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Der Europaische Nationalitatenkongress ENK engl European Congress of Nationalities frz Congres europeen de la nationalite span Congreso Europeo nacionalidad war eine Nichtregierungsorganisation die 1925 von Vertretern nationaler Minderheiten in Europa gegrundet wurde und bis 1938 bestand Wahrend dieser Zeit fanden unter der gleichen Bezeichnung jahrliche Tagungen statt zu denen sich Delegierte aus bis zu 33 europaischen Landern versammelten Ziel des Interessenverbundes war der Schutz und die volkerrechtliche Anerkennung ethnischer Minderheiten als Rechtssubjekt Der ENK hatte Beobachterstatus beim Volkerbund Sein Hauptsitz und Sekretariat befand sich anfangs in Genf und wurde am 1 April 1927 nach Wien verlegt 1 Als offizielle Nachfolgeorganisation versteht sich die Foderalistische Union Europaischer Volksgruppen welche heute einen Teilnehmenden Status beim Europarat und einen Konsultativen Status bei den Vereinten Nationen besitzt Inhaltsverzeichnis 1 Grundung und Struktur 2 Assimilation oder Entnationalisierung 3 Aufklarung und Kampagnen 4 Niedergang und Auflosung 5 Minderheitenzeitungen Auswahl 6 Beurteilung 7 Literatur 8 FussnotenGrundung und Struktur Bearbeiten nbsp Ewald Ammende auf einer Kundgebung der Basken 1933 in Donostia San SebastianDer Grundungskongress fand am 15 und 16 Oktober 1925 mit 45 Delegierten aus zwolf europaischen Landern in Genf statt Zum Prasidenten wurde der Slowenienitaliener Josip Wilfan und zum geschaftsfuhrenden Generalsekretar der Deutschbalte Ewald Ammende gewahlt Weitere Mitglieder des Prasidiums waren zeitweise der Ungar Tschechoslowake Geza von Szullo der Zionist Jitzchak Gruenbaum der Deutschbalte Paul Schiemann sowie Stanislaus Graf von Sierakowski vom Bund der Polen in Deutschland 2 Seine Hauptaufgabe sah der ENK in der Forderung eines einvernehmlichen Zusammenlebens der Volker und in der Friedenswahrung Im Grundungsstatut war dazu festgehalten In den Staaten Europas in deren Grenzen auch andere nationale Volksgruppen leben soll jede nationale Volksgruppe berechtigt sein in eigenen offentlich rechtlichen Korperschaften je nach den besonderen Verhaltnissen territorial oder personell organisiert ihr Volkstum zu pflegen und zu entwickeln In diesem Recht der Selbstverwaltung erblicken die Delegierten einen Weg um die loyale Zusammenarbeit aller der Minderheiten und Mehrheiten reibungslos zu gestalten und um die Beziehungen der Volker Europas zu verbessern 3 Allein bis 1926 traten Minderheitengruppen aus 20 Landern als standige Mitglieder dem Verbund bei der damit die Interessen von 40 Millionen Angehorigen nationaler Minderheiten in Europa reprasentierte An den jahrlichen Kongressen nahmen bis 1930 regelmassig mehr als 200 Vertreter teil darunter 74 deutsche und 25 judische Reprasentanten Die nachstgrosseren Gruppen waren die Katalanen und die Ukrainer mit jeweils 17 Delegierten gefolgt von den Ungarn 16 Russen 13 Polen 11 und Tschechen 8 Die ubrigen Ethnien hatten einen bis sechs Delegierte Jedoch verfugte in den Plenarsitzungen des Kongresses jede nationale Gruppe nur uber eine Stimme An den Tagungen nahmen stets zahlreiche auslandische Journalisten teil Seinen Hohepunkt hatte der Kongress 1929 mit Teilnehmern aus 33 europaischen Landern erreicht 3 Von Anbeginn wirkten judische Organisationen bei der Arbeit des Nationalitatenkongresses mit Ausdrucklich das im ENK vertretene Comite des Delegations Juives verstand Angehorige des Judentums als Ethnie und kampfte fur die Anerkennung der Juden als eigenstandige Nation 4 Uberwiegend polnische und andere osteuropaische Juden vertraten diese Ansicht britische und franzosische Juden lehnten derartige nationale Forderungen grosstenteils ab Auch die Mehrheit der deutschen Juden betrachtete sich nicht als eine nationale Ethnie sondern zu jedem Zeitpunkt als Deutsche Selbst 1933 als der ENK seine Besturzung uber die Behandlung der Juden in Deutschland offentlich zum Ausdruck brachte und den deutschen Juden nahelegte sich ab sofort als nationale Minderheit zu verstehen lehnten deutsche Juden die Einforderung entsprechender Minderheitenrechte ab 5 Neben der Lobbyarbeit beim Volkerbund sowie in einzelnen Landern unterstutzte der ENK finanziell in verschiedenen europaischen Staaten Zeitungen und Zeitschriften fur Minderheitengruppen Zudem erarbeitete er Denkschriften uber Minoritatenrechte in den nach dem Ersten Weltkrieg neu erstandenen oder in ihren Grenzen teilweise stark veranderten Staaten in Ostmittel Sudost und Osteuropa Darin war das Prinzip des kulturellen Nationalitatenrechts auf der Grundlage von Gruppenautonomie festgeschrieben Grosse Energie wurde darauf verwandt Minderheitenrechte in den jeweiligen Verfassungen der einzelnen Staaten zu verankern So konnte der ENK beispielsweise fur judische Minderheiten in mehreren Landern die rechtliche Anerkennung des Sabbats das Betreiben eigener Schulen oder die Moglichkeit fur Juden sonntags zu arbeiten durchsetzen Als Vorbildstaaten galten Estland und Lettland die in ihren Verfassungen nationalen Minderheiten eine weitgehende sprachliche und kulturelle Autonomie gewahrten Auch die deutsche Minderheit in Danemark konnte Erfolge verbuchen von denen Johannes Schmidt Wodder als deutscher Abgeordneter fur die Schleswigsche Partei im danischen Folketing vertreten war Allein die Schaffung des Minoritatenstatus und der damit verbundenen Anerkennung kultureller Eigenartigkeiten stellten fur die ENK Vertreter Fortschritte dar Zur Durchsetzung der Minderheitenrechte verfugte der Nationalitatenkongress lange Zeit uber erhebliche finanzielle Mittel die aus Mitgliedsbeitragen der einzelnen nationalen Minderheitenverbande aufgebracht wurden Von den Wirtslandern erhielten die Minderheiten grundsatzlich keine finanzielle Unterstutzung umso mehr jedoch von den jeweiligen nationalen Mutterlandern Dadurch gelang es unter anderem einigen Staaten die noch nicht Mitglied im Volkerbund waren Einfluss auf Entscheidungen des Volkerbundrats zu nehmen der uberwiegend die Interessen der Volker nach dem Nationalstaatsprinzip vertrat Assimilation oder Entnationalisierung BearbeitenMehrere europaische Regierungen versuchten den ENK politisch zu beeinflussen Beispielsweise bereitete das Aussenministerium in Warschau regelmassig die Kongressteilnehmer polnischer Minderheitengruppen sorgfaltig vor Deren Taktik bestand darin alle fur den polnischen Staat als ungunstig anzusehende Projekte vornehmlich in der Frage der Kulturautonomie der deutschen und russischen Minderheiten zu verhindern So trugen polnische Delegierte dazu bei dass Antrage uber Situationsbesprechungen oder die Umbenennung des ENK in Verband der nationalen Minderheiten in Europa sowie die Vorlage bestimmter Minderheitenstatistiken abgelehnt wurden 6 Nachweislich erfolgten derartige Einmischungen auch seitens der deutschen tschechoslowakischen und sowjetischen Regierungen Bereits 1924 erklarte sich Deutschland unter Gustav Stresemann zur Schutzmacht der deutschen Minderheiten im Ausland 7 Das Auswartige Amt versuchte uber den Verband der deutschen Minderheiten in Europa Einfluss auf den ENK zu nehmen was jedoch bis 1932 abgewehrt werden konnte 3 Der Verband der deutschen Minderheiten in Europa wurde 1929 auf Betreiben des Auswartigen Amtes in Verband der deutschen Volksgruppen in Europa umbenannt Diese Vereinigung ist vom Verband der nationalen Minderheiten in Deutschland zu unterscheiden dessen Interessen der ENK ebenfalls vertrat Tatsachlich nahmen spatestens ab 1928 in vielen Landern die kulturelle und okonomische Unterdruckung der Minderheiten extrem zu Ewald Ammende erklarte im September 1931 auf dem VI Europaischen Nationalitatenkongress dass zwischen drei Arten von Beeintrachtigungen unterschieden werden kann Die konsequent durchgefuhrte und offen zugegebene Entnationalisierung die darauf abziele Minderheiten auszurotten oder auf andere Weise zu vernichten Die theoretische Anerkennung von Minderheitsrechten die formell in mehreren Verfassungen europaischer Staaten zum Ausdruck kommen aber in der Praxis faktisch nicht umgesetzt werden Die vollstandige Negation der Existenz von Minderheiten 8 Nach ENK Untersuchungen waren in den meisten Landern jede der drei Arten vertreten Als Beispiel der Entnationalisierungspolitik fuhrte der ENK wiederholt die Tschechoslowakei CSR auf Dieser 1918 von den Siegermachten des Ersten Weltkriegs kunstlich erschaffene Staat war de facto ein Vielvolkerstaat Er stellte sowohl politisch als auch konfessionell ein heterogenes Gebilde dar welches nur aus Minderheiten bestand Bei einer Volkszahlung 1922 wurde ein Bevolkerungsanteil von Tschechen 37 3 Sudetendeutsche 23 4 Slowaken 14 7 Mahrer 13 5 Ungarn 5 6 Ruthenen 3 5 Polen 0 6 sowie Rumanen Ukrainer und Juden ermittelt 9 Die Zwangsassimilation war in der CSR eine Staatsdoktrin und in der Verfassung verankert 10 Damit wurden samtliche Ethnien unterdruckt und einem Tschechoslowakismus unterworfen ohne den es in der Tschechoslowakei uberhaupt keine Staatsnation gegeben hatte 11 Eine ahnliche Vorgehensweise erfolgte beispielsweise auch im neu entstandenen SHS Staat sowie in Deutschland ab 1936 gegenuber Minderheiten wie den Sorben was der ENK ebenfalls auf scharfste verurteilte Aufklarung und Kampagnen BearbeitenAnfangs lobte der ENK ausdrucklich die Sowjetunion fur das in ihrer Verfassung festgeschriebene Modell der Unionsrepubliken Schnell wurde jedoch klar dass die betreffenden Volker von einer wirklichen Autonomie weit entfernt waren Gerade in Russland stellte der Nationalitatenkongress zunehmend eine Entnationalisierung fest die darauf abziele Minderheiten auszurotten oder auf andere Weise zu vernichten Bereits 1926 benannte Otto Junghann in einem Vortragsmanuskript vor allem die Ukraine als einen der gefahrlichsten Brennpunkte europaischer Minderheitenkonflikte 12 Sehr fruh erfuhren die ENK Vertreter von der Vorgehensweise und den Ausmassen der Hungerkatastrophe in der Sowjetunion 1932 33 speziell auch von Abgeordneten der Ukraine Genauso erhielten sie Kenntnis uber die Vorbereitung und Durchfuhrung der Nasino Deportationen gingen jedoch mit der Nennung konkreter Zahlen vorsichtig um weil vor Einfuhrung der Inlandspasse selbst der sowjetischen Regierung genaue Einwohnerzahlen unbekannt waren 13 Ab Mitte 1932 sprach der ENK von systematischen Mord durch Hunger in Russland und organisierte Hungerhilfen Der Kongress versuchte mit allen Mitteln das Thema in die Weltoffentlichkeit zu bringen wurde aber dabei von verschiedenen Regierungen massiv behindert 14 nbsp Alltag in Charkow Bild aus der Ammende Sammlung im heutigen Innitzer Archiv in Wien nbsp Alltag in Charkow Bild aus der Ammende Sammlung im heutigen Innitzer Archiv in WienDer ENK nutzte Zeitungen Publikationen und Foren um auf die Volkervernichtung in der Sowjetunion hinzuweisen und warf der UdSSR direkt die Ausrottung der Kulturbestrebungen aller Volksgruppen und Volker aus ideologischen Grunden vor 15 Zu dieser Zeit bemuhte sich die sowjetische Regierung um Aufnahme in den Volkerbund und versuchte aktiv das Geschehen in Russland vor der Weltgemeinschaft zu verbergen Unabhangig davon sprachen sich zu diesem Zeitpunkt mehrere westliche Staaten fur die Aufnahme diplomatischer und wirtschaftlicher Beziehungen zur Sowjetunion aus Besonders die USA versuchten ab Mitte 1932 eine negative Berichterstattung uber Russland zu vermeiden 16 Mit der diplomatischen Anerkennung der Sowjetunion die zuvor die Aussere Mongolei annektierte verletzten die USA den Briand Kellogg Pakt und ihre selbst gebastelte Stimson Doktrin 17 Andere westliche Lander wie Frankreich oder Grossbritannien folgten den USA und nahmen Anfang 1933 diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zur UdSSR auf 18 Vor diesem Hintergrund betrachteten mehrere Staaten die Veroffentlichungen des Europaischen Nationalitatenkongresses uber die Folgen der sogenannten Hungerexporte nebst der Hungertoten als Hetze und Propaganda 19 Nachweislich stand der ENK seit 1931 mit dem American Friends Service Committee sowie anderen Minderheitenverbanden in den USA und Kanada in Kontakt um deren Vertreter von der Grundung eines weltweiten Nationalitatenkongresses zu uberzeugen Zwischen 1933 und 1936 versuchte Ewald Ammende auf diversen Reisen auch andere Kreise in Nordamerika fur eine engere Zusammenarbeit und zu Hilfsmassnahmen fur die sowjetrussischen Hungergebiete gewinnen zu konnen Dies brachte ihn und den ENK hauptsachlich mit der US amerikanischen Regierung in Konflikt 20 21 Die sowjetische Regierung war uber ihre Maulwurfe von den Bestrebungen des ENK bestens informiert Schon im Vorwege gelang es der GPU geplante Aktionen und Veroffentlichungen zu verhindern oder zu diskreditieren So war der ENK unter anderem bereits 1932 in den Besitz von rund 600 Leica Aufnahmen aus russischen Hungergebieten gekommen und hatte sich die Verwertungsrechte gesichert Jedoch wurde erst 1935 ein Verlag gefunden der bereit war einen Teil der Bilder zu veroffentlichen Im Auftrag des ENK verfasste Ewald Ammende das Buch Muss Russland hungern Menschen und Volkerschicksale in der Sowjetunion welches 22 teilweise schockierende Fotos von Hungertoten enthielt Nur der Braumuller Verlag in Wien war bereit das Buch zu veroffentlichen Fairnesshalber informierte Ammende vor der Druckfreigabe die osterreichische Regierung Dem Leiter der politischen Abteilung im Aussenamt Theodor Hornbostel war die Angelegenheit zu heikel er befurchtete Unannehmlichkeiten mit Sowjet Russland wie Repressionen gegen osterreichische Staatsburger in der UdSSR oder Handelshemmnisse und pladierte fur eine Veroffentlichung im Ausland 15 Genau das hatte der ENK bereits von anderen Regierungen als Antwort erhalten Zwischenzeitlich war jedoch Ewald Ammende der auch ehrenamtlicher Geschaftsfuhrer des Interkonfessionellen und ubernationalen Hilfswerkes seiner Eminenz des Kardinal Erzbischofs von Wien war mit Kardinal Theodor Innitzer in Kontakt getreten der die Veroffentlichung befurwortete Im November 1935 brachte der damals dem Vatikan sehr nahestehende Braumuller Verlag das Buch heraus Eine uberaus positive Rezension des Buches in der Wiener Tageszeitung Reichspost sorgte dann fur seine Verbreitung 22 Die sowjetische Gesandtschaft kritisierte in einer offiziellen Note an das osterreichische Aussenamt umgehend dass Wien zu einem Zentrum der antisowjetischen Propaganda geworden sei und forderte notige Massnahmen gegen die Verbreitung des Buches Dazu war es jedoch zu spat das Buch gelangte mit den Bildern im gesamten deutschsprachigen Raum in den Vertrieb und wurde europaweit in ENK nahen Zeitungen vorgestellt 23 1936 erschien es dann bei George Allen amp Unwin in englischer Sprache unter dem Titel Human life in Russia und spater in mehreren Neuauflagen bei John T Zubal Books in Cleveland Ohio 24 Inhaltlich ist das Buch wegen seiner zeitgenossischen Beschreibung uber den heute sogenannten Holodomor noch in der Gegenwart stark umstritten Ammende stellte darin die systematische Vernichtung verschiedener Minderheiten in der Ukraine dar wie der Polen Ungarn Rumanen Juden Weissrussen und Krimdeutschen 19 Obwohl bereits zum Zeitpunkt der Veroffentlichung Ewald Ammendes ablehnende Haltung gegenuber den Nationalsozialisten bekannt war unterstellten die sowjetischen Behorden dem ENK dass das Buch ein Werk nationalsozialistischer Propaganda sei Diese Darstellung ubernahmen in der Nachkriegszeit unter anderem DDR Historiker und haben Eingang in die Gegenwartsliteratur gefunden Einige Historiker gehen soweit die gesamte internationale Kampagne des ENK uber die Hungertoten als Bestandteil der Antikominternpolitik des NS Regimes zu bezeichnen 25 Dessen ungeachtet stammen nahezu alle Bilder die heute bei Veroffentlichungen zum Holodomor verwendet werden aus diesem Buch beziehungsweise der Ammende Sammlung im heutigen Kardinal Innitzer Archiv 23 Funf Monate nach der Veroffentlichung des Buches starb Ewald Ammende am 15 April 1936 unter nicht geklarten Umstanden in Peking wo er sich mit Vertretern judischer Minderheiten aus Waldheim Judische Nationale Oblast Fernost treffen wollte Fest steht lediglich dass er im Deutschen Krankenhaus Peking verstarb Nachrufe erschienen in vielen europaischen Zeitungen in welchen sich die Angaben uber die Todesursache zwischen Mord Selbstmord Herzanfall Schlaganfall bis hin zum Zuckerschock bewegten Nach seinem Tod ubernahm sein Bruder und seine rechte Hand Erich Ammende als interimistischer Geschaftstrager fur kurze Zeit die Leitung des ENK Er uberlebte seinen Bruder nur sieben Monate und starb in Wien ebenfalls unter nicht geklarten Umstanden 26 27 Nachfolger der Bruder Ammende und letzter Generalsekretar des Europaischen Nationalitatenkongresses wurde Baron Ferdinand von Uexkull Guldenband 1890 1939 28 Dieser setzte die Aufklarung uber die Vorkommnisse in Russland im Auftrag des ENK mit speziellen Werken wie Die Nationalitatenfrage in der Sowjetunion oder Der Todesweg der Deutschen in der Sowjetunion fort 29 30 Niedergang und Auflosung BearbeitenDass der Niedergang des ENK auf eine zunehmende Einflussnahme des deutschen Auswartigen Amtes zuruckzufuhren sei wird in der neueren Forschung differenziert betrachtet Genauso wie heute subventionierte schon damals die deutsche Regierung die deutschen Minderheitenverbande im Ausland nahezu vollstandig und zu einhundert Prozent aus Steuermitteln 31 Unbestritten musste nach dem Ersten Weltkrieg das Deutsche Reich und Osterreich Ungarn die grossten Gebiete abtreten Dies fuhrte dazu dass sich rund 1 1 Million Deutsche innerhalb der Grenzen Polens in der Tschechoslowakei 3 3 Millionen in Estland Lettland und Litauen 250 000 in Ungarn 477 000 in Rumanien 745 000 und in Jugoslawien 500 000 deutsche Minderheiten wiederfanden 32 Insofern stellten deutsche Minderheiten von 1925 bis 1937 mit durchschnittlich ein Drittel der Gesamtvertretung des Kongresses immer die grosste zu vertretende Volksgruppe dar welche von Anbeginn auch den weitaus grossten Teil der finanziellen Mittel fur den ENK aufbrachte 33 Neben der deutschen und sowjetischen Einflussnahme wird in der neueren Historiografie besonders die polnische Politik auf dem Forum des Nationalitatenkongresses negativ beurteilt 34 Seit 1930 zeigte die polnische Regierung fur den ENK kein Interesse mehr Sie verzichtete sogar darauf Beobachter nach Genf zu entsenden und bemuhte sich erfolgreich den Kongress von innen zu sprengen Damit begann der Kampf vieler Minderheitenverbande gegen Mitgliederverluste in den eigenen Reihen Einerseits verselbstandigte sich der Prozess der Assimilation mehrerer Minderheiten wie die der Ruhrpolen nahezu ohne Zwang Anderseits wanderten viele Minderheiten aus politischen oder wirtschaftlichen Grunden in ihre Mutterlander oder andere Staaten aus Dies betraf im grossen Stil Deutsche Russen und Juden die in Polen lebten Ein Drittel der Bevolkerungsschicht in Polen war nicht polnischsprachig und ab 1930 einer Verscharfung der Assimilationsbestrebungen ausgesetzt die auf eine Polonisierung vor allem der ehemals preussischen Gebiete abzielte Von der deutschen Minderheit in Polen wanderten bis 1933 bereits mehrere Hunderttausend Menschen nach Deutschland aus was wiederum auch bei den deutschen Minderheitenverbanden in Polen zu Mitgliederverlusten fuhrte Dem Beispiel folgend betrachteten sich unter anderem zunehmend ein grosser Teil der Nordfriesen oder der Preussisch Litauer von selbst als Deutsche oder Elsasser und Deutsch Lothringer als Franzosen Auch mehrere judische Organisationen allen voran in Polen blieben bereits vor 1933 dem Kongress fern und grundeten 1936 eine eigenstandige Vereinigung den Judischen Weltkongress 35 Zuvor hatte der ENK die judischen Verbande massgeblich bei der Debatte uber die Bernheim Petition im Volkerbund unterstutzt was namentlich Ewald Ammende und Paul Schiemann die sich ausdrucklich zu den internationalen Minderheitenorganisationen nicht nur der deutschen bekannten bei den Nationalsozialisten in Misskredit brachte 36 Lediglich eine kleine Gruppe im ENK hinter Werner Hasselblatt stand den Nationalsozialisten ausgesprochen nahe diese Gruppe nahm das Ausscheiden judischer Delegierter billigend in Kauf Die Mehrheit der Kongressfunktionare unterstutzte judische Mitglieder und hoffte den Bruch verhindern zu konnen 3 Letztlich blieben die Bemuhungen erfolglos Zum XIII Europaischen Nationalitatenkongress der Mitte Juli 1937 in London stattfand waren nur noch 30 Vertreter nationaler Minderheiten aus zehn Staaten Danemark Estland Italien Jugoslawien Lettland Osterreich Polen Rumanien Spanien Tschechoslowakei erschienen Mit Ausnahme von Osterreich und Spanien handelte es sich dabei grosstenteils um Vertreter deutscher Volksgruppen Das Prasidium wies darauf hin dass die Minderheiten in nahezu allen Landern wirtschaftlich schwer benachteiligt zwischenzeitlich fast uberall politisch entrechtet sowie einer intensiven Entnationalisierungspolitik ausgesetzt sind und es dringend zu einer Entspannungspolitik kommen musse 37 Nach der Konferenz von Evian und dem sich abzeichnenden Ausgang der Sudetenkrise erkannten die ENK Vertreter dass sie mit ihrer Politik und Idee eines Europas ohne Widerstreit zwischen Staatszugehorigkeit und Volkszugehorigkeit gescheitert waren In Stockholm fand im August 1938 der letzte Kongress statt Danach stellten die Delegierten ihre Arbeit ein Der letzte Generalsekretar des Europaischen Nationalitatenkongresses Baron Ferdinand von Uexkull Guldenband wahlte mit Beginn der im Hitler Stalin Pakt vereinbarten Zwangsumsiedlungen von Minderheiten von denen er als Deutschbalte selbst betroffen war am 8 Dezember 1939 in Wien den Freitod 38 Minderheitenzeitungen Auswahl BearbeitenEin Presseorgan besass der ENK nicht Zwar beschlossen die Delegierten auf der zweiten Nationalitatentagung 1926 in Genf die Herausgabe eines Bulletins als Periodikum in mehreren Sprachen letztlich konnte dies aufgrund der hohen Herstellungs und Vertriebskosten niemals realisiert werden Vorangehend publizierten verschiedene nationale Minderheitenorganisationen fur ihre Volksgruppen eigene Zeitschriften Veroffentlicht wurden darin teilweise in wissenschaftlicher Form grundsatzliche Minoritatenfragen Berichte uber die Lage der einzelnen Minderheiten Aufsatze uber Minderheitenbewegungen Empfehlungen von Buchern und Zeitschriften Die Herausgabe dieser Publikationen unterstutzte der Nationalitatenkongress redaktionell sowie teil und zeitweise finanziell Die bekanntesten Zeitungen die den offiziellen Standpunkt des ENK widerspiegelten waren 39 40 Nation und Staat erschien deutschsprachig als 20 seitiges Heft 1 monatlich von 1927 bis 1944 in allen europaischen Landern mit deutschen Minderheiten Redaktions und Verlagssitz Wien ab 1933 Berlin Herausgeber Jakob Bleyer Paul Schiemann Jacob Robinson Johannes Schmidt Wodder u a ab 1933 Verband der deutschen Volksgruppen in Europa ab 1942 Werner Hasselblatt Glasul Minorităților Die Stimme der Minderheiten La Voix des Minorites erschien von 1923 bis 1942 zuerst in rumanischer Sprache ab 1925 dreisprachig je eine rumanische franzosische und deutsche Ausgabe als 12 seitige Zeitschrift fur Minderheiten im geteilten Banat Redaktions und Verlagssitz Lugoj Herausgeber Jakabffy Elemer spater Verband der Magyaren in Rumanien Kulturwille ab 1926 Kulturwehr erschien von 1925 bis 1939 monatlich 1 als eine 12 seitige Zeitschrift zweisprachig mit polnischen und danischen Artikeln fur Minderheiten in Deutschland Redaktions und Verlagssitz Berlin Herausgeber Stanislaus Graf von Sierakowski Jan Skala ab 1935 Verband der nationalen Minderheiten in Deutschland Natio erschien viersprachig je eine polnische deutsche franzosische und englische Ausgabe 1 monatlich ab 1927 fur alle Minderheiten in Polen wurde im Fruhjahr 1929 von polnischer Regierung verboten Redaktions und Verlagssitz Warschau Herausgeber Michael Czerkowski ukrainischer Abgeordneter Jitzchak Gruenbaum judischer Abgeordneter Erwin Hasbach deutscher Abgeordneter Fabian Jeremicz weissrussischer Abgeordneter Daniel Olseyko litauischer Abgeordneter vom Verband der nationalen Minderheiten in Polen Sprawy Narodowosciowe dt Angelegenheiten der Nationalitaten erschien in polnischer Sprache als mehrseitiges Heft 1 im Quartal von 1927 bis 1939 in allen europaischen Landern mit polnischen Minderheiten Redaktions und Verlagssitz Warschau Herausgeber Stanislawa J Paprockiego vom Instytutu Badan Spraw Narodowosciowych dt Institut zur Erforschung der Nationalitaten Bulletin du Comite des Delegations Juives dt Verlautbarung des judischen Delegationsausschusses erschien in franzosischer Sprache als mehrseitiges Heft 1 im Quartal von 1919 bis 1935 enthielt Informationen uber die rechtliche Lage der Juden in den mittel und osteuropaischen Staaten Redaktions und Verlagssitz Paris Herausgeber Comite des Delegations Juives Magyar Kisebbseg erschien in ungarischer Sprache als 12 seitige Zeitschrift 2 monatlich von 1922 bis 1942 fur ungarische Minderheiten in Rumanien Redaktions und Verlagssitz Lugoj Herausgeber Jakabffy Elemer spater Verband der Magyaren in Rumanien Rigasche Rundschau erschien als deutschsprachige Tageszeitung von 1894 bis 1939 uberstand als einziges Blatt im Baltikum den Ersten Weltkrieg ab 1919 bekannteste Zeitung der deutschen Minderheit in Nordeuropa hohe Bedeutung auch fur Nachbarstaaten Vertrieb europaweit vom Ausland haufig als Quelle genutzt Redaktions und Verlagssitz Riga Herausgeber ab 1919 Alfred Ruetz Paul Schiemann ab 1933 Verband der deutschen Volksgruppen in EuropaBeurteilung BearbeitenAn der Entwicklung des ENK zeigt sich das allgemeine Dilemma der Minderheitenorganisationen die auf der einen Seite legitime Lobbyarbeit betreiben gleichzeitig aber leicht zu Werkzeugen von Machtinteressen werden konnen So gehen auch die Beurteilungen der Arbeit des ENK weit auseinander von der Wurdigung des Beitrages zu Friedenspolitik und Volkerverstandigung bis hin zur Verurteilung als ein reines revisionistisches Instrument verschiedener Regierungen Literatur BearbeitenRudolf Michaelsen Der Europaische Nationalitaten Kongress 1925 1928 Aufbau Krise und Konsolidierung Peter Lang 1984 Sabine Bamberger Stemmann Der Europaische Nationalitatenkongress 1925 1938 Nationale Minderheiten zwischen Lobbyistentum und Grossmachtinteressen Herder Institut Marburg 2001 ISBN 3 87969 290 4 John Hiden Europaischer Nationalitatenkongress In Dan Diner Hrsg Enzyklopadie judischer Geschichte und Kultur EJGK Band 2 Co Ha Metzler Stuttgart Weimar 2012 ISBN 978 3 476 02502 9 S 285 289 Fussnoten Bearbeiten Rudolf Michaelsen Der Europaische Nationalitaten Kongress 1925 1928 Aufbau Krise und Konsolidierung Lang 1984 S 233 Albert S Kotowski Polens Politik gegenuber seiner deutschen Minderheit 1919 1939 Otto Harrassowitz Verlag 1998 S 185 a b c d Dan Diner Enzyklopadie judischer Geschichte und Kultur Band 2 Co Ha Springer Verlag 2016 S 285 290 Kerstin Armborst Weihs Die Formierung der judischen Nationalbewegung im transnationalen Austausch Der 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Frh v In BBLD Baltisches biografisches Lexikon digital Ferdinand von Uexkull Guldenband Die Sowjetverfassung und die Nationalitaten In Nationen und Staat Nr 10 1935 S 628 633 Ferdinand von Uexkull Guldenband Der Todesweg der Deutschen in der Sowjetunion In Nationen und Staat Nr 8 1936 S 632 BMI Lexikon Minderheiten Bundesministerium des Innern abgerufen am 3 Januar 2023 Bundeszentrale fur politische Bildung abgerufen am 10 Mai 2017 Osterreichische Ost und Sudosteuropa Institut Hrsg Osterreichische Osthefte Band 45 Osterreichisches Ost und Sudosteuropa Institut 2003 S 566 Albert S Kotowski Polens Politik gegenuber seiner deutschen Minderheit 1919 1939 Otto Harrassowitz Verlag 1998 S 194 Tammo Luther Volkstumspolitik des Deutschen Reiches 1933 1938 die Auslanddeutschen im Spannungsfeld zwischen Traditionalisten und Nationalsozialisten Franz Steiner Verlag 2004 S 161 Tammo Luther Volkstumspolitik des Deutschen Reiches 1933 1938 die Auslanddeutschen im Spannungsfeld zwischen 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