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Die Lutizen auch Liutizen Lutitzen Luitizen waren ein loser Bund einiger nordwestslawischer Stamme die im Mittelalter den Sudosten des heutigen Mecklenburg Vorpommern und den Norden des heutigen Brandenburg bevolkerten Im Gegensatz zu ihren Nachbarn entwickelten sie keinen zentralistischen Feudalstaat und widersetzten sich der Christianisierung Verschiedentlich fand der Begriff der Lutizen auch als Oberbegriff fur alle Slawen nordostlich der unteren und mittleren Elbe Verwendung 1 Inhaltsverzeichnis 1 Ethnische und sprachliche Einordnung 2 Teilstamme 3 Organisation des Bundes 4 Religion 5 Blutezeit des Bundes 983 1056 6 Zerfall des Bundes und Untergang der Stamme 7 Forschungsgeschichte 8 Literatur 9 AnmerkungenEthnische und sprachliche Einordnung BearbeitenDie Lutizen gehorten zu den auch als Wenden bezeichneten Elb und Ostseeslawen welche den nordwestlichen Teil der Westslawen bildeten Zuerst erwahnt wurden sie bei Adam von Bremen im Jahre 991 Der Bund stellte keine politisch staatliche Fortsetzung des Stammesverbandes der Wilzen aus dem 8 Jahrhundert dar sondern wurde nach dessen Zerfall durch die entstandenen Einzelstamme auf einem Teil des ehemals wilzischen Territoriums neu gebildet 2 Die Lutizen sprachen polabische Dialekte die zum lechischen Zweig des Westslawischen gerechnet werden Teilstamme BearbeitenDie vier Kernstamme der Lutizen bildeten die vormals abodritischen Teilstamme der Kessiner und Zirzipanen sowie die Tollenser und Redarier die innerhalb des Bundes eine Fuhrungsrolle einnahmen Das Siedlungsgebiet dieser Teilstamme erstreckte sich im heutigen Mecklenburg Vorpommern von der Warnow im Westen in den Grossraum um die Flusse Peene und Tollense sowie den Tollensesee An der Peripherie waren weitere Teilstamme zugehorig etwa die Zamzizi im Ruppiner Land die sudlich davon ansassigen Heveller im Havelraum oder die Ukrer in der Uckermark Zentrum des Lutizenbundes war dessen wohl nahe dem Tollensesee im Siedlungsgebiet der Redarier gelegene Kultheiligtum Rethra auch Riedegost Organisation des Bundes BearbeitenDer Bund hatte eine Volksversammlung aber keine zentrale Fuhrung Die Stamme behielten also weitgehend ihre Autonomie sprachen sich aber insbesondere in militarischen Belangen untereinander ab Dieser Umstand zeichnete den Bund gegenuber seinen Nachbarn aus bei denen es sich um Territorialstaaten mit einer adligen Zentralgewalt handelte machte ihn aber auch zum Expansionsziel derselben insbesondere Herzogtum Sachsen und Polen Religion BearbeitenDie liutizischen Stamme ubten eine stark an der Natur orientierte Religion aus und praktizierten dabei ein Kultwesen welches eine Variante der slawischen Religionen vor der Christianisierung darstellt 3 In verschiedenen lokalen Tempeln wurden vielgesichtige Gottheiten verehrt es gab Orakel und Opferriten Hauptheiligtum war der Tempel in Rethra wo Svarozic verehrt wurde der Name des Tempels und des Gottes Riedegost in variablen Schreibweisen wurde teilweise synonym verwendet In Rethra gab es ein Orakel in dem ein heiliges weisses Ross als Medium benutzt wurde Analoge Orakel sind auch aus dem Svantevitheiligtum des Ranenfurstentum in Arkona und dem Triglawheiligtum der Pomoranen in Stettin bekannt Ein weiteres Orakeltier in Rethra war ein heiliger Eber Es ist aus Rethra auch ein Menschenopfer belegt namlich der Mecklenburger Bischof Johannes im Jahre 1066 Blutezeit des Bundes 983 1056 Bearbeiten nbsp Lutizenbund Kernstamme rot unterstrichen 983 1056 57Die Lutizen waren fuhrend am grossen Slawenaufstand von 983 beteiligt welcher von Rethra ausging Bereits vorher hatten sie sich gegen die Bestrebungen Kaiser Ottos I gewehrt den ostlichen Elberaum unter deutsche Herrschaft zu zwingen Kaiser Otto III bekampfte sie noch etwa mit Unterstutzung des polnischen Herzogs Boleslaw I in einem Feldzug von 995 doch konnte sie Ottos Nachfolger Heinrich II 1003 in Quedlinburg als Verbundete gegen Boleslaw I und 1005 und 1017 zur Teilnahme an einem Feldzug gegen denselben gewinnen Dies hatte jedoch mehrere polnische Einfalle in das Lutizengebiet zur Folge Das gegen Polen gerichtete Bundnis mit den Deutschen hielt nicht lange vor bereits 1036 und 1045 gab es deutsche Feldzuge in das Lutizengebiet wobei das sachsische Heer in letzterem vollig besiegt wurde Noch 1056 konnten die Lutizen ein sachsisches Heer unter Wilhelm von der Nordmark bei Havelberg vernichtend schlagen 4 Die Lutizen wurden durch ihre Erfolge darin bestarkt an ihren heidnischen Brauchen festzuhalten Zerfall des Bundes und Untergang der Stamme Bearbeiten1057 kam es durch die Rivalitat des liutizischen Adels zu einem Bruderkrieg zwischen den Stammen der Kessiner und Zirzipanen auf der einen Seite der Peene sowie den Redariern und Tollensern auf deren anderer Seite 5 Aus diesem Krieg gingen die Zirzipanen als Sieger hervor Die Besiegten riefen daraufhin Gottschalk den Fursten der Obodriten und eifrigen Verfechter einer Christianisierung der Slawen 5 Herzog Bernhard von Sachsen und den Konig von Danemark zu Hilfe Schliesslich boten die Circipanen 15 000 Pfund Silber und erkauften sich dadurch den Frieden Die Unseren kehrten ruhmreich heim vom Christentum war nicht die Rede die Sieger waren nur auf Beute bedacht schrieb damals der Domherr Adam von Bremen uber das Ende dieses Krieges 5 Im Befreiungskrieg von 1066 nahmen die Lutizen den Bischof Johannes I nach erfolgreichen Sturm auf die Mecklenburg gefangen und opferten ihn in der Tempelburg Rethra am 10 November 1066 ihrem Gott Radegast 6 Auf Rache sinnend drang daraufhin Bischof Burchard II von Halberstadt an der Spitze eines von Heinrich IV zusammengestellten Heeres bis nach Rethra vor und zerstorte dort das Hauptheiligtum der Slawen 6 Der Feldzug Konig Heinrichs IV im Winter des darauffolgenden Jahres durfte sich trotz der Bezeichnung der Gegner bei Lampert von Hersfeld als Luticios gegen die Wagrier unter ihrem Teilstammesfursten Kruto gerichtet haben 7 Feldzuge sachsischer Herzoge in das Lutizengebiet fanden etwa 1100 1114 1121 und 1123 statt Auch Danen und die nunmehr unter polnischer Hoheit stehenden Pomoranen fuhrten Feldzuge gegen die Lutizen Die Pomoranen stiessen 1128 weit ins Stammesgebiet der Zirzipanen vor und verleibten ihrem Herzogtum den sudlichen Teil des spateren Vorpommern ein Trotz der militarischen Niederlagen behielten die Lutizen weiter ihre Unabhangigkeit bis 1147 sachsische danische und polnische Fursten den Wendenkreuzzug gegen die Lutizen fuhrten und damit deren Ende einlauteten Im Ergebnis wurden die liutizischen Lande zwischen den Herzogtumern Pommern Sudvorpommern und Mecklenburg Ostteil sowie der Mark Brandenburg Nordteil aufgeteilt und damit dem Heiligen Romischen Reich einverleibt Die bereits durch viele Kriegsjahre dezimierte slawische Bevolkerung wurde christianisiert und im Zuge der zunehmend deutschen Besiedlung assimiliert Forschungsgeschichte BearbeitenGepragt vom deutsch slawischen Gegensatz des 19 und 20 Jahrhunderts standen sich bis zum Ende des kalten Krieges zwei unterschiedliche Interpretationen der Lutizengeschichte gegenuber In Deutschland deuteten die Historiker den lutizischen Sonderweg als eine von Anfang an zum Scheitern verurteilte Fehlentwicklung die im Untergang der religiosen kulturellen und politischen Identitat der Lutizen enden musste 8 Dagegen erblickte die polnische Westforschung die Sinnhaftigkeit des Lutizenbundes in der zeitweiligen Abwehr der deutschen Expansion nach Osten die eine Eigenentwicklung des hinter der elbslawischen Barriere gelegenen Polen erst ermoglicht habe 9 Beides wird seit den 1990er Jahren nicht mehr vertreten da die Lutizen selbst ihr gentilreligios bundisch organisiertes Gemeinwesen weder als sinnlos noch als Wellenbrecher verstanden haben durften Stattdessen wurde damit begonnen kulturelle und ethnische Angleichungsprozesse unter der Fuhrerschaft von Traditionskernen bei den Lutizen zu untersuchen In diesem Zusammenhang hat sich Christian Lubke mit dem ethnischen Bewusstsein der Lutizen befasst Er vermutet bei den Lutizen eine kriegerische grossenwahnsinnige und Uberlegenheit vortauschende Form des Ethnozentrismus 10 Die Anwendung eines modernen ethnologischen Modells auf eine mittelalterliche Ethnie ist auf Kritik gestossen Fur eine Ubertragbarkeit des Modells fehle es an einer vertieften Untersuchung der Darstellungsabsicht Thietmar von Merseburgs dessen chronikalische Berichte die Erkenntnisgrundlage Lubkes bilden 11 Literatur BearbeitenHelmut Beumann Die Ottonen 5 Aufl Stuttgart u a 2000 ISBN 3 17 016473 2 Sebastian Brather Christian Lubke Lutizen In Reallexikon der Germanischen Altertumskunde RGA 2 Auflage Band 19 Walter de Gruyter Berlin New York 2001 ISBN 3 11 017163 5 S 51 56 PDF Wolfgang Bruske Untersuchungen zur Geschichte des Lutizenbundes Deutsch wendische Beziehungen des 10 12 Jahrhunderts 2 Aufl Bohlau Koln u Wien 1983 ISBN 3 412 07583 3 Joachim Herrmann Hrsg Die Slawen in Deutschland Berlin 1985 Herbert Ludat An Elbe und Oder um das Jahr 1000 2 Aufl Koln Wien 1995 ISBN 3 412 11994 6 Christian Lubke Das ostliche Europa Die Deutschen und das europaische Mittelalter Siedler Munchen 2004 ISBN 3 88680 760 6 Christian Lubke Zwischen Polen und dem Reich Elbslawen und Gentilreligion In Polen und Deutschland vor 1000 Jahren Berlin 2002 ISBN 3 05 003749 0 S 91 110 Anmerkungen Bearbeiten Etwa bei Lampert von Hersfeld Annales 1073 S 163 dazu Sabine Borchert Herzog Otto von Northeim um 1025 1083 Reichspolitik und personelles Umfeld Veroffentlichungen der Historischen Kommission fur Niedersachsen und Bremen 227 Hahn Hannover 2005 S 77 Wolfgang Hermann Fritze Beobachtungen zu Entstehung und Wesen des Lutizenbundes in Jahrbuch fur die Geschichte Mittel und Ostdeutschlands Band 7 1958 S 1 38 hier S 11 Als die Wendengotter sterben sollten eine Veroffentlichung des Wendischen Museums Cottbus im REGIA Verlag 2004 Rainer Langwald Bucco verliess den Konig In Harz Blick Bischof Burchard von Halberstadt fuhrte mit Otto von Northeim den Sachsenaufstand an Wernigerode 2009 S 15 a b c EB Gerlinde Kienitz Stargard kam als Lehen zu Mecklenburg In Nordkurier In der Geschichte des Strelitzer Landes geblattert 2 unter Bezug auf Adam von Bremen Bischofsgeschichte der Hamburger Kirche a b Walter Karbe Rethra das Nationalheiligtum der Wenden In Heimatbuch des Kreises Neustrelitz Neustrelitz 1953 S 88 90 Sabine Borchert Herzog Otto von Northeim um 1025 1083 Reichspolitik und personelles Umfeld Hahn Hannover 2005 S 76 81 insbesondere S 77 Wolfgang Bruske Untersuchungen zur Geschichte des Lutizenbundes Deutsch wendische Beziehungen des 10 12 Jahrhunderts 2 Aufl Bohlau Koln u Wien 1983 ISBN 3 412 07583 3 S 2 Gerard Labuda Wytworzenie wspolnoty etnicznej i kulturalnej plemion Slowianszczyzny polabskiej i jej przemiany w rozwoju dziejowym in Jerzy Strzelczyk Hrsg Slowianszczyzna Polabska Miedzy Niemcami A Polska Materialy z konferencji naukowej zorganizowanej przez Instytut Historii UAM w dniach 28 29 IV 1980 r Posen 1981 S 7 34 hier S 32 f Christian Lubke Zwischen Polen und dem Reich Elbslawen und Gentilreligion In Michael Borgolte Hrsg Polen und Deutschland vor 1000 Jahren Die Berliner Tagung uber den Akt von Gnesen Akademie Verlag Berlin 2002 ISBN 3 05 003749 0 S 91 110 hier S 106 Klaus van Eickels Rezension zu Borgolte Michael Hrsg Polen und Deutschland vor 1000 Jahren Die Berliner Tagung uber den Akt von Gnesen Berlin 2002 in H Soz Kult vom 5 November 2002 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Lutizen amp oldid 231079982