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Der Begriff kontinentalwestgermanisches Dialektkontinuum bezeichnet ein nur noch in Teilen intaktes innerwestgermanisches Dialektkontinuum in Mittel und Westeuropa Es umfasst bzw umfasste die dort in einem zusammenhangenden Gebiet gesprochenen oberdeutschen mitteldeutschen niederdeutschen westfriesischen und niederfrankischen Dialekte die heute einer der standardisierten Dachsprachen Deutsch Niederlandisch Westfriesisch und Luxemburgisch zugerechnet werden Der zunehmende Bildungsgrad weiter Teile der Bevolkerung im 19 Jahrhundert und die damit verbundene Verbreitung und Verwendung der Standardsprachen in allen Bevolkerungsschichten spaltete das Dialektkontinuum das heute nur noch teilweise und in unterschiedlichen Stadien des Verfalls erhalten geblieben ist 1 2 3 Inhaltsverzeichnis 1 Begrenzung 2 Beschreibung 3 Literatur 4 EinzelnachweiseBegrenzung BearbeitenDas Dialektkontinuum wird im Norden durch das Danische im Osten durch das Polnische das Tschechische und das Slowakische im Sudosten durch das Ungarische und Slowenische im Suden durch das Italienische und Ratoromanische sowie im Sudwesten und Westen durch das Franzosische begrenzt Haufig an diesen Grenzen sind Orte an denen sowohl deutsche oder niederlandische Dialekte als auch Dialekte dieser Sprachen gesprochen werden Eine solche Diglossie besteht auch in den Sprachgebieten der nordfriesischen ostfriesischen und der zwei sorbischen Sprachen die alle gleichzeitig zum deutschen Sprachraum gehoren und daher das Dialektkontinuum nicht unterbrechen Beschreibung Bearbeiten Kontinentalwestgermanisches Dialektkontinuum um 1900 nach Peter Wiesinger amp Konig 4 5 6 7 mit den folgenden dialektalen Grossgruppen Niederfrankisch 1 Zentralniederlandische Mundarten2 Westflamisch3 Brabantisch4 Limburgisch5 Niederrheinisch deutsche Dachsprache Friesisch 6 Westfriesisch westfriesische Dachsprache 7 Saterlandisch8 Nordfriesisch Niederdeutsch 9 Overijssels niederlandische Dachsprache 10 Gronings niederlandische Dachsprache 11 Westfalisch12 Nordniedersachsisch13 Ostfalisch14 Mecklenburgisch Vorpommersch15 Brandenburgisch16 Mittelpommersch17 Ostpommersch18 Niederpreussisch Mitteldeutsch 19 Ripuarisch20 Luxemburgisch21 Moselfrankisch22 Rheinfrankisch23 Zentralhessisch24 Nordhessisch25 Osthessisch26 Thuringisch27 Nordobersachsisch28 Sudmarkisch29 Obersachsisch30 Schlesisch31 Hochpreussisch Oberdeutsch 32 Oberfrankisch33 Nordbairisch34 Zentralbairisch35 Sudbairisch36 Schwabisch37 Niederalemannisch38 Mittelalemannisch39 Hochalemannisch40 Hochstalemannisch Ehemalige deutsche Sprachgebiete in Ostmitteleuropa seit 1945 50 praktisch nicht mehr existentDas kontinentalwestgermanische Dialektkontinuum reicht vom Schleswigschen Nord Niedersachsischen im aussersten Norden bis zum Hochstalemannischen im aussersten Sudwesten und Sudbairischen im aussersten Sudosten vom Westflamischen im aussersten Westen bis zur deutsch polnischen bzw deutsch tschechischen Sprachgrenze im Osten Ublicherweise konnen Dialektsprecher die Dialekte ihrer nahen Nachbarn verstehen Die kleinen Unterschiede von einer Ortsmundart zur nachsten summieren sich und fuhren letztlich dazu dass ein Dialektsprecher aus Flensburg den Dialektsprecher aus Bern oder Bozen nicht oder nur schwer verstunde und umgekehrt verfugten beide nicht uber Deutsch als uberregionale gemeinsame Standardsprache Bei Dialektsprechern aus Antwerpen Geltungsbereich der niederlandischen Standardsprache und Wien Geltungsbereich der deutschen Standardsprache fehlt eine gemeinsame Dach bzw Standardsprache die direkt zur Uberwindung von Verstandigungsschwierigkeiten beitragen konnte Das deutsch niederlandische Dialektkontinuum erstreckt sich uber die heutigen Geltungsbereiche zweier Standardsprachen den des Deutschen in Deutschland Ostbelgien der Deutschschweiz Osterreich Liechtenstein und Sudtirol in Italien und den des Niederlandischen in den Niederlanden und der belgischen Region Flandern Hinzu kommen das alemannische rheinfrankische und moselfrankische Dialektgebiet im Elsass und nordostlichen Lothringen sowie das westflamische Dialektgebiet um Dunkirchen wo das Franzosische als Amtssprache gilt und die niederlandische Standardsprache nur eingeschrankt verbreitet ist sowie das moselfrankische Dialektgebiet in Luxemburg wo neben der deutschen Standardsprache auch das Luxemburgische einige Funktionen einer Standardsprache ausfullt Die Grenzen der Dialektgruppen stimmen dabei nicht mit den Verbreitungsgebieten der beiden grossen Standardsprachen die weitgehend von den politischen Grenzen bestimmt sind uberein Das Niedersachsische Niederfrankische und Ripuarische werden jeweils beiderseits der deutsch niederlandischen Staatsgrenze gesprochen die die Verbreitungsgebiete der Standardsprachen trennt Der Germanist Jan Goossens beschrieb dass die niederlandischen Dialekte immer deutscher wurden je naher sich diese der sudostlichen Staatsgrenze naherten Desgleichen wurden deutsche Dialekte immer niederlandischer wenn diese sich in nordwestlicher Richtung bewegten und auf die niederlandische Staatsgrenze zuliefen 1 Daher zeigten ostsassische Dialekte die in Teilen der Provinzen Gelderland Achterhoek und Overijssel Twente gesprochen wurden mehrheitlich sprachliche Kennzeichen des benachbarten westfalischen Niederdeutsch Derweil wurden die westsassischen Dialekte bereits grosse Gemeinsamkeiten mit den in Holland oder Brabant gesprochenen Dialekten aufweisen 2 Wahrend bis ins 19 Jahrhundert sowohl das Niederlandische als auch das Deutsche bei der landlichen Bevolkerung reine Buchsprachen waren nach der Schrift sprachen nur wenige von ihnen war die Alltagssprache traditionell der jeweilige Dialekt So sprachen die Bauern aber auch die Stadter aus Deutschland sofern sie nicht der niederlandischen Sprache machtig waren mit ihren niederlandischen Nachbarn auf Platt So schreibt beispielsweise der Germanist Peter von Polenz Im 18 Jh herrschte noch viel Liberalitat beim Neben und Ubereinander verschiedener Sprachen Bei Fortdauer niederdeutscher Grundsprache im mundlichen Verkehr wurden die Schriftsprachen Hochdeutsch und Niederlandisch je nach Empfanger kreis und Sachdomane abwechselnd verwendet selbst noch im oberen Gelderland wobei auch beide Kirchen das Niederlandische gegen preussische Verhochdeutschung in Gottesdienst und Schule stutzten B is schliesslich um 1860 die Schriftsprachgrenzen genau der Staatsgrenzen verliefen Aus den Rhein Maaslandern sind Belgier Deutsche und Niederlander geworden deren Erinnerung an die 1500 jahrige gemeinsame Sprache und Geschichte verblasst sind Peter von Polenz Deutsche Sprachgeschichte vom Spatmittelalter bis zur Gegenwart Bd III 19 und 20 Jahrhundert S 121 Innerhalb der vergleichenden Sprachwissenschaft Germanistik Nederlandistik ist umstritten inwiefern sich das bis in die 1960er Jahre intakte Dialektkontinuum an der deutsch niederlandischen Staatsgrenze infolge des Spracheinflusses der jeweiligen Kultursprachen Deutsch und Niederlandisch aufgelost hat Bis zum Zweiten Weltkrieg war es der Grenzbevolkerung beiderseits der Grenze durchaus moglich mundlich miteinander im Dialekt zu kommunizieren Nach 1945 insbesondere seit den 1960er Jahren ist dort die Tendenz zu beobachten wie sich die jeweiligen Dialekte an der entsprechenden Hoch und Standardsprache gefordert durch Rundfunk Fernsehen usw ausrichten und orientieren sodass die Grenzbevolkerung nun nicht mehr ohne grossere Schwierigkeiten im jeweiligen Dialekt miteinander kommunizieren kann Eine diesbezugliche niederlandische Studie im Rahmen einer Dissertation von 2008 des grenzuberschreitenden kleverlandischen Dialektgebietes kam zu dem Schluss dass sich die Dialekte beiderseits der Staatsgrenze soweit sie denn noch bestehen unter dem starker werdenden Einfluss der jeweiligen Dachsprachen auseinanderentwickelt und im kleverlandischen Dialektraum auch zu einer dialektalen Sprachgrenze gefuhrt haben 8 9 10 Heute vertritt nur noch eine Minderheit der Germanisten die Auffassung dass das Dialektkontinuum an der deutsch niederlandischen Staatsgrenze weiterhin grenzubergreifend besteht 11 12 indes Jan Goossens bereits 1970 feststellte dass die deutsch niederlandische Staatsgrenze de facto auch die Dialektgrenze zwischen niederlandischen und deutschen Dialekten darstelle 13 Eine ahnliche Entwicklung wie die die das Niederlandische durchlaufen hat vollzog sich bereits in den 1930er Jahren in Luxemburg und der deutschsprachigen Schweiz Dort wurde nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 im Zuge der nationalen Selbstfindung der Luxemburger und Deutschschweizer die jeweilige Mundart ausgebaut In Luxemburg gilt diese seit 1980 als eine der amtlichen Arbeitssprachen und als Nationalsprache der autochthonen germanischstammigen Bevolkerung In der Schweiz und in Luxemburg empfinden einige der Einwohner die als Muttersprache einen germanischen Dialekt sprechen das Hochdeutsche inzwischen als Fremdsprache Literatur BearbeitenJ K Chambers Peter Trudgill Dialectology 2 edition Cambridge University Press Cambridge 1998 ISBN 0 521 59646 7 Cambridge textbooks in linguistics Folkert de Vriend Jan Pieter Kunst Louis ten Bosch Charlotte Giesbers Roeland van Hout Evaluating the Relationship between Linguistic and Geographic Distances using a 3D Visualization Radboud University Nijmegen 2008 Charlotte Giesbers Dialecten op de grens van twee talen een dialectologisch en sociolinguistisch onderzoek in het Kleverlands dialectgebied Proefschrift Radboud Universiteit Nijmegen 2008 Mit einer deutschsprachigen Zusammenfassung auf Seite 233 ff Alfred Lameli Strukturen im Sprachraum Analysen zur arealtypologischen Komplexitat der Dialekte in Deutschland Berlin Boston 2013 ISBN 3 11 033123 3 Einzelnachweise Bearbeiten a b Jan Goossens Deutsche Dialektologie Kapitel Deutsche Dialektologie De Gruyter 1977 Sammlung Goschen ISBN 3 11 007203 3 S 48 a b Jan Goossens Niederlandische Mundarten vom Deutschen aus gesehen in Niederdeutsches Wort Kleine Beitrage zur niederdeutschen Mundart und Namenskunde Bd 10 Verlag Aschendorf Munster 1970 S 78 C Hoppenbrouwers amp G Hoppenbrouwers De indeling van de Nederlandse streektalen dialecten van 156 steden en dorpen geklasseerd volgens de FFM Uitgeverij Van Gorcum Assen 2001 S 56 60 W Heeringa Measuring Dialect Pronunciation Differences using Levenshtein Distance University of Groningen 2009 S 232 234 P Wiesinger Die Einteilung der deutschen Dialekte In Dialektologie Ein Handbuch zur deutschen und allgemeinen Dialektforschung Berlin New York S 807 900 W Konig dtv Atlas Deutsche Sprache Munchen 2019 S 230 C Giesbers Dialecten op de grens van twee talen Radboud Universiteit Nijmegen 2008 S 233 C Giesbers 2008 S 187 Halyna Leontiy Multikulturelles Deutschland im Sprachvergleich das Deutsche im Fokus der meist verbreiteten Migrantensprachen Googlebooks S 28 abgerufen am 15 November 2018 Britta Weimann Vielfalt der Sprachen Varianz der Perspektiven Zur Geschichte und Gegenwart der Luxemburger Gegenwart S 258 Googlebooks abgerufen am 28 November 2018 Heinz Drugh Susanne Komfort Hein Andreas Krass Cecile Meier Gabriele Rohowski Robert Seidel Helmut Weiss Hrsg Germanistik Sprachwissenschaft Literaturwissenschaft Schlusselkompetenzen Googlebooks Eintrag Westgermanisch S 126 abgerufen am 15 November 2018 Ralf Porings Ulrich Schmitz Hrsg Sprache und Sprachwissenschaft eine kognitiv orientierte Einfuhrung Googlebooks S 247 Jan Goossens Niederlandische Mundarten vom Deutschen aus gesehen in Niederdeutsches Wort Kleine Beitrage zur niederdeutschen Mundart und Namenskunde Bd 10 Verlag Aschendorf Munster 1970 S 63 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kontinentalwestgermanisches Dialektkontinuum amp oldid 234220843