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Churratien ist ab dem Fruhmittelalter bis in die fruhe Neuzeit eine Bezeichnung fur denjenigen Teil der spatromischen fruheren romischen Provinz Raetia prima der in der Zeit der Volkerwanderung seinen sprachlichen und kulturellen Charakter erhalten konnte und weiterhin von Curia Raetorum Chur aus verwaltet wurde Die Raetia prima hiess bereits in der Romerzeit auch nach ihrer Hauptstadt Raetia Curiensis Churratien ist also zunachst nichts anderes als die deutsche Ubersetzung der lateinischen Bezeichnung Verwendet wird dieser deutsche Name aber ublicherweise nur fur den zentralen und sudlichen Teil der fruheren Provinz nachdem in der Volkerwanderungszeit wohl zwischen 400 und 600 der nordliche Teil zwischen Konstanz und Bregenz unter volliger Verdrangung bzw Assimilation der romanisierten Bevolkerung alamannisch besiedelt wurde Dagegen blieb im Bereich Churratiens die romanische Kultur und Sprache noch bis tief ins Mittelalter und teilweise bis heute erhalten weshalb es auch als Churwalchen oder Churwahlen bezeichnet wurde wobei walch oder welsch aus deutscher Sicht die romanische Sprache und Kultur bezeichnet Churratien im FruhmittelalterDie Schweiz in romischer ZeitDie romischen Provinzen im Alpenraum um 395Die historische kirchliche Einteilung der SchweizAlamannien und Hochburgund im 10 und 11 Jahrhundert Inhaltsverzeichnis 1 Ausdehnung 2 Geschichte 2 1 Die romische Provinz Raetia 2 2 Ende der Romischen Herrschaft Volkerwanderungszeit 2 3 Eingliederung ins Frankenreich Die Grafschaft Chur Ratien 2 4 18 und 19 Jahrhundert der helvetische Kanton Ratien 3 Siehe auch 4 Literatur 5 Weblinks 6 AnmerkungenAusdehnung BearbeitenDer genaue Umfang Churratiens lasst sich heute nicht mehr exakt feststellen und anderte sich wohl auch im Laufe der Jahrhunderte Den Kern Churratiens bildete das heutige Graubunden ohne Misox und Puschlav das heutige Liechtenstein in Vorarlberg der Walgau samt Feldkirch Damuls Grossem Walsertal und Montafon das St Galler Rheintal bis zum Hirschensprung und das Sarganserland Ferner gehorten der Vinschgau bis ins 12 Jahrhundert Ursern und die Linthebene moglicherweise auch der ganze heutige Kanton Glarus zu Churratien Es ist umstritten ob das Bergell und der Vinschgau bereits in der Spatantike zur Provinz Raetia prima gehorten Beide Gebiete gelangten aber im 6 Jahrhundert zu Churratien 1 Organisatorisch deckte sich Churratien im Wesentlichen mit dem damaligen Bistum Chur Vermutlich hatte der Churer Bischof in der Volkerwanderungszeit die Verwaltung der Raetia prima ubernommen nachdem sich zunachst die Romer und dann die Ostgoten auf die Verwaltung und Verteidigung ihrer Kernlande konzentrieren mussten Erst die Reorganisation des Bistums Chur nach 1815 passte die historischen Grenzen den veranderten politischen Bedingungen an Geschichte BearbeitenDie romische Provinz Raetia Bearbeiten Unter dem Provinznamen Raetia ursprunglich Raetia et Vindelicia waren in der ersten Halfte des 1 Jahrhunderts n Chr die 15 v Chr eroberten Gebiete des Alpenvorlands zwischen Donau und Inn der heutigen Schweiz sudlich des Bodensees sowie des nordlichen Tirols unter der romischen Herrschaft zusammengefasst worden Um 180 wurde Raetia zur kaiserlichen Provinz 2 Klasse verwaltet von einem Senator mit praetorischem Rang Im Zuge der diokletianischen Reichsreformen wurde die Provinz Raetia 297 n Chr entlang des Bodensees und der Nordalpen in zwei neue Provinzen Raetia prima Curiensis und Raetia secunda Vindelica aufgeteilt Die beiden neuen Provinzen gehorten zur Diozese Italia und waren militarisch gemeinsam einem Dux Raetiae primae et secundae unterstellt Die Zivilverwaltung oblag in den beiden neuen Provinzen jeweils einem Praeses Statthaltern niederen Ranges Von deren Residenzen Curia Raetorum Chur und Augusta Vindelicorum Augsburg leiteten sich die spateren deutschen Bezeichnungen Churratien und Vindelicien ab Das Gebiet der Provinz Raetia prima im 4 Jahrhundert ist aus Quellen kaum zu erkennen Lange herrschte die Meinung vor sie habe einfach den alpinen Teil der Vorgangerprovinz Raetia umfasst also auch die Nordalpen bis Kufstein das Inntal von Altfinstermunz abwarts bis zum Zillertal und das obere Eisacktal 2 Der Neue Pauly 2001 und Heuberger 1930e ohne Vinschgau seit 1932 geben dagegen ungefahr die Argen als Nordgrenze und die Ostgrenze als von Isny im Allgau uber den Arlberg durchs Val Mustair zum Stilfser Joch verlaufend an Ob auch das nordliche Tessin mit Bellinzona und das italienische Eschental zur Raetia prima gehorten ist nicht sicher belegt 3 Ende der Romischen Herrschaft Volkerwanderungszeit Bearbeiten Auch nach dem Untergang des Westromischen Reichs 476 n Chr riss die politische Verbindung von Raetia prima mit Italien nicht ab im Gegenteil Zunachst gelangte diese Provinz unter die Herrschaft Odoakers 4 Nach dessen Tod 493 erlangte das Ostgotenreich die Kontrolle uber Raetia prima 5 Der ostgotische Konig Theoderich setzte in der Provinz Raetia prima zur Sicherung Italiens wieder einen Dux deutsch Herzog ein Dieser hatte aber rein militarische Befugnisse Fur die Zivilverwaltung erhielt sich das Amt des Praeses Der Hauptsitz dieser Verwaltung war Chur das 452 erstmals als Bischofssitz erwahnt wurde 537 musste der ostgotische Konig Witichis einen Teil Raetiens prima das Gebiet sudlich des Bodensees an den Frankenkonig Theudebert I abtreten als Gegenleistung fur dessen Unterstutzung der Ostgoten gegen das Byzantinische Reich Gotenkrieg 535 554 6 Die militarische Schwachung der Ostgoten im Kampf gegen die Byzantiner ausnutzend brachte Theudebert I bis zu seinem Tod 548 auch den Rest von Raetien prima mit den militarisch und wirtschaftlich bedeutenden Bundner Passstrassen unter seine Kontrolle Wie dies genau geschah durch Kampf oder Abmachung ist nicht uberliefert Raetia prima seit dem Mittelalter Churratien genannt war nun Teil des Reichs der Merowinger und verlor damit endgultig die politische Verbindung mit Italien 7 Fur die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Churraetien und Italien galt dies jedoch nicht Auch wenn es aus der Merowingerzeit fast keine gesicherten Informationen uber Churratien gibt so wird es doch wissenschaftlich als sicher angesehen dass weiter Handel zwischen dem nun langobardischen Italien und dem Norden getrieben wurde Die Geschichtsschreibung ist sich darin einig dass sich Churratien in dieser Zeit weitgehender Selbstandigkeit erfreute ohne dass die Bindung ans Frankenreich ganz gelost wurde Erst die Alamannenzuge 710 bis 712 und die endgultige Wiedereingliederung Alamanniens ins Frankenreich durch Karl Martell um 740 brachten auch Churratien wieder naher ans frankische Reich Die politische Kontrolle uber Churratien lag wahrend der frankischen Herrschaft in der Hand der Churer Adelsfamilie der Viktoriden Verschiedene Vertreter dieser Dynastie verbanden das alte politische Amt des praeses mit der Wurde des Bischofs von Chur So gelang es ihnen sowohl das alte romische Kaiser und Fiskalgut wie auch Kirchenguter zu kontrollieren Eingliederung ins Frankenreich Die Grafschaft Chur Ratien Bearbeiten Mit dem Tod des Churer Bischofs Tello 765 endete die Victoridenherrschaft Karl der Grosse nutzte die Gelegenheit indem er dessen Nachfolger Bischof und Rector Constantius 772 74 eine Schutzurkunde ausstellte um ihn wieder an die Konigsherrschaft zu binden Dessen Nachfolger Remedius kam dann bereits vom Kaiserhof Den Tod des Remedius ca 806 benutzte Karl dann zur endgultigen Integration des strategisch wichtigen Churratiens in sein Reich Indem er eine Ausscheidung zwischen Reichs und Kirchengut vornahm divisio inter episcopatum et comitatum entzog er den Bischofen von Chur praktisch die materielle Grundlage ihrer weltlichen Herrschaft da offenbar diese Teilung den grossten Teil des bischoflichen Guts in Konigsgut umwandelte Weiter wurde in Churratien die Grafschaftsverfassung eingefuhrt also auch direkt die weltliche von der geistlichen Gerichtsgewalt geschieden Als Graf von Churratien comes curiae curiensis wurde Hunfried I eingesetzt dem das Konigsgut als Herrschaftsgrundlage diente Der Umfang dieses Konigsguts wird durch ein Urbar des Reichsguts in Churratien aus der 1 Halfte des 9 Jahrhunderts zumindest teilweise uberliefert Dieses scheint aufgenommen worden zu sein als Reaktion auf vier Klageschriften des Bischofs Victor III von Chur an Kaiser Ludwig den Frommen 825 in denen sich der Bischof uber die Ubergriffe des Grafen Roderich auf das dem Bistum noch verbliebene Gut beschwerte Die Mark Grafschaft Chur Ratien bildete fortan einen Teil des frankischen Reiches 917 proklamierte Markgraf Burchard II von Churratien das Herzogtum Schwaben Unter seinen Nachfolgern wurde Churratien deshalb Teil des Herzogtums Schwaben und mit diesem wiederum des Heiligen Romischen Reiches Ob Churratien im 10 Jahrhundert in drei Grafschaften aufgeteilt wurde ist in der Forschung umstritten Da die ursprungliche Grafschaft Ratien nun in Personalunion mit dem Herzogtum Schwaben verbunden war konnte diese in drei Grafschaften geteilt worden sein Oberratien pagus Curiensis und Unterratien pagus Raetia Curiensis getrennt durch die Landquart und die Ratikonkette sowie der Vinschgau pagus Venusta der auch das Unterengadin umfasste Die Grafschaft uber den Vinschgau fiel Mitte des 12 Jahrhunderts an die Grafen von Tirol Oberratien an die Grafen von Buchhorn und Unterratien an die Grafen von Bregenz 8 nbsp Adlige Herrschaften in Graubunden um 1367Die Bischofe von Chur konnten sich im Mittelalter zwar wieder verschiedene Herrschaftsrechte in Churratien verschaffen ihr weltlicher Einfluss blieb jedoch auf die Umgebung von Chur das Domleschg das Engadin das Bergell Chiavenna Bormio und den Vinschgau beschrankt 18 und 19 Jahrhundert der helvetische Kanton Ratien Bearbeiten Die geographische Bezeichnung Ratien wurde im ganzen Mittelalter und vermehrt wieder im 18 und 19 Jahrhundert fur den Freistaat der drei Bunde verwendet Der Zusatz Chur Ratien verschwand endgultig im 19 Jahrhundert Als am 21 April 1799 der ehemalige Freistaat der drei Bunde als neuer Kanton in die Helvetische Republik aufgenommen wurde erhielt dieser vorerst die Bezeichnung Kanton Ratien spater Kanton Graubunden Siehe auch BearbeitenRatoromanen Ratische SchriftLiteratur BearbeitenOtto P Clavadetscher Ratien im Mittelalter Verfassung Verkehr Recht Notariat Ausgewahlte Aufsatze Festausgabe zum 75 Geburtstag Desertina Verlag Disentis 1994 ISBN 3 85637 223 7 Otto P Clavadetscher Die Einfuhrung der Grafschaftsverfassung in Ratien und die Klageschriften Bischof Viktor III von Chur in Zeitschrift der Savigny Stiftung fur Rechtsgeschichte 70 1953 S 46 111 ISSN 0323 4045 Otto P Clavadetscher Zum churratischen Reichsgutsurbar aus der Karolingerzeit In Zeitschrift fur Schweizerische Geschichte Bd 30 1950 S 161 197 doi 10 5169 seals 77325 Reinhold Kaiser Churratien im fruhen Mittelalter Ende 5 bis Mitte 10 Jahrhundert 2 uberarbeitete und erganzte Auflage Schwabe Basel 2008 ISBN 978 3 7965 1064 9 Ursus Brunold Lothar Deplazes Hrsg Geschichte und Kultur Churratiens Festschrift fur Pater Iso Muller OSB zu seinem 85 Geburtstag Disentis 1986 ISBN 3 85637 112 5 Sebastian Gruninger Grundherrschaft im fruhmittelalterlichen Churratien Dissertation Universitat Zurich 2003 Disertina Chur 2006 ISBN 3 85637 319 5 Lorenz Hollenstein Der Liber Viventium von Pfafers In Terra Plana Heft 1 2005 S 3 6 Elisabeth Meyer Marthaler Franz Perret Hrsg Bundner Urkundenbuch Bd 1 Bischofberger Chur 1955 Alois Niederstatter Herrschaftliche Raumorganisation im nachmaligen Vorarlberg wahrend des Mittelalters Ein Uberblick In Montfort 4 2009 S 231 258 Wolfgang von Juvalt Forschungen uber die Feudalzeit im Curischen Raetien Zurich 1871 Thomas von Mohr Hrsg Codex Diplomaticus ad Historiam Raeticam Sammlung der Urkunden zur Geschichte Cur Raetiens und der Republik Graubunden Bd 1 Chur 1863 Bd 2 Chur 1852 1854 Ulrich Stutz Karls des Grossen divisio von Bistum und Grafschaft Chur Ein Beitrag zur Geschichte der Reichs und Kirchenverfassung der frankischen Zeit im Allgemeinen und zur Geschichte Churratiens sowie des Eigenkirchenrechtes im Besonderen Weimar 1909 Weblinks BearbeitenLothar Deplazes Churratien In Historisches Lexikon der Schweiz Anmerkungen Bearbeiten Kaiser Churratien im fruhen Mittelalter S 16 18 34f Vgl R Heuberger Raetia prima und Raetia secunda 1930e bzw Klio 1931 S 352 Handbuch der Schweizer Geschichte Bd 1 S 68 Fur den vollstandigen Literaturuberblick siehe dort Ursula Koch Besiegt beraubt vertrieben Die Folgen der Niederlagen von 496 497 und 506 in Archaologisches Landesmuseum Baden Wurttemberg Hrsg Die Alamannen Verlagsburo Wais amp Partner Stuttgart 1997 S 196 ISBN 3 8062 1302 X Hasler Heiligmann Honeisen Leuzinger Swozilek Hrsg Im Schutze machtiger Mauern Spatromische Kastelle im Bodenseeraum Verlag Huber amp Co AG Frauenfeld 2005 S 56 ISBN 3 9522941 1 X Amt fur Archaologie des Kantons Thurgau Romer Alemannen Christen Fruhmittelalter am Bodensee Frauenfeld 2013 S 15 und S 28 ISBN 978 3 9522941 6 1 Otto P Clavadetscher Churratien im Ubergang von der Spatantike zum Mittelalter nach den Schriftquellen in Joachim Werner Eugen Ewig Hrsg Von der Spatantike zum fruhen Mittelalter Sigmaringen 1979 S 165 168 Kaiser Churratien im fruhen Mittelalter S 66f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Churratien amp oldid 234843379