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Nahwirkung und Fernwirkung bezeichnen zwei konkurrierende historische Konzepte der klassischen Physik in der Frage wie sich Krafte ausbreiten Bei einer Fernwirkung geht man davon aus dass sich die physikalische Wirkung uber beliebige Entfernungen ohne vermittelndes Medium auswirkt in der Newtonschen Theorie der Gravitation sogar instantan d h ohne zeitliche Verzogerung Die klassischen physikalischen Theorien der Mechanik d h die Newtonsche Gravitation die Elektrostatik und Magnetostatik haben eine Fernwirkung zur Grundlage Dies findet seinen Ausdruck beispielhaft in Newtons drittem Gesetz von actio und reactio Zwei Korper wirken in jedem Augenblick egal wie weit sie voneinander entfernt sind und wie sie sich bewegen mit entgegengesetzt gleichen Kraften aufeinander Physikalisch kann dabei nicht naher begrundet werden auf welche Weise solche Krafte ubertragen werden und schon ihre Entstehung wurde seit Aristoteles zu den okkulten Eigenschaften der Korper gezahlt Das Konzept der Nahwirkung wurde von Galileo Galilei den mittelalterlichen Vorstellungen von den okkulten Eigenschaften entgegengestellt Rene Descartes begrundete es philosophisch so dass ein Korper durch nichts anderes als seine raumliche Ausdehnung schon vollstandig definiert sei und eine Wirkung auf einen anderen Korper folglich nur bei Beruhrung erfolgen konne Dennoch setzte sich aufgrund der Erfolge der klassischen Mechanik der Gedanke der Fernwirkung im 18 Jahrhundert weitgehend durch Doch 1838 entdeckte Michael Faraday dass die elektrostatische Kraft zwischen zwei Korpern von der Art der zwischen ihnen befindlichen Materie abhangt Weiterentwickelt durch James Clerk Maxwell fuhrte diese Entdeckung zu einem neuen Bild von der Nahwirkung Die elektrische Ladung verandert zunachst den umgebenden Ather und sobald diese Veranderung den Ort einer anderen Ladung erreicht erfahrt diese andere Ladung die elektrostatische Kraft Dadurch ergibt sich auch eine endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wirkung Fur die Kraftubertragung uber den Raum fuhrte Faraday den Begriff des Feldes ein Der Feldbegriff ist auch in der modernen Physik gultig Inhaltsverzeichnis 1 Fernwirkung im Newtonschen Gravitationsgesetz 2 Elektrizitat und Nahwirkungs theorie 3 Gravitation und Relativitatstheorie 4 Quantenphysik 5 Heutiger Stand 6 Kritik 7 Literatur 8 EinzelnachweiseFernwirkung im Newtonschen Gravitationsgesetz BearbeitenDas Gravitationsgesetz von Isaac Newton beschreibt eine instantane Fernwirkung Wenn z B die Sonne plotzlich verschoben wurde dann wurde hiernach die Erde sofort die veranderte Gravitation spuren und mit einer entsprechenden Anderung ihrer Bahn reagieren Auch werden die gegenseitigen Bahnstorungen der Planeten nach Newton mit den Kraften berechnet die sich aus den augenblicklichen Positionen der Planeten bestimmen Daher wurde Newtons Theorie allgemein dahingehend verstanden dass die von ihm eingefuhrte Gravitationskraft ohne Verzogerung den absolut leeren Raum durchdringen konnte Schon seine Zeitgenossen darunter Christiaan Huygens und Gottfried Wilhelm Leibniz warfen ihm vor wieder okkulte Krafte einzufuhren wenn er der nur als trage und passiv verstandenen Materie die Fahigkeit zu einer Fernwirkung zuschreibe und noch Leonhard Euler 1 sah darin eine absurde Annahme Doch auch Newton selbst lehnte diese Interpretation seiner Berechnungen und schon die blosse Moglichkeit einer solchen Fernwirkung strikt ab It is unconceivable that inanimate brute matter should without the mediation of something else which is not material operate upon and affect other matter without mutual contact as it must if gravitation in the sense of Epicurus be essential and inherent in it And this is one reason why I desired you would not ascribe innate gravity to me That gravity should be innate inherent and essential to matter so that one body may act upon another at a distance through a vacuum without the mediation of any thing else by and through which their action or force may be conveyed from one to another is to me so great an absurdity that I believe no man who has in philosophical matters any competent faculty of thinking can ever fall into it Gravity must be caused by an agent acting constantly according to certain laws but whether this agent be material or immaterial is a question I have left to the consideration of my readers Brief an Richard Bentley von 1692 1693 in Herbert Westren Turnbull The correspondence of Isaac Newton 1961 Vol III S 253 254 Es ist undenkbar dass leblose rohe Materie ohne die Vermittlung von etwas anderem das nicht materiell ist ohne direkten Kontakt auf andere Materie wirken sollte Dass die Gravitation der Materie angeboren inharent und wesentlich sein soll so dass ein Korper auf einen anderen uber eine Entfernung durch Vakuum hindurch und ohne die Vermittlung von etwas Sonstigem wirken soll ist fur mich eine so grosse Absurditat dass ich glaube kein Mensch der eine in philosophischen Dingen geschulte Denkfahigkeit hat kann sich dem jemals anschliessen Gravitation muss durch einen Vermittler verursacht werden welcher bestandig und nach bestimmten Gesetzen wirkt Aber die Frage ob dieser Vermittler materiell oder immateriell ist habe ich meinen Lesern uberlassen Gegen die geausserte Kritik prazisierte er dass er aus den Beobachtungen der Natur nur offenbare Gesetzmassigkeiten ableite und dass nur deren Ursachen moglicherweise okkult blieben 2 Schliesslich war es der Erfolg der auf Newtons Gesetzen aufbauenden Klassischen Mechanik welche fur lange Zeit die Fernwirkung als akzeptiertes Modell vieler Bereiche der Naturwissenschaft etablierte Auch der Philosoph Immanuel Kant fasste die Anziehung als Fernwirkung auf Er schreibt 1786 Die aller Materie wesentliche Anziehung ist eine unmittelbare Wirkung derselben auf andere durch den leeren Raum 3 Dadurch fanden die auf Descartes zuruckgehenden Versuche eine mechanische Gravitationserklarung mit Hilfe einer Wirbelbewegung eines Athers zu erstellen kaum noch Gehor Elektrizitat und Nahwirkungs theorie BearbeitenVom Erfolg von Newtons Fernwirkungstheorie beeinflusst waren im 18 und 19 Jahrhundert auch die Anziehungs und Abstossungsgesetze fur Korper mit ungleichnamigen bzw gleichnamigen elektrischen Ladungen zunachst als Fernwirkungskrafte aufgefasst worden Im 19 Jahrhundert wuchs jedoch die Uberzeugung dass Krafte von Feldern und damit von physikalischen Grossen vermittelt werden Der Erste der uber seine Versuche zur Elektrizitat und zur elektromagnetischen Induktion zu einer Feldvorstellung kam war Michael Faraday 1791 1867 Seiner Meinung nach wird von der felderzeugenden Anordnung der Raum erregt so dass ein anderer Korper eine Kraft erfahrt Er fuhrte das Feld als eigenstandige Grosse in die Physik ein Krafte werden demnach mittelbar mit Hilfe eines Feldes ubertragen das sich nach ursprunglicher Ansicht instantan im Raum ausbreitet Auf einen geladenen Korper wirkt die Kraft im Sinne des Nahwirkungsbegriffs mit der am betreffenden Ort herrschenden Feldstarke Faraday war schon 1852 uberzeugt dass diese Annahme nicht nur fur magnetische und elektrische Felder sondern auch fur Gravitationsfelder richtig ist 4 1864 legte James Clerk Maxwell 1831 1879 dann eine komplette Feldtheorie des Elektromagnetismus vor Seine Hypothese der Verschiebungsstrome macht es erforderlich diese Nahwirkungstheorie auch auf das Vakuum auszudehnen Aus den Maxwell Gleichungen geht hervor dass zeitlich veranderliche elektrische und magnetische Felder sich gegenseitig erzeugen und daher zu einem elektromagnetischen Feld zusammengefasst werden mussen das sich insgesamt mit endlicher Geschwindigkeit ausbreitet Die Krafte auf einen geladenen Korper ergeben sich dann als Coulombkraft und Lorentzkraft aus den an seinem Ort herrschenden Feldstarken Des Weiteren folgt die Moglichkeit dass ein einmal erzeugtes elektromagnetisches Feld unabhangig von seiner Quelle weiter existiert und sich als elektromagnetische Welle durch den Raum fortpflanzt 5 Um den Feldstandpunkt von der Fernwirkung zu unterscheiden wurde er als Nahwirkung bezeichnet Eine Erklarung fur das Wort Nahwirkung ergibt sich aus der Vorstellung dass der Korper durch den Raum der ihn umgibt die Kraft erfahrt Jede Wirkung ubertragt sich von einem Punkt P1 zu einem benachbarten Punkt P2 Wer den Begriff Nahwirkung zum ersten Mal verwendete ist nicht bekannt Solange es sich um statische Anordnungen handelt zeigt sich kein Unterschied zwischen Fern und Nahwirkung wohl aber bei dynamischen Problemen Der experimentelle Durchbruch erfolgte schliesslich 1886 durch den Nachweis von elektromagnetischen Wellen durch Heinrich Hertz Fur die Ausbreitung elektromagnetischer Wellen wurde bis uber das Ende des 19 Jahrhunderts hinaus die Theorie eines mechanischen Ausbreitungsmediums favorisiert des Athers Noch die fuhrenden Theoretiker der Elektrodynamik zu Beginn des 20 Jahrhunderts Hendrik Antoon Lorentz Henri Poincare Joseph Larmor gingen von der Existenz eines Athers aus Auch der Experimentalphysiker Albert A Michelson dessen Nullresultat beim Michelson Morley Experiment wesentlich zur Uberwindung der Idee eines Athers beitrug war bis zu seinem Tod nicht von der Nicht Existenz eines Athers uberzeugt Wahrend sich im Allgemeinen das Feldkonzept und die Nahwirkungstheorie durchsetzte gibt es auch Formulierungen der klassischen Elektrodynamik uber eine direkte Teilchen Teilchen Wechselwirkung allerdings nicht instantan sondern mit Zeitverzogerung die der Lichtgeschwindigkeitsschranke entspricht von Karl Schwarzschild Adriaan Fokker und Hugo Tetrode was in den 1940er Jahren von John Archibald Wheeler und Richard Feynman aufgegriffen wurde Absorber Theory 6 7 Sie benutzt gleichwertig avancierte und retardierte Potentiale und ist damit zeitsymmetrisch Weiterhin hat sie den Vorteil dass man damit die Selbstwechselwirkung von geladenen punktformigen Teilchen umgehen kann mit den damit verbundenen Divergenzen Fred Hoyle und Jayant Vishnu Narlikar verwendeten diese Theorie in einer Kosmologie die das Machsche Prinzip implementiert 8 Die Idee einer Fernwirkung mit endlicher Ausbreitungsgeschwindigkeit fur die Elektrodynamik hatte schon Carl Friedrich Gauss 1845 konnte sie aber damals noch nicht prazise formulieren Gravitation und Relativitatstheorie Bearbeiten Hauptartikel Aberration Gravitation Parallel zu den Entwicklungen in der Elektrodynamik schon Maxwell ging davon aus dass sich Felder mit endlicher Geschwindigkeit ausbreiten versuchten verschiedene Physiker zwischen 1870 und 1910 auch die Gravitation als Nahwirkung zu beschreiben Schliesslich gelang Albert Einstein mit der Allgemeinen Relativitatstheorie die Formulierung einer solchen Theorie welche die Lichtgeschwindigkeit als Ausbreitungsgeschwindigkeit der Felder beinhaltet Er zeigte damit dass sich keine effektiven Wirkungen also auch keine Felder und Krafte schneller als das Licht ausbreiten konnen Eine instantane Wirkung uber beliebige Entfernungen ist demnach unmoglich Im hypothetischen Beispiel mit der verschobenen Sonne wurde sich also die Gravitationswirkung auf die Erde erst nach ca 8 Minuten andern also nach der Zeit die auch das Licht von der Sonne zur Erde benotigt Wir wurden daher insbesondere nichts von der Verschiebung spuren bevor wir sie nicht auch sahen Die Berechnung von Planetenbahnen um die Sonne mit diesem retardierten Potential ergibt allerdings keine exakte Ellipse sondern eine Spirale die nach vielen Umlaufen in der Sonne endet Der grosste Anteil dieses Effekts wird in der Allgemeinen Relativitatstheorie durch den gravitomagnetischen Effekt kompensiert der verbleibende Energieverlust des Planeten wird mit einer Aussendung von Gravitationswellen erklart Diese waren fur Planeten zu schwach um beobachtet zu werden bei hinreichend massereichen Objekten sollten sie jedoch zu beobachten sein Ein indirekter Nachweis der Gravitationswellen durch Russell Hulse und Joseph Taylor zeigt genau diesen Effekt Die Pulsare des Doppelpulsars PSR J1915 1606 kreisen in einer Spiralbahn umeinander was zu einer messbar zunehmenden Umlauffrequenz fuhrt 2016 wurde die Existenz von Gravitationswellen durch ein am 14 September 2015 in den USA erfasstes Signal experimentell nachgewiesen Quantenphysik BearbeitenDie Debatte um Nah und Fernwirkung setzte sich bis ins 20 Jahrhundert fort Das Postulat der Relativitatstheorie dass sich alle Wirkungen maximal mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten fuhrt in der Quantenmechanik zum Einstein Podolsky Rosen Paradoxon wenn eines von zwei miteinander verschrankten Teilchen seinen Zustand andert so muss sich nach der Quantenmechanik auch instantan das andere andern was nicht im Einklang mit der Relativitatstheorie ist Dies wird erst durch die relativistische Quantenfeldtheorie aufgelost in der ein Kausalzusammenhang immer auf den Vorwartslichtkegel beschrankt ist Heutiger Stand BearbeitenHeute wird davon ausgegangen dass drei der vier Fundamentalkrafte durch Bosonen als Austauschteilchen ubertragen werden bei der elektromagnetischen Kraft sind es die Photonen bei der Kernkraft die Gluonen bei der schwachen Wechselwirkung die W Bosonen und Z BosonenSofern die Austauschteilchen masselos sind Photonen und Gluonen wird ihre Wirkung gerade mit Lichtgeschwindigkeit ubertragen fur massebehaftete Austauschteilchen mit geringerer Geschwindigkeit Austauschteilchen der Gravitationskraft die Gravitonen konnten bisher nicht festgestellt werden Allerdings beinhaltet Einsteins Allgemeine Relativitatstheorie die Lichtgeschwindigkeit als Ausbreitungsgeschwindigkeit der Gravitationskraft Somit konnen sich keine effektiven Wirkungen also auch keine Felder und Krafte schneller als das Licht ausbreiten Eine Fernwirkung d h eine instantane Wirkung uber beliebige Entfernungen ist demnach unmoglich Kritik BearbeitenIn der Physik wird der Begriff Nahwirkung als Gegensatz zur Fernwirkung von Kraften ungern benutzt denn er ist missverstandlich und unnotig Die dem Fernwirkungsstandpunkt zu Grunde liegende Annahme Krafte wirkten sofort und unmittelbar auf jede Entfernung beinhaltet schliesslich auch eine Nahewirkung Es erscheint zudem paradox dass ausgerechnet die grossen Reichweiten von Gravitation und elektromagnetischen Wellen als Nahwirkung bezeichnet werden Fur den Feldstandpunkt den Begriff Nahwirkung einzufuhren ist uberflussig da es einer extra Erklarung bedarf wieso er synonym fur den einfacheren Feldbegriff sein soll Grundsatzlich ist immer dem klareren Begriff der Vorzug zu geben Es genugt zu sagen Der Fernwirkungsstandpunkt wurde vom Feldstandpunkt abgelost Literatur BearbeitenCaspar Isenkrahe Uber die Fernkraft und das durch Paul du Bois Reymond aufgestellte dritte Ignorabimus Leipzig 1889 Paul Drude Ueber Fernewirkungen In Beilage zu den Annalen der Physik und Chemie Band 62 1 Neue Folge 1897 S I XLIX Referat fur die 69 Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Braunschweig 1897 Sektion Physik Berichtigung der S XXXIX Annalen der Physik und Chemie Band 62 Nr 12 1897 S 693 Jonathan Zenneck Gravitation In Encyklopadie der mathematischen Wissenschaften mit Einschluss ihrer Anwendungen V 1 Leipzig 1903 S 25 67 uni goettingen de Mary Hesse Forces and Fields The Concept of Action at a Distance in the History of Physics Dover 2005 englisch Erstausgabe Nelson 1961 Einzelnachweise Bearbeiten Andreas Kleinert Aufklarung durch Physik In Walter Schmitz Carsten Zelle Hrsg Innovation und Transfer Eckard Richter Dresden 2004 ISBN 3 933592 37 2 S 11 20 Wenn Fernwirkungen moglich seien so Euler dann musse man befurchten Verdauungsprobleme von den Krautern zu bekommen die auf dem Saturn wachsen auch ohne von ihnen gegessen zu haben John Fauvel Raymond Flood Michael Shortland Robin Wilson Eds Newtons Werk Die Begrundung der modernen Naturwissenschaft Springer Verlag 2013 S 325 Newtons aktive Prinzipien in der Google Buchsuche Immanuel Kant Metaphysische Anfangsgrunde der Naturwissenschaft Riga 1786 2 Hauptstuck Dynamik Lehrsatz 7 M Faraday On the physical character of the lines of magnetic force In The London Edinburgh and Dublin Philosophical Magazine and Journal of Science 4 Serie Band 3 Taylor amp Francis London 1852 S 401 428 Online James Clerk Maxwell A Treatise on Electricity amp Magnetism Dover Publications New York 1873 ISBN 0 486 60636 8 und ISBN 0 486 60637 6 Wheeler Feynman Interaction with the absorber as the mechanism of radiation Reviews of Modern Physics Band 17 1957 S 157 Auch dargestellt in Feynman Lectures on Physics Kapitel 28 Band 2 Hoyle Narlikar Cosmology and action at a distance electrodynamics Reviews of Modern Physics Band 67 1995 S 113 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Nahwirkung und Fernwirkung amp oldid 238149948