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Die Evolutionsbiologie ist ein Teilbereich der Biowissenschaften Sie untersucht das Evolutionsgeschehen im Laufe der Erdgeschichte bis heute sowie die Evolutionsfaktoren Zentrale Problemstellungen moderner Evolutionsbiologie sind die Rekonstruktion der stammesgeschichtlichen Ablaufe der Organismen das Zusammenspiel der Evolutionsfaktoren untereinander und mit der Umwelt sowie die Evolution der Genomsysteme die in enger Wechselbeziehung zu den jeweiligen Tragerorganismen stehen Die Evolutionsbiologie ist eng mit anderen Wissenschaftsdisziplinen verknupft z B Geologie Palaontologie Okologie Biogeographie Anatomie Morphologie Physiologie Biochemie Verhaltensbiologie Molekularbiologie und Genetik Inhaltsverzeichnis 1 Evolutionsbiologie als wissenschaftliches Theoriensystem 2 Kurze Geschichte der Evolutionsbiologie 3 Historische Versuche modifizierender Erklarungsansatze 4 Skepsis gegenuber der Evolutionsbiologie 5 Siehe auch 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseEvolutionsbiologie als wissenschaftliches Theoriensystem Bearbeiten Hauptartikel Evolution Die erstmalige textliche Erwahnung der Bezeichnung Evolutionsbiologie findet sich wohl 1942 auf Englisch als evolutionary biology in Julian Huxleys bekannt gewordenem Buch Evolution The Modern Synthesis 1 Im deutschen Sprachraum hat der Begriff Evolutionsbiologie erst in den 1980er Jahren voll Einzug gehalten zuvor sprach man eher nur von der Evolution oder Evolutionstheorie ehemals auch von der Abstammungslehre oder Deszendenztheorie Wahrend Charles Darwin die Evolution d h das Andersartigwerden der zu variablen Populationen zusammengeschlossenen Organismen im Verlaufe zahlreicher Generationenabfolgen noch als Hypothese betrachtete war fur den 14 Jahre jungeren Wallace die Deszendenz mit Modifikation bereits eine Tatsache Am Faktum der biologischen organismischen Evolution hat seit August Weismann 1834 1914 kein sachkundiger Biologe mehr gezweifelt wobei Evolutionsvorgange im Mikro wie im Makromassstab realhistorische Naturvorgange darstellen 2 3 4 Die grundlegenden Prinzipien konnen teilweise experimentell und analytisch uberpruft und vielfach mit altersdatierten Fossilabfolgen einigermassen korrekt nie vollstandig rekonstruiert werden Fruher sprachen Biologen von der Evolutionstheorie seit der Etablierung der modernen Evolutionsbiologie ist aber deutlich dass es keine einheitliche und alle Teilaspekte der Evolution erklarende Generaltheorie gibt sondern dass unterschiedliche Ansatze und Forschungszweige gemeinsam die wissenschaftlichen Bausteine fur die komplexen Einzelprozesse erarbeiten mussen Die Evolutionsbiologie ist somit ein vielgestaltiges Theoriensystem das Konzepte Erkenntnisse und Methoden von der Palaontologie bis zur Molekularbiologie integriert Mit dem Problem des Lebensbeginns auf der Erde beschaftigt sich die chemische Evolution 5 Die biologische Evolution kann zu wesentlichen Teilen als eine Systemeigenschaft von Populationen gesehen werden da mit jeder Nachkommenschaft neue Variabilitat entsteht wobei die genetisch festgelegten Informationen von denjenigen Individuen weiter gegeben werden die sich am erfolgreichsten fortpflanzen Haufig ist eine gute Anpassung an die jeweiligen Umweltbedingungen im weitesten Sinne eine Voraussetzung doch gibt es auch erhebliche Zufallskomponenten bei der differenziellen Genweitergaben speziell bei kleinen Populationsgrossen Vielfach wird in der Analyse und Diskussion zwischen den Genotypen dem Erbbild eines Organismus und den Phanotypen dem Erscheinungsbild eines Organismus unterschieden Fur viele Fragestellungen auch z B fur die Auswirkungen evolutionsbiologischer Prozesse auf medizinische Befunde im Rahmen einer Evolutionsmedizin wird das genomische System seine Dynamik und Evolution selber untersucht Evolutionsbiologische Analysemethoden umfassen somit ein grosses Spektrum naturwissenschaftlicher Verfahrenstechniken Hierzu konnen im Einzelfall physikalische Altersdatierungen zahlen chemische Analysen organischer Reste in den Gesteinen zell entwicklungs und molekularbiologische Studien zum Verstandnis der Entstehung der vielfaltigen Tier und Pflanzengestalten DNA Sequenzanalysen und Stammbaum Rekonstruktionen zum Erkennen der Verwandtschaftsverhaltnisse und der Abzweigungen verschiedener Stammeslinien voneinander z B Menschen und Schimpansen Linie oder auch geologisch tektonische sowie palaoklimatologische Untersuchungen zur Rekonstruktion fruherer Umwelten der damaligen Organismen Kurze Geschichte der Evolutionsbiologie Bearbeiten nbsp Der Deutsch Amerikaner Ernst Mayr 1904 2005 pragte stark die Evolutionsbiologie der zweiten Halfte des 20 JahrhundertsDie moderne Evolutionsbiologie ist eine integrative Wissenschaftsdisziplin die sich in den Jahren 1940 bis 1950 unter anderem durch Arbeiten des britischen Zoologen Julian Huxley 1887 1975 des russisch amerikanischen Insektenforschers und Genetikers Theodosius Dobzhansky 1900 1975 und des deutsch amerikanischen Zoologen und Systematikers Ernst Mayr 1904 2005 entwickelt hat Im Jahre 1946 wurde in den USA die Society for the Study of Evolution gegrundet wobei als Grundungsherausgeber des von der Gesellschaft publizierten Fachjournals Evolution E Mayr amtierte 6 In Europa kam es erst 1987 durch den damals in Basel lehrenden US amerikanischen Evolutionsbiologen Stephen C Stearns zur Grundung einer European Society for Evolutionary Biology ESEB Die starke Verzogerung in der modernen evolutionsbiologischen Forschung auf Kontinentaleuropa ist vermutlich durch die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs und seine Folgen mit verursacht worden Den Ursprung der wissenschaftlichen Evolutionsbiologie kann man im Hauptwerk Jean Baptiste de Lamarcks 1744 1829 sehen der in seinem Buch Philosophie Zoologique 1809 erstmals dargelegt hatte dass die Organismen nicht konstante Schopfungen sind sondern sich aus Urformen entwickelt haben Konzept der Arten Transformation 7 Das Buch wurde allerdings da nicht leicht lesbar geschrieben wenig popular und wird heute vielfach nur noch mit dem sogenannten Lamarckismus in Verbindung gebracht obwohl dies nur ein Teilaspekt im Werk war und auch spatere Forscher des 19 Jahrhunderts namentlich Charles Darwin im Prinzip Anhanger der entsprechenden Theorie waren sie allerdings um weitere zentrale Komponenten erweiterten Mit der 1858 vorgestellten Theorie von Charles Darwin 1809 1882 und Alfred Russel Wallace 1823 1913 Hauptwerke On the Origin of Species 1859 Darwinism 1889 konnte erstmals Mechanismen zur Artentransformation von Darwin als Deszendenz mit Modifikation bezeichnet formuliert werden Zentral waren darin das Prinzip der Evolution durch Variation und naturliche Selektion Auch Spezialaspekte wie die sexuelle Selektion hat er spater 1871 integriert 7 8 Die klassische Abstammungslehre oder Deszendenztheorie wurde von August Weismann und Alfred Russel Wallace zu einer Neo Darwin schen Theorie erweitert welche als Hauptursache der biologischen Variabilitat bei Tieren und Pflanzen die zweigeschlechtliche Fortpflanzung sexuelle Reproduktion annahm die eine Neukombination von Erbanlagen ermoglichte und die gerichtete naturliche Selektion als zentrale Antriebskraft des Artenwandels ansah 9 5 Mit der Entwicklung der Synthetischen Theorie der biologischen Evolution durch Dobzhansky Mayr Huxley und andere Biologen konnte eine Zusammenfuhrung populationsgenetischer Studien mit den Erkenntnissen aus der Palaontologie vergleichenden Anatomie und Biogeographie vollzogen werden 1937 bis ca 1950 Diese auf sechs Haupt Thesen basierende Theorie 5 wurde ab dem Jahr 2000 zur Erweiterten Synthetischen Theorie der biologischen Evolution expanded synthesis ausgebaut wobei auch die von Konstantin Mereschkowski entwickelte Theorie der Symbiogenese integriert wurde 1 5 10 Die moderne molekularphylogenetisch ausgerichtete Evolutionsbiologie ging als eigenstandiger Zweig der Biowissenschaften aus der Erweiterten Synthetischen Theorie hervor und ist heute als alle biologischen Teilgebiete vereinigende Generaldisziplin 1 5 von theoretischer und praktischer Bedeutung Agrikultur Medizin usw Sie erlaubt es mittlerweile sogar die Entwicklung der Genome zum Beispiel die Einbindung parasitischer DNA in Form der Transposons in das Genom hoherer Organismen im Laufe der Erdgeschichte zu rekonstruieren und mittels des Prinzips der molekularen Uhr ungefahr zu datieren Historische Versuche modifizierender Erklarungsansatze BearbeitenFur Einzelaspekte des Evolutionsgeschehens wurden ohne das Prinzip einer Evolution grundsatzlich in Frage zu stellen verschiedentlich modifizierte Hypothesen und Modelle entwickelt die vorubergehend oder regional eine starke Anhangerschaft hatten So wurde in der stalinistisch gefuhrten Sowjetunion zur Zeit des Deutsch Sowjetischen Kriegs bis Anfang der 1960er Jahre eine spezielle Theorie der Weitergabe erworbener Eigenschaften der Lyssenkoismus in Anlehnung an Iwan Mitschurin 1855 1935 und Trofim Lyssenko 1898 1976 als offizielle Staatsdoktrin gelehrt Ihre Lehre wurde insbesondere fur die Ertragssteigerung in der Landwirtschaft propagiert und bekampfte zugleich die im Westen gelehrte Evolutionstheorie Fur die Formbildung komplexer primar tierischer Lebewesen wurden teilweise spezielle Vitalfaktoren so bei Hans Driesch 1867 1941 oder aber die Wirkung einer Innerlichkeit bei Adolf Portmann 1897 1982 propagiert Am Senckenberg Forschungsinstitut wurden in den 1960 70er Jahre Ideen formuliert welche die Umgestaltung von Tierformen in der Erdgeschichte auf Basis einer Hydroskelett Theorie und eines stark modifizierten Konzepts zur evolutiven Anpassung zu erklaren versuchten Die Protagonisten dieser von Wolfgang Gutmann 1935 1997 begrundeten Hypothese sprachen in der Folge von der Frankfurter Evolutionstheorie interpretierten Lebewesen mechanistisch als hydraulische Konstruktionen und postulierten hypothetische Gallertoide als Ausgangsformen aller Gestaltentwicklungen Skepsis gegenuber der Evolutionsbiologie BearbeitenDie wissenschaftlich fundierte Evolutionsbiologie die sich seit rund 200 Jahren stets weiter entwickelt befindet sich immer wieder in kritischer Auseinandersetzung Manche Kritik ist religios motiviert Teilweise werden Alternativ Erklarungen fur den Evolutionsablauf angeboten Oft wird auch das Phanomen der Evolution ganzlich negiert In Diskussionen beobachtet man dabei dass Konzepte und Termini anders gebraucht werden als in der Wissenschaft oder dass die Relevanz und Signifikanz wissenschaftlicher Empirie und Experimentalforschung nicht kritisch gewurdigt oder aber anders interpretiert werden Vielfach begegnet man auch moglicherweise unbewussten nicht wissenschaftlichen Argumentationsweisen Manchmal werden auch Fakten falsch verstanden oder aufgrund eines inharenten anderen Weltbildes anders rezipiert interpretiert und gewertet beispielsweise wenn die Ahnlichkeit gewisser Fossilfunde z B Laubblatter mit manchen heutigen Arten als Beweis fur eine Nicht Evolution gesehen wird Zuweilen kann sich Skepsis auch aus einer von Wissenschaftlerseite geausserten Feststellung entwickeln wonach die Wissenschaft manche Evolutionsprozesse nicht oder noch nicht erklaren kann oder auch dass gewisse Erkenntnislucken stets bleiben werden beispielsweise wegen luckenhafter Fossilberichte Als Alternativkonzept wird dann vom Diskussionspartner vielfach ein gottlicher Schopfungsakt ins Spiel gebracht durch den entweder die Anfangsbedingungen Entstehung von Arten oder aber die gesamte Evolution so eine solche zugestanden wird vorgegeben und gelenkt wurden Hierbei werden auch Schopfungsmythen als argumentative Grundlage angefuhrt und als wahr und nicht als bildhafte Sprache eines fruheren Kulturkreises und als geeignet zur Erklarung realer Ablaufe interpretiert Verschiedentlich werden von religioser Seite Kompromisse prasentiert etwa durch die Postulierung eines Grundtypen Modells in welchem sich aber zahlreiche wissenschaftliche auch konzeptionelle und terminologische Missverstandnisse und Mehrdeutigkeiten verbergen Die Intelligent Design Theorien gehen von perfekt erschaffenen Lebewesen aus missachten aber unter anderem die zahlreichen Design Fehler genetische Defekte Aberrationen usw lebender Organismen welche Nebeneffekte der molekularen Evolutionsprozesse sind 11 Ein weiterer Versuch ist der Third Way of Evolution der Erklarungen uber Evolutionsprozesse jenseits von Kreationismus aber auch von den Erkenntnissen der Evolutionsbiologie anzubieten versucht 12 Siehe auch BearbeitenEvolutionare EntwicklungsbiologieWeblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Evolutionsbiologie Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen AG EvoBio Evolution in Biologie Kultur und Gesellschaft European Society for Evolutionary Biology eseb Gesellschaft fur Biologische Systematik GfBS US National Center for Science Education NCSE Einzelnachweise Bearbeiten a b c Ulrich Kutschera From Darwinism to evolutionary biology In Science Band 321 2008 S 1157 1158 Paul Wrede Saskia Wrede Hg Charles Darwin Die Entstehung der Arten Kommentierte und illustrierte Ausgabe Wiley VCH Weinheim 2013 Douglas J Futuyma Evolutionary Biology Third Edition Sinauer Associates Inc Sunderland Massachusetts 1998 Karl J Niklas The Evolutionary Biology of Plants The University of Chicago Press Chicago London 1997 a b c d e Ulrich Kutschera Evolutionsbiologie 3 Auflage Verlag Eugen Ulmer Stuttgart 2008 http onlinelibrary wiley com journal 10 1111 28ISSN 291558 5646 a b Gunther Osche Evolution Grundlagen Erkenntnisse Entwicklungen der Abstammungslehre Verlag Herder Freiburg i Br 1972 Ernst Mayr The Growth of Biological Thought Diversity Evolution and Inheritance Harvard University Press Cambridge Ma 1982 Thomas Junker Uwe Hossfeld Die Entdeckung der Evolution Eine revolutionare Idee und ihre Geschichte 2 Auflage Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2009 Ulrich Kutschera Tatsache Evolution Was Darwin nicht wissen konnte Deutscher Taschenbuch Verlag Munchen 2009 Ulrich Kutschera Design Fehler in der Natur Alfred Russel Wallace und die Gott lose Evolution LIT Verlag Berlin 2013 Netzwerk The Third Way of EvolutionNormdaten Sachbegriff GND 4153283 1 lobid OGND AKS LCCN sh90004042 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Evolutionsbiologie amp oldid 231477856