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Die Diglossie griechisch diglwssia diglossia deutsch Zweisprachigkeit ist eine besondere Form der Zweisprachigkeit bei der die Sprachen einen ungleichen Status haben Inhaltsverzeichnis 1 Begriff 2 Begriffsgeschichte 3 Diglossie versus Standard Dialekt Kontinuum 4 Sprachgemeinschaften mit Diglossie 5 Deutschschweiz Diglossie oder Bilingualismus 5 1 Argumente in der Tendenz fur Diglossie 5 2 Argumente in der Tendenz fur Bilingualismus 6 Situation in den arabischen Staaten 7 Friesisch in den Niederlanden 8 Aramaische Diglossie 9 Diglossien in Literatur und Film 10 Siehe auch 11 Literatur 12 Weblinks 13 EinzelnachweiseBegriff BearbeitenDiglossie beschreibt die Zweisprachigkeit einer ganzen Gesellschaft bei der es eine klare funktionale Differenzierung zwischen zwei sozial unterschiedlich gewerteten Sprachvarietaten gibt Meist sind es Varietaten derselben Sprache Insbesondere wird so die Koexistenz von Dialekt und Standardsprache oder von gesprochener Volkssprache zur geschriebenen Hochsprache bezeichnet Im Regelfall verfugen alle Sprecher einer solchen Gemeinschaft uber die Fahigkeit in denselben zwei oder auch mehr Varietaten bzw Einzelsprachen zu kommunizieren verwenden aber die eine und die andere nur in bestimmten Situationen beispielsweise die eine Varietat meist als L fur englisch low niedrig bezeichnet in familiaren Alltagsgesprachen und Talkshows die andere H fur englisch high hoch in Ausbildung und Beruf gegenuber Amtern und im offentlichen Raum Es ergibt sich eine funktionale Spezialisierung des Sprachvermogens Die Lebensbereiche in denen die Sprachen oder Varietaten jeweils verwendet werden nennt man Domanen 1 In der Deutschschweiz zum Beispiel werden die jeweiligen lokalen Dialekte und die deutsche Standardsprache das Hochdeutsche nicht als Dialekt Standard Kontinuum verwendet sondern man trennt die beiden Sprachvarietaten und wechselt je nach Situation von der einen in die andere So wird in den lokalen Fernseh und Radiosendern fur das alltagliche Begleit und Unterhaltungsprogramm fast durchgehend Dialekt gesprochen dabei kann es vorkommen dass einzelne Sprecher kein Schweizerdeutsch sprechen es aber verstehen und die Sendung dennoch auf Schweizerdeutsch abgehalten wird wahrend die Nachrichtensendungen wie auch der Kultursender SRF2 sowie Printmedien und Schul Bucher Hochdeutsch verwenden Unterrichtssprache ist an mittleren und hoheren Schulen Hochdeutsch an Universitaten daneben auch Englisch schulisch administrative Belange werden jedoch oft auf Schweizerdeutsch besprochen In den Kindergarten wird normalerweise Schweizerdeutsch gesprochen in einzelnen Kantonen ist dies gesetzlich vorgeschrieben 2 3 Eine ahnliche Situation existiert auch in Luxemburg mit der Nationalsprache Letzebuergesch in Beziehung zu einer Amtssprache der deutschen Hochsprache Die andere Amtssprache ist Franzosisch Der luxemburgischen Nationalsprache wird international meist der Status eines Ausbaudialekts zugeschrieben Luxemburgisch wird von den meisten Luxemburgern als Muttersprache gesprochen auch z B im nationalen Fernsehen und Radio wird es benutzt Als Schreibsprache wird dagegen mehrheitlich Deutsch verwendet in kleinerem aber signifikantem Umfang Franzosisch So verwenden die meisten und die grossten Printmedien aber auch die Schul Bucher und teilweise die elektronischen Medien im Grossherzogtum Standarddeutsch Entdiglossierung bezeichnet das Verschwinden der Diglossie wie es beispielsweise in Norddeutschland geschieht Vom 16 bis in das 20 Jahrhundert herrschte dort eine Diglossie mit Standarddeutsch als Schriftsprache und Sprache des amtlichen Gebrauchs und Plattdeutsch als allgemeine Umgangssprache Seit dem 20 Jahrhundert setzt sich dort allerdings Standarddeutsch als Sprache in allen sozialen Bereichen durch Dieser Prozess ist fur die jungeren Generationen weitgehend abgeschlossen in den alteren Generationen bestehen teilweise weiter diglossische Verhaltnisse Begriffsgeschichte BearbeitenDer Terminus franz diglossie wurde von Ioannis Psycharis franzosisiert Jean Psichari 1885 fur die damalige Sprachsituation in Griechenland gepragt wo bis in die 1970er Jahre zwei Varietaten des Griechischen die gelehrtere und meist geschriebene Katharevousa und die muttersprachlich gesprochene Dimotiki nebeneinander gebraucht wurden William Marcais bezog den Terminus auf die arabischsprachigen Lander in denen die jeweiligen nationalen Varietaten des Arabischen neben dem Hocharabischen stehen Charles A Ferguson schliesslich stellte in seinem beruhmten Aufsatz Diglossia von 1959 neben den griechischen und arabischen Sprachraum auch den deutschschweizerischen Standarddeutsch und Schweizerdeutsch und haitianischen Standardfranzosisch und Kreolisch Joshua Fishman erweiterte das Konzept 1967 extended diglossia seines Erachtens sollten auch diglossische Situationen in denen die Sprachen nicht miteinander verwandt sind beispielsweise Hindi und Tamil in Tamil Nadu Indien als echte Diglossie gelten In dieser Frage herrscht unter Sozio Linguisten Uneinigkeit 1981 empfahl Gottfried Kolde fur die deutschsprachige Schweiz den Terminus mediale Diglossie zu verwenden da sich hier im Laufe der Zeit die Funktionsaufteilung von Dialekt und Standardsprache geandert hatte und in den meisten Fallen das Medium die Wahl der Varietat bestimmt In einer allgemeineren Fassung des Begriffes werden bisweilen sogar alle kommunikativen Situationen als diglossisch bezeichnet in denen zwei oder mehrere Sprachvarietaten den unterschiedlichen funktionalen Sprachkontext berucksichtigen in diesem Sinne umfasst Diglossie auch die Verwendung verschiedener Sprachregister und Soziolekte in einer Sprachgemeinschaft Diglossie versus Standard Dialekt Kontinuum BearbeitenDiglossie ahnelt auf den ersten Blick der Situation fur Dialektsprecher Der Dialekt wird haufig ausschliesslich mundlich verwendet und zwar lokal und funktional begrenzt vor allem in informellen Kontexten Fur formelle Kommunikationssituationen ausserhalb der Familie und des lokalen Freundeskreises wird eine Standardsprache verwendet oder eine Varietat der Standardsprache die dieser sehr nahekommt aber regional gefarbt ist Regionalsprache oder Regiolekt Da aber beispielsweise im deutschen Sprachraum der Bundesrepublik Deutschland die Dialektsprecher immer weniger werden und inzwischen viele Menschen keinen Dialekt mehr sprechen kann die Standardsprache auch in all jenen Situationen benutzt werden in denen sonst der Dialekt vorherrscht e im Gegensatz zu einer echten Diglossie wie in der Deutschschweiz in den meisten Regionen von Osterreich oder in Luxemburg wo die Einheimischen in Alltagssituationen fast ausschliesslich ihre Dialekte sprechen und der mundliche Gebrauch der Standardsprache unublich ist Hinzu kommt dass vielerorts Sprachmischungen aus Ortsdialekt L Regionalsprache oder Regiolekt und Standardsprache H entstanden sind In einer echt diglossischen Situation sind die Grenzen niemals fliessend Im Gegensatz dazu existieren beim Dialekt Standard Kontinuum immer Graustufen die selbst da wo sie wenig genutzt werden von den Sprechern als richtig empfunden werden Sprachgemeinschaften mit Diglossie BearbeitenAusser den vier von Ferguson genannten Diglossie Fallen damaliges Griechenland Deutschschweiz arabische Lander Haiti wurde fur eine Reihe weiterer Sprachgemeinschaften postuliert dass in ihnen Diglossie herrsche Ahnlich wie in der Schweiz gibt es in Sudtirol einen Diglossie Fall Die Mundart wird im Umgang mit allen Sudtiroler Mundartsprechern verwendet sei es im Beruf oder im Privatleben Einzig in der Schule und im Fernsehen wird Hochdeutsch gesprochen Sudtiroler wechseln im Normalfall ins Hochdeutsche wenn sie mit einer Person sprechen fur die die Sudtiroler Mundart nur schwer oder uberhaupt nicht verstandlich ist Darunter ist auch die Sprachsituation der Kiewer Rus auf die Boris Andrejewitsch Uspenski das Diglossie Konzept 1983 anwandte Demnach wurde dort das Kirchenslawische als H neben dem Altostslawischen als L verwendet Auch in ostasiatischen Gesellschaften war in gebildeten Schichten lange Zeit das Phanomen der Diglossie zu beobachten dies jedoch wahrscheinlich nicht auf der Ebene der gesprochenen Sprache Das klassische Chinesisch diente uber China hinaus auch in Korea Japan und Vietnam als universelle Schriftsprache da bei diesen Gesellschaften zunachst noch keine eigenen Schriftsysteme vorhanden waren Daruber hinaus diente das Chinesische als Trager der gemeinsamen buddhistischen und konfuzianischen Tradition An der Grenze dieses Phanomens ist die Sprachsituation in Tschechien Die gesprochene tschechische Sprache unterscheidet sich deutlich von der vor allem in Medien verwendeten Schriftsprache Die tschechische Schriftsprache basiert auf der Kralitzer Bibel aus dem 16 Jahrhundert Mitteltschechisch wahrend sich die Umgangssprache aus dem mittelbohmischen Dialekt entwickelte Diese Diskontinuitat wurde verursacht durch die Germanisierung nach der Schlacht am Weissen Berg 1620 in deren Folge die bohmischen Lander dauerhaft bis 1918 zum habsburgischen Herrschaftsbereich gehorten und Tschechen und Deutsche hier ihre gemeinsame Heimat hatten In dieser Zeit wurde Tschechisch fast nur noch von Bauern in den sprichwortlichen bohmischen Dorfern gesprochen wahrend die Sprache der Gebildeten und der Stadter Deutsch war Am Ende des 18 bis Anfang des 19 Jahrhunderts entstand unter Fuhrung von Josef Dobrovsky und Josef Jungmann die tschechische Wiedergeburtsbewegung die wieder eine tschechische Schriftsprache schaffen wollte und dabei eben an die Tradition vor dem 17 Jahrhundert anknupfte Ebenfalls in einer diglossischen Situation leben viele Einwanderer vor allem der zweiten Generation in Westeuropa In Frankreich werden sie sofern sie maghrebinischer und somit meist arabischsprachiger Herkunft sind Beurs ein Verlan Ausdruck fur Araber genannt In der Schweiz werden sie unabhangig ihrer Herkunft Secondos genannt benannt nach den ersten die italienischer Herkunft waren Weil die Elterngeneration die Landessprache nur schlecht oder uberhaupt nicht beherrscht trennen Jugendliche und Kinder ihr Kommunikationsverhalten zwischen dem ausseren landessprachlichen und dem familieninternen Bereich auf wobei es in der Kommunikation unter den Jugendlichen selbst oft zu sprachlichen Durchmischungen kommt Die romanischen Sprachen entwickelten sich erst zu eigenstandigen Sprachen nachdem die Diglossie des Latein wegen des Zusammenbruchs des Romischen Reiches nicht mehr aufrechterhalten werden konnte Deutschschweiz Diglossie oder Bilingualismus BearbeitenSeit vielen Jahrzehnten diskutiert die Sprachwissenschaft uber die Frage ob Standarddeutsch fur Deutschschweizer nun eine Fremdsprache sei oder nicht Die sich damit thematisch befassenden Experten sind vereinfacht gesagt in zwei Lager aufgeteilt Diejenigen welche die schweizerdeutschen Dialekte fur eine Varietat einer gemeindeutschen Sprache also nicht fur eine eigenstandige Sprache halten und diejenigen welche den schweizerdeutschen Dialekten so viel sprachliche Eigentumlichkeit und oder Ausgebautheit attestieren dass im Gegenzug Standarddeutsch eher als Fremdsprache zu betrachten sei Wahrend erstere sich in der Regel dafur entscheiden die schweizerische Sprachsituation anhand des Diglossie Modells zu beschreiben halten letztere die Beschreibung des deutschschweizerischen Sprachzustands anhand des Bilingualismus Modells meist fur angemessener Argumente in der Tendenz fur Diglossie Bearbeiten Fur Beat Siebenhaar und Alfred Wyler scheint ganz klar zu sein dass die deutschsprachige Schweiz als digloss gilt Die Sprachsituation der Deutschschweiz entspricht somit dem Muster der Diglossie In einer Sprachgemeinschaft werden zwei Formen der gleichen Sprache verwendet eine hochsprachliche und eine volkssprachliche und jede Sprachform hat unterschiedliche Geltungsbereiche Dabei sind die Sprachformen immer deutlich voneinander unterschieden Misch und Ubergangsformen gibt es kaum 4 Dem Standarddeutschen Fremdsprachencharakter zuzuschreiben lehnen sie klar ab Die Unterschiede zwischen den schweizerdeutschen Dialekten und der Hochsprache sind vor allem in der Lautung aber auch in den grammatischen Formen derart gross dass immer wieder behauptet wird die Hochsprache sei fur Schweizer eine Fremdsprache die sie in der Schule erst muhsam erlernen mussten wahrend die Deutschen sie von allem Anfang an beherrschten Diese Meinung ist jedoch falsch Auch in Deutschland mussen sich die Kinder in der Schule im Gebrauch der schriftnahen Hochsprache uben selbst dort wo die Umgangssprache nur einen kleinen Abstand zur Hochsprache hat Uberdies lasst die enge Verwandtschaft zwischen den beiden Sprachformen kaum zu das Schweizerdeutsche als selbstandige Sprache zu bezeichnen trotz lautlicher Unterschiede welche die Verstandigung durchaus in Frage stellen Die Gemeinsamkeiten im Wortschatz und in der Syntax sind zudem viel grosser als zwischen dem Deutschen und nahe verwandten Fremdsprachen wie etwa dem Niederlandischen oder dem Englischen 4 Siebenhaar fugt dem hinzu dass zwar eine Tendenz zur medialen Diglossie bestehe diese aber nur fur den Nahebereich zutreffe vgl Siebenhaar 03 Auch Peter Sieber und Horst Sitta 1986 33 f sind gegen eine Kategorisierung als Fremdsprache Obwohl sie der Ansicht sind dass die Frage ob Standarddeutsch als Fremdsprache zu bezeichnen ist letztlich eine politische und keine linguistische Frage sei pladieren sie dafur die Standardsprache nicht als Fremdsprache zu bezeichnen vor allem deshalb weil die Standardsprache im schriftlichen Bereich einen klar festen Platz hat Daruber hinaus sei es aus Sicht der angewandten Linguistik sehr ratsam diesem Gedankengebilde wonach Standarddeutsch eine Fremdsprache sei kategorisch entgegenzutreten um die Bereitschaft der Deutschschweizer Standarddeutsch zu lernen und anzuwenden nicht zusatzlich zu vermindern Ulrich Ammon 1995 vertritt im Gegensatz zu Arthur Baur und Iwar Werlen die Meinung dass die Ausgebautheit per se der schweizerdeutschen Dialekte nicht Kriterium genug ist um die schweizerdeutschen Dialekte als eigenstandige Sprachen zu bezeichnen Die mangelnde Standardisiertheit der zu geringe sprachsystematische Abstand zu den anderen deutschen Varietaten und der Gebrauch der alemannischen Dialekte auch auf bundesdeutschem und osterreichischem Terrain erlauben es nicht Standarddeutsch aus der Sicht von Deutschschweizern als Fremdsprache zu betrachten Auch Walter Haas 2004 ist von der diglossischen Situation uberzeugt und halt fest dass es bei der Mundart und der Standardsprache um einen Extremfall der Registervariation handelt Beide Varianten erfullen zwei verschiedene stilistische Grundfunktionen Nahe und Distanz Ausserdem sei die Situation mit der Bilingualismus Situation mit zwei unahnlichen Sprachen nicht zu vergleichen 5 Argumente in der Tendenz fur Bilingualismus Bearbeiten Arthur Baur 1983 37 41 64f vertritt die Meinung dass die Standardsprache in der Schweiz als Fremdsprache einzustufen sei mit der Begrundung dass die schweizerdeutschen Dialekte voll ausgebaut sind Das heisst die Dialekte sind so weit entwickelt dass sie in jeder Kommunikationssituation wie z B in fachlichen oder amtlichen Kontexten problemlos verwendet werden konnen Dass sich die Dialekte so ausbauen konnten hangt auch damit zusammen dass das Schweizerdeutsche ein Sprachprestige besitzt und funktional stilistisch differenzieren kann wie dies bei anderen Nationalsprachen der Fall ist Daruber hinaus halt Baur fest dass ein nennenswerter sprachsystematischer Abstand zwischen Dialekt und Standardsprache bezuglich Lautung Grammatik und Lexik besteht All diese Eigenschaften der Dialekte lassen ihn zum Schluss kommen dass die schweizerdeutschen Dialekte als eine eigenstandige voll ausgebaute Sprache zu betrachten sind 5 Auch Roland Ris 1990 ist der Ansicht dass die Bedingungen fur eine Diglossiesituation nach dem klassischen Modell von Ferguson mit High und Low Variante nicht mehr gegeben sind Mit dem Abbau der schichtenspezifischen Markierung beim Gebrauch der Mundart uberhaupt und der weitgehenden Neutralisierung ihrer fruher stark wahrgenommenen Varietaten einerseits und der Durchlassigmachung der ursprunglich situativen Aufteilung zwischen Hochdeutsch und Mundart andererseits ist es nicht mehr sinnvoll das traditionelle Diglossiemodell zu verwenden Es ist vielmehr davon auszugehen dass der Deutschschweizer uber jedes Thema in fast jeder Situation Mundart spricht Wenn wir diesen Tatbestand moglichst sine ira et studio ohne Zorn und Eifer betrachten mussen wir feststellen dass die gesprochene Mundart nahezu all die Funktionen wahrnimmt die anderswo einer gesprochenen Hochsprache zukommen und das impliziert wiederum dass das gesprochene Hochdeutsch in der Schweiz im internen Gebrauch nicht mehr als komplementare Sprachform im Sinne des Diglossiemodells funktioniert sondern als Zweitsprache im Sinne des Bilingualismusmodells die man in gewissen Kommunikationssituationen mehr noch verwenden darf als verwenden muss 6 7 Dessen ungeachtet halt er fest dass es kein fur alle Deutschschweizer verbindliches Sprachgefuhl gibt und dass auch anzunehmen ist dass vor allem fur gebildete Altere oder fur solche die engen Kontakt mit Deutschen haben nach wie vor das Diglossie Modell gilt vgl Ris 1990 43 44 Wie Baur kommt auch Iwar Werlen 1998 zum Schluss dass beide Varietaten voll ausgebaut sind auch wenn sich Unterschiede bezuglich Literalitat und Oralitat Rezeption und Produktion massenmedialer und personlicher Gebrauchssituation und bei ihrer Verwendung in In und Outgroup Kommunikation feststellen lassen Er glaubt das Konzept der Diglossie sei nicht mehr angemessen und zieht es vor den schweizerdeutschen Sprachzustand als asymmetrische Zweisprachigkeit zu bezeichnen vgl Hagi Scharloth 2005 Gleich wie Werlen glaubt auch Raphael Berthele 2004 8 dass das Diglossie Modell nach Ferguson die Deutschschweiz nur ungenugend beschreibt Ausserdem weist er darauf hin dass die Mehrheit der Deutschschweizer selber Standarddeutsch als Fremdsprache empfindet Deshalb erscheint es ihm sinnvoller die deutschsprachige Schweiz anhand des Bilingualismus Modells zu beschreiben vgl Hagi Scharloth 2005 Die Resultate einer Fragebogenerhebung von Scharloth aus dem Jahr 2003 wonach Deutschschweizer nach ihrem personlichen Verhaltnis und dem der Deutschschweizer allgemein zur Standardsprache befragt wurden erlauben es trotz des stichprobenartigen Charakters dieser Untersuchung einige Tendenzen bei der Selbsteinschatzung und der des Kollektivs herauszulesen Diese Tendenzen konnten auch als Argument fur den Fremdsprachencharakter des Standarddeutschen interpretiert werden 79 Prozent der Befragten bejahten die Frage wonach Standarddeutsch fur die Deutschschweizer die erste Fremdsprache sei Nur 6 Prozent der Befragten gaben an dass in der Schweiz gutes Hochdeutsch gesprochen werde 76 Prozent attribuierten den Sprechern nur massige mundliche Hochsprachkompetenz Gar 18 Prozent entschieden sich fur das Pradikat schlecht Daraus konnte man ableiten dass die Zahlen tendenziell eher das Bilingualismus Modell stutzen Doch auf die Frage ob denn nun Hochdeutsch fur sie personlich eine Fremdsprache darstelle bejahten dies nur noch 30 Prozent Bei der Frage die einerseits Aufschluss uber die Selbsteinschatzung der individuellen mundlichen Kompetenz in der Standardsprache geben und andererseits die Kompetenz des Kollektivs beurteilen soll waren die Ergebnisse ahnlich gegensatzlich Folglich kann man sagen dass der durchschnittliche Deutschschweizer seine eigene Deutschkompetenz hoher einstuft als die seiner Mitburger Insofern erweist es sich abschliessend als fraglich ob die Selbsteinschatzung der Deutschschweizer als Argument fur den Fremdsprachencharakter gultig gemacht werden kann vgl Scharloth 2003 Situation in den arabischen Staaten BearbeitenIm Arabischen besteht ebenfalls eine deutliche Trennung zwischen Hochsprache und Umgangssprache Geschriebene Texte sowohl religioser als auch profaner Art sind grosstenteils im Hocharabischen verfasst Demgegenuber bedienen sich arabische Muttersprachler im mundlichen Sprachgebrauch grosstenteils ihres Dialekts auch Spielfilme und Lieder sind meist in der Umgangssprache Diese Trennung Hocharabisch als geschriebene Dialekt als gesprochene Sprache wird in bestimmten Situationen aufgehoben beispielsweise wenn ein geschriebener Text rezitiert oder eine sprachlich anspruchsvolle Rede gehalten werden soll Umgekehrt wird der Dialekt in der Volksdichtung oder bei der Wiedergabe von Dialogen in Romanen verschriftlicht um eine grossere Volksnahe bzw Authentizitat auszudrucken Hochsprache und lokale Dialekte unterscheiden sich trotz der gemeinsamen Wurzeln sowohl in der Grammatik als auch in der Lexik Auch zwischen den einzelnen arabischen Dialekten bestehen Unterschiede sodass das Hocharabische als Sprache des Korans und als gemeinsame Sprache aller Araber weiterhin gelehrt wird Die Aufspaltung zwischen der synthetisch aufgebauten klassischen Schriftsprache und den arabischen Dialekten die einen analytischen Sprachbau aufweisen geht auf die Ausbreitung des Islams im 7 und 8 Jahrhundert zuruck und beruht in erster Linie auf dem Kontakt mit Griechisch und Persisch sprechenden Volkern Bis heute wird jede neue Generation von Arabischsprechern in diese Diglossie hineingeboren 9 Friesisch in den Niederlanden BearbeitenBis die Friesische Sprache 1956 offiziell von dem niederlandischen Staat als Reichssprache anerkannt wurde war das Friesische vor allem eine Haus und Familiensprache In der Kirche beim Gericht und in der Schule wurde ausschliesslich Niederlandisch gesprochen und geschrieben Seit der Anerkennung wurde Friesischsprachigen die Moglichkeit geboten sich im Justizsystem beim Gerechtshof Arnhem Leeuwarden auch auf Friesisch zu aussern und wurde die friesische Sprache innerhalb Frieslands auch im Unterricht und in der Kommunalpolitik mit dem Standardniederlandisch gleichgesetzt 10 Aramaische Diglossie BearbeitenAuch im Aramaischen besteht eine Trennung zwischen Hoch und Umgangssprache Im Gebiet des Tur Abdin wurde vor den massiven Auswanderungen der dort ansassigen Aramaer die klassisch syrische Hochsprache Kthobonoyo vor allem als Kirchensprache und nicht im Alltag verwendet wohingegen die eigentliche Muttersprache der Bevolkerung das nur gesprochene und allgemein nicht geschriebene neuostaramaische Ṭuroyo war 11 Mit der Aussenwelt sprachen die Aramaer die Staatssprache Turkisch deren Kenntnis im Alltag unerlasslich war sowie mit der Mehrheitsbevolkerung im turkischen Sudosten Kurdisch Kthobonoyo wird nicht mehr als Muttersprache gelernt und ist daher als tote Sprache anzusehen lebt jedoch als eine der grossen Kultursprachen der Menschheit in der Wissenschaft weiter da sie an Universitaten weltweit studiert und erforscht wird und ein umfangreiches Textkorpus in dieser Sprache existiert und wird als Sprache der syrisch orthodoxen Kirche nach wie vor im Gottesdienst verwandt 12 Ṭuroyo hingegen gilt als bedrohte Sprache da modernes Aramaisch in den Landern der aramaischen Diaspora einen sehr geringen Status hat nicht alle Nachkommen der Auswanderer die Sprache ihren Kindern beibringen und Ṭuroyo im Gegensatz zur Sakralsprache eine schriftlose Sprache ist und daher kaum schulisch vermittelt werden kann 13 Diglossien in Literatur und Film BearbeitenDer Schriftsteller und Literaturnobelpreistrager Thomas Mann zeigt in seinem Roman Buddenbrooks als Randthema die Diglossie der Manner der Lubecker Kaufmannsfamilie Buddenbrook im 19 Jahrhundert die untereinander in der Familie und im Geschaftsverkehr Hochdeutsch reden jedoch zu ihren Arbeitern auf Platt sprechen mussen Auch die Verfilmung von 2008 zeigt dies recht eindrucksvoll Rheinische Diglossien klingen immer wieder an in Werken des Literaturnobelpreistragers Heinrich Boll so zum Beispiel in Ende einer Dienstfahrt Diese Novelle ist ausserlich in trockenstem Protokollstil fast Juristendeutsch geschrieben Durch Bolls standige oft kaum ubersetzbare Einsprengsel lebendiger Lokalsprache erhalt das Werk eine weitere oft kabarettistisch anmutende Ebene Es wird etwa uber eine Zeugin nach umstandlicher Vorstellung im Nebensatz gesagt von Verwandten und im Dorf nur die Kroserin genannt 14 Durch den Gegensatz zwischen den auf den Punkt genauen Worten des ripuarischen Dialekts und ihren erkennbar muhseligen Annaherungen durch Erklarung und Umschreibungen in der noch sehr preussischen Obrigkeitssprache der spaten 1950er und fruhen 1960er Jahre erschliesst sich die Diglossiesituation des Kolner Umlandes dieser Zeit ohne die eine Erzahlung in der Art unmoglich gewesen ware Siehe auch BearbeitenU EnglishLiteratur BearbeitenCharles A Ferguson Diglossie In Anwendungsbereiche der Soziolinguistik Darmstadt 1982 S 253 276 Ubersetzung von Diglossia In Word Journal of the Linguistic Circle of New York 15 1959 S 325 340 J A Fishman Bilingualism with and without Diglossia Diglossia with and without Bilingualism In Society for the Psychological Study of Social Issues Hrsg Journal of Social Issues Blackwell Publishers for the Society for the Psychological Study of Social Issues Malden MA etc 1967 Nicole Eilinger Fitze Oh dieses Schweizerdeutsch Eine heitere und unterhaltsame Betrachtung der Sprache unserer Nachbarn 1 Auflage Conrad Stein Welver 2007 ISBN 978 3 86686 912 7 Csaba Foldes Kontaktdeutsch Zur Theorie eines Varietatentyps unter transkulturellen Bedingungen von Mehrsprachigkeit Narr Tubingen 2005 ISBN 3 8233 6160 0 foeldes eu PDF Dorte Hansen Jaax Transfer bei Diglossie Synchrone Sprachkontaktphanomene im Niederdeutschen Kovac Hamburg 1995 ISBN 3 86064 292 8 Zugleich Dissertation an der Universitat Hamburg Prozesse kultureller Integration und Desintegration Deutsche Tschechen Bohmen im 19 Jahrhundert In Steffen Hohne Andreas Ohme Hrsg Veroffentlichungen des Collegium Carolinum 1 Auflage Band 103 Oldenbourg Munchen 2005 ISBN 3 486 57588 0 Georg Kremnitz Gesellschaftliche Mehrsprachigkeit Institutionelle gesellschaftliche und individuelle Aspekte Ein einfuhrender Uberblick Braumuller Wien 1994 ISBN 3 7003 1071 4 Felicity Rash Die deutsche Sprache in der Schweiz Mehrsprachigkeit Diglossie und Veranderung 1 Auflage Lang Bern 2002 ISBN 3 906768 94 5 Englische Ausgabe unter dem Titel The German Language in Switzerland Ursula Reutner Vers une typologie pluridimensionnelle des francophonies In Ursula Reutner Manuel des francophonies De Gruyter Berlin Boston 2017 ISBN 978 3 11 034670 1 S 9 64 Ute Schleiff Religion in anderer Sprache Entstehung Bewahrung und Funktion religios bedingter Diglossie 1 Auflage Logos Berlin 2005 ISBN 3 8325 0978 X Boris Andrejewitsch Uspenski Diglossija i dvujazycie v istorii russkogo literaturnogo jazyka Diglossie und Zweisprachigkeit in der Geschichte der russischen Literatursprache In Morris Halle Hrsg International Journal of Slavic Linguistics and Poetics Nr 27 Slavica Publ Columbus Ohio 1983 ISBN 0 89357 118 0 S 81 126 russisch Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Diglossie Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme UbersetzungenEinzelnachweise Bearbeiten Claudia Maria Riehl Sprachkontaktforschung Eine Einfuhrung Narr Tubingen 2004 ISBN 3 8233 6013 2 S 15 Kanton Aargau verbietet Hochdeutsch im Kindergarten Artikel auf tagesanzeiger ch vom 18 Mai 2014 Auslander freuen sich uber Hochdeutsch Verbot Artikel auf blick ch vom 2 Juni 2014 a b Beat Siebenhaar Alfred Wyler Dialekt und Hochsprache in der deutschsprachigen Schweiz 5 vollstandig uberarbeitete Auflage Pro Helvetia Zurich 1997 uni leipzig de PDF abgerufen am 1 August 2014 a b Sara Hagi Joachim Scharloth Ist Standarddeutsch fur Deutschschweizer eine Fremdsprache Untersuchungen zu einem Topos des sprachreflexiven Diskurses In Helen Christen Hrsg Linguistik online Band 24 Nr 3 1 Juli 2005 S 19 47 doi 10 13092 lo 24 636 bop unibe ch abgerufen am 13 April 2020 Erika Werlen Jugendsprache in der Deutschschweiz Erforschung der Jugendsprache in der Deutschschweiz im Paradigma des Sprachenportfolios Pladoyer fur eine angewandte Dialektologie In Germanistik in der Schweiz Online Zeitschrift der Schweizerischen Akademischen Gesellschaft fur Germanistik Nr 1 Bern November 2002 S 77 germanistik unibe ch PDF abgerufen am 1 August 2014 germanistik unibe ch Memento des Originals vom 4 Juli 2006 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www germanistik unibe ch Erika Werlen Jugendsprache zwischen Dialekt und Sprachenportfolio In Elvira Glaser Peter Ott Rudolf Schwarzenbach Hrsg Alemannisch im Sprachvergleich Beitrage zur 14 Arbeitstagung fur alemannische Dialektologie in Mannedorf Zurich vom 16 18 9 2002 Franz Steiner Verlag Wiesbaden 2004 ISBN 3 515 08536 X S 449 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche abgerufen am 1 August 2014 Helen Christen Hrsg und Agnes Noyer Dialekt Regiolekt und Standardsprache im sozialen und zeitlichen Raum unifr ch PDF im Marz 2003 Bengt Knutsson Studies in the Text and Language of Three Syriac Arabic Versions of the Book of Judicum with Special Reference to the Middle Arabic Elements Brill 1974 Online Teilansicht Hans Knippenberg amp Ben de Pater De eenwording van Nederland schaalvergroting en integratie sinds 1800 SUN Uitgeverij 2011 S 170 Otto Jastrow Wie kann die moderne aramaische Sprache Turoyo in Europa uberleben In Josef Bunyemen Michel Yuksel Simon Marogi Hrsg Kifa Nr 5 Dezember 2008 Januar 2009 S 11 Otto Jastrow Wie kann die moderne aramaische Sprache Turoyo in Europa uberleben In Josef Bunyemen Michel Yuksel Simon Marogi Hrsg Kifa Nr 5 Dezember 2008 Januar 2009 S 13 Otto Jastrow Wie kann die moderne aramaische Sprache Turoyo in Europa uberleben In Josef Bunyemen Michel Yuksel Simon Marogi Hrsg Kifa Nr 5 Dezember 2008 Januar 2009 S 10 15 Heinrich Boll Ende einer Dienstfahrt Kiepenheuer amp Witsch Koln Berlin 1966 S 119 und 120 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