und dadurch seine Nachkommenzahl zu steigern Wichtig ist die sexuelle Selektion beispielsweise zur Erklarung des Sexualdimorphismus zwischen den Geschlechtern zur Erklarung des Geschlechterverhaltnisses und zur Interpretation des Verhaltens und der sozialen Systeme zahlreicher Tierarten Kunstliche Selektion BearbeitenBei der kunstlichen Selektion handelt es sich um einen Spezialfall der Selektion namlich die Selektion durch den Menschen Dabei wird ein ausgewahltes Merkmal oder eine Kombination von Merkmalen in einer Population durch den Menschen gefordert indem Individuen welche diese Eigenschaften nicht aufweisen von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden Seit den Fortschritten in der DNA Sequenzierung bei vielen Tier und Pflanzenarten ist es heute auch moglich hinsichtlich der genetischen Merkmale eine kunstliche Selektion vorzunehmen So konnen Individuen mit unerwunschten genetischen Merkmalen Genotyp die am Phanotyp nicht in Erscheinung treten weil sie rezessiv sind von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden Zucht Bearbeiten Hauptartikel Zuchtung Zuchtwahl und Domestizierung Typischerweise findet Auswahl durch Menschen bei Haustieren oder angebauten Pflanzen aber auch im Labor oder in befischten Gewassern statt Der Unterschied zur naturlichen Selektion besteht darin dass die Uberlebens und Fortpflanzungskriterien vom Menschen ausgewahlt werden und mit einem speziellen Ziel meistens zur genetischen Umformung oder Verstarkung gewollter beziehungsweise Unterdruckung ungewollter Eigenschaften verbunden sind 4 Naturliche Selektion unter dem Einfluss des Menschen Bearbeiten Durch den uberwaltigenden Einfluss den die Spezies Mensch auf unseren Planeten ausubt ist der Mensch in jungster Zeit zu einem wichtigen Selektionsfaktor geworden Wenn sein Einfluss auf die betrachtete Population nicht auf bewusste Auswahl zuruckgeht sondern es sich um unbeabsichtigte Folgen seines Eingreifens handelt handelt es sich nicht um kunstliche sondern um eine Form der naturlichen Selektion auch wenn der Ausdruck hier unglucklich gewahlt erscheint Dies gilt z B bereits fur das bekannte Lehrbuch Beispiel des Industriemelanismus beim Birkenspanner Ein frappierendes Beispiel fur einen solchen Selektionsfaktor stellt die industrielle Hochseefischerei dar Durch die Uberfischung von Speisefischpopulationen wird ein starker Selektionsdruck auf bestimmte Fischarten ausgeubt wobei grosse und fortpflanzungsfahige Fische aus den Populationen entfernt werden So wird kunstlich das Uberleben von kleineren und fruhreiferen Fischen gefordert 5 Diese haben als einzige die Chance durch die engmaschigen Netze zu entkommen und sich anschliessend noch fortzupflanzen Die Fische investieren mehr Energie in ihre Vermehrung als in das Wachstum So waren Kabeljau aus dem Nordost Atlantik vor 60 Jahren als die Jagd auf sie begann im Schnitt noch 95 cm gross heute erreichen sie nur noch eine Korpergrosse von 65 cm Ebenso setzt die Geschlechtsreife heute schon drei Jahre fruher namlich mit einem Alter von sechs Jahren ein 6 Mit Hilfe von Computermodellen die von Ulf Dieckmann Okosystemforscher am Institut fur Angewandte Systemanalyse IASA Laxenburg in Osterreich entwickelt wurden lasst sich zeigen dass sich Fischpopulationen unter dem Druck der Fangflotten innerhalb von 40 Jahren erheblich verandern konnen indem beispielsweise die Durchschnittsgrosse stark sinkt Wurde die Befischung heute gestoppt werden so wurde es Modellberechnungen zur Folge bis zu 250 Jahren dauern bis die Fischbestande wieder die ursprungliche Grossenverteilung erreicht hatten Dies hangt damit zusammen dass die Natur keinen so starken Selektionsdruck ausubt wie die Fischerei Die Fruhreife der Fische wird so Dieckmann durch das Fehlen der grosseren Fische begrundet die als Konkurrenten wirken Der Fisch findet mehr Nahrung wachst schneller und wird fruher geschlechtsreif Die Modelle fur das schnelle Wirken von Selektion und die damit resultierende Mikroevolution wurden in verschiedenen Laboren mit Experimenten nachgestellt Hierfur wurde mit Fischen wie Guppys und Ahrenfischen experimentiert die eine relativ kurze Generationsdauer haben Siehe auch verschiedene Artikel von David Conover State University of New York 7 und David Reznick University of California 8 Beide Forscher konnten zeigen dass bei selektiver Befischung der Populationen in den Aquarien das heisst nur die grossten Fische wurden entnommen schon nach wenigen Generationen die Fische deutlich kleiner und weniger fruchtbar waren Ausserdem setzten sie bei gleichem Futterangebot wie die Kontrollfische weniger Fleisch an Rechnet man die Evolutionsrate bei den Guppys auf die Entwicklung kommerziell genutzter Fische um so entspricht sie wenigen Jahrzehnten fasst Reznick seine Ergebnisse zusammen Die Grossfischerei hat eine genetische Selektionswirkung auf die Bestande Vergleichbare Befunde erbrachte auch ein Freilandexperiment von Reznick in Trinidad siehe Guppys und schnelle Evolution Die Ebene der Selektion BearbeitenInnerhalb der Biologie wird daruber gestritten auf welche biologischen Einheiten die Selektion wirkt 9 10 Zu unterscheiden sind hier Gruppenselektion Individualselektion und Genselektion Damit Evolution funktioniert muss die Selektion an erblichen Eigenschaften eines Individuums ansetzen Eine Selektion nicht vererbter Eigenschaften ist zwar genauso moglich fuhrt aber eben nicht zur Evolution Da Gene nicht direkt agieren konnen sondern zu ihrer Aktivitat einer Maschinerie oder eines Vehikels bedurfen ist ausserdem eine von Genen zumindest teilweise gesteuerte Uberlebenseinheit erforderlich ein Individuum Individuen konnen sich zu Gruppen zusammenschliessen biologische Gruppen besitzen aber zumindest im Regelfall keine Individualitat Ausnahmen werden fur einige Sonderfalle v a Insektenstaaten oder Staatsquallen diskutiert Das bedeutet dass sich die Eigenschaften der Gruppe aus derjenigen der Individuen ergeben Die Ebene auf der die Selektionsfaktoren ansetzen die Ebene der Interaktoren ist damit zunachst immer die Ebene des Individuums Damit ist das Individuum das Objekt der Selektion 11 Dennoch kann es sinnvoll sein je nach Fragestellung das Gen oder die Gruppe in das Zentrum des Interesses zu stellen Hierbei geht es weniger um tatsachliche Unterschiede sondern um unterschiedliche Blickwinkel auf dieselbe Sache Populationsgenetiker sind z B besonders interessiert an der Auswirkung der Selektion auf verschiedene Allele oder Gene Betrachten sie z B die Auswirkungen eines Selektionsfaktors auf die Genfrequenz ist die Ebene des Individuums fur diese Frage bedeutungslos da es sich um eine Eigenschaft der Population handelt Hier geht es dann weniger um den Selektionsmechanismus als um seine Auswirkungen Die fruher einflussreiche ausserhalb der Wissenschaft noch weit verbreitete Vorstellung eines Arterhaltungstriebes ist nur noch von historischem Interesse Sie ist durch die synthetische Evolutionstheorie auf Basis von Populationen uberwunden Dennoch ist es naturlich weiterhin sinnvoll ggf auch Vergleiche auf Artebene anzustellen Der Unterschied liegt auch hier in den Mechanismen Der Ausdruck Genselektion oder Gen Level Selektion wird heute manchmal in einem anderen Sinne verwendet um Selektionsvorgange zwischen Genen innerhalb eines einzelnen Genoms zu beschreiben z B im Zusammenhang mit Meiotic Drive Eine mathematisch elegante Synthese der beschriebenen Selektionsmechanismen stellt die Price Gleichung dar in der Individual sowie Gruppenselektion berucksichtigt werden Mit dem Themenfeld wie sich die Steuerung der Individualentwicklung der Lebewesen Ontogenese die den naturlichen Selektionsprozessen unterliegen im Laufe der Evolutionsgeschichte entwickelt hat beschaftigt sich die evolutionare Entwicklungsbiologie Gruppenselektion Verwandtenselektion und Mutualismus BearbeitenWahrend die Selektionstheorie auf die meisten morphologischen und Verhaltens Merkmale im Prinzip problemlos anwendbar ist ist es ein Problem soziale Verhaltensweisen durch die Evolutionstheorie zu erklaren die nicht das jeweilige Individuum selbst sondern andere Individuen begunstigen Die Erklarung solches altruistischen Verhaltens stellt die Theorie seit Darwin selbst vor Probleme und wird bis heute intensiv in der Wissenschaft diskutiert 12 13 14 Das Problem besteht auch dann wenn das Verhalten letztlich allen d h auch dem helfenden Individuum selbst zugutekommt Dies liegt daran dass ein Betruger der helfende Individuen nur ausnutzt ohne selbst etwas beizutragen immer eine hohere Fitness als ein Helfer besitzen musste Damit ware Altruismus keine evolutionar stabile Strategie Sobald durch eine Mutation ein einziger Betruger in der Population entstehen wurde musste er sich unweigerlich durchsetzen selbst wenn am Ende alle schlechter dran waren Die Wissenschaft hat eine Vielzahl von Theorien aufgestellt wie dieses Problem zu losen sein konnte Zu erklaren ist dabei worin der langfristige evolutionare Vorteil der helfenden Strategie liegen kann kurzfristig ist dies keine Frage da auf kurze Sicht der Betruger immer besser dran ist man spricht von den Ultimaten Grunden Warum Fragen Andererseits mussen auch die Voraussetzungen und Mechanismen aufgeklart werden unter denen helfendes Verhalten entstehen kann dies nennt man die proximaten Grunde Wie Fragen Beide Betrachtungsebenen mussen streng getrennt werden weil es sonst unweigerlich zu Konfusionen kommt siehe dazu auch Proximate und ultimate Ursachen von Verhalten Klassische Gruppenselektion Bearbeiten Der Evolutionsbiologe Vero Wynne Edwards ist der Begrunder einer Theorie nach der die Evolution helfenden Verhaltens durch die Selektion nicht zwischen Individuen sondern zwischen Gruppen von diesen zu erklaren sei 15 Nach seiner Hypothese besitzen Gruppen bei denen die Individuen aufeinander Rucksicht nehmen insgesamt eine hohere Fitness als Gruppen aus Individuen bei denen jeder ausschliesslich sein eigenes Interesse sucht Solche Egoisten Gruppen sterben haufiger als Ganzes aus z B weil sie ihre Fortpflanzungsrate nicht an die Tragfahigkeit ihres Lebensraums anpassen diesen ubernutzen und dann daran zugrunde gehen Die kooperierenden Gruppen bleiben ubrig So setzt sich das Merkmal Kooperation schliesslich insgesamt durch Innerhalb der Evolutionstheorie wird Wynne Edwards Theorie der Gruppenselektion heute uberwiegend abgelehnt Theoretiker haben nachweisen konnen dass der Selektionsmechanismus den Wynne Edwards vorschlagt durchaus funktionieren wurde Allerdings sind dazu sehr enge Rahmenbedingungen erforderlich die in naturlichen Populationen kaum denkbar erscheinen Zum Beispiel macht bereits sehr moderater Austausch von Individuen zwischen Gruppen und dadurch bewirkter Genfluss den Mechanismus zunichte Es ist auch nur in wenigen Fallen gelungen naturliche Populationen ausfindig zu machen bei denen der Mechanismus plausibel ware Meist kann man sie mit einer der konkurrierenden Theorien besser erklaren Verwandtenselektion Bearbeiten Hauptartikel Verwandtenselektion Die Theorie der Verwandtenselektion engl kin selection geht auf die Biologen John Maynard Smith und William D Hamilton zuruck Nach dieser Theorie wird helfendes Verhalten nur dann evolutionar begunstigt wenn die Individuen denen geholfen wird ebenfalls Trager des Helfer Gens sind welches das Hilfsverhalten genetisch determiniert In diesem Fall erhoht sich die Genfrequenz des Helfergens in der Folgegeneration nicht nur durch die Nachkommen des Helfers selbst sondern auch durch die Nachkommen derer denen geholfen wurde Dadurch kann sich dieses Gen in der Population letztlich durchsetzen Bei der Anwendung der Hypothese muss man den Begriff der Fitness umdefinieren da sich der entscheidende Selektionsvorteil nicht beim Vergleich verschiedener Individuen erweist sondern in sehr vielen Individuen jeweils zum Teil verwirklicht ist fur dies hat sich der Ausdruck inklusive Fitness eingeburgert Die Theorie der Verwandtenselektion legt es deshalb nahe den Vorteil nicht der beteiligten Individuen sondern ihrer jeweiligen Gene ins Zentrum der Betrachtung zu stellen In besonders pragnanter Form hat das der Biologe Richard Dawkins mit seiner Formulierung vom egoistischen Gen durchgefuhrt die in wesentlichen Teilen auf das Konzept der Verwandtenselektion zuruckgeht Die Frequenz des Helfergens kann sich dann besonders leicht in der Population erhohen wenn Helfer ausschliesslich Verwandten helfen da diese ja einen grossen Anteil ihrer Gene mit dem Helfer zwangslaufig gemeinsam haben im Idealfall noch abgestuft nach dem Grad der Verwandtschaft gemass Hamiltons Regel Dies ist die Verwandtenselektion im engeren Sinne Daneben ist aber auch eine Verwandtenselektion im weiteren Sinne zu berucksichtigen Dabei kann der Helfer z B allen benachbarten Individuen gleichermassen helfen wenn sich Individuen der Art nur selten und wenig weit ausbreiten in diesem Fall ist jeder Nachbar mit genugend hoher Wahrscheinlichkeit ein Verwandter ohne dass dies dem Helfer bekannt sein musste Daneben ist es theoretisch durchaus plausibel dass nach demselben Mechanismus Trager des Helfergens sich einfach gegenseitig helfen ohne dass ihre Verwandtschaft bekannt sein musste wenn sie sich gegenseitig erkennen konnen Nach einem fruhen Gedankenexperiment konnten sie z B alle einen grunen Bart tragen Danach ist der Mechanismus als Gruner Bart Effekt in die Wissenschaft eingegangen Reziprozitat Bearbeiten Hauptartikel Reziproker Altruismus Vor allem fur das Studium des menschlichen Verhaltens sind Modelle entwickelt worden die auf der Spieltheorie beruhen in besonderer Weise auf dem sog Gefangenendilemma In die Biologie eingefuhrt wurde das Konzept durch Robert Trivers 16 Demnach konnte sich eine Disposition fur Helfen in einer Population auch zwischen nicht verwandten Individuen einfach dadurch durchsetzen dass der Helfer nur denjenigen hilft von denen er im Gegenzug selbst Hilfe erhalt Hilfe auf Gegenseitigkeit nach dem Fachausdruck Reziprozitat Fur diese Hypothese sind Sanktionen und Bestrafungen besonders wichtig durch die ein Helfer diejenigen bestraft die die Hilfe nicht durch Gegenhilfe zuruckzahlen Im Gegensatz zu vielen biologischen Ansatzen stehen im Zentrum des Interesses hier nicht Verhaltensweisen selbst die unterschiedlich determiniert oder motiviert sein konnen sondern dadurch vermittelte Interaktionen die in Form einer Interaktionsmatrix miteinander verknupft werden ohne dass die Motivation des Akteurs bekannt sein musste oder auch nur eine besondere Rolle spielt Das Prinzip der Reziprozitat scheint ausserhalb der Art Mensch nach empirischen Studien allerdings nur sehr wenig verbreitet zu sein so dass seine Erklarungskraft heute trotz theoretischer Plausibilitat meist als gering eingeschatzt wird Neue Gruppenselektion und Multilevel Selektion Bearbeiten Eine Gruppe von Evolutionsbiologen hat das Konzept der Gruppenselektion mit gegenuber der ursprunglichen Fassung etwas veranderter Definition erneut in die Debatte eingebracht vor allem um Falle erklaren zu konnen bei denen aus ihrer Sicht das Modell der Verwandten Selektion unzureichend ist Prominenteste Vertreter dieser Theorie ist David Sloan Wilson 17 Sein bekannterer Namensvetter Edward O Wilson hat sich der Theorie angeschlossen 18 Nach der Theorie wirkt die naturliche Selektion auf verschiedenen Ebenen Leveln gleichzeitig das Individuum die soziale Gruppe und die Population konnen demnach gleichermassen Selektionslevel darstellen Im Gegensatz zur klassischen Gruppenselektion s o wirkt dabei die Selektion aber vor allem innerhalb der Population nicht so sehr durch Selektion ganzer Populationen gegeneinander Der Theorie gemass kann man die Gesamtfitness in einen Anteil aufteilen der zwischen den Individuen einer Population wirkt und einen anderen der den relativen Selektionsvorteil zweier Populationen gegeneinander beschreibt Der Selektionswert fur das einzelne Individuum ergibt sich demnach uber die Summe der Selektionswerte auf den unterschiedlichen Leveln Verschiedene mathematisch arbeitende Theoretiker haben gezeigt dass die Theorien der Verwandtenselektion und diejenigen der Multilevel Selektion zu ganz uberwiegenden Teilen lediglich verschiedene Wege darstellen denselben Sachverhalt konzeptionell zu fassen Das bedeutet dass man die zugrunde liegenden mathematischen Modelle ineinander uberfuhren kann Die Multilevel Selektion ist demnach eine alternative Fassung der Verwandtenselektion im weiteren Sinne 19 Okologischer Ansatz Bearbeiten Fur die Okologie besteht zwischen Akteuren die derselben Art angehoren und Interaktionen zwischen Akteuren verschiedener Spezies kein prinzipieller Unterschied wodurch sich der Blickwinkel erweitert Hilft ein Individuum einem anderen das zu einer anderen Art gehort in beiderseitigem Interesse entspricht dies der Definition von Mutualismus der damit nicht von der Kooperation zwischen Artgenossen prinzipiell verschieden ist Im Zentrum der okologischen Betrachtung stehen die Mechanismen die die auf andere Weise begrundeten Vorteile einer kooperativen Strategie realisieren konnen Betrachtet werden z B in Gruppen zusammenlebende Arten im Vergleich mit ihren einzeln lebenden Verwandten Die Forschung hat Bedingungen identifizieren konnen unter denen die Bildung von Gruppen okologisch vorteilhaft ist Besteht z B ein einfacher Zusammenhang zwischen Gruppengrosse und Erfolg in aggressiven Begegnungen ist es vorteilhaft auch Nicht Verwandte in die Gruppe aufzunehmen 20 Unter diesen Bedingungen ist es vorteilhaft fur den Einzelnen in den Zusammenhalt der Gruppe zu investieren Allerdings mussen dann genetische und oder soziale Mechanismen zum Ausschluss von Betrugern entwickelt werden Je nach Umweltbedingungen kann es sich aber unterschiedlich auszahlen zu kooperieren oder nicht 21 Wirkungsweise der Selektion BearbeitenDie Selektion kann sich auf jedes erbliche Merkmal eines Individuums auswirken das direkt oder indirekt Auswirkungen auf dessen Fortpflanzungsrate haben kann Durch die Wirkung der Selektion optimierte Merkmale nennt man Adaptationen Sobald sich Individuen unterscheiden ist grundsatzlich immer eine Selektion zwischen ihnen wirksam Wenn kein anderer Faktor begrenzend wirkt richtet sich diese auf die Fortpflanzungsrate selbst In diesem Fall wird auf diejenigen Individuen selektiert die die meisten Nachkommen produzieren konnen Normalerweise wird das Wachstum aber uber kurz oder lang immer durch Konkurrenz um Ressourcen begrenzt sein oder durch andere antagonistische Beziehungen wie z B Pradation beschrankt werden Die Selektion wirkt sich dann auf diejenigen Merkmale am starksten aus die am starksten wachstumsbegrenzend wirken Dadurch konnen andere Merkmale zumindest vorubergehend von der Selektion weitestgehend ausgenommen bleiben Damit die Selektion Evolution bewirken kann muss das selektierte Merkmal eine genetische Variabilitat besitzen Fehlt diese fuhrt auch starker Selektionsdruck nicht zur Evolution In der Regel bewirkt die Selektion immer eine Verkleinerung der Variabilitat es gibt Ausnahmen vor allem die disruptive Selektion vgl u Starke Selektion fuhrt in evolutionar kurzer Zeit zwangslaufig dazu dass nach und nach alle Allele mit Auswirkungen auf das selektierte Merkmal fixiert werden d h entweder in allen oder in keinem Individuum vorkommen wodurch eine weitere Veranderung des Merkmals immer schwerer wird Da Individuen einer Population in der Regel untereinander zwangslaufig recht ahnliche Bedurfnisse haben und einem gleich gerichteten Selektionsdruck unterliegen werden ist der entscheidende Faktor die Konkurrenz zwischen Individuen derselben Art genannt intraspezifische Konkurrenz Die Artgenossen sind allerdings bei sich sexuell fortpflanzenden Arten nicht nur Konkurrenten sondern auch Paarungspartner Durch die Vermischung des Erbguts bei der Fortpflanzung Rekombination konnen bei verschiedenen Individuen innerhalb der Population erworbene Adaptationen miteinander kombiniert werden und so die Fitness schneller erhohen Zunachst wirkt die Durchmischung aber als Genfluss homogenisierend und damit einer sehr schnellen selektiven Anpassung entgegen Wichtigster Effekt ist aber dass sich die Variabilitat erhoht wodurch die Selektion immer neue Ansatzpunkte bekommt Die drei bekannten Formen der Selektion naturliche sexuelle und kunstliche Selektion konnen jeweils in drei Typen auftreten als stabilisierende gerichtete oder disruptive Selektion nbsp Rechts befindet sich eine Legende fur die Grafiken die die einzelnen Selektionsarten Selektionstypen illustrieren Stabilisierende Selektion Bearbeiten nbsp Stabilisierende Selektion oder selektive Stabilisation Stabilisierung bzw selektive Retention findet statt wenn die Individuen einer Population uber viele Generationen hinweg unter konstanten Umweltbedingungen leben Individuen deren Merkmale nahe am Mittelwert der Population liegen zeigen eine hohere Fitness Extreme bzw vom Mittelwert abweichende Phanotypen konnen sich nicht durchsetzen Somit fuhrt stabilisierende Selektion zu einer geringeren phanotypischen Variabilitat Ein Beispiel ist die Flugelgestaltung einiger Vogelarten Langere oder kurzere Flugel haben schlechtere aerodynamische Eigenschaften als die mit Ideallange was zu Nachteilen bei Futterbeschaffung und Fluchtgeschwindigkeit fuhrt Transformierende oder direktionale Selektion Bearbeiten nbsp Transformierende dynamische direktionale verschiebende oder gerichtete Selektion liegt vor wenn die Trager eines Merkmals das am Rand des Merkmalsspektrums der Population liegt begunstigt werden Muss sich z B eine Population an neue Umweltfaktoren anpassen werden Individuen bevorzugt deren Merkmale bereits vorher zufallig am besten auf die veranderte Umgebung gepasst haben Praadaption oder Individuen deren Anpassung besser fur die neuen Bedingungen geeignet sind Dies fuhrt zu einer Veranderung des Genpools Eine sehr starke direktionale Selektion kommt durch gezielte Zuchtung zustande Eine Population zeigt bestimmte Variabilitat in der Auspragung eines bestimmten Merkmals Extreme Merkmalsauspragung durch Selektionsdruck aufgrund veranderter Umweltbedingungen Eine Merkmalsauspragung bekommt Selektionsvorteile gegenuber dem anderen Extrem Standige Anpassung an sich andernde Umweltbedingungen Zum Beispiel haben Kleintiere mit hoherer Fluchtgeschwindigkeit bessere Uberlebensquoten was eine selektionsbedingte Geschwindigkeitssteigerung zur Folge haben kann Disruptive Selektion Bearbeiten nbsp Bei der disruptiven aufspaltenden Selektion werden die am haufigsten vorkommenden Formen zuruckgedrangt z B aufgrund von Parasiten Fressfeinden oder ansteckenden Krankheiten Individuen mit seltenen Merkmalen haben dann einen Vorteil zum Beispiel die besonders kleinen und die besonders grossen Individuen Diese Individuen konnen durch ihre spezifischen Merkmale sog okologische Nischen besetzen was ihnen einen evolutionaren Vorteil beispielsweise bei der Nahrungsbeschaffung bringen kann Sie sind selektionsbegunstigt Der Selektionsdruck sorgt fur eine geringere Haufigkeit der Tiere mit durchschnittlichen Merkmalen diejenigen mit den extremen Phanotypen sind selektionsbegunstigt Man spricht hier auch von Polymorphismus Der Fachbegriff fur die Besetzung der okologischen Nischen bei neuer Artenbildung durch disruptive Selektion lautet adaptive Radiation Eine solche disruptive Selektion kann zu einer bimodalen Haufigkeitsverteilung fuhren und damit zur Aufspaltung der Populationen in letztlich zwei getrennte Arten Ein klassisches Beispiel sind die sogenannten Darwinfinken deren selektionsbedingte Artaufspaltung bereits von zahlreichen Evolutionsforschern untersucht wurde Ein jungeres Beispiel sind die Malaria Erreger ubertragenden Mucken der Gattung Anopheles Nachdem in Afrika mit Insektiziden impragnierte Moskitonetze verbreitet worden waren verschob sich die zuvor uberwiegend nachtliche Flugzeit der Mucken in die spaten Abendstunden und in die fruhen Morgenstunden 22 Selektion auf Genebene BearbeitenFur die Wirkung der Selektion auf der Ebene der Gene selbst ist eine andere Einteilung gebrauchlich Selektion auf Genebene bedeutet in anderen Worten Anderung der Allelfrequenz Hierbei konnen verschiedene Prozesse ablaufen die jeweils in unterschiedlichen Situationen bedeutsam sind Zunachst sind prinzipiell zwei Wege zu unterscheiden wie sich Selektion auf die Allelfrequenz auswirken kann negative Selektion auch reinigende Selektion engl purifying selection Sie besteht in der Entfernung nachteiliger Allele Die Rolle der negativen Selektion wird vor allem im Zusammenhang mit der neutralen Theorie der molekularen Evolution deutlich Dieser heute weitgehend anerkannten Theorie zufolge ist der Einfluss der Gendrift in kleinen und mittelgrossen Populationen so gross dass die zahlreich auftretenden neutralen Mutationen d h diejenigen ohne Auswirkung auf die Fitness des Phanotyps haufig sogar ohne Auswirkungen irgendeiner Art haufig durch Zufall fixiert werden Diese Mutationen unterliegen also nicht der Selektion Die Selektion macht sich demnach vor allem durch die Auslese schadlicher Mutationen d h negative Selektion bemerkbar Die Theorie leugnet nicht die Bedeutung positiver Selektion sagt aber voraus dass sie im Verhaltnis viel seltener ist positive Selektion Sie bewirkt die Auswahl bestimmter Allele Positive Selektion tritt im Wesentlichen in zwei Formen auf gerichtete Selektion engl directional selection Bei dieser wird ein Allel ausgelesen und ist in der Folge haufiger in einer Population vorhanden Dies fuhrt letztlich zur Fixierung des Allels Gerichtete Selektion vermindert also die Variabilitat auf Genebene spricht man von Polymorphismus Zum Nachweis zuruckliegender gerichteter Selektion auf Genebene sind indirekte Methoden etabliert So wird z B bei Punktmutationen die Rate von nicht synonymen Substitutionen mit derjenigen von synonymen verglichen durch die Redundanz des genetischen Codes fuhren nur bestimmte Nukleotid Substitutionen zur Veranderung der Aminosaurensequenz im Protein andere fuhren zu synonymen Sequenzen und sind damit stumm Bei gerichteter Selektion sollte diese hoher liegen als nach dem Zufall zu erwarten Eine andere Methode versucht sich den Effekt der gerichteten Selektion auf den Polymorphismus von Allelen zunutze zu machen Vergleicht man den Polymorphismus im Genom an verschiedenen Loci sollte er in Bereichen die starker gerichteter Selektion unterliegen geringer sein Dieser Effekt wird genetic sweep in etwa genetisches Auswischen genannt Genetic sweep fuhrt zu auffallend geringem Polymorphismus in Abschnitten der DNA unterschiedlicher Lange die das selektierte Gen enthalten Der Abschnitt ist gewohnlich langer als das Gen selbst weil die Selektion nicht am Gen selbst ansetzen kann sondern nur an einem zufallig durch Rekombinationsvorgange begrenzten DNA Abschnitt der das Gen enthalt ausgleichende Selektion engl balancing selection Bei dieser wird ein Allel je nach seiner Frequenz unterschiedlich ausgelesen Wenn es selten ist wird es selektiv bevorzugt Wird es haufiger wird es hingegen selektiv benachteiligt Ausgleichende Selektion erhalt also den Polymorphismus Fur das Wirken ausgleichender Selektion sind im Wesentlichen zwei Prozesse bedeutsam Einerseits konnen auf bestimmten Genloci heterozygote Individuen gegenuber homozygoten bevorzugt sein engl overdominance Ein wichtiges Beispiel dafur ist die Evolution des Immunsystems der Wirbeltiere Fur die Vielfalt der Antikorper die die Erkennung beinahe jedes fremden Organismus ermoglichen sind vor allem die MHC Gene verantwortlich Heterozygote Individuen besitzen logischerweise mehr MHC Gene als homozygote Sie haben ein leistungsfahigeres Immunsystem und sind daher bei der Selektion bevorzugt Der Vorteil liegt nicht darin dass einzelne MHC Gene besser oder schlechter waren gefordert wird einfach ihre Vielfalt Dadurch werden seltene Gensequenzen von der Selektion gefordert 23 Ein weiteres Beispiel mit ahnlicher Grundlage ist die Evolution der Selbstinkompatibilitat bei Pflanzen Derselbe Effekt kann auch dadurch eintreten dass ein Allel im heterozygoten Fall gunstige Eigenschaften vermittelt welches bei Homozygotie schadlich oder gar lethal ist Beruhmt geworden ist dieser Fall bei der Sichelzellenanamie einer menschlichen Erbkrankheit deren Gen im heterozygoten Fall Resistenz gegenuber Malaria bewirkt und dadurch in Malariagebieten selektiv in evolutionar kurzer Zeit stark gefordert worden ist Andererseits kann ein seltenes Allel gelegentlich auch direkt bevorzugt sein z B wenn Pradatoren in der Umwelt haufige Beute gegenuber seltener bevorzugen Ein Beispiel bei dem seltene Merkmalskombinationen dadurch direkt gefordert wurden zeigte sich beim Guppy Bei dieser Fischart existieren vor allem von den Mannchen zahlreiche extrem verschiedene Farbmorphen Es konnte nachgewiesen werden dass Mannchen mit selteneren Farbmustern seltener von Raubern gefressen werden 24 Daneben unterliegt dasselbe Merkmal allerdings auch noch der Wirkung der sexuellen Selektion Bei vielen Tierarten bevorzugen die Weibchen gezielt Mannchen mit ungewohnlichen und seltenen Merkmalen gegenuber vertrauten Formen beim Guppy werden z B Mannchen mit seltenen Farbmustern signifikant als Paarungspartner bevorzugt 25 Dieser Effekt kann so weit gehen dass Individuen mit kunstlichen vom Menschen angebrachten Markierungen z B fur verhaltensbiologische Experimente grossere Paarungschancen besitzen wie bei Zebrafinken beobachtet 26 Auswirkungen anderer Variationen auf Genebene Bearbeiten Mutationen in der proteincodierenden Sequenz von Genen und dadurch erzeugte Allele sind der am besten untersuchte Mechanismus der Variationen bereitstellt auf deren Existenz das Wirken der Selektion bei der Gestaltung von Adaptationen angewiesen ist Es gibt allerdings umfangreiche theoretische wie empirische Hinweise auf weitere Mechanismen Wichtige Beispiele sind Mutationen in genregulierenden Sequenzen Genduplikation durch Mutationen bei der Rekombination oder Meiose mit Wandel der Funktion einer der Kopien Genrekrutierung Ubernahme neuer Funktionen fur existierende Gene Exon shuffling Einfugung von Transposons in bestehende Gene Eine Ubersicht uber diese Falle gibt 27 Sogar eine vollige Neuentstehung von Genen aus funktionsloser DNA erscheint wenn auch sehr selten moglich Neuere Evolutionstheorien wie die evolutionare Entwicklungsbiologie stellen diese Vorgange ins Zentrum ihres Interesses auch wenn die empirischen Belege nach wie vor umstritten sind 28 Auch wenn die besprochenen Falle moglicherweise seltener auftreten oder zumindest weniger gut erforscht sind als Mutationen der proteincodierenden Sequenzen sind ihre moglichen Auswirkungen auf die Evolution betrachtlich Einige Forscher haben daraus die Folgerung abgeleitet dass das Wirken der Selektion als entscheidender Triebkraft der Evolution moglicherweise uberschatzt worden ist Das Wirken der Selektion auf solche seltenen Ereignisse ist viel schwieriger im Labor zu erforschen als das der recht gut verstandenen Auswirkungen klassischer Mutationen Trotz ihrer moglicherweise grossen Bedeutung fur die Evolution liegen daher noch keine abgeschlossenen Theorien vor Selektion messen BearbeitenEs ist im Prinzip moglich die Wirkung der Selektion in einer Population direkt zu messen 29 Folgendes ist fur eine Messung erforderlich ein Merkmal das innerhalb der Population variiert von dem ein selektiver Effekt angenommen wird der Effekt dieses Merkmals auf die Fitness Das Mass fur die Fitness ist wie immer die jeweilige Fortpflanzungsrate Notwendig ist also den Fortpflanzungserfolg der Individuen zu messen Tragt man die Variation des Merkmals gegenuber dem Fortpflanzungserfolg in einem Graphen auf konnen sich folgende Zusammenhange ergeben keine Selektion wirksam Es besteht kein Zusammenhang zwischen dem gemessenen Merkmal und dem Fortpflanzungserfolg Der Graph ergibt eine Gerade parallel zur x Achse real durch Messfehler und naturliche Variabilitat nicht perfekt verwirklicht gerichtete Selektion wirksam Der Fortpflanzungserfolg steigt linear mit dem Merkmal an oder fallt linear ab Es ergibt sich im Graphen eine Gerade mit einer Steigung die als Mass fur die Starke der Selektion dienen kann Ist eine der anderen Formen der Selektion wirksam besteht zwischen Merkmal und Fortpflanzungserfolg kein linearer Zusammenhang mehr bei stabilisierender Selektion ergibt sich eine Kurve die bis zu einem bestimmten Maximum ansteigt der optimalen Merkmalsauspragung um danach wieder abzufallen bei disruptiver Selektion ergibt sich eine Kurve die bis zu einem Minimum abfallt um danach wieder anzusteigen Beide Formen ergeben also ahnliche Verteilungen wobei nur das Vorzeichen vertauscht ist Gegenuber der linear wirkenden gerichteten Selektion sind zur mathematischen Beschreibung der Kurve hoherdimensionale quadratische Terme erforderlich Obwohl also die Messung der Selektion vom Prinzip her zunachst relativ einfach erscheint ergeben sich in der Praxis zahlreiche Fallstricke durch die die tatsachliche Messung zu einer anspruchsvollen Aufgabe wird Zunachst ist es in naturlichen Populationen extrem schwierig und je nach Lebensdauer der untersuchten Art auch zeitaufwendig die reale Fortpflanzungsrate uber die gesamte Lebensdauer zu messen Uber kurzere Fristen zu messen ist nicht zulassig weil der Fortpflanzungserfolg bei beinahe jeder Art bekanntermassen vom Lebensalter abhangig ist Im Labor zu messen ist zwar einfacher aber es ist normalerweise nicht zulassig die Ergebnisse auf das Freiland zu ubertragen da die Fitness von der jeweiligen Umwelt abhangig ist Um das Problem zu umgehen wird haufig ein leichter messbares Kriterium verwendet welches im untersuchten Fall einen wesentlichen Anteil der Fitness erklaren kann z B die Uberlebensrate Ein noch grosseres Problem besteht darin dass das gemessene Merkmal moglicherweise gar nicht direkt fur den beobachteten Effekt kausal verantwortlich ist sondern es mit dem eigentlich entscheidenden Merkmal korreliert In der Praxis ist beinahe immer davon auszugehen dass die Selektion auf zahlreiche Merkmale gleichzeitig einwirkt und dass ein bestimmter Effekt von zahlreichen Merkmalen jeweils zum Teil verursacht wird Um den Anteil des betrachteten Merkmals herauszulosen ist dessen partielle Regression zu bestimmen 30 Inzwischen ist bei zahlreichen naturlichen Populationen nach der beschriebenen Methode versucht worden die Starke der einwirkenden Selektion zu messen 31 Die dabei erzielten Resultate sind aber in den meisten Fallen noch nicht aussagekraftig genug weil die Grosse der gemessenen Populationen noch zu klein war 32 Zusatzlich zeigte sich dass die Starke der Selektion scheinbar in den grosseren Studien immer kleiner wurde Dies deutet auf ein Publikations Vorurteil Schubladen Effekt weil Studien die vielleicht nur zufallig einen signifikanten Zusammenhang zwischen Effekt und Merkmal zu belegen scheinen haufiger publiziert und zur Publikation angenommen werden als solche ohne diesen wodurch das Resultat in der Wahrnehmung verzerrt wird Selektion in nicht lebenden Systemen BearbeitenManfred Eigen hat in seinen Untersuchungen zur Selbstorganisation als Ursprung des Lebens das Konzept der Quasispezies entwickelt Dabei hat er das Konzept der Selektion auf chemische Systeme auf der Fruherde vor Entstehung des Lebens ubertragen 33 Nach Eigens Theorie ist eine Evolution unausweichlich sobald autokatalytische Makromolekule und eine Energiequelle vorhanden sind Selektion ist fur ihn ein aus physikalischen Grossen ableitbares Optimalprinzip Siehe auch BearbeitenPhanotypische Variation Evolutionare SpieltheorieLiteratur BearbeitenBenno Muller Hill Selektion Die Wissenschaft von der biologischen Auslese des Menschen durch Menschen In Norbert Frei Hrsg Medizin und Gesundheitspolitik in der NS Zeit R Oldenbourg Verlag Munchen 1991 Schriften der Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte Sondernummer ISBN 3 486 64534 X S 137 155 Douglas J Futuyma Evolutionsbiologie Springer Verlag 1990 ISBN 3 7643 2200 4 Charles Darwin Die Entstehung der Arten Richard Dawkins Der blinde Uhrmacher Kindler Verlag 1992 ISBN 3 463 40078 2 orig 1986 The blind Watchmaker Ernst Mayr und Darwin hat doch recht Piper Munchen 1994 orig 1991 One Long Argument Charles Darwin and the Genesis of Modern Evolutionary Thought George C Williams Adaptation and natural selection Princeton University Press 1996 ISBN 0 691 02615 7 Weblinks BearbeitenSelektion und Fitness Definitionen und theoretische Grundlagen Arten biologischer Selektion Robert Brandon Natural Selection In Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Link zu einem Artikel von Ulf Dieckmann siehe auch Rezente Beispiele fur kunstliche Selektion Unexpected Discontinuities in Life History Evolution under Size dependent Mortality PDFEinzelnachweise Bearbeiten Otto Ammon Die naturliche Auslese beim Menschen Auf Grund der Ergebnisse der anthropologischen Untersuchungen der Wehrpflichtigen in Baden und anderer Materialien Jena 1893 Neil A Campbell Jane B Reece Biologie Spektrum Verlag Heidelberg Berlin 2003 ISBN 3 8274 1352 4 Seite 511 512 und 530 Neil A Campbell Jane B Reece Biologie Spektrum Verlag Heidelberg Berlin 2003 ISBN 3 8274 1352 4 Seite 512 Arnd Kruger A Horse Breeder s Perspective Scientific Racism in Germany 1870 1933 In Norbert Finzsch Dietmar Schirmer Hrsg Identity and Intolerance Nationalism Racism and Xenophobia in Germany and the United States University Press Cambridge Cambridge 1998 ISBN 0 521 59158 9 S 371 396 Richard Law Fishing selection and phenotypic evolution In ICES Journal of Marine Science Band 57 2000 S 659 668 Esben Moland Olsen George R Lilly Mikko Heino M Joanne Morgan John Brattey Ulf Dieckmann Assessing changes in age and size at maturation in collapsing populations of Atlantic cod Gadus morhua In Canadian Journal of Fishery and Aquatic Sciences Band 62 2005 S 811 823 David O Conover amp Stephan B Munch Sustaining fisheries yields over evolutionary time scales In Science Band 297 Nr 5578 2002 S 94 96 David N Reznick amp Cameron K Ghalambor Can commercial fishing cause evolution Answers from guppies Poecilia reticulata In Canadian Journal of Fisheries and Aquatic Sciences Band 62 Nr 4 2005 S 791 801 Eine Ubersicht der 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1016 Ubersicht in John A Endler Natural selection in the wild Princeton University Press Monographs in Population Biology 1986 ISBN 0 691 08387 8 Russell Lande amp Stevan J Arnold The measurement of selection on correlated characters In Evolution Band 37 Nr 6 1983 S 1210 1226 eine Ubersicht in J G Kingsolver H E Hoekstra J M Hoekstra D Berrigan S N Vignieri C E Hill A Hoang P Gibert P Beerli The strength of phenotypic selection in natural populations In American Naturalist Band 157 Nr 3 2001 S 245 261 E I Hersch amp P C Phillips Power and potential bias in field studies of natural selection In Evolution Band 58 Nr 3 2004 S 479 485 Manfred Eigen Selforganization of matter and the evolution of biological macromolecules In Die Naturwissenschaften Band 58 Nr 10 1971 S 465 523 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Selektion Evolution amp oldid 234638568