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Patrimonialgerichte waren die in Deutschland und Osterreich bis Mitte des 19 Jahrhunderts bestehenden gutsherrschaftlichen Gerichte der adeligen Grundherren die eine eigene vom Staat unabhangige Rechtspflege die Grundgerichtsbarkeit 1 ausubten In Tirol wurden zu den Patrimonialgerichten auch jene landesfurstlichen Gerichte gezahlt die nicht direkt vom Landesherrn oder der ihm unterstellten Beamtenschaft administriert sondern als Lehen oder Pfandobjekt von privaten meist dem Adelsstand angehorenden Personen verwaltet wurden 2 Sofern neben der Gerichtsbarkeit auch Verwaltungsfunktionen vom Patrimonialgericht wahrgenommen wurden kam auch die Bezeichnung Patrimonialamt vor Im Herzogtum Bayern Teilen der Habsburgermonarchie und im Erzstift Salzburg wurde fur die Grundherrschaften mit dem Recht zur niederen Gerichtsbarkeit auch der Begriff Hofmark verwendet Inhaltsverzeichnis 1 Formale Voraussetzungen 2 Entstehung 3 Grossherzogtum Baden 4 Konigreich Bayern 4 1 Patrimonialgerichte I Klasse 4 2 Patrimonialgericht II Klasse 4 3 Ortsgericht 4 4 Geschlossener Bezirk gemischter Bezirk 5 Kaisertum Osterreich 6 Konigreich Preussen 7 Abschaffung 8 Literatur 9 EinzelnachweiseFormale Voraussetzungen BearbeitenDie Gerichtsbarkeit war mit dem Besitz eines Gutes patrimonium verbunden Handelte es sich nicht um kirchlichen oder reichsstadtischen Besitz war sie uberdies meist auch an den Adelsstand des Besitzers gebunden Der Grundherr z B der Besitzer eines Ritterguts oder einer Hofmark war Gerichtsherr und als solcher befugt seine Gerichtsbarkeit gegenuber seinen Untertanen selbst auszuuben Bei fehlender Qualifikation oder falls bestimmte staatliche Gesetze dies vorschrieben musste er die Gerichtsbarkeit durch eigene von ihm bestellte Rechtsgelehrte Gerichtshalter Pfleger Gerichtsverwalter Justitiarie Gerichtsdirektoren ausuben Meist hatte sich der Landesherr noch ein Bestatigungsrecht vorbehalten Entstehung BearbeitenDie Patrimonialgerichte entstanden dadurch dass im Mittelalter die Landesherren die ihnen zustehende Gerichtsbarkeit vielfach nicht nur an Stadte sondern auch an untergebene Grundherren Afterlehner wie Gutsherren Stifter Kloster etc verliehen wodurch sich eine den landesherrlichen Gerichten gleichstehende untere Instanz ausbildete Die Rechtsgrundlage dafur war z B in Bayern die Ottonische Handfeste vom 5 Juni 1311 in der die niederbayerischen Stande dem Herzog Otto III eine einmalige Steuer bewilligten und dafur die niedere Gerechtigkeit fur ihre Besitzungen erhielten Patrimonialgerichte umfassten vielfach jedoch nur die niedere Gerichtsbarkeit also vor allem Eigentums Familien Erb und Gutsrechte Gesindeordnung und teilweise auch niederes Strafrecht z B Beleidigungen Raufereien die oft an Dorfrichter delegiert wurden In bestimmten Fallen und unter gewissen Voraussetzungen konnten sich Klager und Beklagte an ein staatliches Obergericht wenden Jedoch waren die Gutsherrengerichte oft die letzte Instanz fur die Untertanen des Gutsherren und somit hatte dieser einen grossen Einfluss auf seine Untertanen Die Blut Hals und peinliche Gerichtsbarkeit blieben in der Regel bei hoheren Gerichten Nur in Mecklenburg und Pommern gehorten sie meist zur Patrimonialgerichtsbarkeit Grossherzogtum Baden BearbeitenDas Grossherzogtum Baden hob am 14 Mai 1813 die grund und standesherrliche Gerichtsbarkeit vollstandig auf musste sich aber 1823 auf Grund der Bestimmungen der Bundesakte des Deutschen Bundes zur Ruckgabe der Gerichtsbarkeit erster und zweiter Instanz bereit erklaren 3 Konigreich Bayern BearbeitenDie Patrimonialgerichtsbarkeit im Konigreich Bayern sollte nach dem Edikt vom 8 September 1808 eigentlich nur noch die freiwillige Gerichtsbarkeit Notariat umfassen Dagegen wurden den Herrschaftsgerichten der grosseren Adelsguter und insbesondere mediatisierten Adligen in Bayern im Edikt vom 16 August 1812 wieder erweiterte straf und zivilrechtliche Kompetenzen zugestanden Bis 1848 wurde dann auch noch zwischen Patrimonialgerichten I und II Klasse und Ortsgerichten unterschieden Patrimonialgerichte I Klasse Bearbeiten Ein Patrimonialgericht I Klasse konnten nur mediatisierte Fursten Grafen und Herren einrichten 4 Ein Patrimonialgericht I Klasse ubte die streitige und freiwillige zivile Gerichtsbarkeit aus Es wurde in Bezug auf die Rechtspflege einem Landgericht gleichgestellt jedoch war die Strafgerichtsbarkeit davon ausgenommen Die Qualifikation des Patrimonialgerichtsinhabers wurde einer genauen Prufung unterzogen Patrimonialgericht II Klasse Bearbeiten Ein Patrimonialgericht II Klasse konnten Majoratsbesitzer und adelige Kronvasallen einrichten Es war eine Mindestuntertanenzahl von 300 Familien erforderlich Diese Familien mussten in zusammenhangenden Gemeinden wohnen Ein Patrimonialgericht II Klasse ubte nur die freiwillige Gerichtsbarkeit aus Ortsgericht Bearbeiten Ein Ortsgericht konnten Majoratsbesitzer und adelige Kronvasallen errichten Es wurde auch als Patrimonialgericht bezeichnet Fur Ortsgerichte waren 50 Familien ausreichend Diese Familien mussten in zusammenhangenden Gemeinden wohnen weniger als vier baierische Strassenstunden vom Gerichtssitz entfernt Ein Ortsgericht war blosses Vollzugsorgan und nur fur die nichtstreitige zivile Gerichtsbarkeit zustandig 5 Geschlossener Bezirk gemischter Bezirk Bearbeiten Von einem geschlossenen Bezirk sprach man wenn der Patrimonialgerichtsherr uber alle grundbesitzenden Hintersassen in den betroffenen Ortschaften die Gerichtsbarkeit ausubte Als gemischter Bezirk wurden Patrimonialgerichte bezeichnet in deren Ortschaften auch landgerichtische Hintersassen anderer Patrimonialgerichte oder Landesgerichte sassen 6 Kaisertum Osterreich BearbeitenDas Kaisertum Osterreich besass bis 1848 49 eine regional stark differenzierte Gerichtslandschaft Die als Patrimonialgerichte bezeichneten nicht landesherrlichen Gerichte der adligen Grundherren waren im Bereich der streitigen Gerichtsbarkeit zustandig 7 Einen Sonderfall stellte das von 1813 bis 1830 bestehende Patrimonialgericht Lustenau dar Im Friedensvertrag von Paris war festgelegt dass Tirol und Vorarlberg zuruck zu Osterreich kommen sollten Der Status Lustenaus blieb allerdings umstritten da Lustenau als Reichsgrafschaft vor 1806 kein Teil Osterreichs war 1814 besetzte osterreichisches Militar Lustenau Osterreich erkannte aber das bereits unter der Herrschaft des Konigreichs Bayern durch Reskript vom 24 Dezember 1813 gebildete Patrimonialgericht der Grafen Waldburg Zeil an Erst 1830 verzichtete die Familie auf die Patrimonialgerichtsbarkeit und stimmte der rechtlichen Einverleibung durch Osterreich zu 8 Konigreich Preussen BearbeitenAuch Preussen besass bis 1848 49 eine regional stark differenzierte Gerichtslandschaft Die als Patrimonialgerichte bezeichneten nicht landesherrlichen Gerichte der adligen Guter und Grundherren wurden in den einzelnen preussischen Landesteilen im Zuge von Reformen nach und nach in den Jahren 1772 1798 eingefuhrt auch vorher bestand allerdings schon eine grund und standesherrliche Gerichtsbarkeit Man unterschied nun vor allem in Westpreussen Separat Patrimonialgerichte und Patrimonial Kreisgerichte je nachdem ob ein einzelner Gutsherr oder mehrere gemeinschaftlich ein Gericht unterhielten Diese Kreisgerichte sind nicht mit den staatlichen Kreisgerichten zu verwechseln die seit 1849 einheitlich das Gericht erster Instanz in Preussen bildeten In der Rheinprovinz und in der Provinz Posen gab es nach 1815 keine Patrimonialgerichte mehr Die preussischen Patrimonialgerichte wandelten sich in den ubrigen Landesteilen in der ersten Halfte des 19 Jahrhunderts von gutsherrlichen Verwaltungsinstanzen zu modernen Gerichten bei denen vor allem die Rechtsangelegenheiten der landlichen Bevolkerung verhandelt wurden 9 Abschaffung BearbeitenIn den Rheinbundstaaten Konigreich Westphalen unter Jerome Bonaparte Grossherzogtum Berg und Konigreich Wurttemberg wurden die Patrimonialgerichte 1809 abgeschafft Ernst Moritz Arndt 1769 1860 wird ein wesentlicher Anteil daran zugesprochen dass die Patrimonialgerichtsbarkeit in Schwedisch Vorpommern 1811 abgeschafft wurde 10 Das Herzogtum Braunschweig hob die Gerichte durch Verordnung vom 26 Marz 1823 auf Als Folge der Revolution von 1848 1849 folgte die Aufhebung in Bayern durch Gesetz vom 4 Juni 1848 im Kaisertum Osterreich durch Gesetz vom 7 September 1848 und in Preussen durch Verordnung vom 2 Januar 1849 Die Patrimonialgerichtsbarkeit in Baden wurde am 8 September 1849 endgultig aufgehoben Im Konigreich Hannover erfolgte dies zum grossten Teil bereits durch die Verordnung vom 13 Marz 1821 und ganzlich durch Gesetz vom 8 November 1858 In mehreren anderen Staaten Grossherzogtum Oldenburg Reuss jungere Linie Waldeck Herzogtum Sachsen Coburg und Gotha Altenburg erfolgte die Aufhebung nach 1848 und zwar meist ohne Entschadigung Im Konigreich Sachsen erfolgte die Abschaffung der Patrimonialgesetzgebung durch das Gerichtsverfassungsgesetz vom 11 August 1855 11 Das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz von 1877 hob Patrimonialgerichte fur Deutschland endgultig auf Lediglich die Fursten von Thurn und Taxis blieben nach 1877 Inhaber adeliger Gerichtsrechte Das Gesetz die furstlich Thurn und Taxis schen Zivilgerichte in Regensburg betreffend vom 29 April 1869 billigte dem Fursten zumindest noch die freiwillige Gerichtsbarkeit zu die in dieser Form auch die Reichsjustizgesetzgebung uberdauerte Erst mit Einfuhrung des BGB am 1 Januar 1900 wurden die Thurn und Taxis schen Zivilgerichte aufgehoben 12 Literatur BearbeitenMonika Wienfort Patrimonialgerichte in Preussen landliche Gesellschaft und burgerliches Recht 1770 1848 49 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2001 ISBN 3 525 35163 1 Bernd Wunder Die badische Beamtenschaft zwischen Rheinbund und Reichsgrundung 1806 1871 Dienstrecht Pension Ausbildung Karriere soziales Profil und politische Haltung Veroffentlichungen der Kommission fur Geschichtliche Landeskunde in Baden Wurttemberg Reihe B Forschungen Band 136 Kohlhammer Stuttgart 1998 ISBN 3 17 014379 4 S 17 18 Heinrich Wirschinger Darstellung der Entstehung Ausbildung und des jetzigen rechtlichen Zustandes der Patrimonial Gerichtsbarkeit in Bayern Von der Konigl Juristen Fakultat der Ludwig Maximilians Universitat in Munchen gekronte Preisschrift Weber 1837 Wolfgang Wust Adeliges Selbstverstandnis im Umbruch Zur Bedeutung patrimonialer Gerichtsbarkeit 1806 1848 In Walter Demel Ferdinand Kramer Hgg Adel und Adelskultur in Bayern Zeitschrift fur Bayerische Landesgeschichte Beiheft 32 C H Beck Munchen 2008 ISBN 978 3 406 10673 6 S 349 376 Sebastian Hiereth Historischer Atlas von Bayern Die bayerische Gerichts und Verwaltungsorganisation vom 13 bis 19 Jahrhundert Altbayern Reihe I Heft 0 1950 online Albrecht Liess Plane bayerischer Herrschafts und Ortsgerichte aus dem fruhen 19 Jahrhundert im Allgemeinen Staatsarchiv Bayerischen Hauptstaatsarchiv mit Liste von 224 Gerichten In Mitteilungen fur die Archivpflege in Bayern hrsg von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns 14 2 1968 S 48 57 Joseph von Held Patrimonialgerichtsbarkeit In Karl von Rotteck Karl Welcker Das Staats Lexikon Encyklopadie der sammtlichen Staatswissenschafen fur alle Stande Leipzig 1864 Band 11 3 Auflage S 365 371 Digitalisat Einzelnachweise Bearbeiten Grundgerichtsbarkeit Archives Genealogie Lexikon In genlex de Abgerufen am 3 September 2017 Wilfried Beimrohr Landgerichtskarte fur Tirol des Historischen Atlas der osterreichischen Alpenlander Weiterleitung zur PDF 1 vgl Patrimonialgerichtsbarkeit Baden Manfred Jehle Ansbach die markgraflichen Oberamter Ansbach Colmberg Leutershausen Windsbach das Nurnberger Pflegamt Lichtenau und das Deutschordensamt Wolframs Eschenbach Historischer Atlas von Bayern Teil Franken I 35 Band 2 Kommission fur bayerische Landesgeschichte Munchen 2009 ISBN 978 3 7696 6856 8 S 954 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Wilhelm Nutzinger Historischer Atlas von Bayern Teil Altbayern Heft 52 Neunburg vorm Wald Munchen 1982 ISBN 3 7696 9928 9 S 376 381 Dieter Bernd Vohenstrauss In Historischer Atlas von Bayern Teil Altbayern Reihe I Heft 39 Komm fur Bayerische Landesgeschichte Munchen 1977 ISBN 3 7696 9900 9 S 202 Digitalisat Fussnote 3 Franz Ritter von Heintl Kurze Darsteilung der Patrimonial Gerichtsbarkeit im Erzherzogthume Osterreich unter der Ens Haykul 1819 google com abgerufen am 13 September 2021 Wolfgang Scheffknecht Kleinterritorium und Heiliges Romisches Reich Der Embsische Estat und der Schwabische Reichskreis im 17 und 18 Jahrhundert UVK Verlag 2018 ISBN 978 3 7398 0408 8 google de abgerufen am 13 September 2021 Monika Wienfort Patrimonialgerichte in Preussen landliche Gesellschaft und burgerliches Recht 1770 1848 49 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2001 ISBN 3 525 35163 1 Constantin Graf von Hoensbroech Streit um einen Patrioten In Markische Oderzeitung Blickpunkt 29 Januar 2010 S 3 Pierer s Universal Lexikon Band 12 Altenburg 1861 S 749 750 online Ralf Ruhnau Die Furstlich Thurn und Taxissche Privatgerichtbarkeit in Regensburg ein Kuriosum der deutschen Rechtsgeschichte P Lang 1998 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Patrimonialgericht amp oldid 231513348